Jüdische Terroristen
Uri Avnery, 15.
August 2015
EINIGE MEINER
besten Freunde baten mich, einen Artikel zu schreiben, der die
„Verwaltungshaft“ für jüdische Terroristen bedingungslos verurteilt.
Drei verdächtige
Terroristen sind schon nach dieser Methode verhaftet worden.
Sie sind Mitglieder
einer Gruppe, die den Lehren von Rabbi Meir Kahane folgen (der
Anführer ist tatsächlich sein Enkel). Kahane war ein amerikanischer
Rabbiner, der in dieses Land kam und eine Gruppe gründete, die vom
Obersten Gericht als rassistisch und antidemokratisch bezeichnet
wurde. Sie wurde gesetzlich verboten. Er wurde später in den USA von
einem Araber ermordet. Eine Untergrundgruppe seiner Anhänger ist nun
in Israel aktiv.
Dies ist eine der
Gruppen, die zu einer geheimen Bewegung, die sich „Preis Etikette“
oder „Hügeljugend“ nennt, gehört. Sie hat schon verschiedene
Terroraktionen ausgeführt: Brandanschläge auf christliche Kirchen
und muslimische Moscheen, arabische Bauern angegriffen und ihre
Olivenbäume zerstört. Keiner dieser Täter ist jemals festgenommen
worden, weder von der Armee, die als Polizisten in den besetzten
Gebieten agiert, noch von Polizisten im eigentlichen Israel. Viele
Armeeoffiziere sind selbst Bewohner der – nach internationalem
Gesetz illegalen - Siedlungen in den besetzten Gebieten.
Die israelische
Öffentlichkeit hat diesen Gräueltaten wenig Aufmerksamkeit
geschenkt, aber die zuletzt geschehenen Dinge haben sogar
selbstzufriedene Israelis geschockt. Das eine war der Brandanschlag
auf eine arabische Wohnung im kleinen Dorf Duma in der Westbank. Im
Dunkel der Nacht wurde ein Brandsatz in die Wohnung einer armen
arabischen Familie geworfen. Ein 16 Monate altes Kleinkind wurde zu
Tode verbrannt, sein Vater, seine Mutter und der Bruder wurden
schwer verletzt. Der Vater starb später im Krankenhaus.
Solche Akte von
Brandanschlägen sind nichts Besonderes, doch bis jetzt gelang es den
arabischen Familien, sich selbst zu retten
Eine andere Gräueltat
wurde in Jerusalem – gegen Juden begangen. Ein ultra-orthodoxer Jude
griff die jährliche Love-Parade im Zentrum der Stadt an. Es gelang
ihm, mehrere Teilnehmer mit einem Messer anzugreifen, eine von
ihnen – ein 16jähriges Mädchen - starb später an seinen
Verletzungen. Der Täter hatte genau dasselbe vor 10 Jahren getan. Er
saß eine lange Gefängnisstrafe ab, war aber vor wenigen Wochen
entlassen und tat dies nun noch einmal. Er ist ein ultra-orthodoxer
Jude, der aber anscheinend keine Verbindung zur Kahane-Bande hat.
Dies war zu viel.
Seit Jahren war keiner für Taten von jüdischem Terrorismus
verurteilt worden. Viele glauben, dass diese Akte in Zusammenhang
mit der Besatzungsarmee und dem Shin Bet, dem internen
Sicherheitsdienst begangen wurden. Jetzt jedoch gibt es einen
öffentlichen Aufschrei, und die Behörden sind zu der
Schlussfolgerung gekommen, dass sie etwas tun müssten.
Daher die Order über
Verwaltungshaft.
ADMINISTRATIV- HAFT
ist ein Vermächtnis des britischen Kolonialregimes, das Palästina
bis Mai 1948 beherrschte. Der israelische Staat übernahm dieses und
änderte nur einige kleine Aspekte.
Die Art der Haft
erlaubt einem Militärkommandeur, eine Person ohne
Gerichtsverhandlung ins Gefängnis zu stecken. Die Ermächtigung gilt
für sechs Monate, kann aber unbegrenzt erneuert werden. Alle paar
Monate muss der Gefangene vor einen regulären Richter gebracht
werden, aber die Richter schreiten nur in seltenen Fällen ein. Die
Richter nehmen stramme Haltung an , wenn ein Offizier des Militärs
als Zeuge aussagt.
