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Danke, Israel!
Uri Avnery, 31.12. 2011
WENN ISLAMISTISCHE Bewegungen in der
Region zur Macht kommen, sollten sie ihre Dankesschuld dem gegenüber
abtragen, der ihnen ein Gräuel ist, Israel.
Ohne die aktive oder passive Hilfe von
auf einander folgenden israelischen Regierungen wären sie nicht
fähig gewesen, ihre Träume zu verwirklichen.
Das gilt für Gaza, Beirut, Kairo und
sogar für Teheran.
NEHMEN WIR als 1.Beispiel die Hamas.
In allen arabischen Ländern sahen sich
die Diktatoren einem Dilemma gegenüber. Sie konnten alle politischen
und zivilen Aktivitäten verbieten, aber sie konnten die Moscheen
nicht schließen. In den Moscheen konnten sich die Leute zum Beten
versammeln, Hilfsdienste organisieren und - im Geheimen –
politische Organisationen aufbauen. Vor den Twitter- und
Facebook-Zeiten war dies der einzige Weg, um Massen von Menschen zu
erreichen.
Einer der Diktatoren, der sich diesem
Dilemma gegenübersah, war der israelische Gouverneur in den
besetzten palästinensischen Gebieten. Von Anfang an verbot er
jegliche politische Aktivitäten. Sogar Friedensaktivisten landeten
im Gefängnis. Befürworter von gewaltfreiem Widerstand wurden
deportiert. Zivile Zentren wurden geschlossen. Nur die Moscheen
blieben offen. Dort konnten sich die Leute treffen.
Aber diese Toleranz war nicht nur
passiv. Der Allgemeine Sicherheitsdienst (als Shin Bet oder Shabak
bekannt) hatte ein aktives Interesse daran, dass das, was in den
Moscheen geschah, sich gut entwickelte. Leute, die fünfmal am Tag
beten – so dachten sie - haben keine Zeit, um Bomben zu bauen.
Der Hauptfeind war, wie der Shabak
dachte, die fürchterliche PLO, angeführt von dem Monster Yassir
Arafat. Die PLO war eine säkulare Organisation mit vielen
prominenten christlichen Mitgliedern, denen es um einen „nicht
konfessionellen“ palästinensischen Staat ging. Sie waren die Feinde
der Islamisten, die von einem pan-islamischen Kalifat sprachen.
Wenn sich die Palästinenser dem Islam
zuwenden – dachte man sich – würden die PLO und ihre Hauptfraktion,
die Fatah, geschwächt werden. Also wurde alles insgeheim getan, um
der islamistischen Bewegung zu helfen.
Es war eine sehr erfolgreiche Politik,
und der Nachrichtendienst gratulierte sich selbst zu seiner
Klugheit. Aber dann geschah ein Unglück. Im Dezember 1987 brach
die 1. Intifada aus. Die Mainstream-Islamisten mussten mit den
radikaleren Gruppen konkurrieren. Innerhalb von Tagen verwandelten
sie sich in die islamistische Widerstandsbewegung (Acronym: Hamas)
und wurden der gefährlichste Feind Israels. Doch dauerte es für den
Shabak noch länger als ein Jahr, bevor er Scheich Ahmad Yassin, den
Hamasanführer, verhaftete. Um diese neue Bedrohung zu bekämpfen,
erreichte Israel mit der PLO in Oslo ein Abkommen.
Und jetzt, eine Ironie der Ironien, ist
Hamas dabei, in die PLO einzutreten und an einer palästinensischen
Einheitsregierung teilzunehmen. Sie sollten uns wirklich eine
Botschaft mit Schukran („Danke“) schicken.
UNSER ANTEIL am Aufstieg der Hisbollah
ist weniger direkt, aber nicht weniger effektiv.
Als Ariel Sharon 1982 den Libanon
überfiel, mussten seine Soldaten die hauptsächlich schiitischen
Gebiete des Südlibanon durchqueren. Die israelischen Soldaten wurden
wie Befreier empfangen. Befreier von der PLO, die dieses Gebiet in
einen Staat innerhalb eines Staates verwandelt hatten.
Während ich den Soldaten in meinem
privaten Wagen folgte, um die Front zu erreichen, musste ich ein
Dutzend schiitischer Dörfer durchqueren. In jedem wurde ich von
Dorfbewohnern angehalten, die darauf bestanden, dass ich in ihrem
Haus eine Tasse Kaffee trinke.
Weder Sharon noch irgendjemand anders
schenkte den Schiiten viel Aufmerksamkeit. In dem Bund autonomer
ethnisch-religiöser Gemeinschaften, wie der Libanon genannt wird,
waren die Schiiten die unterdrückteste und machtloseste Minderheit.
