Sir Winston Peres
Uri Avnery, 9.5.09
ALS ERSTES möchte ich mich bei all den guten Frauen entschuldigen,
die im ältesten Gewerbe der Welt tätig sind.
Ich hatte vor kurzem Shimon Peres als einen politischen
Prostituierten beschrieben. Eine meiner Leserinnen hat heftig
dagegen protestiert. Sie wies darauf hin, Prostituierte verdienten
ihr Geld auf ehrliche Weise; sie hielten, was sie versprechen.
Unser Präsident dagegen sagt nur durch Zufall die Wahrheit. Er ist
ein politischer Betrüger und ein politischer Heuchler. Auch zu ihm
passen die Worte Winston Churchills über einen früheren
Ministerpräsidenten: „Der ehrenwerte Gentleman stolpert zuweilen
über die Wahrheit, aber er eilt schnell weiter, als sei nichts
geschehen.“ Oder auch die Worte des früheren Ministers Amnon
Rubinstein über Ariel Sharon: „ Er errötet, wenn er die Wahrheit
sagt.“
Wie ein reisender Händler, der gefälschte Produkte anbietet,
verkauft Peres jetzt die Ware mit Namen Binyamin Netanyahu. Er
präsentiert der Welt einen Netanyahu, den wir nie gekannt haben:
ein Friedensmacher, ein Inbegriff der Aufrichtigkeit, ein Mann
mit keinen anderen Ambitionen, um als Gründer in die Geschichte
des palästinensischen Staates einzugehen; ein Gerechter, der alle
nicht-jüdischen Gerechten in den Schatten stellen will.
DOCH ALL diese Lügen sind nichts im Vergleich, den Holocaust zu
trivialisieren.
In
einigen Ländern ist dies ein Verbrechen, das mit Gefängnisstrafe
geahndet wird. Das Trivialisieren hat mehrere Gestalten, z.B. die
Behauptung, dass es nie Gaskammern gegeben habe. Oder, dass nicht
sechs Millionen Juden getötet worden seien, sondern nur
sechshundert tausend. Aber die gefährlichste Form der Minimierung
ist der Vergleich des Holocausts mit vorübergehenden Ereignissen,
indem man ihn ‚in ein Detail der Geschichte’ verwandelt, wie
Jean-Marie Le-Pen in infamer Weise sagte .
In
dieser Woche beging Shimon Peres genau dieses Verbrechen.
Wie ein Lakai, der seinem König voranschreitet und Blumen streut,
flog Peres in dieser Woche in die USA, um den Boden für Netanyahus
nächsten Besuch vorzubereiten. Er drängte sich selbst einem
unwilligen Barack Obama auf, der ihn empfangen musste.
Er
benahm sich wie ein neuer Winston Churchill, der Mann, der die Welt
seinerzeit vor dem Aufstieg Nazi-Deutschlands warnte, und sagte in
schwülstiger Rede : „Als Juden können wir den Iran nur mit
Nazi-Deutschland vergleichen.“
Zu
diesem Satz müssen wenigstens drei Dinge gesagt werden: a) er ist
nicht wahr, b) er trivialisiert den Holocaust und c) er
reflektiert eine katastrophale Politik.
ÄHNELT DER Iran wirklich Nazi-Deutschland?
Ich liebe das Regime dort keineswegs. Als engagierter Atheist, der
auf einer totalen Trennung zwischen Staat und Religion besteht, bin
ich gegen ein Regime, das sich auf religiöse Glaubenssätze gründet –
im Iran, in Israel und in jedem anderen Land.
Außerdem liebe ich Politiker wie Mahmoud Ahmadinejad nicht. Ich bin
allergisch gegen solche Führer, die auf Balkonen stehen und zu den
Massen drunten Reden halten; ich verabscheue Demagogen, die die
niedrigsten Instinkte von Hass und Angst ansprechen.
Leider ist Ahmadinejad nicht der einzige dieses Typs. Tatsächlich
ist die Welt voll davon, und einige unter ihnen sind die ergebensten
Unterstützer der israelischen Regierung. Auch in Israel fehlen uns
an solchen Leuten nicht .
Aber der Iran ist kein faschistischer Staat. Offensichtlich gibt es
dort eine Menge Freiheit, einschließlich der Meinungsäußerung.
Ahmadinejad ist nicht der einzige Präsidentschafts-kandidat in der
gegenwärtigen Wahlkampagne. Es gibt noch eine Anzahl anderer,
einige von ihnen sind radikaler, einige weniger radikal.
