Rassisten für Demokratie
Uri Avnery, 30.5. 09
WIE GLÜCKLICH können wir uns schätzen, eine extreme Rechte zu
haben, die über unsere Demokratie wacht.
In dieser Woche stimmte die Knesset mit großer Mehrheit ( 47 zu
34 Stimmen) für ein Gesetz, das jeden mit Gefängnis bestraft, der
zu leugnen wagt, dass Israel ein „jüdischer und demokratischer
Staat“ sei.
Die Gesetzesvorlage des Knessetmitglieds Zevulun Orlev von der
„Jüdisches Heim-Partei“, rutschte durch die vorbereitenden
Verhandlungen . Sie sieht ein Jahr Gefängnisstrafe für jeden vor,
der „einen Aufruf veröffentlicht, der die Existenz des Staates
Israels als eines jüdischen und demokratischen Staates leugnet“ und
wenn der Inhalt des Aufrufs „Aktionen von Hass, Verachtung oder
Illoyalität gegen den Staat oder die Institutionen der Regierung
oder des Gerichts verursacht“.
Was dem folgt, kann voraus gesehen werden. Anderthalb Millionen
arabische Bürger könnten Israel nicht als jüdischen und
demokratischen Staat anerkennen. Sie wollen, dass er „ein Staat für
alle seine Bürger“ ist – für Juden, Araber und andere. Sie behaupten
auch nicht ohne Grund, dass Israel sie diskriminiere und deshalb
keine wirkliche Demokratie sei. Und außerdem gibt es auch Juden,
die nicht wollten, dass Israel als jüdischer Staat definiert würde,
in dem Nicht-Juden einen Status haben, der bestenfalls als
tolerierte Gäste bezeichnet werden könne.
Die Konsequenzen sind unvermeidlich. Die Gefängnisse werden nicht
für alle ausreichen, die dieses Verbrechens bezichtigt werden. Es
müssen über das ganze Land Konzentrationslager verteilt werden, um
alle Leugner der israelischen Demokratie aufzunehmen.
Die Polizei wird nicht in der Lage sein, sich mit so vielen
Kriminellen zu befassen. Man wird eine neue Einheit aufbauen müssen.
Man könnte sie „Spezielle Sicherheit“ oder abgekürzt SS nennen.
Hoffen wir, dass diese Maßnahmen genügen, um die Demokratie zu
bewahren. Wenn nicht, müssen striktere Maßnahmen vorgenommen werden,
wie z.B. die Annullierung der Staatsbürgerschaft für den
Demokratieleugner und die Deportation aus dem Land, zusammen mit
den jüdischen Linken und all den anderen Feinden der jüdischen
Demokratie.
Nach der Annahme der Gesetzesvorlage bei der 1. Lesung wird sie
nun das juristische Komitee der Knesset passieren, das sie für die
erste und bald danach für die 2. und 3. Lesung vorbereiten wird.
Innerhalb weniger Wochen oder Monate wird sie zu einem Gesetz des
Landes.
Übrigens werden die Araber in der Gesetzesvorlage nicht
ausdrücklich erwähnt – auch wenn das klare Absicht ist. Alle die
dafür stimmten, verstanden das. Es verbietet auch Juden, für eine
Veränderung der Definition des Staates zu agitieren oder einen
binationalen Staat im ganzen historischen Palästina zu befürworten
oder eine andere derart unkonventionelle Idee zu verbreiten. Man
kann sich kaum vorstellen, was in den USA geschehen würde, wenn
ein Senator ein Gesetz vorschlagen würde, das jedem mit
Gefängnisstrafe droht, der eine Änderung der Verfassung der USA
vorschlagen würde.
DIE GESETZVOLAGE ist in unserer politischen Landschaft nichts
Außergewöhnliches.
Die Regierung hat schon eine Gesetzesvorlage angenommen, die jeden
mit drei Jahren Gefängnis bestraft, der die palästinensische Nakba
betrauert – das Geschehen, das 1948 die Entwurzelung von mehr als
der Hälfte der palästinensischen Bevölkerung aus ihren Häusern und
von ihrem Land verursachte.
Die Befürworter erwarten, ein arabischer Bürger müsse über das
Ereignis glücklich sein. Die Palästinenser hätten zwar gewisse
Unannehmlichkeiten erlitten, aber das sei nur eine Randerscheinung
bei der Gründung unseres Staates gewesen. Der Unabhängigkeitstag des
jüdischen und demokratischen Staates muss uns alle mit Freude
erfüllen. Jeder, der nicht seine Freude zum Ausdruck bringt, sollte
eingesperrt werden – und drei Jahre werden wohl nicht genügen.
Diese Gesetzesvorlage war von der ministeriellen Kommission für
juristische Angelegenheiten bestätigt worden, bevor sie der Knesset
vorgelegt wird. Da die rechtsorientierte Regierung über eine
Mehrheit in der Knesset verfügt, wird sie fast automatisch
angenommen werden. (In der Zwischenzeit ist durch einen der Minister
eine leichte Verzögerung verursacht worden, der gegen die
Entscheidung Einspruch erhoben hat; also muss die ministerielle
Kommission sie noch einmal bestätigen).
