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Die
Suabis
Uri
Avnery, 16.Februar 2013
DER EINZIGE Beitrag
von Yair Lapid zu israelischer Folklore ist bis jetzt sein
Ausspruch, er werde keinen Schritt machen, um Benjamin Netanyahu
zu blockieren, da dies bedeuten würde, sich mit „den Suabis“ zu
verbinden.
Das muss
ausländischen Lesern erklärt werden. Die Suabi-Familie ist eine
große Hamula (eine große Sippe) in Nazareth und in den benachbarten
Orten. Mehrere Mitglieder dieser Familie dienten seit den frühen
Tagen Israels in der Knesset, alle als Mitglieder zionistischer
Parteien oder arabischer Fraktionen, die mit zionistischen Parteien
verknüpft waren.
Das augenblickliche
Mitglied der Knesset, das diesen angesehenen Namen trägt, ist Frau
Chanin Suabi, die 44jährige Vertreterin der arabisch-
nationalistischen Balad-Partei. Der Gründer der Partei, Asmi Bishara,
hat Israel verlassen, nachdem er wegen Sicherheitsdelikten angeklagt
wurde. Er sagte, er könne sich wegen schwerer Diabetes keinen
Gefängnisaufenthalt leisten.
Chanin jedoch wird
weithin um ihrer selbst willen gehasst. Sie hat ein Talent, das
jüdischen Israelis auf die Nerven geht. Sie ist mit Absicht
provokativ, scharf und macht einen wütend. Einmal wurde sie
physisch angegriffen, als sie am Knesset-Rednerpult eine Rede hielt,
und zwar von einer Anbeterin Avigdor Liebermans. Sie zuckte nicht
zurück.
Was sie berühmt
(oder verhasst) machte, war ihre kühne Entscheidung, an Bord des
türkischen Schiffes Mavi Marmara zu gehen, um zu versuchen, die
Blockade zu brechen und Gaza mit allerlei dort Notwendigem zu
erreichen. Der Vorfall, bei dem neun Türken von israelischen
Kommandos erschossen wurden, löste einen Tsunami von Emotionen in
Israel aus. Chanin Suabi wurde als Verräterin gebrandmarkt. Viele
arabische Bürger bewunderten ihren Mut, aber das hinderte ihre
Partei nicht, einen Sitz bei den vor kurzem erfolgten Wahlen zu
verlieren. Doch Suabi behielt ihren Sitz in der neuen Knesset.
Sie gehört nun zu
denen, die am meisten gehasst werden. In einem kürzlich erschienenem
Artikel setzte ein führender Journalist ihr Foto neben das von
Sarah Netanyahu und nannte die beiden die am meisten gehassten
Frauen Israels – die eine auf der Linken, die andere auf der
Rechten.
Falls also Lapid
sich geweigert hätte, mit Chanin zu kooperieren, hätten nur wenige
jüdische Israelis ihn kritisiert. Was einen Sturm von Protesten
auslöste, war ein einziger Buchstabe. Lapid weigerte sich nicht, mit
Chanin Suabi zusammen zu arbeiten, sondern mit „den Suabis“ – im
Plural. Dies wurde verstanden, als habe er alle Mitglieder der
drei arabischen Fraktionen in der Knesset gemeint.
„Rassist!“ der Schrei
kam von allen Seiten. „Unentschuldbar!“ „Unerträglich!“
„Abscheulich!“
DIESE SCHREIE
könnten überzeugend gewesen sein, wenn man von einer Tatsache
absieht: bei allen gegenwärtigen Bemühungen, eine neue
Regierungskoalition zu schaffen, schlug kein einziger vor,
„arabische“ Fraktionen mit ein zu beziehen.
Es gibt drei
„arabische“ Fraktionen („arabisch“ in Anführungszeichen, weil eine
von ihnen, die kommunistische „Hadash“ , ein jüdisches
Knesset-Mitglied, den populären Dov Hanin, hat. Doch die Wähler
der Partei sind fast alle Araber. Die Anzahl ihrer jüdischen Wähler
waren dieses Mal tatsächlich weniger.)
Die Mitglieder dieser
Fraktionen leben praktisch in einem parlamentarischen Ghetto. Sie
funktionieren wie andere Mitglieder, haben volle Rechte, einer von
ihnen ist ein Vize-Knessetpräsident und leitet Sitzungen,
theoretisch könnten sie sogar ihre Reden auf Arabisch halten,
obwohl alle vorziehen hebräisch zu reden.