Doch die Israelis verzögerten ihren
Weggang. Die Schiiten brauchten nur ein paar Wochen, bis ihnen klar
wurde, dass die Israelis nicht die Absicht hatten, schnell wieder zu
gehen. Deshalb rebellierten sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte.
Die wichtigste politische Gruppe, AMAL („Hoffnung“), begann mit
kleinen bewaffneten Aktionen. Als die Israelis den Wink nicht
verstanden, wurden die Operationen häufiger und zu einem richtig
gehenden Guerillakrieg.
Um Amal zu überlisten, ermutigte Israel
einen kleinen, doch radikaleren Rivalen: die Partei Gottes, die
Hisbollah.
Wenn Israel damals gegangen wäre ( wie
Haolam Hazeh forderte), wäre nicht viel Schaden angerichtet worden.
Aber es blieb volle 18 Jahre, eine lange Zeit, um die Hisbollah in
eine wirksame Kampfmaschine zu verwandeln, die überall die
Bewunderung der arabischen Massen erhielt, die Führung der
schiitischen Gemeinschaft übernahm und so zur mächtigsten Kraft in
der libanesischen Politik wurde.
Auch sie schulden uns ein großes
Schukran.
DER FALL der Muslim-Bruderschaft in
Ägypten ist sogar noch komplexer.
Die Organisation wurde 1928 gegründet,
20 Jahre vor dem Staat Israel. Seine Mitglieder kämpften freiwillig
1948 gegen uns. Sie waren leidenschaftliche Pan-Islamisten, und doch
ging ihnen der palästinensische Kampf nahe.
Als der israelisch-palästinensische
Konflikt schlimmer wurde, wuchs die Popularität der Bruderschaft.
Seit dem Krieg von 1967, in dem Ägypten den Sinai verlor, und nach
dem separaten Friedens-abkommen mit Ägypten sogar noch mehr heizte
die Bruderschaft den tief sitzenden Groll der ägyptischen und
arabischen Massen an. Sie hatte keinen Anteil an dem Mord an Anwar
al-Sadat, aber sie freute sich darüber.
Ihre Opposition gegen das
Friedensabkommen mit Israel war nicht nur eine islamische, sondern
auch eine authentisch ägyptische Reaktion. Die meisten Ägypter
fühlten sich von Israel getäuscht und betrogen. Das
Camp-David-Abkommen hat eine bedeutende palästinensische Komponente,
ohne die das Abkommen für Ägypten unmöglich gewesen wäre. Sadat, ein
Visionär, schaute auf das große Bild und glaubte, dass das Abkommen
schnell zu einem palästinensischen Staat führen würde. Menachem
Begin, ein Jurist, sah sich das Kleingedruckte an. Generationen von
Juden sind mit dem Talmud aufgewachsen, der hauptsächlich eine
Abfassung von rechtlichen Vorfällen ist, und ihr Geist ist durch
juristische Argumente geschult worden. Nicht umsonst sind eine Reihe
jüdischer Juristen in aller Welt berühmt.
Tatsächlich erwähnte das Abkommen keinen
palästinensischen Staat, nur eine Autonomie, in einer Weise
formuliert, die Israel erlaubte, die Besatzung fortzuführen. Das war
nicht das, was man den Ägyptern gesagt hatte, zu glauben, und ihr
Groll war eindeutig. Die Ägypter sind davon überzeugt, ihr Land sei
der Anführer der arabischen Welt, und es habe deshalb eine besondere
Verantwortung für alle arabischen Länder. Sie können es nicht
ertragen, als die Verräter der armen, hilflosen palästinensischen
Cousins angesehen zu werden.
Lang bevor Hosni Mubarak gestürzt wurde,
war er als israelischer Lakai verachtet, der von den USA bezahlt
wurde. Für die Ägypter war seine widerwärtige Rolle bei der
israelischen Blockade von anderthalb Millionen Palästinensern im
Gazastreifen besonders schändlich.
Seit Beginn der Bruderschaft in den
20er-Jahren wurden Mitglieder und Aktivisten gehenkt, in Gefängnisse
gesteckt, gefoltert und auf andere Weisen verfolgt. Ihre
Anti-Regime-Reverenzen sind untadelig. Ihre Haltung gegenüber den
Palästinensern hat zu diesem Image beigetragen.
Hätte Israel mit dem palästinensischen
Volk irgendwann Frieden geschlossen, hätte die Bruderschaft eine
Menge ihres Ruhmes verloren. Sie tauchen jetzt bei den gegenwärtigen
demokratischen Wahlen als die zentrale Kraft in Ägypten auf.
Schukran, Israel!
VERGESSEN WIR nicht die islamische
Republik des Iran.
Auch sie hat uns einiges zu verdanken -
sogar eine ganze Menge.
