Gestohlene Kriege
Uri Avnery.
21. September 2013
WENN
JEMAND von dir etwas Kostbares stiehlt, sagen wir einen
Diamanten, wirst du ärgerlich sein.
Selbst Gott
sagt so etwas. Als Er einen Wurm sandte, um die Rhizinusstaude
, die dem Propheten Jona in der Wüste Schatten spendete,
verdorren ließ, fragte er ihn boshaft: „Meinst du, dass du
mit Recht zürnst um der Staude willen? „ (Jona4,9)
Und nun ist
da jemand, der uns etwas viel Kostbareres als einen
Diamanten oder eine Staude gestohlen hat.
Einen Krieg,
vielleicht sogar zwei Kriege.
Also haben
wir jedes Recht, wütend zu sein.
KRIEG NUMMER
EINS sollte in Syrien stattfinden. Die US waren dabei, das
Regime von Bashar al-Assad anzugreifen. Eine medizinische
Operation: kurz, sauber, chirurgisch
Als der
Kongress zögerte, wurden die Hunde der Hölle losgelassen.
AIPAC sandte seine Rottweiler auf den Kapitolhügel, um
jeden Senator oder Kongressmann, der dagegen war, in Stücke
zu reißen. In Israel wurde gesagt, dass Benjamin Netanjahu
sie auf ausdrücklichen Wunsch von Barack Obama dorthin
sandte.
Aber die
ganze Übung ging von Anfang an schief. Die Amerikaner
sagten, sie würden das Assad-Regime nicht stürzen. Gott
bewahre! Im Gegenteil. Assad sollte bleiben. Es war nicht
nur ein Fall eines Teufels den man kennt und deshalb
gegenüber dem vorzieht, den man nicht kennt – es war klar,
dass der andere Teufel viel schlimmer wäre.
Als ich
sagte, dass die US, Russland, der Iran und Israel ein
gemeinsames Interesse hätten, Assad zu stützen, sah ich
einige Augenbrauen hochgehen. Aber es war einfach logisch.
Keiner dieser ungebührlichen Genossen hatte ein Interesse,
in Syrien eine bunte Menge gewalttätiger Islamisten an die
Macht zu bringen, die die einzige Alternative zu sein
schienen, wenn der Kampf weiterging.
Bekämpft man
also jemanden, von dem man wünscht, dass er bleibt? Das gibt
nicht viel Sinn. Also, kein Krieg.
DIE
ISRAELISCHE Wut über einen guten Krieg, der dreist
gestohlen wurde, war sogar noch größer.
Falls die
Amerikaner nicht ganz bei Sinnen sind, dann wären wir
praktisch schizophren.
Assad ist ein
Araber, ein böser Araber. Es ist noch schlimmer: er ist der
Verbündete des großen, bösen Wolfs – des Iran. Assad liefert
den Korridor für den Transfer von Waffen vom Iran zur
Hisbollah im den Libanon. Wahrlich, das Zentrum der Achse
des Bösen.
Stimmt, aber
die Assads – Vater und Sohn und ihr unheiliger Geist – haben
an ihrer Grenze mit Israel Ruhe gehalten. Seit Jahrzehnten
kein einziger Schuss. Wenn er stürzt und sein Platz von
verrückten Islamisten übernommen wird – was wird dann
geschehen?
Das
israelische Herz sagt darum: schlagt ihn, schlagt ihn hart.
Aber das israelische Gehirn sagt– ja, das gibt es irgendwo
auch - sagt, halte ihn, wo er ist. Es ist ein wirkliches
Dilemma.
Doch gibt es
noch eine andere Betrachtungsweise, eine viel ernstere für
Netanyahu und Co: den Iran.
ES IST eine
Sache, einen kleinen chirurgischen Eingriff zu stehlen.
Etwas ganz anderes ist es, einer wirklich großen Operation
beraubt zu werden.
Ein
israelischer Cartoon zeigte kürzlich den Präsidenten des
Iran, wie er vor dem Fernsehschirm sitzt, und sein Popcorn
isst und mit Gefallen beobachtet, wie Obama in Syrien
geschlagen wird.