Der Iran ist auch kein antisemitischer Staat. Eine jüdische Gemeinde
lebt dort, und ihre Mitglieder weigern sich zu emigrieren, da sie
dort ein angenehmes Leben führen können. Sie erfreuen sich
religiöser Freiheit und haben im Parlament einen Vertreter. Selbst
wenn wir solche Berichte nicht als bare Münze nehmen, ist es klar,
dass Juden im Iran nicht wie Juden im Nazi-Deutschland verfolgt
werden.
Und , was am meisten zählt: der Iran ist kein aggressives Land. Es
hat seine Nachbarn seit Jahrhunderten nicht angegriffen. Der lange
und blutige Irak-Iran-Krieg war von Saddam Hussein begonnen worden.
Es sollte auch daran erinnert werden, dass Israel damals (im
Gegensatz zu den USA) die iranische Seite unterstützt und sogar mit
Waffen versorgt hat. (Eine solche Aktion wurde zufällig in der
Irangate-Affäre aufgedeckt) Vor der Khomeiny-Revolution war der Iran
der wichtigste Verbündete Israels in der Region .
Ahmadinejad hasst Israel. Aber es war bestritten worden, dass er
mit der Vernichtung Israels gedroht habe. Es sieht so aus, als ob
der wichtigste Satz in der berühmten Rede ( im Oktober 2005) falsch
übersetzt war: Er erklärte nicht seine Entschlossenheit, Israel von
der Landkarte zu löschen, sondern drückte seine Meinung aus, Israel
werde von der Landkarte verschwinden.
Offen gesagt, ich denke nicht, dass es zwischen den beiden Versionen
einen großen Unterschied gibt. Wenn der Führer eines großen Landes
voraussagt, dass mein Staat verschwindet, dann beunruhigt es mich.
Wenn dieses Land alles Mögliche tut, um Nuklearwaffen zu
produzieren, dann beunruhigt mich das sogar noch mehr. Ich ziehe
Schlüsse – aber davon später.
Außerdem ist Ahmadinejad – anders als Hitler - nicht die oberste
verantwortliche Führungspersönlichkeit des Landes. Er steht unter
der wirklichen Führung, die aus Klerikern besteht. Alle Anzeichen
deuten darauf hin, dies sind keine Abenteurer. Im Gegenteil sind sie
sogar sehr ausgewogen, behutsam und klug. Nun versuchen sie
vorsichtig, einen Weg des Dialogs mit den USA, um eine Übereinkunft
zu erreichen, ohne ihre regionalen, ganz normalen Ambitionen dabei
zu opfern.
Kurz gesagt: die Reden eines einzelnen demagogischen Führers
verwandeln ein Land nicht in ein Nazi-Deutschland. Iran ist kein
verrücktes Land. Es hat kein wirkliches Interesse an
Israel-Palästina. Seine Interessen liegen im Gebiete des Persischen
Golfes, und es wünscht, seinen Einfluss auf die arabische Welt zu
vergrößern . Seine Beziehungen mit Syrien, der Hisbollah und der
Hamas dienen vor allem diesem Zweck, und dazu dient auch die
anti-israelische Hetze von Ahmadinejad.
Kurz: dem Vergleich zwischen dem Iran und Nazi-Deutschland fehlt
die sachliche Basis.
VOM JÜDISCHEN Standpunkt aus ist der Vergleich sogar noch
anstößiger.
Der Holocaust war ein einzigartiges Verbrechen. Das 20. Jahrhundert
hat noch andere schreckliche genozidale Ereignisse gesehen, aber
keines ähnelt der Shoa. Im ottomanischen Reich fand das entsetzliche
Massaker an den Armeniern statt – es war ein Genozid. Hitler selbst
hat ihn erwähnt und sagte, dass die Vernichtung der Juden ähnlich in
Vergessenheit geraten werde. Stalin tötete Millionen von
Sowjetbürgern im Namen einer monströsen Ideologie, die als eine
humanistische Überzeugung begann. So auch Pol Pot, der Millionen
tötete, um die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. In Ruanda
massakrierten Mitglieder des einen Stammes Mitglieder eines anderen
Stammes – und die Liste kann leider fortgesetzt werden.
Aber Nazi-Deutschland war einzigartig, indem es die Maschinerie der
modernen Industriegesellschaft einsetzte, um hilflose Minderheiten
in einer langen, geplanten und äußerst gut organisierten Aktion zu
eliminieren, an der alle Teile der staatlichen Organisationen
beteiligt waren (Vergessen wir nicht die Roma, die Geisteskranken
und die Homosexuellen). Wäre das Naziregime nicht im Krieg besiegt
worden, hätte Hitler mit der Vernichtung von viel mehr Millionen von
Polen, Ukrainern und Russen weitergemacht.
