Der Fake-Enemy
Uri
Avnery - 17.03.2018
Gegen Ende 1941
griffen die Japaner Pearl Harbour an und erklärten den USA den
Krieg. Ihre verbündeten Nazis folgten mit ihrer eigenen
Kriegserklärung und ebenso alle Anhänger.
Ein Witz erzählt vom
ungarischen Botschafter in Washington, der seine Kriegserklärung dem
(amerikanischen) Außenminister, Cordell Hull, überbrachte, der
seinerseits beschloss, sich einen Spaß zu machen.
"Ungarn, Ungarn?",
fragte er. "Sind Sie eine Republik?"
"Nein", korrigierte ihn der Botschafter. "Wir sind eine Monarchie."
"Wirklich? Wer ist
denn Ihr König?"
"Wir haben keinen
König, aber einen Regenten, Admiral Horthy."
"Einen Admiral? Dann
haben Sie also eine große Flotte?"
"Wir haben gar keine
Flotte, weil wir keinen Zugang zum Meer haben."
"Seltsam, eine Monarchie ohne König, ein Admiral ohne Flotte. Dann
erklären Sie mir, weshalb erklären Sie uns den Krieg? Haben Sie
Klagen gegen die USA?"
"Nein, wir haben Klagen gegen Rumänien."
"Warum erklären Sie dann nicht Rumänien den Krieg?"
"Das können wir nicht. Rumänien ist unser Verbündeter."
Ich erinnere mich
jedes Mal an diesen Witz, wenn Benjamin Netanyahu seine
haarsträubenden Drohungen gegen den Iran von sich gibt. Seine
Auseinandersetzung mit dem Iran steht ganz oben auf seiner Agenda.
Er warnt vor der Gefahr einer iranischen Bemühung Nuklearwaffen zu
produzieren und droht ihnen indirekt mit unserem "geheimen"
Atomwaffenarsenal.
Warum?
Weiß Gott. Ich suche
verzweifelt nach einem Grund für den israelisch-iranischen Konflikt,
einen Kampf auf Leben und Tod, und finde keinen. Nichts. Niente.
Kriege zwischen
Nationen basieren auf Interessenskonflikten. Gibt es irgendwelche
Interessenskonflikte zwischen Israel und dem Iran?
Gar keine.
Israel hat einen
Konflikt mit der arabischen Welt, die Anerkennung und normale
Beziehungen verweigert, solange es keinen Frieden zwischen Israel
und dem palästinensischen Volk gibt. Israel ist derzeit praktisch im
Krieg mit der Hisbollah und Syrien.
Iran möchte die
dominante islamische Macht in der Region sein. Deshalb ist es
praktisch im Krieg mit Saudi-Arabien (das dasselbe möchte) und
seinen Verbündeten. Das sieht nach gemeinsamen Interessen zwischen
Israel und dem Iran aus.
In der Tat gab es vor
nicht so langer Zeit eine starke – wenn auch inoffizielle – Allianz
zwischen dem Iran und Israel. Das war zur Zeit des Shah-Regimes in
Teheran. Israelis konnten im Iran nach Belieben schalten und walten.
Iran war die Basis für Israels extensive militärische und politische
Aktivitäten in irakisch-Kurdistan. Shabak, der israelische
Geheimdienst, trainierte den gefürchteten iranischen Geheimdienst,
Savak. Neben den USA war der Iran Israels engster Verbündeter.
Was ist dann
geschehen? Es gab natürlich einen Regimewechsel im Iran. Der Shah
wurde hinausgeworfen, die Ayatollahs kamen. Die Ayatollahs sind
religiöse Führer. Im Namen des schiitischen Islam wettern sie gegen
den "jüdischen Staat".
Aber eine religiöse
Ideologie ersetzt nicht grundlegende Interessen eines Staates. Diese
basieren auf objektiven Fakten, vorrangig geografischen. Auch die
Religionskriege des 17. Jahrhunderts entstanden hauptsächlich aus
nationalem Interesse. Meistens war die Religion nur ein Vorwand.
Nationale Interessen
ändern sich nicht, wenn die Regime wechseln.
Das offenkundigste
Beispiel ist Russland. Als die bolschewistische Revolution an die
Stelle der Zaren kam, änderte sich die Außenpolitik nicht. Als das
kommunistische Regime zusammenbrach und die Macht schließlich an
Wladimir Putin ging, ging die Außenpolitik mehr oder weniger weiter,
als wäre nichts geschehen.
Und tatsächlich, als
die vitalen Interessen des Irans betroffen waren, verschmähten die
Ayatollahs die Hilfe Israels nicht. Während des irakisch-iranischen
Kriegs lieferte Israel den Ayatollahs Waffen. Das geschah beinahe
offen während der sogenannten "Geiselkrise". Die USA schickten
Israel Waffen, Israel schickte sie dem Iran, im Gegenzug ließ der
Iran die amerikanischen Geiseln frei. Mein Freund Amiram Nir, damals
ein Sicherheitsbeamter der Regierung, ging nach Teheran, um sie zu
übergeben.
Die Vorstellung, der
Iran könnte möglicherweise eine Nuklearmacht wie Israel angreifen
und seine eigene Vernichtung riskieren, ist aberwitzig.
Der Iran ist Erbe
einer der ältesten Kulturen der Welt, fast so alt wie Ägypten.
Verglichen mit ihr ist die jüdische Kultur ihre jüngere Schwester.
Viele Experten glauben ja, dass die jüdische Religion in hohem Maß
von der iranischen Kultur beeinflusst ist.
