Kaya, der Hund
Uri Avnery, 26. August 2017
DAS SPEKTAKEL ist fast bizarr: eine
politische Partei weigert sich, neue Mitglieder aufzunehmen. Und
nicht nur ein paar Individuen, sondern zehntausende. Und nicht nur
irgendeine Partei, sondern der Likud („Vereinigung“), die Hauptkraft
in Israels Regierungskoalition.
Seltsam? Doch in diesem Wahnsinn
liegt Methode. Sie mag bald vor Israels Oberstes Gericht kommen.
Die gegenwärtigen Führer der Partei,
Benjamin Netanjahu und seine Genossen fürchten, dass die Leute, die
sich jetzt bemühen, sich als Likud-Mitglieder zu registrieren,
wirklich Siedler in den besetzten Gebieten sind. Sie wollen den
Likud übernehmen, während sie tatsächlich ihren eigenen Parteien
gegenüber treu bleiben, die sogar noch extremistischer sind.
Einer der jetzigen Likud-Mitglieder
der Knesset hat eine Gesetzesvorlage eingereicht, die einzigartig in
der Welt sein mag. Es bedeutet, die Möglichkeit entgegen zu halten,
dass diese neuen Likud-Mitglieder bei den allgemeinen Wahlen nicht
den Likud wählen. Um diese Möglichkeit unmöglich zu machen, sagt die
Gesetzesvorlage, dass wenn ein neues Mitglied sich in der
Likud-Partei anmeldet, ihre Namen von der allgemeinen
Wahlliste gestrichen und sie eingetragen werden, als hätten
sie den Likud gewählt.
Dies ist offenkundig nicht
verfassungsmäßig, da es die Geheimhaltung der Wahl leugnet. Der
Rechtsberater der Knesset wird dies wahrscheinlich blockieren. Falls
nicht, wird es zum Obersten Gericht gehen.
Dies alles zeigt, dass der Likud
ein seltsamer Vogel ist. Und nicht erst seit heute.
VOR EINIGEN Jahren kam ein führender
französischer Journalist während der israelischen Wahlkampagne zu
mir. Ich wies ihn an, eine Wahlkundgebung von Menachem Begin zu
besuchen.
Als er zurückkam, war er verblüfft.
„Ich versteh dies nicht“, erklärte er. „Als er über die Araber
sprach, klang er wie ein fanatischer Faschist. Als er über soziale
Angelegenheiten sprach, klang er wie ein moderater Liberaler. Wie
passt das zusammen?
„Begin ist kein großer Denker,“
erklärte ich ihm. „Die ganze Ideologie des Likud geht auf
Vladimir Jabotinsky zurück.“
Vladimir (oder Zeev) Jabotinsky war
der Gründer der „revisionistischen“ Partei, der Stammvater der
Herut-Partei, die wiederum der Stammvater der heutigen Likud ist.
Er wurde in 1880 in Odessa in der Ukraine geboren. Als junger Mensch
wurde er als Journalist nach Italien geschickt, einem Land, das
nicht lange zuvor seine Freiheit erlangte.
Die italienische Befreiungsbewegung
war eine ungewöhnliche Mischung von extremem Patriotismus und
liberalen sozialen Ideen. Dies legte die politische Auffassung des
jungen Jabotinsky für sein Leben fest.
Er war eine faszinierende
Persönlichkeit, auf vielen Gebieten außerordentlich begabt. Er
schrieb eine Novelle (über den biblischen Held Samson), übersetzte
Edgar Allen Poes Gedichte ins Hebräische, war ein brillanter Redner
und ein begabter Journalist, er schrieb Lieder und vieles mehr. Im
1. Weltkrieg half er jüdische Bataillone in der britischen Armee zu
gründen und war ein junger Offizier bei der Eroberung Palästinas.
Ein paar Jahre später teilten die
Briten Palästina und errichteten das separate arabische
Emirat von Transjordanien. Jabotinsky war dagegen und schuf die
ultra-zionistische „revisionistische Partei“, die die
„Revision“ dieser Entscheidung forderte.
Jabotinsky verabscheute die
mürrischen, sozialistischen „Pioniere“, die die zionistische
Gemeinde in Palästina dominierten und die ihn hassten. Ich vermute,
dass er nicht unglücklich war, als die Briten ihn aus dem Lande
warfen. David Ben-Gurion nannte ihn einen „Faschisten“ – obwohl er
als Italien-Verehrer Benito Mussolini hasste.
Während jener Jahre war Jabotinsky
ein Agitator, der in der Welt herumreiste und der einen
wöchentlichen Artikel schrieb, den ich mit Hingabe las. Ich
bewunderte seinen klaren, logischen Stil. Seine Bewegung wuchs
in mehreren Ländern, besonders in Polen.
IN PALÄSTINA blieb Jabotinskys
revisionistische Bewegung eine kleine und abgelehnte Minderheit.
Doch als gewalttätige jüdisch-arabische Kollisionen ausbrachen,
schuf seine Bewegung den Irgun, eine bewaffnete
Untergrundorganisation. Jabotinsky war dem Namen nach
ihr Kommandeur. Vor allem wegen ihm schloss ich mich ihr
an, als ich kaum 15 Jahre alt war.