Doch gibt es so etwas
wie eine Glaswand zwischen ihnen und ihren Kollegen. Unter den
jüdischen Mitgliedern besteht eine stillschweigende Übereinkunft,
sie sollten nicht in Koalitionen mit eingeschlossen werden. Am
nächsten kamen sie 1993, als Yitzhak Rabin von ihrer Unterstützung
abhängig war, ohne sie in seine Koalition aufzunehmen. Ohne dies
wäre das Oslo-Abkommen nie zustande gekommen, noch wäre Rabin
ermordet worden. Die erbittertste Verurteilung seiner Politik war:
er hätte keine „jüdische Mehrheit“ gehabt und hätte mit Hilfe der
arabischen Fraktionen „unser von Gott verheißenes Land“ weggegeben.
Einer der extremsten Ankläger war Benjamin Netanyahu.
MAN MAG sehr wohl
fragen, wie die Araber überhaupt in die Knesset gekommen sind.
Dies stand unter
keinen Umständen von vornherein fest. Schließlich wurde in Israels
Unabhängigkeitserklärung der neue Staat als ein „jüdischer“ erklärt.
Warum sollte es Arabern erlaubt sein, sich daran zu beteiligen, für
den jüdischen Staat die Gesetze zu erlassen? Warum sollten sie
überhaupt Bürger sein?
Darüber gab es
während der Gründung des Staates 1948 bei geheimen Beratungen eine
lebhafte Debatte. Es war David Ben-Gurion, der die endgültige
Entscheidung traf. Er machte sich Gedanken über die Weltmeinung,
besonders zu einer Zeit, als Israel um die Mitgliedschaft in der UN
kämpfte. Da Ben-Gurion ein Politiker war, konnte er gut die
nationalen Interessen mit seinen eigenen verbinden.
Die erste Knesset
wurde im Januar 1949 gewählt, während der Krieg noch andauerte.
(Ich erinnere mich, wie ich nach meiner Verwundung nahe dem
Militär-Erholungsheim wählen ging.) Zu jener Zeit standen die nach
der Massenflucht und -vertreibung in Israel verbliebenen Araber
unter einer Militärregierung, die das Leben jedes einzelnen Arabers
bis ins kleinste Detail vom Militärgouverneur völlig abhängig
machte.
Ben-Gurion sah dazu,
dass die arabischen Bürger – während sie sich einer freien Wahl
erfreuten – seine Partei, die Mapai, wählten. Den Ältesten der
Familienclans wurde gesagt, das Leben würde für sie unerträglich,
wenn sie nicht die vorgeschriebene Anzahl von Stimmen für diese
Partei aufbrächten. Jedem einzelnen wurde gesagt, wie seine Leute
wählen müssten – für Mapai selbst oder für eine der arabischen
Fraktionen, die von Mapai genau für diesen Zweck aufgestellt wurde.
Ohne diese
gefangenen Stimmen wäre es für Ben-Gurion schwierig gewesen, seine
Koalitionen während seiner 15 Jahre Amtszeit aufrecht zu erhalten.
NACH DER Nakba des
1948er-Krieges standen die zurückgebliebenen etwa zweihundert
Tausend „israelischen Araber“ unter Schock. Weder hatten sie die
Mittel noch wagten sie es, in irgendeiner Weise gegen die Regierung
zu opponieren.
Die einzige Ausnahme
waren die Kommunisten. Während des 1948er-Krieges war die
zionistische Führung eng mit Stalin verbündet, der uns mit fast
allen Waffen versorgte. Dieses Bündnis dauerte einige Jahre, bis
Israels enger werdende Beziehungen mit den USA und Stalins
zunehmender anti-semitischen Paranoia dem ein Ende setzte.
Zu jener Zeit hatte
die israelische kommunistische Partei eine starke Position innerhalb
der arabischen Gemeinde in Israel aufgebaut. Praktisch war sie eine
arabische Partei, obwohl Moskau aus eigenen Gründen diktierte, dass
der Generalsekretär jüdisch sein müsse. Die Beziehungen zwischen der
Parteiführung und der Regierung waren voller Widersprüche – während
die Partei wegen Israels Verbindungen mit Moskau geduldet war,
wurde sie vom Shin Bet immer wieder einmal als 5.Kolonne verfolgt.
Da keine andere
arabische Partei (außer Mapais zuvor erwähnten arabischen
Quislingen) überhaupt toleriert wurde, erfreuten sich die
Kommunisten dessen, was sie praktisch zu einem Monopol auf der
arabischen Straße werden ließ. Ihre Macht in den arabischen
Städten und Dörfern in Israel kam nahe an die absolute
Machtposition, die Mapai bis 1977 in der jüdischen Bevölkerung
hatte. Weh, den Arabern, die wagten, gegen sie zu opponieren!