Nichts dergleichen kann man vernünftigerweise im Iran erwarten.
Weder die Ideologie noch die Zusammensetzung des Regimes noch
andere Anzeichen führen in diese Richtung. Soweit es seine nuklearen
Fähigkeiten betrifft – so wird Israels Abschreckungsmacht keinen
solchen Gedanken aufkommen lassen. (Vergessen wir nicht, dass das
einzige Land, das je Atombomben abwarf, unsere Freunde, die USA
gewesen sind).
Nichts, was heute in der Welt geschieht, ähnelt der Shoa, in der
sechs Millionen Juden ausgelöscht wurden. Die Palästinenser
vernichteten keine sechs Millionen Israelis, und wir töteten keine
sechs Millionen Palästinenser. Die Araber mit den Nazis zu
vergleichen, ist nicht weniger abstoßend, als wenn man die Israelis
mit den Nazis vergleicht. Viele schreckliche Dinge sind in unserm
Namen begangen worden und werden noch begangen – aber sie sind so
weit von den Taten der Nazis entfernt wie die Erde von entfernten
Galaxien.
Jeder solche Vergleich um irgendeiner Propaganda willen
trivialisiert den Holocaust und macht seine Täter weniger schuldig.
Wenn die Nazis nicht schlimmer waren als die Ayatollas, dann war die
Shoa nicht so schrecklich, wie sie war.
Bei all meinen Kontakten mit palästinensischen Führern,
einschließlich Yasser Arafat, habe ich immer geraten, diesen
ärgerlichen Vergleich zu unterlassen. Dies wäre auch ein guter Rat
für unsere eigenen Führer.
IST DER Vergleich des Iran mit Nazi-Deutschland im israelischen
Interesse?
Der Iran besteht. Er war unser Verbündeter in der Vergangenheit und
wird in der Zukunft wieder unser Verbündeter werden können.
Regierungen kommen und gehen, aber geopolitische Interessen
verändern sich nicht so leicht. Ahmadinejad wird durch einen anderen
ersetzt werden, der die iranischen Interessen in einem anderen Licht
sehen wird.
Die nukleare Bedrohung Israels wird nicht verschwinden – weder durch
eine (schlechte) Rede von Peres, noch durch eine (gute) Rede von
Netanyahu. In der ganzen Region werden nukleare Installationen
aufgebaut werden. Dieser Prozess kann nicht aufgehalten werden. alle
benötigen Atomkraft, um Wasser zu entsalzen, um Strom zu erzeugen,
ohne die Umwelt zu zerstören. Ein israelischer Professor, ein
früherer Mitarbeiter in Dimona, sagte in dieser Woche: wir müssen
unsere Nuklearpolitik neu überdenken. Es kann sehr wohl zu unserem
Vorteil sein, die Forderungen der amerikanischen
Regierungssprecherin zu akzeptieren, dass Israel (sowie auch Indien
und Pakistan) den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen
unterzeichnet und sich einer allgemeinen strengen Überwachung
anschließt.
Präsident Barack Obama sagt jetzt zu Israel: macht Schluss mit dem
israelisch-palästinensischen Konflikt. Das ist eine Vorbedingung
für die Abschaffung der Drohung gegen Israel. Wenn die Palästinenser
und die ganze arabische Welt mit Israel Frieden machen wird – dann
wird der Iran nicht mehr in der Lage sein, den Konflikt weiter für
seine Interessen instrumentalisieren zu können. Übrigens haben wir
das schon vor Jahren gesagt.
Die Weigerung der Netanyahu-Lieberman-Baraks, diese Forderung zu
akzeptieren, zeigt die Unaufrichtigkeit ihrer Argumente über den
Iran. Wenn sie wirklich glaubten, der Iran stelle eine
existentielle Bedrohung dar, dann würden sie sich beeilen, die
Siedlungen abzubauen, die Außenposten aufzulösen und Frieden zu
machen . Das würde schließlich ein kleiner Preis sein, um die
existentielle Gefahr zu beseitigen. Ihre Weigerung beweist, dass die
ganze Geschichte von der existentiellen Gefahr Israels ein
Bluff ist.
Und was den Vergleich des Iran mit Nazi-Deutschland betrifft - so
überzeugt er genau so wie der Vergleich von Shimon Peres mit Sir
Winston Churchill.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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