König des Planeten
Uri Avnery, 25.10.08
DER PRÄSIDENT der Vereinigten Staaten
von Amerika ist der König dieses Planeten. Ich lebe auf diesem
Planeten. Deshalb geht mich die Wahl des Präsidenten etwas an.
Sogar sehr viel.
Der Präsident ist nicht der einzige
Herrscher der Welt. Es gibt noch andere Herrscher, wenn auch weniger
mächtige. Seine Entscheidungen sind von vielen Beschränkungen
abhängig, die außerhalb seiner Kontrolle liegen. Aber es gibt keine
andere Person auf Erden, deren Entscheidungen solchen Einfluss auf
unser Leben hat.
Die acht Jahre von George W. Bush
können als Beispiel dienen. Der primitive Charakter des Mannes,
seine geringen intellektuellen Fähigkeiten, seine Vergangenheit als
"wiedergeborener" christlicher Eiferer – all dies hat den Zustand
der Welt beeinflusst: sein Versagen, den 11.September 2001 zu
verhindern, seine blutigen Abenteuer in Afghanistan und im Irak,
der Kollaps der Weltwirtschaft.
Aber jeder von uns, Bürger dieser
Welt, die bei diesen Wahlen nicht wählen können, hat wenigstens das
Recht, zu sagen, welchen der Kandidaten er oder sie im Weißen Haus
bevorzugen würde.
Ich bevorzuge Barack Obama.
WAHLEN SIND keine
Schönheitswettbewerbe. Ein weiser Wähler muss die Kriterien
definieren, nach denen er seine Wahl zu machen beabsichtigt.
Für mich ist das Hauptmerkmal, das
alle anderen überwiegt, die Fähigkeit, große vorfallende
Veränderungen schnell zu erkennen und ohne Verzögerung die
notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Nach den Worten des alten griechischen
Philosophen Heraklit „alles fließt“ wissen wir, dass die Welt nicht
still steht. In unserer Zeit geschehen die Veränderungen sogar noch
schneller und dramatischer als vor 200 Jahren. Die Entwicklung der
Technologie, die Verbreitung des Internets, die Globalisierung, der
Klimawandel, der Kollaps in der Wirtschaft, der Trend der
Abwanderung, die Veränderungen in der weltweiten Machtbalance –
diese und andere Faktoren machen deutlich, dass Veränderungen immer
häufiger und radikaler werden.
Die Fähigkeit, sich einer neuen
Situation schnell anzupassen, ist eine entscheidende Eigenschaft für
einen Führer. Nachdem er sich erfolgreich mit der
Weltwirtschaftskrise auseinandergesetzt hat, reagierte Franklin
Delano Roosevelt schnell auf Pearl Harbor. Winston Churchill
erkannte vor anderen die Gefahr, die in der aufstrebenden Macht
Hitlers in Deutschland steckte. Der junge und unerfahrene John
Kennedy befasste sich entschlossen mit der Kuba-Raketen-Krise, die
die Welt an den Rand eines 3. Weltkrieges gebracht hätte. Mikhail
Gorbachov überblickte den plötzlichen Kollaps des Sowjetblockes und
vermied weltweites Blutvergießen. Der nächste amerikanische
Präsident wird sofort mit einer wirtschaftlichen Krise konfrontiert
werden, die das Antlitz der Erde zu verändern im Begriff ist.
Der Präsident ähnelt einem Steuermann
auf einem Segelboot, der jeden Augenblick für eine Veränderung der
Windrichtung oder gar für einen Hurrikan bereit sein muss.
Welcher von beiden – Barack Obama oder
John McCain – ist besser für diesen Job geeignet ? Der ältere
Republikaner, der sich selbst als Nachfolger einer langen Reihe von
Admiralen sieht und dessen geistige Welt in der Mitte des 20.
Jahrhunderts steckt, oder der (verhältnismäßig) junge Demokrat, ein
Mann des 21. Jahrhunderts?
DER ZWEITE Test betrifft – in meinen
Augen - den Charakter der Kandidaten. Eine Person kann wohl ihre
Meinung ändern, aber kaum ihren Charakter. Ein solides – aber nicht
übertriebenes - Selbstvertrauen, Selbstdisziplin, Besonnenheit in
einer Krise – wird großen Einfluss auf die Fähigkeit haben, ihre
Aufgaben auszuführen.
