„Links, aber…..“
Uri Avnery, 6.9.06
ICH SAH einmal in
einem politischen Kabarett einen netten Sketch:
mehrere Leute auf der Bühne gaben einige nicht
zusammenhängende Sätze von sich, die alle mit „aber “
endeten. Z.B. „Einige meiner besten Freunde sind Juden,
aber …“ „Ich habe nichts gegen Schwarze, aber …“, „Ich
verabscheue wirklich den Rassismus, aber …“
Während des letzten
Krieges hörte ich häufig ähnliche Worte: „Ich bin ein
Linker, aber…“ Diesen Worten folgten ausnahmslos –
wirklich ausnahmslos! – rechte Statements.
Es sieht so aus,
als hätten wir eine ganze Gesellschaft von „Links,
aber“-Leuten , die die Vernichtung ganzer libanesischer
Dörfer, die Verwandlung des Libanon in einen
Ruinenhaufen, die Zerstörung der Häuser über den Köpfen
der Bewohner vorschlagen, um vielleicht auch das Haus zu
treffen, in dem sich Hassan Nasrallah aufhält – und
wenn wir gerade dabei sind: auch den Gazastreifen von
der Erdoberfläche verschwinden zu lassen.
Wenn ich solchen
Sätzen am Fernseher, im Radio oder in der Zeitung
begegne, bin ich versucht zu beten: Lieber Gott, lass
mich ehrlichen Faschisten gegenüber stehen und nicht
diesen „Links,aber“-Leuten!
WÄHREND MAN den 2.
Libanonkrieg analysiert, ist es unmöglich, die Rolle zu
ignorieren, die die Linken – mit oder ohne
Anführungszeichen - während des Krieges gespielt haben.
Vorgestern sah ich
im Fernsehen ein Interview mit dem Dramatiker Josua
Sobol, einer liebenswürdigen Person, bekannt als echter
Linker. Er erklärte, dass uns dieser Krieg bedeutende
Vorteile gebracht habe, und sang ein Loblied auf den
Verteidigungsminister Amir Peretz.
Sobol ist keine
Ausnahme. Als die Regierung diesen Krieg begann, wurde
sie von einer eindrucksvollen Reihe Schriftsteller
unterstützt. Amos Oz, A.B.Yehoshua und David Grossman,
die regelmäßig als politisches Trio erscheinen,
unterstützten wieder gemeinsam die Regierung und nutzten
ihre beträchtlichen verbalen Talente, um den Krieg zu
rechtfertigen. Das genügte ihnen aber noch nicht: einige
Tage nach Beginn des Krieges veröffentlichten die drei
gemeinsam eine Annonce in den Zeitungen, in der sie
ihre Unterstützung des Krieges begeistert zum Ausdruck
brachten.
Ihre Unterstützung
war nicht nur passiv. Amos Oz, ein Schriftsteller mit
großem literarischem Prestige weltweit, schrieb einen
Artikel zugunsten des Krieges, der in bedeutenden
ausländischen Zeitungen erschien. Ich würde mich nicht
wundern, wenn ihm „jemand“ beim Verteilen geholfen hat.
Auch seine beiden Kollegen waren aktiv dabei, den Krieg
zu propagieren, zusammen mit vielen andern
Schriftstellern wie Yoram Kaniuk, verschiedenen
Künstlern und Intellektuellen – mit und ohne
Anführungszeichen. Alle leisteten freiwillig
Propagandadienste, ohne auf einen Marschbefehl zu
warten.
Ich bezweifle, dass
der Krieg ohne diese massive Unterstützung der „Links,
aber“-Leute solche monströsen Ausmaße angenommen hätte.
Sie ermöglichten erst eine so allseitige Zustimmung, die
die Proteste des unbeirrbaren Friedenslagers ignorierte.
Dieser Konsens riss die Meretz-Partei mit sich, deren
Guru Amos Oz ist, und auch Peace Now, in deren Massen-
Rallyes Amos Oz der Hauptredner zu sein pflegte (als sie
noch fähig war, Massenrallyes auf die Beine zu bringen).
Einige Leute
behaupten jetzt, dass diese Gruppe wirklich gegen den
Krieg war. Nämlich: Einige Tage vor Kriegsende
veröffentlichten sie wieder eine gemeinsame Annonce, in
der sie diesmal zu einem Ende des Krieges aufriefen.
Zur selben Zeit änderten auch Meretz und Peace Now ihren
Kurs. Aber keiner entschuldigte sich oder zeigte Reue
über seine vorherige Unterstützung des Mordens und der
Zerstörung. Ihre neue Position war, dass der Krieg
tatsächlich gut war, dass nun aber die Zeit gekommen
sei, ihn zu beenden.
WELCHE GRÜNDE hat
diese Stellungnahme?