Nachdem Ben-Gurion
1963 aus seiner eigenen Partei ausgestoßen worden war, wurde die
Einstellung den Arabern gegenüber nach und nach liberaler. Die
Militärregierung wurde 1966 offiziell aufgehoben (dies war eine
meiner ersten Abstimmungen in der Knesset). Schließlich wurde
erlaubt, neue arabische Parteien aufzustellen und in die Knesset
einzutreten. Die Beziehungen zwischen Arabern und dem Staat traten
in eine neue Phase – eine Phase, die sehr schwierig zu definieren
ist.
ISRAEL WIRD offiziell
als „Jüdischer und demokratischer Staat“ definiert. Mancher sieht
dies als Oxymoron an - wenn er jüdisch ist, kann er nicht
demokratisch sein; wenn er demokratisch ist, kann er nicht jüdisch
sein. Die offizielle Doktrin meint dazu, dass der Staat seinem
Wesen nach jüdisch sei, dass aber alle seine Bürger die gleichen
Rechte hätten (oder haben sollten).
Nüchtern betrachtet,
ist Israel mit diesem grundsätzlichen Widerspruch nie wirklich
klar gekommen: welche Stellung hat eine nationale Minderheit in
einem Staat, der völlig mit der nationalen Mehrheit identifiziert
wird? Wie können arabische Bürger in einem Staat wirklich gleich
sein, wenn dieser behauptet „der Nationalstaat des jüdischen Volkes“
zu sein?
Von dem
Rückkehrgesetz, das nur für Juden und ihre Nachkommen gilt, über
das Bürgerschaftgesetz, das einen scharfen Unterschied zwischen
Juden und Nichtjuden macht, bis zu einem Dutzend kleinerer Gesetze,
die Leuten Privilegien gewähren, die als „Individuen definiert
werden, für die das Rückkehrgesetz gilt“ – gibt es keine wirkliche
Gleichheit. Praktisch durchdringt Diskriminierung – offen oder
verborgen – die Gesellschaft.
Viele Israelis
erklären, dass sie die Diskriminierung verabscheuen, aber behaupten,
dass andere demokratische Länder ihre eigenen nationalen
Minderheiten auch nicht besser behandeln.
EINE DRITTE
Generation „israelischer Araber“ wächst jetzt heran. Sie lassen sich
nicht mehr von der Regierung einschüchtern, aber leben in einem
geistigen Limbo. Sie definieren sich selbst als Palästinenser und
unterstützen den palästinensischen Kampf in den Besetzten Gebieten,
werden aber auch immer mehr israelisch. Ein anderer Suabi,
Abd-al-Aziz, vor vielen Jahren ein Knesset-Mitglied, prägte den
Satz: „ Mein Staat ist im Krieg mit meinem Volk.“ Das gegenwärtig
prominenteste arabische Knesset-Mitglied ist Ahmad Tibi, einst ein
enger Berater von Yasser Arafat, ist meiner Meinung nach von allen
Knesset-Mitgliedern der „israelischste“ – dem Charakter und dem
Verhalten nach.
Tatsächlich sind die
Araber weit mehr in die israelische Gesellschaft integriert, als den
meisten Leuten bewusst ist. Viele jüdische Patienten in
Regierungskrankenhäusern sind sich der Tatsache nicht bewusst, dass
der Arzt und die sie pflegenden Krankenpfleger Araber sind. Bei
Fußballwettkämpfen zwischen jüdischen und arabischen Teams schreien
die jüdischen Hooligans „Tod den Arabern!“, und ihre arabischen
Altersgenossen rufen mit gleicher Begeisterung: „Allah ist groß!“
Vor ein paar Jahren
schlug Lieberman vor, die arabischen Städte und Dörfer in Israel,
die nahe zur Grenze der Westbank liegen, sollten mit allen ihren
Ländereien dem zukünftigen palästinensischen Staat zugeschlagen
werden, und dafür sollten die jüdischen Siedlungen in der Westbank
auf der anderen Seite der Grenze zu Israel gehören. Da gab es einen
Sturm des Protestes vonseiten der arabischen Bevölkerung. Nicht ein
einziger arabischer Sprecher unterstützte die Idee.
Doch die wachsende
Bitterkeit der arabischen Bürger treibt die arabischen Mitglieder in
immer extremere Positionen und zu scharfen Äußerungen, während die
jüdischen Politiker des rechten Flügels in ihrem anti-arabischen
Rassismus immer extremer werden. So wird die Kluft zwischen den
beiden Lagern auch in der Knesset weiter statt enger.
Als Lapid seine
Verachtung für die „Suabis“ zum Ausdruck brachte, hofierte er den
Mainstream. Chanin Suabi fühlte sich natürlich geschmeichelt.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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