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Meine
ruhmreichen Brüder
Uri Avnery 27.
12.2014.
ALS
ICH 15 war und ein Mitglied des Irgun-Untergrundes (nach den
Kriterien von heute eine ehrenhafte terroristische Organisation)
sangen wir (in der Vergangenheit) „ wir hatten die Helden Bar
Kochba und die Makkabäer/ jetzt haben wir die neue:/ die nationale
Jugend …“ Die Melodie war ein deutsches militärisches Marschlied
.
Warum
schauten wir nach Helden in ferner Vergangenheit aus?
Wir
benötigten verzweifelt nationale Helden, um sie nachzuahmen. 18
Jahrhunderte lang hatten Juden nicht gekämpft. Antisemiten sagten,
dass sie eine Rasse von Feiglingen seien. Verstreut in aller Welt
sahen sie keinen Grund für Kaiser oder Könige zu kämpfen, die sie
meistens verfolgten. (Obgleich einige von ihnen es taten. Der erste
authentische Held der neuen zionistischen Entität in Palästina war
Josef Trumpeldor, einer der wenigen jüdischen Offiziere in der Armee
des Zaren. Er verlor einen Arm im russisch-japanischen Krieg 1905
und wurde bei einem Scharmützel mit Arabern in Palästina getötet)
Also
fanden wir die Makkabäer, die Zeloten und Bar Kochba.
DIE
MAKKABÄER, zu deren Ehre wir in dieser Woche Chanukka feierten,
revoltierten gegen „die Griechen“ 167 v. Chr. Howard Fast nannte
sie in seiner berühmten Novelle „Meine ruhmreichen Brüder“.
Tatsächlich waren „die Griechen“ Syrer. Als das Reich Alexanders des
Großen zwischen seinen Generälen aufgeteilt wurde, übernahm Seleucus
Syrien und das Land im Osten. Es war dieses Mini-Reich, gegen das
die Makkabäer sich erhoben.
Es war
nicht nur ein national-religiöser Kampf gegen das Regime, das die
hellenische Kultur den Juden aufzwingen wollte, sondern auch ein
grausamer Bürgerkrieg. Der Hauptkampf der Makkabäer war gegen die
„Hellenisten“, die kulturelle, moderne jüdische Elite, die
griechisch sprach und ein Teil der zivilisierten Welt sein wollte.
Die Makkabäer waren fundamentalistische Anhänger der alten Religion.
Mit
Ausdrücken der heutigen Zeit waren sie die ISIS ihrer Zeit. Aber das
ist nicht das, was wir lernten (Und was heute in der Schule gelehrt
wird.)
Die
Makkabäer (oder nach ihrem Dynastie-Namen Hasmonäer) errichteten
einen jüdischen Staat, den letzten in Palästina, der 200 Jahre
bestand. Im Gegensatz zu Nachfolgern und Imitatoren hatten sie viel
politische Weisheit. Schon während ihrer Rebellion kontaktierten sie
die aufkommende römische Republik und sicherten sich ihre Hilfe.
Doch
die Makkabäer gewannen mit Hilfe eines Zufalls. Ihre Revolte war ein
riskantes Abenteuer. Sie verdankten letztendlich ihren Sieg den
inneren Problemen, die das Seleukidenreich bedrängte.
Die
Ironie dieser Geschichte ist, dass die hasmonäischen Könige selbst
durch und durch hellenisiert wurden und griechische Namen trugen.
DIE
NÄCHSTE große Rebellion begann im Jahr 66 AD. Anders als die
makkabäische Revolte, war es eine total verrückte Affäre.
Die
Zeloten gehörten zu verschiedenen einander konkurrierenden Gruppen,
die sich bis zum Ende nicht einigen konnten. Ihre Rebellion, die
„Große Rebellion“ genannt, war auch eine fanatisch
national-religiöse Angelegenheit.
Zu
jener Zeit füllten messianische Ideen die Luft in Palästina. Das
Land absorbierte religiöse Ideen aus allen Richtungen – hellenische,
persische, ägyptische – und vermischte sie mit den jüdischen
Traditionen. Es war in dieser fieberhaften Atmosphäre, als das
Christentum geboren wurde und das Buch des Hiob und andere spätere
Bücher der hebräischen Bibel geschrieben wurden.
Während der Messias jeden Moment erwartet wurde, taten jüdische
Fanatiker etwas, das unglaublich aussieht: sie erklärten dem
römischen Reich, das damals auf der Höhe seiner Macht stand, den
Krieg. Es ist so, als würde Israel heute den US, China oder
Russland gleichzeitig den Krieg erklären – etwas worüber sogar
Binjamin Netanjahu zweimal nachdenken würde, bevor er es in die Tat
umsetzen würde.