Die Befürworter des Gesetzes hoffen vielleicht, dass die Araber am
Nakba-Tag auf den Straßen tanzen werden, israelische Flaggen auf
die Ruinen der etwa 600 Dörfer aufstellen, die ausgelöscht wurden,
und in den Moscheen Allah für das wundersame Glück, das ihnen
beschieden worden ist, preisen .
DAS BRINGT mich zurück zu den 60er-Jahren, als mein Wochenmagazin „Haolam
Hazeh“ auch auf arabisch veröffentlicht wurde. Einer seiner
Mitarbeiter war ein junger Mann, der sich Rashed Hussein nannte und
aus dem Dorf Musmus kam. Schon als Jugendlicher war er ein begabter
Dichter mit einer verheißungsvollen Zukunft.
Er
erzählte mir, dass er einige Jahren zuvor ins Büro des
Militärgouverneurs seines Bezirkes zitiert worden sei. Damals waren
alle Araber Israels einer Militärregierung unterworfen, die alle -
die großen wie die kleinen - Aspekte ihres Lebens kontrollierte.
Ohne Genehmigung durfte ein arabischer Bürger nicht einmal für ein
paar Stunden sein Dorf oder seine Stadt verlassen oder einen Job
als Lehrer bekommen noch einen Traktor kaufen oder einen Brunnen
bohren.
Der Gouverneur empfing Rashed herzlich, bot ihm Kaffe an und
lobte seine Gedichte überschwänglich. Dann kam er zur Sache: einen
Monat später war der Unabhängigkeitstag und der Gouverneur sollte
den arabischen „Notabeln“ einen großen Empfang geben.
So bat er Rashed, für diese Gelegenheit ein besonderes Gedicht zu
schreiben.
Rashed war ein stolzer Jugendlicher, durch und durch
nationalistisch gesinnt und es fehlte ihm nicht an Mut. Er erklärte
dem Gouverneur, dass der Unabhängigkeitstag für ihn kein Freudentag
sei, da seine Verwandten aus ihren Häusern vertrieben worden seien
und der größte Teil des Landbesitzes des Dorfes Musmus auch
enteignet worden sei.
Als Rashed nach einigen Stunden in sein Dorf zurückkehrte, bemerkte
er, dass ihn seine Nachbarn merkwürdig anschauten. Als er seine
Wohnung betrat, war er geschockt. Die Familienmitglieder saßen alle
auf dem Fußboden, die Frauen klagten mit lauter Stimme, die Kinder
saßen dicht zusammengedrängt und ängstlich in einer Ecke. Sein
erster Gedanke war der, dass jemand gestorben sei.
„Was hast du uns getan?“ schrie eine der Frauen, „Was haben wir dir
getan?“
„Du hast die Familie zerstört,“ schrie eine andere, „Du hast uns
fertig gemacht!“
Es
kam heraus, dass der Gouverneur die Familie angerufen und ihr
gesagt hatte, Rashed habe sich geweigert, gegenüber dem Staat seine
Pflicht zu erfüllen. Die Drohung war klar: ab jetzt steht die
Großfamilie, eine der größten des Dorfes, auf der schwarzen Liste
der Militärregierung. Die Konsequenzen waren jedem klar.
Rashed konnte den Klagen seiner Familie nicht widerstehen. Er gab
nach und schrieb ein Gedicht, wie es gewünscht wurde. Aber in ihm
war etwas zerbrochen. Einige Jahre später wanderte er in die USA
aus, fand dort einen Arbeitsplatz im Büro der PLO und starb auf
tragische Weise. Er verbrannte lebendigen Leibes in seinem Bett, da
er – so schien es – mit einer Zigarette rauchend eingeschlafen war.
DIESE ZEITEN sind für immer vergangen. Wir nahmen an vielen
stürmischen Demonstrationen gegen die Militärregierung teil, bis
sie schließlich 1966 aufgehoben wurde. Als neu gewähltes Mitglied
des Parlamentes hatte ich das Privileg, für seine Aufhebung mit
abzustimmen.
Die ängstliche und unterwürfige arabische Minderheit – damals etwa
200 000 Seelen, erholte sich. Eine zweite und dritte Generation
wuchs heran, der unterdrückte Nationalstolz hob sein Haupt. Und
heute ist sie eine große und selbstbewusste Gemeinschaft von 1,5
Millionen. Aber die Haltung der jüdischen Rechten hat sich nicht zum
Besseren verändert.
Im
Gegenteil.
In
der Knesset-Bäckerei (das hebräische Wort für Bäckerei ist Maffia)
wird ein neues Gebäck gebacken. Eines davon ist eine
Gesetzesvorlage, die fordert, dass jeder, der die israelische
Staatsbürgerschaft beantragt, seine Loyalität zum „jüdischen,
zionistischen und demokratischen Staat“ erklären und auch
Militärdienst oder einen Zivildienst ableisten muss. Sein
Befürworter ist der Knessetabgeordnete David Rotem von der „Israel
unser Haus-Partei“, der zufällig auch der Vorsitzende des
Knesset-Gesetz-Komitees ist.