Zu dem Angriff
entschied sich die Regierung als scheinbare Antwort auf
die Aktion der Hisbollah, die zwei israelische Soldaten
auf der israelischen Seite der Grenze gefangen nahm
und einen Austausch mit libanesischen Gefangenen in
israelischen Gefängnissen vorschlug. Bei dieser Aktion
wurden mehrere Kameraden der gefangenen Soldaten getötet
und einige andere Soldaten starben, als ihr Tank auf
eine Mine fuhr, während dieser die Gefangenen auf der
libanesischen Seite der Grenze zu verfolgen versuchte.
Die israelische
Öffentlichkeit reagierte natürlich mit Wut und rief nach
Rache. Aber von Intellektuellen – besonders von „Linken“
- könnte man erwartet haben, dass sie einen kühlen
Kopf bewahren, besonders in Zeiten, die emotional
aufgeladen sind. Unter ähnlichen Umständen hat sogar
Ariel Sharon extreme Reaktionen vermieden und war mit
einem Gefangenenaustausch einverstanden gewesen.
Diejenigen, die
nicht den Mut dazu hatten ( übrigens „oz“ bedeutet im
Hebräischen Stärke und Mut), und diejenigen, die
wirklich glaubten, die Aktion der Hisbollah müsse mit
einer starken Reaktion erwidert werden, hätten eine
begrenzte militärische Vergeltungsmaßnahme rechtfertigen
können. An jenem Tag war es legitim, sich denen
anzuschließen, die eine vernünftige Reaktion verlangten.
Aber schon nach 48 Stunden war klar, dass es sich nicht
um eine maßvolle, sondern eine massive Reaktion
handelte. Es ging nicht darum, der Hisbollah und dem
ganzen libanesischen Volk „ eine Botschaft zu senden“,
dass solch eine Provokation nicht unbestraft bleiben
würde. Israel hatte ganz andere Ziele.
Am 2. oder 3.
Kriegstag war schon jeder denkenden Person klar – und
rühmen sich nicht Intellektuelle, solch eine Person zu
sein? – dass dies ein wirklicher Krieg war, der weit
über das Problem der gefangen genommenen beiden Soldaten
ging. Das systematische Bombardement der libanesischen
Infrastruktur machte klar, dass der Krieg im voraus
geplant und dass es sein Ziel war, die Hisbollah zu
vernichten und die politischen Realitäten im Libanon zu
verändern. Dazu brauchte man nur den Erklärungen von
Olmert, Peretz und Halutz zuzuhören.
DIES WAR ein
wirklicher Test der Intellektuellen. Man kann ihnen ihre
erste Reaktion noch verzeihen. Man könnte sagen, sie
waren mitgerissen worden, wie es Leuten bei Beginn
eines Krieges oft geschieht. Man könnte sagen, sie
haben den Kontext nicht verstanden (eine schreckliche
Anklage, wenn sie Intellektellen ins Gesicht
geschleudert wird). Aber vom dritten Tag an gelten
solche Rechtfertigungen und Entschuldigungen nicht mehr.
Die Armeechefs
verbargen die schreckliche Zerstörung, die sie im
Libanon anrichteten, nicht – im Gegenteil: sie prahlten
damit. Es war klar, Hunderttausenden war entsetzliches
Leiden zugefügt worden, viele Zivilisten waren getötet
worden und viele, viele hatten all ihr Hab und Gut in
den Dörfern und Städten, die systematisch zerstört
worden waren, verloren Gleichzeitig wurde der
Bevölkerung im Norden Israels schweres Leid zugefügt.
Wie konnten
Schriftsteller mit Gewissen, noch dazu Linke mit
humaner Einstellung sich ruhig verhalten, wenn solche
Grausamkeiten begangen werden? Wie können sie der
Propagandamaschinerie des Krieges dienen?
Die Schriftsteller
konnten zwar nicht wissen, dass die Armeechefs der
Regierung schon am 6. Kriegstag mitgeteilt hatten, die
erreichbaren Kriegsziele seien erreicht worden und mehr
könne nicht erreicht werden, (wie die Rückkehr der
Gefangenen, die Entwaffnung der Hisbollah). Mit andern
Worten: sogar von einem rein militärischen Standpunkt
aus gab es keinen Grund, mit dem Schrecken fort zu
fahren; trotzdem ging er dann noch 27 Tage und Nächte
weiter. Wenn jedoch irgendein Protest, selbst ein
schwacher, von Seiten der Schriftsteller gehört worden
wäre, hätte dies die politischen und militärischen
Führer wohl dahin gebracht, noch einmal nachzudenken.
Aber solch einen Protest gab es nicht.
Als die
Schriftsteller endlich in der 5.(fünften!)Woche
aufwachten und zur Beendigung des Krieges aufriefen,
war es zu spät. Sie waren dann nicht mehr nötig. Die
schwerfällige UN war schon darum bemüht, das Ende der
Feindlichkeiten zu erreichen.
Die tragische Seite
war, dass David Grossmans Sohn Uri in den Kämpfen der
letzten Kriegsstunden getötet wurde.
WIE KAM es, dass
sich die „Links, aber“-Leute so verhalten haben?