Der Gefangene hat
kein Recht, das Beweismaterial gegen ihn einzusehen und seinen
Anklägern gegenüber gestellt zu werden. Es ist ihm auch nicht
erlaubt, von einem Anwalt vertreten zu werden. Der offizielle Grund
ist, dass er nicht ohne Informanten oder Quellen von unschätzbarer
Information, die lebensnotwendig sind, um wirksam den Terrorismus zu
bekämpfen und Leben zu retten, vor Gericht gestellt werden kann.
DIESE METHODE
ist die ganze Zeit gegen palästinensische Verdächtige benutzt
worden. Augenblicklich füllen viele Hunderte arabische
Verwaltungsgefangene die Gefängnisse; einige von ihnen sind seit
vielen Jahren in Haft. Seit Beginn der Besatzung 1967 sind hundert
Tausende Palästinenser nach dieser Methode im Gefängnis gehalten
worden. Für junge Palästinenser bedeutet dies fast eine
Auszeichnung.
Kaum ein Jude ist
jemals in Administrativhaft gehalten worden. Seit vielen Jahren ist
diese Methode überhaupt nicht gegen Juden benützt worden. Die drei
Kahanisten, die diese Woche ins Gefängnis gesteckt wurden, sind die
ersten seit langer Zeit.
Militärische und
zivile Funktionäre erklären diese Art der Haft als ein wesentliches
und unersetzbares Mittel, um den jüdischen Terrorismus zu bekämpfen.
Alle Kahane-Anhänger und andere faschistische Täter werden
dahingehend trainiert, beim Verhör zu schweigen. Da sie sicher sind,
dass sie nicht gefoltert werden, haben sie also keinen Grund zu
reden. Sie lachen ins Gesicht ihrer Verhörenden.
Die arabischen
Gefangenen haben natürlich kein solches Privileg. Sie wissen, wenn
sie nicht reden, dass sie gefoltert werden können. Nach israelischem
Gesetz ist Folter verboten, aber das Gericht erlaubt etwas, das sich
„moderater physischer Druck“ nennt, der schnelle Erfolge erzielt.
Trotzdem darben viele
Araber unter unbegrenzt langer Administrativhaft, weil es nicht
genügend rechtlich akzeptable Beweise gibt, um sie vor Gericht
anzuklagen, ohne „Quellen“ zu gefährden.
Gegenwärtig werden
die drei Juden in Administrativhaft gehaltenen Juden in drei
verschiedenen Gefängnissen gehalten, denen sich bald noch mehr
anschließen werden, wie der Shin Bet verspricht.
VOR VIELEN
Jahren, als ich der Herausgeber des Haolam Hazeh –Nachrichten-magazins
war, veröffentlichten wir eine Zeit lang auch eine
arabisch-sprachige Ausgabe. Eines Tages wurde einer meiner
arabischen Mitarbeiter - nennen wir ihn Ahmed - in
Administrativhaft geholt.
Als ich Krach schlug,
erhielt ich einen überraschenden Anruf vom Shin Bet. Die Beziehungen
zwischen dieser Organisation und mir waren vom ersten Tag des
Staates an angespannt. Das mag eine Unterreibung sein, da ihr Chef
mich einmal offiziell als der „Feind Nr.1 des Regimes“ bezeichnete.
Zu meiner größten
Überraschung lud mich ein hochrangiger Shin-Bet-Offizier zu einem
Gespräch ein: „Ich vertraue ihnen eine äußerst geheime Information
an, weil ich möchte, dass sie unser Problem verstehen.“
Dann erzählte er mir,
dass seine Leute einen Kurier gefangen hätten, der von einer
größeren Terrororganisation nach Israel geschickt wurde, um lokale
Kollaborateure zu kontaktieren. Einer von diesen wäre unser Ahmed.
„Was wollen Sie,
dass wir mit ihm tun? Wir können ihn nicht zu einer
Gerichtsverhandlung nehmen. Aber wenn wir ihn frei lassen, könnte
ein tödlicher Terrorakt die Folge sein. Die Administrativhaft ist
die einzig sichere Option.“
Ich war der
Überzeugung, dass Ahmed kein Terrorist ist. Als ich noch darüber
nachdachte, was zu tun wäre, wurde ich aus dem Dilemma gerettet: der
Shin Bet stimmte unter der Bedingung zu einer Entlassung aus der
Haft ein, wenn er das Land verlässt. Er ging in die US und erhielt
eine „Grüne Karte“ (Arbeitsgenehmigung) vielleicht mit Hilfe des
Shin Bet Bei einem meiner Vorträge dort sah ich ihn in der 1. Reihe
sitzen. Wir umarmten uns.