Wie kann
Obama auf den Iran Druck ausüben, fragen die israelischen
Kommentatoren und Politiker, wenn er den Druck auf Syrien
aufgegeben hat? Nachdem er Assad die dünne rote Linie
ungestraft hat überschreiten lassen, wie will er die Iraner
daran hindern, die viel dickere rote Linie zu überqueren,
die er dort gezogen hat?
Wo ist die
amerikanische Abschreckung? Wo ist die Furcht, die von der
mächtigen Weltmacht eingeflößt wurde? Warum würden die
Ayatollas sich davon abhalten lassen, ihre Atombombe zu
bauen, nachdem der amerikanische Präsident in die primitive
Falle fiel, die ihm die Russen legten, wie es die Israelis
sehen?
UM EHRLICH zu
sein, kann ich ein bisschen Schadenfreude über die traurige
Lage unserer Kommentatoren nicht unterdrücken
Als ich
kategorisch feststellte, dass es keinen amerikanischen
Militärschlag gegen den Iran gebe und auch keinen
israelischen, dachten einige meiner Bekannten, ich sei
übergeschnappt.
Kein Krieg?
Nachdem Netanyahu ihn versprochen hatte? Nachdem Obama
seinem Beispiel gefolgt ist. Es muss einen Krieg geben!
Und siehe da,
der Krieg verschwindet in der Ferne.
In Israels
Augen wird der Iran von einer verrückten Bande religiöse
Fanatiker beherrscht, deren einziges Ziel es ist, Israel zu
vernichten. Sie sind voll damit beschäftigt, die Bombe zu
bauen, mit der sie genau das tun wollen. Sie kümmern sich
nicht darum, dass der zweite Schlag von Seiten Israels
sicher ist, und der den Iran auf immer zerstören würde.
Sie sind nun mal diese Art von Leuten. Die Produktion der
Bombe muss unter allen Umständen verhindert werden.
Einschließlich des Kollapses der Weltwirtschaft als Folge
der Schließung der Straße von Hormus.
Das ist ein
klares Bild, jeder Teil ist in sich evident. Leider hat es
keine Verbindung zur Realität.
DIE
EREIGNISSE der letzten Zeit produzierten ein völlig anderes
Bild
Es begann mit
den Wahlen im Iran. Der leicht verwirrte Ahmadinejad, der
pathologische Holocaustleugner, ist verschwunden. An seine
Stelle wurde ein bescheiden aussehender, moderater Hassan
Rouhani gewählt.
Solch eine
Wahl wäre ohne die Zustimmung des obersten Führers Ali
Khamenei unmöglich gewesen. Offensichtlich war Rouhani seine
persönliche Wahl.
Was bedeutet
dies? Für israelische Kommentare ist es ganz
offensichtlich: die verschlagenen, trickreichen Perser
betrügen wieder die ganze Welt. Sie werden natürlich
fortfahren, ihre Bombe zu bauen. Aber die naiven Amerikaner
werden ihren Lügen glauben, kostbare Zeit wird verloren
sein, und eines Tages werden die Iraner sagen. Jetzt haben
wir die Bombe! Von jetzt ab können wir tun, was wir wollen!
Besonders die zionistische Entität zerstören!
All dies ist
auf pure Fantasie gebaut. Die Iraner sind weit davon
entfernt, ein primitives, selbstzerstörerisches Volk zu
sein. Es ist ihnen sehr bewusst, dass sie die Erben einer
glorreichen Zivilisation sind, wenigstens so alt und so
reich wie die jüdische Vergangenheit. Die Idee, Königinnen
zu tauschen – wir zerstören euch, ihr zerstört uns– ist
lächerlich, besonders wo doch das Schachspiel, ein
persisches Spiel ist (allein das Wort „Schach“ soll vom
persischen Shah, (König), kommen)
Tatsächlich
sind die iranischen Führer sehr vorsichtig, sehr überlegt.
Sie haben nie ihre Nachbarn angegriffen. Der schreckliche,
acht Jahre lange Krieg mit dem Irak war von dem
leichtsinnigen Saddam Hussain begonnen worden.