Eine Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen –
ein Rahmen, um das Wohlbefinden und die Rechte seiner Bürger zu
schützen - ist vernünftig. Aber Loyalität gegenüber einem
„zionistischen“ Staat? Zionismus ist eine Ideologie und in einem
demokratischen Staat kann sich die Ideologie von Zeit zu Zeit
ändern. Das wäre so, als ob man Loyalität gegenüber den
„kapitalistischen“ USA, einem „rechtsorientierten“ Italien, einem
„linksorientierten“ Spanien, einem „katholischen“ Polen oder einem
„nationalistischen“ Russland erklären würde.
Es
würde kein Problem für die Zehntausende von orthodoxen Juden in
Israel bedeuten, die den Zionismus ablehnen, da Juden von diesem
Gesetz nicht betroffen sind. Sie erhalten die Staatsbürgerschaft
automatisch in dem Augenblick, in dem sie in Israel ankommen.
Eine andere Gesetzesvorlage wartet darauf, im ministeriellen Komitee
an die Reihe zu kommen: sie schlägt vor, eine Erklärung zu
verändern, den jeder neue Knessetabgeordnete zu lesen hat, bevor er
sein Amt übernimmt. Anstelle von Loyalität „gegenüber dem Staat
Israel und seinen Gesetzen“, wie es bis jetzt hieß, soll er oder
sie aufgefordert werden, seine/ ihre Loyalität „gegenüber dem
jüdischen, zionistischen und demokratischen Staat Israel, seinen
Symbolen und seinen Werten“ auszusprechen. Dies würde fast
automatisch alle gewählten Araber ausschließen, denn nachdem sie
Loyalität gegenüber dem „zionistischen“ Staat erklärt hätten, würde
dies bedeuten, dass kein Araber je wieder für sie stimmen wird.
Es
würde auch ein Problem für die orthodoxen Mitglieder der Knesset
werden, die gegenüber dem Zionismus keine Loyalität erklären
können. Entsprechend der orthodoxen Doktrin sind die Zionisten
verworfene Sünder und die zionistische Fahne ist unrein. Gott hat
die Juden wegen ihrer Boshaftigkeit aus diesem Land vertrieben, und
nur Gott selbst kann ihnen erlauben, zurück zu kehren. Der Zionismus
hat die Aufgabe des Messias vorweggenommen und so eine
unverzeihliche Sünde begangen.
Viele orthodoxe Rabbiner blieben auf eigenen Wunsch in Europa und
wurden von den Nazis ermordet – sie wollten nicht die zionistische
Sünde begehen und nach Palästina gehen.
Die Fabrikation rassistischer Gesetze mit einem ausgesprochen
faschistischen Beigeschmack arbeitet nun mit Volldampf. Es ist Teil
der neuen Koalition.
In
ihrem Zentrum ist die Likudpartei, von der ein guter Teil rein
rassistisch ist ( pardon für das Oxymoron) Zu ihrer Rechten ist
die ultra-rassistische Shas-Partei, weiter rechts Liebermans
ultra-ultra-rassistische „Israel ist unsere Heimat“-Partei, danach
die ultra-ultra-ultra- rassistische „Jüdische Heimat-Partei“, die
unverhohlene Kahanisten einschließt und die mit einem Fuß in der
Koalition steht und mit dem anderen auf dem Mond.
All diese Fraktionen versuchen, einander zu übertreffen. Wenn
jemand eine verrückte Gesetzesvorlage vorschlägt, dann fühlt sich
der nächste gezwungen, eine noch verrücktere vorzuschlagen usw.
All dies ist möglich, weil Israel keine Verfassung hat. Die
Fähigkeit des Obersten Gerichtshofes, Gesetze zu annullieren, die
den „Grundgesetzen“ widersprechen, ist nirgendwo festgelegt. Und die
rechtsorientierten Parteien versuchen, diese aufzuheben. Es hatte
seinen guten Grund, warum Avigdor Lieberman das Justiz- und
Polizeiministerium forderte - und dann auch erhielt.
Gerade jetzt, wo die Regierungen der USA und Israel wegen der
Siedlungen auf einem klaren Kollisionskurs stehen, könnte das
rassistische Fieber alle Teile der Koalition infizieren.
Wenn man mit einem Hund ins Bett geht, sollte man nicht
überrascht sein, wenn man mit Flöhen aufwacht (die Hunde mögen mir
verzeihen) . Diejenigen, die solch eine Regierung wählten und noch
mehr jene, die sich ihr anschlossen, sollten von solchen Gesetzen
nicht überrascht sein, die angeblich die jüdische Demokratie
schützen.
Der Name, der zu diesen heiligen Kriegern am ehesten passen würde,
wäre: „Rassisten für Demokratie“.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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