Wir haben die beiden bei den großen
TV-Debatten gesehen. Man sollte nicht zu viel Aufmerksamkeit dem
schenken, was dort gesagt wurde – alles, was bei einer Wahlkampagne
gesagt wird, dient nur dem Stimmenfang. Aber wir sahen, wie die
beiden Kandidaten sich unter extremem Stress verhielten. Obama hatte
sich wunderbar unter Kontrolle. Seine Selbstkontrolle war keinen
Augenblick unsicher. Er reagierte nicht auf Provokationen, und er
behielt die ganze Zeit einen kühlen Kopf. McCain hatte sich viel
weniger unter Kontrolle.
Die wichtigste Entscheidung, die beide
während der Wahlkampagne treffen mussten, war die Wahl eines
Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. Da der Vizepräsident
annehmen kann, dass er vom einen zum andern Augenblick die Macht
übernimmt – und darüber, dass es geschieht, besteht tatsächlich
eine hohe Wahrscheinlichkeit – so sagt uns dies viel über den, der
dies entscheidet.
Obamas Entscheidung war verantwortlich
und vernünftig . Er wählte keine brillante oder charismatische
Person, sondern jemanden, der in den Staatsangelegenheiten versiert
ist und ohne Probleme das Office übernehmen kann.
McCains Entscheidung war ein zum
Himmel schreiender Skandal. Dies müsste genügen, ihn vom hohen Amt
auszuschließen – nicht wegen Sarah Palins Meinungen oder ihres
Charakters, sondern weil sie völlig unfähig ist, die Rolle einer
Präsidentin auszufüllen.
Die Wahl weist auf einen
grundsätzlichen Fehler in McCains Charakter. Er wählte sie auf
Grund augenblicklicher Bedürfnisse – um eine schlapp gewordene
Kampagne wieder zu beleben und um die Medien zu überraschen, während
er gleichzeitig an die primitivsten Schichten der amerikanischen
Gesellschaft appellierte. Wegen flüchtiger Zweckdienlichkeit
gefährdet er die Zukunft des Landes .
Eine Person, die solch eine falsche
Entscheidung treffen kann, sollte nicht in die Position gelangen,
das mächtigste Land zu führen und die stärkste Militärmacht der Erde
zu befehligen.
Außerdem sollten sich die Wähler
fragen: falls der Präsident einen Herzschlag erleidet wie Ariel
Sharon oder ermordet wird wie John F.Kennedy, würden sie dann
lieber Biden oder Palin im Amt des Präsidenten sehen?
Was mich selbst betrifft, so würde ich
allein vor dem Gedanken zurückschrecken, diese primitive und
gehässige Demagogin Sarah Palin könne die „Führerin der freien
Welt“ werden.
EIN DRITTER Test ist die Fähigkeit,
Mitarbeiter auszuwählen. Dies ist ein bedeutsames Attribut.
Ein starker Führer mit großem
Selbstvertrauen wählt hoch qualifizierte Mitarbeiter aus, Leute, die
bereit sind, unabhängige Meinungen vorzubringen und dem Chef auch zu
widersprechen. Ein Führer, dem das Selbstvertrauen fehlt, umgibt
sich mit Schmeichlern und Jasagern, die ihm nur das sagen, was er
gerne hören will. John F. Kennedy umgab sich mit den Besten und
Intelligentesten. George W. gehört zur zweiten Kategorie.
Ich beurteile die israelischen Führer
nach diesem Maßstab. Yigal Allon, ein sehr bewunderter General und
Politiker, umgab sich mit intelligenten jungen Männern, die auch
nicht zögerten, ihn mitten in seiner Rede zu unterbrechen und ihm
zu widersprechen. Menachem Begin umgab sich mit Leuten, die mit
jedem seiner Worte einverstanden waren.
Ein starker Führer fordert zu
Meinungsverschiedenheiten, Streitgesprächen, Brainstorming heraus .
Ein Führer, der nur vorgibt, stark zu sein, duldet keine Opposition
(wie der größte Diktator, Adolf Hitler, der in Wut ausbrach, wenn
ihm jemand zu widersprechen wagte) .
Politik ist an sich schon ein Beruf.