Man könnte
oberflächliche Gründe finden. Es ist für Linke sehr
schwierig, sich gegen die Regierung zu erheben, in der
die Laborpartei eine wichtige Rolle spielt. Das traf
auch für das Jahr 2000 zu, als der Laborführer Ehud
Barak den Camp David-Gipfel zu Fall brachte und mit dem
fatalen Slogan zurückkehrte: „Wir haben keinen
Partner! Es gibt niemanden, mit dem wir reden können!“
Das traf aber nicht
für den 1.Libanonkrieg 1982 zu, als der Likud an der
Macht war, weil damals sogar die „Links, aber“-Leute
unter der Führung von Shimon Peres und Yitzhak Rabin
den Krieg unterstützten. Während der Belagerung von
Beirut, war Rabin Gast bei Sharon, stand auf den Ruinen
und schlug vor, der Bevölkerung im belagerten Westteil
der Stadt das Wasser zu sperren und die
Medizinversorgung zu verhindern. (Zur selben Zeit traf
ich mich mit Arafat in diesem Stadtteil). Erst nach der
3. Kriegswoche schloss sich Peace Now dem Protest an.
Nach dem Sabra- und
Shatila-Massaker rief Peace Now zu der Protestdemo auf,
auf der ihr guter Ruf beruht: die Demonstration mit den
legendären 400 000 Demonstranten. Das waren der
Höhepunkt ihres Erfolges und der Anfang des
Unterganges. Denn um die Dimensionen der Demonstration
sicher zu stellen, schloss Peace Now zwar keinen Pakt
mit dem Teufel, aber mit der Heuchelei. Für die Hilfe
der Laborpartei luden sie Peres und Rabin als
Hauptredner ein - obwohl sich am Vorabend des Krieges
die beiden mit Menachem Begin getroffen und öffentlich
von ihm gefordert hatten, in den Libanon einzufallen.
DA GIBT ES aber
noch tiefere Gründe für das Benehmen der „Links,
aber“-Leute in Kriegszeiten .
Seit der Gründung
der jüdischen Arbeiterbewegung im Land litt die Linke an
inneren Widersprüchen: sie war beides - sozialistisch
und nationalistisch. Von den beiden Komponenten war
der Nationalismus weit wichtiger. Deshalb gründete sich
die Mitgliedschaft im Gewerkschaftsbund (Histadrut)
streng nach nationalen Klassifizierungen: keinem
einzigen Araber war es erlaubt, Mitglied in der
Körperschaft zu werden, deren offizieller Name war „Die
Organisation der hebräischen Arbeiter in Erez-Israel“.
Erst Jahre nach der Gründung des Staates Israel war es
Arabern gestattet, Mitglied zu werden.
Eine der
wichtigsten Aufgaben der Histadrut war es, mit allen
Mitteln – selbst mit Gewaltanwendung – zu verhindern,
dass Araber jüdische Arbeitsplätze einnahmen. Es wurde
deshalb sogar Blut vergossen.
Das trifft auch für
die ruhmreichste aller sozialistischen Schöpfungen zu:
den Kibbuz. Auch hier war es keinem Araber erlaubt,
Mitglied zu werden. Das war kein Zufall: Die
Kibbuzzim sahen sich als Realisierung eines
sozialistischen Traumes, aber auch als Festungen des
jüdischen Kampfes um das Land. Die Schaffung eines
neuen Kibbuzes, wie Hanita an der libanesischen Grenze,
1938, wurde wie ein nationaler Sieg gefeiert.
Der am weitesten
linke Teil der Kibbuz-Bewegung, Hashomer Haza’ir, (die
Basis der ehemaligen Mapam-Partei, jetzt Meretz) hatte
einen offiziellen Slogan: „Für Zionismus, Sozialismus
und für die Brüderlichkeit aller Völker“. Auch die
Reihenfolge war nicht zufällig: sie drückt die wahren
Prioritäten aus. Hashomer Haza’ir verehrte tatsächlich
Stalin, „die Sonne der Völker“, bis zu seinem Tod. Aber
ihre wichtigsten Schöpfungen waren die Siedlungen,
gewöhnlich auf Land, das reichen Landbesitzern abgekauft
worden war, nachdem die Fellachen, die dieses Land seit
Generationen bearbeitet hatten, vertrieben worden waren.
Nach der Gründung Israels wurden die Hashomer Haza’ir
Kibbuzim auf dem Land der Flüchtlinge oder auf dem
enteigneten Land arabischer Bürger Israels gebaut. Der
Kibbuz Bar’am liegt auf dem Land des Dorfes Bir’am, aus
dem die arabische Bevölkerung nach den Kämpfen 1948
vertrieben wurden. Viel Zionismus, aber wenig
Brüderlichkeit der Völker.
Bei jedem
wirklichen Test wird dieser innere Widerspruch der
„Zionistischen Linken“ (wie sie sich gerne selbst
nennen) deutlich. Das ist die Wurzel des schizophrenen
Verhaltens der „Links, aber“-Leute.
Wenn die Kanonen
donnern und die Flaggen gehisst werden, dann stehen die
„Linken, aber“ in Hab-acht-Stellung und grüßen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert) |