ICH ERZÄHLE
diese Geschichte zum ersten Mal, um das Dilemma zu illustrieren.
Indem man diese jüdischen Faschisten frei herumstreunen lässt,
könnte dies noch mehr arabisches und jüdisches Leben kosten und
vielleicht eine Katastrophe sein, zum Beispiel ein Brandanschlag
auf heilige muslimische Stätten. Es scheint keinen ernsten Beweis
gegen sie zu geben. Falls es Shin Bet-Informanten in dieser Gruppe
gibt, würde ihr Zeugnis vor Gericht sie entlarven.
Der Shin Bet und die
Polizei werden von vielen von uns wegen völliger Inkompetenz
angeklagt, wenn sie mit jüdischen Terroristen konfrontiert werden,
während sie äußerst effizient sind, wenn sie mit palästinensischen
konfrontiert werden. Schlimmer ist, dass wir den Shin Bet
verdächtigen, von Siedlern durchsetzt zu sein und mit ihnen zu
kollaborieren. Dem Shin Bet die Methoden der Administrativhaft zu
nehmen, lähmt sie noch mehr oder liefert ihnen einen Vorwand für
totalen Misserfolg.
In meiner späten
Kindheit war ich Zeuge des Zusammenbruchs der deutschen
demokratischen „Weimarer Republik“ in Deutschland. Die Nazi-SA-Leute
tummelten sich auf den Straßen, schlugen die Leute, die jüdisch
aussahen, wechselten Schüsse mit den Kommunisten. Die Regierung war
machtlos. Die Polizei und die Armee wurden von Adolf Hitlers Partei
infiltriert. Die Richter straften die Kommunisten schwer, halfen den
Nazi-SA-Leuten“ aber aus der Patsche.
Jahre später, als
Deutschland in Trümmern lag wurde die Weimarer Republik der Feigheit
angeklagt, weil sie nicht wagte, die ihr zur Verfügung stehenden
Mittel anzuwenden – einschließlich nicht demokratischer
Notstandsgesetzen, um die Nazis beizeiten zu bekämpfen. Will die
israelische Republik dasselbe Schicksal riskieren?
Es ist ein wirkliches
Dilemma. Es verlangt wirkliche Antworten. Nicht die leichten
Antworten aus dem liberalen Handbuch. Verantwortliche Antworten.
Antworten, relevant zur realen Welt.
Ich bin davon
überzeugt, dass die Kahanisten und die anderen faschistischen
Gruppen im heutigen Israel weit gefährlicher sind, als die meisten
Leute glauben. Dies ist nicht nur eine Handvoll wilden Unkrauts,
wie man uns weis machen will. Dies ist ein nationaler Krebs, der
sich schnell in unserm nationalen Körper ausbreiten kann.
Ich habe es schon
einmal gesehen.
ES IST
ein schwieriges Dilemma. Auf jeden Fall für mich.
Stimmen wir der
Verwaltungshaft zu, einer Haft ohne Gerichtsverfahren und ohne
demokratische Sicherheitsmaßnahme, um vielleicht dadurch das Leben
von Arabern und Juden zu retten, vielleicht schlimmere Katastrophen
zu verhindern?
Oder halten wir uns
streng an demokratische Prinzipien, entlassen alle, die in
Administrativhaft gehalten werden, Araber wie Juden, auch wenn wir
wissen, dass einige von ihnen Taten wiederholen werden
Nach einer ernsten
Gewissensprüfung stimme ich für die zweite Option. Aus moralischen
und pragmatischen Gründen.
Moralisch glaube ich
nicht, dass man eine Seuche mit Cholera bekämpfen kann. Die
Administrativhaft ist eine faschistische Methode, auch wenn sie
gegen Faschisten angewandt wird.
Und weil es praktisch
nicht helfen wird. Es ist so, als würde man Krebs mit Aspirin
bekämpfen. Die Verhafteten werden durch andere ersetzt, vielleicht
sogar durch Schlimmere.
Es besteht auch die
Gefahr, dass die Verhaftung von wenigen als Entschuldigung dient,
nichts gegen die Vielen zu tun.
Um diese Seuche zu
bekämpfen benötigen wir bessere Ärzte. Der Shin Bet, die Polizei und
Armee müssen von faschistischen Sympathisanten gesäubert werden.
Offiziere, die der israelischen Republik loyal gegenüber sind,
müssen ihren Platz einnehmen. Juden und Araber müssen in gleicher
Weise behandelt werden.
(aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)