1951 bei den ersten demokratischen
Wahlen in einem islamischen Land der Region wurde Muhammad Mossadek
zum Ministerpräsidenten gewählt. Der Schah Muhammad Reza Pahlevi,
der von den Britten während des 2. Weltkrieges eingesetzt worden
war, wurde hinausgeschmissen, und Mossadek verstaatlichte die
lebenswichtige Ölindustrie. Bis dahin hatten die Britten dem
iranischen Volk für eine lächerliche Summe das schwarze Gold
abgekauft.
Zwei Jahre später wurde bei einem
Staatsstreich vom britischen MI6 und dem amerikanischen CIA der
Schah zurückgebracht und das Öl den verhassten Briten und ihren
Partnern zurückgegeben. Israel hatte wahrscheinlich nicht an dem
Streich teilgenommen, aber unter dem wieder hergestellten Regime des
Schah blühte Israel auf. Die Israelis machten ihr Glück durch den
Verkauf von Waffen an die iranische Armee. Die Shin Bet-Agenten
trainierten die gefürchtete Geheimpolizei des Schah, die Savak. Man
ist auch weithin davon überzeugt, dass sie Foltertechniken
weitergaben. Der Schah half eine Pipeline bauen und bezahlte sie,
die iranisches Öl von Eilat nach Ashkalon brachte. Israels Generäle
reisten durch den Iran ins irakische Kurdistan, wo sie der Rebellion
gegen Bagdad halfen.
In der Zeit arbeitete Israels Führung
mit dem südafrikanischen Apartheidsystem an der Entwicklung
nuklearer Waffen zusammen. Die beiden boten dem Schah an, Partner
bei diesen Bemühungen zu sein, damit auch der Iran eine Nuklearmacht
werden könne.
Bevor diese Partnerschaft wirksam wurde,
wurde der verachtete Herrscher von der islamischen Revolution im
Februar 1979 gestürzt. Seit damals hat der Hass gegen den großen
Satan (die US) und den kleinen Satan (wir) eine große Rolle in der
Propaganda der islamischen Regime gespielt. Er hat geholfen, die
Loyalität der Massen zu halten, und jetzt nützt Mahmoud Ahmadinejad
ihn, um seine Herrschaft zu untermauern.
Es scheint, dass alle iranischen
Parteien – einschließlich der Opposition – jetzt die iranischen
Anstrengungen unterstützen, um eine eigene Atombombe zu erlangen,
offensichtlich um Israel von einem Angriff abzuschrecken.
In dieser Woche verkündete der Chef
des Mossad, dass eine iranische Nuklearbombe keine „existentielle
Gefahr“ für Israel darstellen würde.
Wo würde die islamische Republik ohne
Israel sein? Also schuldet sie uns auch ein großes Schukran.
DOCH SEIEN wir nicht zu
größenwahnsinnig. Israel hat eine Menge zum islamischen Erwachen
beigetragen. Aber es ist nicht dies allein – oder nicht einmal die
Hauptursache.
So seltsam es auch scheinen mag,
obskurer religiöser Fundamentalismus scheint den Zeitgeist
auszudrücken. Eine amerikanische Historikerin – ursprünglich eine
Nonne – Karen Armstrong, hat ein interessantes Buch über die drei
fundamentalistischen Bewegungen - in der muslimischen Welt, in den
USA und in Israel - geschrieben. Es zeigt ein klares Muster: all
diese unterschiedlichen Bewegungen – die muslimische, christliche
und jüdische - haben fast identisch und gleichzeitig dieselben
Stadien durchgemacht.
Gegenwärtig ist ganz Israel im Aufruhr,
weil die mächtige orthodoxe Gemeinde die Frauen in vielen Teilen des
Landes zwingt, in den Bussen getrennt – nämlich hinten - zu sitzen,
(wie die Schwarzen in den guten alten Tagen von Alabama, USA) und
dass sie getrennte Fußgängerwege, also auf der andern Seite der
Straße gehen müssen. Religiösen Soldaten wird von ihren Rabbinern
verboten, singenden Soldatinnen zuzuhören. In orthodoxen Stadtteilen
werden Frauen gezwungen, sich in Gewänder zu hüllen, die nur das
Gesicht und die Hände freilassen – selbst bei Temperaturen von
30Grad Celsius und mehr. Ein 8jähriges Mädchen aus einer religiösen
Familie wurde auf der Straße angespuckt, weil es nicht züchtig genug
gekleidet war. Bei Gegendemonstrationen schwenkten säkulare Frauen
Poster mit den Worten: „Teheran ist hier!“
Vielleicht wird eines Tages ein
fundamentalistisches Israel unter der Schirmherrschaft eines
fundamentalistischen amerikanischen Präsidenten mit einer
fundamentalistisch muslimischen Welt Frieden machen.
Es sei denn, wir tun noch rechtzeitig
etwas, um diesen Prozess anzuhalten.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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