Naboth
hatte einen Weinberg
Uri Avnery, 26.10.02
Die meisten Israelis hätten
ihren Augen nicht getraut, wenn sie am letzten Samstag bei Sonnenuntergang
dabei gewesen wären.
Mitten in Havarah, einem
kleinen Dorf südlich von Nablus, standen 63 Israelis, Männer und Frauen,
Junge und Alte mit Dutzenden von palästinensischen Dorfbewohnern zusammen.
Juden und Araber plauderten miteinander, tranken den von den Gastgebern
angebotenen Saft, tauschten Adressen und Telefonnummern aus. Die Kinder
des Dorfes trugen die von den Gästen mitgebrachten Abzeichen: die die
Flagge Israels und Palästinas zeigten. Keiner trug eine Waffe.
Alle waren glücklich und
das mit Grund: sie hatten gerade einen harten Tag der Olivenernte hinter
sich. Sie waren zusammen unter den Bäumen. Sie waren auch zusammen, als
die israelischen Siedler das Feuer eröffneten.
All dies geschah mitten im
palästinensischen Gebiet nach zwei Jahren gewalttätiger Konfrontation. Ein
Fest von israelisch-palästinensischer Verbrüderung inmitten blutiger
Angriffe. Eine menschliche Erfahrung. Ein politischer Akt. Ein
symbolisches Ereignis.
Seit biblischen Zeiten sind
die Olivenbäume das Symbol dieses Landes gewesen. Sie haben die Bauern
vieler Generationen – Kanaaniter, Israeliten und Araber – am Leben
erhalten. Das ganze Jahr über arbeiten sie in den Olivenhainen, die vom
Vater auf den Sohn vererbt werden, sie beschneiden die Bäume, bearbeiten
den Boden, entfernen die Unkräuter. Während der wenigen Erntewochen
pflückt die ganze Familie die Oliven – Männer und Frauen, alte Leute und
Kinder. Die Oliven müssen zur richtigen Zeit abgeerntet und zur
Olivenpresse gebracht werden, wo die goldene Flüssigkeit herausgepresst
wird, das Olivenöl. Das sind Tage der Freude.
Eine ganze Familie kann nun
von zehn Olivenbäumen leben. Ohne diese können sie nicht existieren. Je
härter die Besatzung wird, je mehr sie die freie Bewegung einengt und den
Lebensunterhalt verweigert, um so abhängiger werden die Dorfbewohner von
den Olivenbäumen.
Deshalb sind die Aktionen
der Siedler so heimtückisch. Sie versuchen, die Ernte zu verhindern, die
Früchte zu stehlen oder die Bäume abzubrennen. Ihre Aktionen erinnern an
eine der schlimmsten in der Bibel beschriebenen Taten, eine ewige Schande:
die Geschichte von Naboths Weinberg ( 1. Könige 21):
"Naboth, der Jesreeliter
hatte einen Weinberg in Jesreel, sehr nahe am Palast des Ahab, des Königs
von Samaria. Und Ahab redete mit Naboth und sprach: gib mir deinen
Weinberg, ich will mir daraus einen Gemüsegarten machen, weil er so nah an
meinem Hause liegt. Ich will dir einen besseren Weinberg geben als diesen
oder wenn es dir gefällt, will ich dir Geld dafür geben. Und Naboth sagte
zu Ahab: das lasse der HERR fern von mir sein, dass ich dir meiner Väter
Erbe geben sollte..." das Ende der Geschichte ist bekannt: Isebel, die
Frau von Ahab, ließ falsche Zeugen kommen und Naboth wurde zu Tode
gesteinigt. So erhielt Ahab den Weinberg. Am Ende leckten die Hunde das
Blut von beiden, von Ahab und Isebel.
Aber im Vergleich zu den
Siedlern von heute, war die boshafte Isebel noch ein Beispiel von
Rechtschaffenheit. Die Siedler nehmen die Olivenhaine der Dorfbewohner
ohne Bezahlung, oder ohne eine Alternative anzubieten, in Besitz. Sie
schießen nur. Ein palästinensischer Junge wurde so von ihnen erschossen,
während er Oliven pflückte. Und Hunderte wurden weggetrieben.
Fast jedes palästinensische
Dorf hat Olivenhaine, die an irgend eine Siedlung oder an einen sog.
Außenposten grenzt, der nun von Siedlern kontrolliert wird. Wenn sich die
Besitzer nähern, um den Boden unter den Bäumen für die Ernte vorzubereiten
oder um die Oliven zu ernten, schießen die Siedler auf sie - "nach
Absprache mit der Armee". Der einfache Vorwand: wenn die Dorfbewohner in
der Nähe der Siedlung ernten, könnten sie sehen, was dort geschieht und
sie bedrohen.
Das ist in der Tat eine
monströse Verdrehung: eine Siedlung mitten in eine von Palästinensern
dicht besiedelte Umgebung zu setzen und ihnen dann zu verbieten, ihr Land
zu bearbeiten, weil dieses nahe der Siedlung liegt.
In einigen Fällen beließen
es die Siedler nicht beim Schießen, sondern fielen in die Olivenhaine ein,
trieben die Dörfler weg und raubten die schon gepflückten Oliven. Die
Propheten Israels wären geschockt. Raub am helllichten Tage. Und die Armee
sieht zu und tut nichts dagegen.
