Die prächtigen 27
Uri
Avnery, 27.9.03
Vor anderthalb Jahren entschied sich eine
kleine Gruppe Israelis, ein Tabu zu brechen und das Problem der Kriegsverbrechen,
zur Sprache zu bringen. Bis dahin war es selbstverständlich, dass die israelische
Armee „die moralischste und humanste Armee der Welt“ ist – so die offizielle
Redeweise - und deshalb kann sie solche Dinge nicht tun.
Die Gush Shalom-Bewegung ( zu der ich gehöre),
veranstaltete eine öffentliche Tagung in Tel Aviv und lud eine Gruppe Professoren
und Personen der Öffentlichkeit ein, um darüber zu diskutieren, ob unsere
Armee Kriegsverbrechen begehe. Der Star des Abends war der Oberst Yigal
Shohat, ein Kriegsheld, der während des Yom-Kippur-Krieges über Ägypten
abgeschossen wurde. Ein hingebungsvoller ägyptischer Arzt amputierte sein
Bein. Nach seiner Rückkehr studierte er Medizin und wurde selbst Arzt.
Mit einer vor Bewegung zitternder Stimme
las er laut einen persönlichen Appell an seine Kameraden, die Piloten der
Luftwaffe, vor und bat sie, Befehle zu verweigern, über denen die „schwarze
Flagge der Illegalität“ weht( ein Ausdruck, der vom Militärrichter im Zusammenhang
mit dem Kafr Kassem-Massaker vor Gericht (1957) geprägt wurde). Zum Beispiel
Befehle, über palästinensischen Wohngebieten Bomben abzuwerfen, um „gezielte
Tötungen“ durchzuführen.
Die Rede verursachte ein großes Echo. Aber
dem Armeekommando gelang es, den „Schaden unter Kontrolle“ zu halten. Der
Luftwaffenkommandeur General Dan Halutz, außer dem Generalstabschef Moshe
Ya’alon vielleicht der extremste Offizier, wurde gefragt, was er empfinde,
wenn er über palästinensischem Wohngebiet eine Bombe abwerfe. Er antwortete:
„Ich spüre ein leichtes Zittern in den Flügeln“. Er fügte noch hinzu, dass
er nach solch einem Angriff „sehr gut schlafe“.
Es schien so, als hätte sich Shohats Aufruf
in dünne Luft aufgelöst – aber nun erweist es sich, dass dem nicht so war.
Die Saat ging langsam auf. Besonders nachdem ein Pilot eine Ein-Tonnen-Bombe
über einem Wohngebiet in Gaza abgeworfen hatte, um einen Hamas-Führer zu
treffen. Er tötete noch 17 andere, Männer, Frauen und Kinder, die sich in
der Nähe befanden. Viele Piloten kämpften seitdem mit ihrem Gewissen. Jetzt
hat das Gewissen von 27 gewonnen.
Nach israelischer Mythologie sind die Kampfpiloten
die Elite der Elite. Viele von ihnen sind Kibbuzmitglieder, die früher als
die Aristokratie Israels angesehen wurden. Eser Weitzman, ein früherer Luftwaffenkommandeur,
prägte einst den Satz: „die besten Jungs fürs Fliegen“ ( und im typisch
machohaften Stil der Luftwaffe: „die besten Mädchen für die Flieger“.)
Die Piloten werden von Jugend an dahin erzogen,
zu glauben, wir hätten immer recht und unsere Gegner seien üble Mörder;
Armeekommandeure sich niemals irrten, ein Befehl ein Befehl sei, und wir
niemals die Frage Warum? stellen sollten. Dass dieser Professionalismus
wichtiger sei als alles andere; diese Probleme innerhalb der Streitkräfte
gelöst werden müssten und dass die Autorität der politischen Führung nicht
angezweifelt werde. Da existiert eine ganze Mythologie über die Rolle, die
die Luftwaffe bei den israelischen Siegen in all unsern Kriegen gespielt
habe: vom winzigen Piperflugzeug 1948, der Zerstörung der ägyptischen Luftwaffe
im Yom-Kippur-Krieg 1973 und so weiter.
Die Luftwaffe nimmt natürlich keine Nonkonformisten
auf. Die Kandidaten für das Flugtraining werden sorgfältig geprüft. Das
Militär wählt solide, disziplinierte Jugendliche, auf die man sich verlassen
kann, was den Charakter und ihre Ansichten betreffen. Zionisten und Söhne
von Zionisten.