Es
brauchte einige Zeit, bevor die Römer ihre Legionen gesammelt hatten
– und das Ende konnte vorausgesehen werden: Die jüdische Gemeinde im
Land wurde zerquetscht, der Tempel wurde zerstört (vielleicht durch
Zufall) und die Juden wurden aus Jerusalem und vielen anderen Orten
in Palästina vertrieben.
Die
Zeloten glaubten aber ganz und gar an ihren Gott. Im belagerten
Jerusalem, verbrannten sie – obwohl schon fast vor Hunger sterbend -
einander den Weizen, sicher, dass Gott sie versorgen würde. Aber
Gott scheint anderweitig beschäftigt gewesen zu sein.
Auf
der Höhe der Belagerung Jerusalems wurde der hochverehrte Rabbi
Jochanan Ben-Zakkai von seinen Schülern in einem Sarg aus der Stadt
geschmuggelt und begann mit Wissen und Erlaubnis der Römer mit einer
religiösen Schule in Javneh, die der Mittelpunkt einer neuen Art von
anti-heroischem Judentum wurde.
DOCH
WURDE die Lektion der Katastrophe der Zeloten nicht gelernt. Weniger
als 70 Jahre später begann ein Abenteurer mit Namen Bar Kochba
(„Sohn eines Sterns“) noch einen Krieg mit dem römischen Reich, noch
verrückter als der letzte.
Anfangs siegte Bar Kochba – wie die Zeloten – einige Male, bevor die
Römer ihre Militärkräfte versammeln konnten .Zu jener Zeit
unterstützten ihn die Rabbiner. Aber sein Größenwahn veranlasste die
Rabbiner, ihre Unterstützung aufzugeben. Man sagt von ihm, er hätte
Gott gesagt: „Du musst mich nicht unterstützen, aber störe mich
wenigstens nicht!“
Die
unvermeidbare Niederlage Bar Kochbas war sogar eine noch größere
Katastrophe als die vorherige. Massen von Juden wurden in die
Sklaverei verkauft, einige wurden in die römische Arena den Löwen
vorgeworfen. Eine Legende erzählt, dass Bar Kochba mit bloßen
Händen mit einem Löwen kämpfte und ihn tötete.
Doch
die zionistische Lehre war, dass die Juden mit Gewalt aus Palästina
vertrieben wurden, und dass dies der Beginn der Diaspora („das
Exil“) wurde, was eine Legende ist. Die jüdische Bauernbevölkerung
blieb im Land, und die meisten wurden Christen und später Muslime.
Die heutigen Palästinenser sind wahrscheinlich die Abkommen dieser
jüdischen Bevölkerung, die an ihrem Boden festhielt. Schon David
Ben-Gurion hat diese Theorie einmal vermutet.
Die
jüdische Religion wurde tatsächlich im babylonischen Exil geboren,
etwa 500 Jahre vor Christus und von Anfang an lebte die Mehrheit der
Juden außerhalb Palästinas, in Babylon, Ägypten, auf Zypern und in
vielen anderen Ländern rund ums Mittelmeer. Palästina blieb ein
bedeutendes religiöses Zentrum, das eine wichtige Rolle in der
Übergangszeit des Judentums zu einer Diaspora-Religion wurde, die
sich vor allem auf den Talmud gründete.
DAS
CHANUKKA-Fest symbolisiert den Wandel des Judentums nach der
Zerstörung des Tempels - und dem Gegenwandel, der durch die
Zionisten in moderner Zeit bewirkt wurde.
Die
Rabbiner waren gegen den Heldenkult, ob sie nun gottesfürchtig waren
oder nicht. Sie machten die Schlachten der Makkabäer unbedeutend und
fanden einen anderen Grund, um Chanukka zu feiern. Es schien so,
als ob ein großes Wunder geschehen sei, das viel bedeutender war als
die militärischen Siege: als der Tempel wieder eingeweiht wurde,
nachdem er von den „Griechen“ entweiht worden war, reichte das Öl
im Leuchter nur noch für einen Tag. Durch göttliche Einmischung
reichte die kleine Menge Öl eine ganze Woche lang. Chanukka ist
diesem großen Wunder gewidmet.(Chanukka bedeutet buchstäblich
Einweihung).