Die Absichten der Siedler
sind bösartiger als die von Ahab und Isebel. Sie wollen das Leben der
Dorfbewohner zur Hölle machen, um sie dahin zu bringen, das Land zu
verlassen. Das ist das, was man "freiwilligen Transfer" nennt oder,
einfach ausgedrückt, "ethnische Säuberung".
Für anständige Israelis
bedeutet dies: sie machen sich auf, um den Dorfbewohnern bei der
Olivenernte zu helfen, bevor die Oliven an den Bäumen verfaulen oder
gestohlen werden. Sie bilden einen menschlichen Schutzschild gegen die
Siedler. Während der vergangenen Wochen haben Hunderte von Israelis mit
Leuten der Internationalen Solidaritätsbewegung (ISM) genau das getan.
Am vergangenen Samstag
reagierten 260 Israelis auf die Anfragen verschiedener
Friedensorganisationen (Gush Shalom, Ta'ayush, die Frauenkoalition, ein
Teil von Peace Now, u.a.) Sie teilten sich auf die Dörfer auf, wo das
Ernten am gefährlichsten ist.
Mein Los war es, nach
Havarah zu kommen, einem Dorf, das in einem Tal zwischen zwei hohen Bergen
liegt. Seine Olivenhaine liegen an den steilen Berghängen, die voller
Felsen und mit stacheligen Büschen bewachsen sind. Es war ziemlich
schwierig, nur dort hinzugelangen. Immer wieder fiel jemand hin und bekam
Kratzer ab. Schließlich waren alle an Ort und Stelle.
Gruppen von Pflückern,
Israelis und Palästinenser, begannen mit dem Pflücken. Die Besitzer der
Bäume nützten die Tatsache aus, dass Israelis dabei waren und arbeiteten
schnell – im Gegensatz zur üblichen Praxis schlugen sie mit Stöcken in die
Äste, damit die Früchte auf die grünen Plastikplanen herunterfallen
sollten, die unter den Bäumen ausgebreitet waren. Das ist zwar nicht so
gut für die Bäume, geht aber schneller; denn die Zeit war knapp bemessen.
Jeder arbeitete fieberhaft,
hielt die fruchtbeladenen Äste und füllte Eimer und Säcke oder sammelte
vom Boden auf. Jede Olive ist kostbar. Sportliche Männer und Frauen
kletterten in die Bäume und füllten Hüte und Plastiktüten.
Die Gruppen, die die
Bergkuppe erreichten, standen auf einmal den Siedlern von Yitzhar
gegenüber, einem berüchtigten Nest von Fanatikern, die in Sabbatkleidung,
schwarzen Hosen und weißen Hemden, ihre Gewehre hielten. Sie bedrohten die
Pflücker, schossen in die Luft und auf den Boden, (sodass einer der
israelischen Pflücker von einem Klumpen Erde getroffen wurde). Das Echo
der Schüsse hallte zwischen den Bergen. Vierzig Minuten später erschienen
Soldaten, die die Siedler zunächst herzlich begrüßten und dann den
Pflückern befahlen, das Gebiet zu verlassen. Sie erklärten, dass die
Siedler recht hätten, wenn sie das Feuer eröffneten, weil die Pflücker die
Siedlung gefährdeten. Die Pflücker machten hartnäckig weiter, da sie sich
vom "menschlichen Schutzschild" der Israelis sicher fühlten. Aber nach und
nach wurden sie von den Siedlern den Abhang hinuntergedrängt. Die Soldaten
zwischen den Pflückern und Siedlern.
In den andern Olivenhainen
konnte die Arbeit ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Währenddessen
wurden Zigaretten ausgetauscht, trotz der Sprachschwierigkeiten Gespräche
angefangen, zunächst zurückhaltend, dann lebhafter.. Einige der
Dorfbewohner sprachen Hebräisch und erzählten von den Orten, an denen sie
in Tel Aviv gearbeitet hätten.
Bevor die Dunkelheit
anbrach, wurden die Planen eingesammelt und zusammengefaltet, die Leute
schulterten die schweren, vollen Säcke oder luden sie den Eseln auf und
begannen den Abstieg von den steilen Abhängen, von einer Terrasse zur
andern. Für die jungen Burschen der Gegend war es kein Problem; die
Älteren und die Gäste bewegten sich vorsichtiger, hielten sich an den
Büschen fest und halfen sich gegenseitig.
Viele glückliche Leute gab
es. Diejenigen, die den Rowdys getrotzt hatten, waren glücklich, weil sie
nicht geflohen waren. Die israelischen Pflücker waren glücklich, weil sie
eine politische Demonstration mit einer sinnvollen Aktivität verbinden
konnten. Die Palästinenser waren glücklich, dass sie wenigstens einen Teil
ihrer Ernte gerettet hatten. Sie trugen die schweren Säcke auf ihren
Schultern. Am Fuß des Berges wurden die Säcke auf Esel und alte Karren
geladen, die aussahen, als würden sie jeden Augenblick auseinanderfallen.
Schließlich gab es eine
bewegende Verabschiedung: Hunderte von palästinensischen Männern, Frauen
und Kindern winkten begeistert den abfahrenden Israelis nach, auf dem
Dorfplatz, in den Gassen und aus den Fenstern – ein ganzes Dorf. Das war
der glückliche Lohn einer Tagesarbeit.
(Aus
dem Englischen übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
Alle deutschen Texte von
Avnery Uri
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