Déjà vue ( schon einmal erlebt)
Uri Avnery, 26.1.06
Wenn Ariel Sharon sich nicht in einem tiefen Koma befände, wäre er jetzt vor
Freude aus dem Bett gesprungen.
Der Sieg von
Hamas erfüllt seine heißesten Wünsche und Hoffnungen.
Ein ganzes Jahr
lang hat er alles Mögliche getan, um Mahmood Abbas zu unterminieren.
Seine Logik war offensichtlich. Die Amerikaner wollten, dass er mit
Abbas verhandelt. Solche Verhandlungen hätten unvermeidlich zu einer
Situation geführt, die ihn gezwungen hätte, fast die ganze Westbank
aufzugeben. Sharon hatte nicht die Absicht, dies zu tun. Er wollte
mehr als die Hälfte der besetzten Gebiete annektieren. Also musste
er Abbas und sein moderates Image loswerden.
Während des
letzten Jahres wurde die Situation der Palästinenser von Tag zu Tag
schlimmer. Die Aktionen der Besatzung machte ein normales Leben und
den Handel unmöglich. Die Siedlungen in der Westbank wurden
ständig größer. Die Mauer/Zaunanlage, die 10% der Westbank
abschneidet geht ihrer Vollendung entgegen. Keiner der wichtigen
(politischen) Gefangenen wurde entlassen. Es war Sharons Ziel, Abbas
vor den Palästinensern schwach erscheinen zu lassen, („Wie ein Huhn
ohne Federn“ wie Sharon sagte,) dass er nichts erreichen kann, dass
Friedens- und Waffenstillstands-angebote zu nichts führen.
Die Botschaft an
die Palästinenser war klar: „Israel versteht nur die Sprache der
Gewalt.“
Nun hat eine
Partei diese Sprache gesprochen und so die palästinensischen Wahlen
gewonnen.
Warum gewann Hamas?
Die
palästinensischen Wahlen bestehen wie die deutschen Wahlen aus zwei
Teilen. Die Hälfte der Parlamentsmitglieder wurde nach direkten
Parteilisten gewählt (wie in Israel); die andere Hälfte war eine
Personen-Wahl in den Wahldistrikten. Damit hatte Hamas einen
riesigen Vorteil.
In der
Parteilistenwahl gewann Hamas mit nur kleiner Mehrheit. Das würde
darauf hinweisen, dass, soweit es die allgemeine politische Linie
betrifft, die Mehrheit nicht weit von der Fatahlinie entfernt ist :
zwei Staaten, Frieden mit Israel.
Viele der für
Hamas abgegebenen Stimmen hat nichts mit Frieden, Religion und
Fundamentalismus zu tun, sondern mit Protest. Die palästinensische
Behörde, die fast ausschließlich von Fatah geführt wurde, ist von
Korruption besudelt. „Der Mann auf der Straße“ hatte das Gefühl,
dass die Leute an der Spitze sich nicht um ihn kümmerten. Fatah
wurde auch die Schuld für die schreckliche Situation durch die
Besatzung gegeben.
Der Ruhm der
Märtyrer und der unbeugsame Kampf gegen die enorm überlegene
israelische Armee ließ die Popularität der Hamas wachsen.
In den
regionalen Personen-Wahlen war die Lage von Hamas sogar noch besser.
Hamas hat glaubwürdigere, nicht mit Korruption belastete Kandidaten.
Ihre Parteimaschine war weit überlegen, ihre Mitglieder viel
disziplinierter. In jedem Wahldistrikt waren dagegen mehrere
Fatahmitglieder, die mit einander konkurrierten. Nach Yasser Arafat
gab es keinen starken Führer, der Einheit herstellen konnte. Marwan
Barghouti, der vielleicht diesen Job hätte tun können, wird in
einem israelischen Gefängnis festgehalten – ein weiteres großes
Geschenk Israels für Hamas.
Leute, die an Verschwörungstheorien glauben, könnten behaupten, dass dies
alles ein ausgeklügelter israelischer Plan sei.
Einige Leute
glauben sogar, dass Hamas von Anfang an eine israelische Erfindung
sei. Das ist natürlich weit übertrieben. Aber es ist tatsächlich der
Fall, dass in den Jahren vor der 1. Intifada die islamische
Organisation die einzige palästinensische Organisation war, die
sich in den besetzten Gebieten praktisch frei betätigen konnte.
Die Logik der
israelischen Regierung war: unser Feind ist die PLO. Die Islamisten
hassen die säkulare PLO und Yasser Arafat. Also können wir sie
gegen die PLO ausspielen.
Während außerdem
alle politischen Institutionen verboten waren, und selbst die
Palästinenser, die für Frieden arbeiteten, verhaftet wurden, weil
sie „illegale“ politische Tätigkeiten ausführten, konnte keiner
kontrollieren, was in den Moscheen passierte. „Solange wie sie
beten, schießen sie nicht!“ war die unschuldige Meinung in der
israelischen Militärregierung .
Als die 1.
Intifada Ende 1987 ausbrach, hat sich dies als falsch erwiesen.
Hamas wurde auch deshalb gebildet, um mit den islamischen
Jihad-Kämpfern zu konkurrieren. Innerhalb kurzer Zeit wurde Hamas
zum Kern des bewaffneten Aufstandes. Aber fast ein Jahr lang tat der
israelische Sicherheitsdienst nichts gegen sie. Dann änderte sich
die Politik, als Scheich Achmed Yassin, der geistliche Führer,
verhaftet wurde.
All dies wurde
eher aus Dummheit denn aus Absicht getan. Nun sieht sich die
israelische Regierung der Hamas-Führung gegenüber, die vom Volk
demokratisch gewählt wurde.
Was jetzt? Nun, so etwas wie déjà vu – schon einmal erlebt.
In den 70ern und
80ern erklärte die israelischen Regierung, dass sie niemals mit der
PLO verhandeln würde. Sie sind Terroristen. Sie haben eine Charta,
die zur Zerstörung Israels aufruft. Arafat ist ein Monster, ein
2.Hitler. Darum niemals, niemals, niemals ...
Schließlich
nach viel Blutvergießen, erkannte Israel und die PLO sich
gegenseitig an – und das Oslo-Abkommen wurde unterzeichnet.
Nun hören wir
dieselben Töne wieder. Terroristen, Mörder. Die Hamas Charta ruft
zur Zerstörung von Israel auf. Wir werden niemals, niemals, niemals
mit ihnen verhandeln.
All dies kommt
Sharons Kadima-Partei gerade recht, die offen zur einseitigen
Annexion von Gebieten aufruft („Die Grenzen Israels einseitig
festlegen“). Dies hilft den Falken der Likud- und der Labor-Partei,
deren Mantra heißt: „Wir haben keinen Partner für Frieden“ – also
zur Hölle mit dem Frieden!
Nach und nach
wird sich der Ton ändern. Beide Seiten, und auch die Amerikaner
werden vom hohen Ross steigen. Hamas wird belegen, dass es für
Verhandlungen bereit ist und eine religiöse Basis dafür finden wird.
Die israelische Regierung ( wahrscheinlich Ehud Olmert ) wird sich
der Realität und dem amerikanischen Druck beugen. Europa wird seine
lächerlichen Slogans vergessen.
Am Ende wird
jeder darin übereinstimmen, dass ein Friede, in dem Hamas auch ein
Partner ist, besser ist, als ein Frieden mit Fatah allein.
Wollen wir darum
beten, dass nicht zu viel Blut vergossen wird, bevor dieser Punkt
erreicht ist.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert) |