Anfang 1939 versammelten sich
Jabotinskys Anhänger aus aller Welt in Warschau. Die
Kriegswolken zogen schon auf, aber Jabotinsky behauptete, ein Krieg
sei unmöglich – die modernen Waffen wären zu mörderisch. Als einer
seiner polnischen Anhänger, ein Jugendlicher mit Namen
Menachem Begin, ihm zu widersprechen wagte, antwortete der Führer
ätzend: „Herr, wenn ich eure Überzeugung hätte, würde ich in
die Weichsel springen.“
Doch der 2. Weltkrieg brach
tatsächlich aus. Jabotinsky floh in die USA, wo er plötzlich
an einem Herzanfall starb. Begin, der nicht in den Fluss sprang,
erreichte schließlich Palästina und wurde zum Kommandeur der
Irgun ernannt, die eine der erfolgreichsten terroristischen
Organisationen der Welt wurde.
ALS DER Staat Israel geboren wurde,
wurde Begin der Führer der Opposition und Verfechter der Demokratie.
Er verwarf die „revisionistische“ Partei und schuf seine
eigene Herut-(„Freiheit“) Partei, an deren Spitze er acht auf
einander folgende Wahl-Kampagnen verlor.
Als er schließlich 1977 an die Macht
kam, überraschte er die Welt, indem er mit Ägypten, dem mächtigsten
arabischen Land, Frieden schloss. Ich war gar nicht überrascht.
Begin war keine so brillante
Persönlichkeit wie Jabotinsky. Er folgte seinem Herrn äußerst
gewissenhaft. Jabotinskys Ideologie war eine Landkarte: „Eretz
Israel auf beiden Seiten des Jordan“. Die Karte schloss die
Sinai-Halbinsel nicht ein. Deshalb hatte Begin keine Bedenken,
sie an Ägypten zurück zu geben. (Sie schloss auch die Golanhöhen
nicht mit ein, die Begin ohne zu zögern an Syrien zurückgegeben
hätte).
Mit der Zeit vergaß Begin und seine
Nachfolger das Land jenseits des Jordan. Sie sangen zwar noch das
von Jabotinsky gedichtete Lied („ der Jordan hat zwei Ufer – das
eine gehört uns und das andere auch“), aber Realpolitik ist
stärker als Lieder. Das Königreich Jordanien ist jetzt eines
von Israels bedeutendsten Verbündeten, und Israel hat es mehrere
Male vor der Auslöschung bewahrt.
Doch die Behauptung, dass Jordanien -
wie die Westbank - ein Teil des jüdischen Staates sein muss,
erscheint markant im Programm der Likud-Partei. Jeder hatte dies
seit langem vergessen – bis auf diese Woche.
Benjamin Netanjahus Mitarbeiter, die
darum kämpfen, dass die „neuen Antragsteller“ nicht Mitglieder
ihrer Partei werden, verlangen, dass sie die volle Akzeptanz aller
Teile des offiziellen Likud-Programmes erklären – einschließlich der
Forderung, dass Jordanien ein Teil Israels wird.
WAS DIE Persönlichkeit betrifft, so
liegt Netanjahu weit hinter Begin, wie Begin weit hinter Jabotinsky
liegt. Es gab bei Begin nicht einen Hauch eines persönlichen
Fehlverhaltens. Er war für seinen bescheidenen Lebensstandard
bekannt. Netanjahu ist von einem starken Geruch von Korruption
umgeben. Mehrere Ermittlungen gegen ihn und seine Frau Sarah laufen
und jede könnte sie ins Gefängnis bringen.
Jabotinsky würde mit Abscheu auf ihn
gesehen haben.
Doch …
Ein jüdischer Witz sagt über den Tod
des reichen Mannes im Ghetto aus. Der Sitte nach muss ihn
jemand loben und nur Gutes über ihn sagen. Es wurde keiner gefunden,
der diese Pflicht erfüllen wollte. Schließlich meldete sich
einer freiwillig.
„Wir wissen alle, dass Rabi Moshe eine
widerliche Person war“, sagte er „stinkreich, gemein und grausam.
Aber verglichen mit seinem Sohn war er ein Engel!“
Etwas wie dies geschieht jetzt in
Israel. Der Scheinwerfer weist auf Yair, Netanjahus 26jährigen
älteren Sohn.
„Bibi“ ist schon seit 12 (nicht
auf einander folgenden) Jahren an der Macht und benimmt sich
wie ein König. „Sarahle“, seine Frau, benimmt sich wie eine Königin
in der Art wie Marie-Antoinette. Nach allgemeiner Redeweise ist
Yair der „Kronprinz“.
Ein sehr unbändiger Prinz. Er lebt mit
seinen Eltern in der offiziellen Residenz und benimmt sich wie ein
verzogener Bengel. Ihn begleiten vom Staat bezahlte Leibwächter. Er
hat keinen sichtbaren Beruf. Und während der letzten paar Tage ist
er berühmt-berüchtigt geworden.
Wie Donald der Trump spuckt Yair im
Internet beleidigende Kommentare in alle Richtungen. Zum Beispiel
nennt er den New Israel Fund“ eine Stiftung, die linke Gruppen
unterstützt. Der „New Israel Fund für die Zerstörung von
Israel“ .
Die letzte Episode betrifft die
städtische Verordnung, die Hundebesitzern anordnet, dass sie die
Exkremente ihrer Tiere an öffentlichen Plätzen aufheben (und
mitnehmen) sollen. Yair ging mit der königlichen Hündin spazieren,
der jetzt berühmten Kaya, ohne ihre Exkremente von der Straße
aufzuheben. Als eine Dame ihn anhielt und aufforderte, dem Gesetz zu
folgen, machte er eine obszöne Geste – die die Dame rechtzeitig
fotografierte.
Vier Generationen - Jabotinsky,
Begin, Bibi, Yair - welch ein Unterschied!
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)
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