Dazu kommt, dass die Luftwaffe ein Clan,
eine Sekte, ist, deren Mitglieder absolut loyal gegenüber der Luftstreitmacht
und zu einander sind. Niemals gab es öffentlichen Streit oder Anzeichen
einer Meuterei innerhalb der Luftwaffe.
All dies erklärt, warum die Piloten so lange
mit sich selbst gekämpft haben, bevor sie in sich die geistige Kraft fanden,
solch einen außergewöhnlichen, moralisch mutigen Schritt zu tun, den Brief
zu veröffentlichen.
Die 27 Luftwaffenpiloten informierten ihre
Kommandeure, dass sie sich von jetzt an weigern würden, „unmoralische und
illegale Befehle“ auszuführen, die den Tod von Zivilisten verursachten.
Am Ende ihres Statements griffen sie die Besetzung an, die Israel korrumpiert
und seine Sicherheit gefährdet.
Der ranghöchste Offizier unter den Unterzeichnern
ist Generalmajor Yiftah Spector, der auch eine lebende Legende ist. Er ist
der Sohn von einem „der 23 Männer im Boot“, einer Gruppe, die während des
2. Weltkrieges in den Libanon gesandt wurde, um die Erdölinstallationen
zu zerstören ( damals unter der französischen Pro-Nazi Vichy–Kontrolle).
Man hat nie wieder etwas von ihr gehört. Yiftah Spector war der Ausbilder
von vielen der heutigen Kommandeure der Luftstreitkräfte. Im ganzen wurde
das Statement von einem General, zwei Obersten, neun Oberstleutnanten, acht
Majoren und sieben Flugkapitänen unterzeichnet.
So etwas hat sich nie zuvor in Israel ereignet.
Wegen der besonderen Rolle der Luftstreitkräfte hat diese Verweigerung ein
viel lauteres Echo gefunden als die Verweigerungsbewegung der Infanteriesoldaten,
die etwa 500 Soldaten umfasst und sich dann bis heute so gehalten hat.
Das Armee-Establishment, die wirkliche Regierung
Israels, spürt die Gefahr und reagierte, wie sie nie zuvor reagiert hat.
Es begann mit einer wilden Kampagne der Diffamierung, der Hetze und des
Rufmordes. Die Helden von gestern wurden über Nacht zu Volksfeinden. Alle
Teile der Regierung – vom Ex-Präsidenten Eser Weitzman bis zum Staatsanwalt
( der schon ein Auge auf den Sitz im Obersten Gericht geworfen hat), vom
Außenminister bis zu den Politikern der Labour- und Meretz-Partei – wurden
aktiviert, um die Meuterei der Piloten zu brechen.
Der Gegenangriff wurde von den Medien angeführt.
Niemals zuvor haben diese ihr wahres Gesicht so deutlich gezeigt wie dieses
Mal. Alle Fernseh-Kanäle, alle Radiostationen und alle Zeitungen – ohne
Ausnahme! – offenbarten sich als Diener und Sprecher des Armeekommandos.
Auch die liberale Ha’aretz widmete ihre Titelseite einem wilden Angriff
auf die Piloten, ohne einem anderen Gesichtspunkt Raum zu geben.
Es war unmöglich, eine Fernsehsendung anzuschalten,
ohne dem Luftwaffenkommandeur zu begegnen und nach ihm einer langen Reihe
von Persönlichkeiten des Establishments, die einer nach dem anderen die
Piloten verurteilten. Armeelager wurden für die Fotografen geöffnet, loyale
Offiziere verurteilten ihre Kameraden als „Verräter“, die „ein Messer in
ihren Rücken gestochen hätten“. Außer einem einzigen Interview auf Kanal
2 wurde den Verweigerern nicht die Möglichkeit gegeben, ihren Standpunkt
zu vertreten und gegenüber ihren Verleumdern Rede und Antwort zu stehen.
Zweifellos ist das Establishment besorgt.
Vielleicht gelingt es ihm dieses Mal noch, die Ausbreitung des Protestes
zu verhindern und andere potentielle Meuterer abzuschrecken, indem sie Furcht,
erzeugen, diffamieren und mit Strafen drohen. Die Botschaft der 27 aber
kann nicht mehr ausradiert werden.
Dieser Einsatz der Flieger hat dem Staat
Israel mehr gedient als irgend einer der Hunderte von Einsätzen im Laufe
ihres Militärdienstes. Eines Tages wird Israel erkennen, was sie diesen
tapferen 27 zu verdanken hat.
(Aus dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)