Der Impuls
zum Entwickeln der Bombe kam, als die machttrunkenen
Neokonservativen in Washington, die meisten von ihnen
zionistische Juden, ganz offen davon sprachen, den Iran als
nächstes anzugreifen, direkt nach dem kurzen kleinen Krieg,
mit dem sie im benachbarten Irak rechneten.
Anscheinend
hat die iranische Führung entschieden, dass es jetzt weit
wichtiger ist, die Wirtschaft zu fördern, als mit der Bombe
zu spielen. Während sie von Natur aus Händler sind – Basar
ist auch ein persisches Wort – mögen sie die Bombe
aufgeben, damit die Sanktionen aufgehoben würden und die
Reichtümer Irans für den Wohlstand der Bürger ausgenützt
werden können, die hoffen, eine fortgeschrittene moderne
Gesellschaft zu werden. Deshalb wählten Khamenei und das
Volk jemanden wie Roukhani.
IN DIESER
Woche strahlte das israelische Fernsehen einen
Dokumentarfilm über das Leben der Israelis im Iran zur Zeit
des Shahs aus. Es war ein regelrechtes Paradies (auch ein
persisches Wort). Die Israelis lebten wie Gott in
Frankreich. Sie bauten die gefürchtete geheime Polizei
auf(Der Savak – nicht mit dem Shaback, dem israelischen
Model- zu verwechseln)Sie nahmen sich seiner Generäle an,
von denen die meisten in Israel ausgebildet wurden. Sie
bauten seine Industrie auf und begannen seine nuklearen
Einrichtungen zu bauen. Reine Nostalgie.
Iranisches Öl
wurde nach Europa durch Israel exportiert, und zwar mittels
einer Pipeline, die zwischen Elath und Askalon gelegt und
vom Shah finanziert wurde. Der
amerikanisch-israelisch-iranische Deal, als Iran-Gate
bekannt, wurde in den frühen Tagen des Ayatollahs
(buchstäblich: Zeichen des Allah) ausgedacht.
Diejenigen,
die in der Geschichte zurückgehen wollen, sollen an die
Tatsache, erinnert werden, dass die Juden Dank des großen
persischen Kaisers Cyrus , aus der babylonischen
Gefangenschaft nach Jerusalem zurückkehren konnten, wie es
denn auch in der Bibel berichtet wird( in den Büchern Ezra
und Nehemia).
Die moderne
Verbindung zwischen Israel und dem Iran wurde auf der
gemeinsamen Feindschaft gegen die Araber aufgebaut und
könnte leicht wieder ins Blickfeld geraten. Politik ist wie
Pornographie ???, sie sind eine Sache der Geographie.
DIE
KRIEGSMÜDE amerikanische Bevölkerung scheint geneigt zu
sein, sich mit den Iranern zu arrangieren. Businessmen
wollen Basarhändler treffen und hoffen, einen Deal zu
machen statt Krieg.
Zur selben
Zeit ist auch in Syrien eine positive Entwicklung möglich.
Jetzt, wo die USA und Russland entdeckt haben, dass sie in
dieser kritischen Region zusammen arbeiten können, mögen
die beiden Seiten des Bürgerkrieges des gegenseitigen
Mordens müde sein und mit einer politischen Lösung (die ich
letzte Woche z.B. beschrieben habe) übereinstimmen.
Dies würde
zwei gestohlene Kriege machen – gestohlen von jenen, die an
einem primitiven Glauben festhalten und darin
übereinstimmen, die einzige Lösung für jedes Problem sei die
Anwendung nackter Gewalt.
Eine Dame
aus Pakistan sandte mir folgendes Wort von Bertrand Russell:
„Ich habe
einen sehr einfachen Glauben, dass Leben und Freude und
Schönheit besser als der staubige Tod sind, und ich denke,
wenn wir der Musik lauschen, müssen wir alle empfinden,
dass die Fähigkeit, solch eine Musik zu produzieren und die
Fähigkeit, Musik zu hören, eine Sache ist, die sich lohnt zu
erhalten und nicht in törichte Zankerei geworfen werden
sollte. Man mag sagen, es ist ein einfacher Glaube, aber ich
denke, dass alles Bedeutsame tatsächlich sehr einfach ist.“
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)