Das
Buch der Makkabäer, das vom Kampf und dem Sieg erzählt, wurde in die
hebräische Bibel nicht aufgenommen. Das hebräische Original ist
verloren gegangen.
(Chanukka
war, wie Weihnachten, ursprünglich ein heidnisches Fest, das zur
Wintersonnenwende gefeiert wurde, so wie das Passahfest und Ostern
sich auf heidnische Feiern – die Frühlings-Tag-und Nachtgleiche –
gründen.
Die
jüdischen Weisen waren entschlossen, ein für allemal die Sucht nach
Revolten und militärischen Abenteuern auszumerzen. Chanukka wurde
nicht nur in ein harmloses Fest des heiligen Öls verwandelt, die
Zeloten und Bar Kochba wurden ignoriert oder in rabbinischen
Schriften verharmlost. Dies gestaltete das Judentum und das jüdische
Leben bis zum heutigen Tag. Die Juden sollen Gott anbeten und nicht
menschliche Helden.
So war
es, bis der Zionismus auf der Bühne erschien. Die alten Helden
wurden wieder erweckt, und man verwandelte sie nachträglich in
Zionisten. Die Makkabäer, die Zeloten und Bar Kochba wurden unsere
Vorbilder. Der Massen-Selbstmord der Zeloten auf dem Massadaberg
nach der großen Revolte wurde als Ruhmestat gefeiert; Generationen
von Kindern wurden und wird es gelehrt und sie bewundern sie.
Heute
haben wir nationale Helden in Hülle und Fülle und brauchen all diese
alten Mythen nicht mehr. Aber Mythen sterben langsam, wenn
überhaupt. Immer mehr Stimmen von Historikern und ähnlichen Leuten
zweifeln vorsichtig an ihrer Rolle in der jüdischen Geschichte. (Ich
könnte der erste gewesen sein, der in einem Aufsatz vor Jahrzehnten
darüber schrieb).
ALL
DIES mag das Sprichwort bestätigen: „Nichts ändert sich so sehr wie
die Vergangenheit. Oder mit Goethes Worten: „Was ich den Geist der
Zeiten nenne/ das ist der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten
sich bespiegeln“.
Der
Zionismus war eine große spirituelle Revolution. Er nahm eine alte
ethnisch-religiöse Diaspora und schuf eine moderne Nation nach
europäischer Art. Um dies zu bewirken, muss er als erstes die
Geschichte neu schaffen.
Er
konnte sich auf die Arbeiten einer neuen Generation jüdischer
Historiker gründen, die von Heinrich Graetz angeführt wurde, der ein
neues Bild der jüdischen Vergangenheit malte, die von deutschen
nationalistischen Historikern ihrer Zeit beeinflusst war. Graetz
selbst starb ein paar Jahre vor dem ersten zionistischen Kongress,
aber sein Einfluss war und bleibt sehr groß.
Während die Deutschen Herman, den Cherusker, wieder erweckten und
eine riesiges Denkmal für ihn dort errichteten, wo sein großer Sieg
über die Römer im Teutoburger Wald stattfand – kurz vor der
jüdischen Großen Revolte - erweckten die frühen Zionisten die
jüdischen Helden, ignorierten aber die Katastrophe, die sie
verursachten. Viele europäische Völker, große und kleine taten
dasselbe. Es war der Zeitgeist.
Drei
Generationen israelischer Kinder wuchsen vom Kindergarten an mit
diesen Mythen auf. Sie werden so fast völlig von der Weltgeschichte
abgeschnitten. Sie lernen, dass die Griechen das Volk waren, deren
Joch von den Makkabäern abgeschüttelt wurde, aber sie lernen fast
nichts über die griechische Philosophie, Literatur und Geschichte.
So wird eine sehr enge, egozentrische Einstellung geschaffen – gut
für Soldaten, aber gar nicht gut für Menschen, die Frieden machen
wollen.
Diese
Kinder lernen nichts über die Geschichte der Araber, über den Islam
und den Koran. Für sie ist der Islam eine primitive, mörderische
Religion, die darauf erpicht ist, Juden zu töten.
Die
Ausnahme ist das autonome orthodoxe Schulsystem, das nichts anderes
als den Talmud lehrt und deshalb gegenüber dem Heldenkult immun ist,
aber auch gegenüber der Weltgeschichte (natürlich mit Ausnahme der
Pogrome).
Die
große politische Veränderung, die wir dringend benötigen, muss von
einem großen Wandel unserer historischen Anschauung begleitet
werden.
Die
Helden der Antike benötigen vielleicht eine Revision ihres Ranges.
(dt. Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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