Cyrus, der Große,
gründete das bis dahin größte Weltreich. Er schuf ein System der
Toleranz und des Fortschritts. Dazu gehörte, dass er die nach
Babylon verbannten Juden nach Jerusalem zurückschickte. Die
"Rückkehr nach Zion" war, wie viele Experten meinen, der
tatsächliche Anfang des Judaismus.
Ja natürlich, das ist
lange, lange her. Aber, wie bereits erwähnt, haben objektive
Interessen ein sehr langes Leben.
Weshalb wettern dann
die Iraner jetzt gegen uns? Weshalb spucken sie Feuer und Galle
gegen uns?
Ganz einfach, der
Hass auf Israel ist für den Iran ein Instrument, um ihre wirklichen
Ziele zu erreichen.
Das wirkliche Ziel
der Iraner ist es, Macht über den gesamten islamischen Nahen Osten
zu gewinnen. Und sie tun das systematisch und recht erfolgreich. Die
Logik ist die: die muslimische Welt hasst Israel. Der arabische Nahe
Osten hasst Israel. Also kann der Hass auf Israel ein wirkungsvolles
politisches Instrument sein.
Merkwürdigerweise hat
sich Benjamin Netanyahu dieselbe Logik angeeignet – nur in die
andere Richtung. Donald Trump hasst die Ayatollahs. Viele Leute in
der westlichen Welt fürchten sie. Also hat sich Netanyahu den Hass
auf den Iran als sein wichtigstes politisches Instrument angeeignet.
Er geht damit überall in der Welt hausieren. Es ist das Hauptthema
seiner stürmischen Reden vor der UNO, dem amerikanischen Kongress
und AIPAC.
Es ist auch ein gutes
Heilmittel für seine persönlichen Schwierigkeiten. Natanyahu steckt
zur Zeit bis zum Hals in verschiedenen Korruptionsaffären
einschließlich Bestechungsaffären. Seine Bewunderer sind bereit, das
zu ignorieren, weil er Israels einziges Bollwerk gegen die
schreckliche Gefahr der Vernichtung durch die auf Atomraketen
reitenden Ayatollahs ist.
Seit auch Präsident
Trump etwas gegen die Ayatollahs hat und sich aus dem
internationalen Abkommen zurückziehen will, in dem sich der Iran,
gegen entsprechende Zugeständnisse, verpflichtet hat einen Großteil
seines Nuklearprogramms auszusetzen, zementiert das anti-iranische
Gezeter von Netanyahu die Gemeinsamkeit mit den USA.
Jüngst haben die
Iraner Basen in Syrien und im Libanon nahe der israelischen Grenze
errichtet. Die israelische Luftwaffe bombardiert sie von Zeit zu
Zeit und zeigt stolz Luftaufnahmen als Beweis ihrer Erfolge. Diese
Angriffe heben natürlich die Vertrauenswürdigkeit des Iran in
arabischen Augen. Alle sind zufriedengestellt.
Es ist noch immer
eine gefährliche Situation. Sie gründet sich auf den
israelisch-arabischen Konflikt, der jeden Augenblick auf
verschiedene Weise explodieren kann. Israelische "Militär-Experten"
prophezeien einen weiteren baldigen israelisch-arabischen Krieg,
wahrscheinlich gegen Syrien und die Hisbollah. In dieser Woche
wurden Luftsirenen im ganzen Land getestet.
Der beste Weg, das zu
vermeiden, ist es Frieden mit der arabischen Welt zu schließen. Das
bedeutet, zuerst Frieden mit den Palästinensern zu schließen.
Netanyahu erzählt uns
stolz, er habe einen beachtlichen Sieg errungen – die Kooperation
mit Saudi-Arabien und den arabischen Emiraten, die zur Zeit in einen
heißen Krieg gegen jemenitische Aufständische führen, die vom Iran
unterstützt werden. Die Saudis stehen nirgends nahe vor einem Sieg
in diesem Krieg.
Diese
israelisch-saudische Kooperation ist strikt geheim. Der saudische
Kronprinz, ein sehr junger, unerfahrener Diktator, kann sie nicht
zugeben, weil die arabischen Massen überall und auch in seinem
eigenen Königreich in Israel ihren Erzfeind sehen.
Kein arabisches Land
kann wirklich Frieden mit Israel schließen, solange Israel ganz
Palästina besetzt und die Palästinenser einem brutalen
Besatzungsregime unterwirft. Der alte saudische Friedensplan liegt
noch immer irgendwo und wird von der israelischen Regierung völlig
ignoriert.
Es stimmt, Israel hat
Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien unterzeichnet, aber nicht
einmal ein Frieden, der einem grundlegenden Frieden auch nur ähnlich
ist, existiert zwischen uns und diesen Nationen. Der anfängliche
Enthusiasmus ist schon lange verpufft, und beide, die ägyptische und
die jordanische Regierung, halten die Beziehungen (zu Israel) auf
einem Minimum, weil sie wissen, dass die Massen ihrer Völker Israel
verabscheuen.
Es geht kein Weg an
den Palästinensern vorbei.
Wirkliche Freunde
Israels sollten Netanyahu raten Frieden mit Mahmud Abbas zu machen,
so lange er noch da ist. In zwei Wochen wir er 83, und er ist krank.
Er hat sich zutiefst dem Frieden verpflichtet. Er hat keinen
eindeutigen Nachfolger, und sein Nachfolger wird möglicherweise
weit, weit weniger moderat sein.
Aber das kümmert
Netanyahu nicht. Frieden ist das Letzte, was er in einem unruhigen
Kopf hat. Er widmet sich weit mehr einem ewigen Konflikt mit den
Arabern und den Iranern.
Was ist schließlich
ein Leben ohne Feinde?
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer
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