Die meisten Politiker haben keine tieferen Kenntnisse über anderes,
gewiss nicht auf den Gebieten, auf denen sie schicksalhafte
Entscheidungen zu treffen haben – von der Wirtschaft bis zur
Militärstrategie. Deshalb ist die Wahl der richtigen Berater und die
Bereitschaft, mit wachem Verstand zuzuhören, Neues zu lernen und
darüber nachzudenken, eine der wesentlichen Qualitäten. Ich habe
den Eindruck, dass Obama dies tun könnte. Bei McCain bin ich mir
gar nicht sicher.
ES GIBT noch einen anderen wichtigen
Gesichtspunkt, der bei der Wahl berücksichtigt werden müsste: in
anderthalb Wochen wird nicht nur ein Präsident gewählt werden,
sondern auch eine große Anzahl ranghoher Beamter für alle Bereiche
der Regierung.
Im amerikanischen System bringt der
neue Herr des Weißen Hauses Tausende von neuen Beamten mit sich,
deren Kollegen in anderen Ländern zur permanenten Beamtenschaft
gehören. Man kann sich leicht den riesigen Unterschied zwischen
jenen vorstellen, die Obama mit sich bringen wird und jenen, die mit
McCain kommen würden.
Man sollte den Obersten Gerichtshof
nicht vergessen, der im amerikanischen System eine zentrale Rolle
spielt (wie es jetzt auch in Israel der Fall ist). Es ist der
Präsident, der die neuen Richter wählt. Die Berufung von ein oder
zwei kann schon weitreichende Veränderungen mit sich bringen.
WENN MAN über die Wahl des Präsidenten
der USA spricht, ist es auch sehr wichtig, die Offenheit des
Kandidaten für die weite Welt zu berücksichtigen.
Die USA sind nicht nur ein Land,
sondern ein Kontinent. Vielen seiner Bürger ist die Welt völlig
egal, und sie wollen gar nichts über sie wissen. Schüler sind nicht
in der Lage, China oder Brasilien auf dem Atlas zu zeigen. Wie
frühere Weltreiche sehen sich die USA selbst als Insel der
Zivilisation in einem Meer von Barbarei. (Genau wie Ehud Barak, der
Israel als „eine Villa mitten im Dschungel“ beschreibt).
George Bush kam mit minimalen
Kenntnissen über die Welt ins Weiße Haus. John McCain weiß nicht
viel mehr. Er wurde zwar im amerikanisch militärischen Ghetto in
Panama geboren und schmachtete fünf Jahre lang als Gefangener in
Vietnam; dies macht ihn aber noch nicht zu einem Weltbürger.
In dieser Hinsicht hat Obama einen
Vorteil, wie ihn kein anderer Präsident vor ihm hatte. Er ist der
Sohn eines schwarzen Vaters aus Kenia und einer weißen
amerikanerischen Mutter. In seiner Kindheit besuchte er eine Schule
in Indochina. Seine vielfältigen Wurzeln und Erfahrungen geben ihm
einen weiteren Horizont als McCain. Für einen Neuen im Weißen Haus
ist dies ein besonderer Pluspunkt. Es gibt Dinge, die man nicht von
andern lernen kann – hier zählen die persönlichen Erfahrungen.
ICH SOLLTE eine persönliche Bemerkung
hinzufügen. Ich gehöre einer Generation an, die in ihrer Jugend
voller Bewunderung für die USA war. Wir sahen die USA als das
freieste Land in der Welt an, eine idealistische Gesellschaft, die
Festung für Demokratie und Menschenrechte. In zwei Weltkriegen
eilten sie denen zu Hilfe, die vor der Tyrannei gerettet werden
mussten.
Als wir erwachsen waren, fanden wir heraus, dass dem nicht ganz so
ist. Wir sahen, dass die USA wie alle anderen Staaten und zuweilen
schlimmer als diese sind. Während der letzten acht Jahre haben sich
die USA der Welt selbst als ein arrogantes, tyrannisches,
primitives und aggressives Land dargestellt, das rücksichtslos über
die Menschenrechte seiner eigenen oder ausländischen Bürger
hinweggeht, Folter rechtfertigt, abscheuliche Konzentrationslager
hält und so weiter…
Die Wahl des Barack Obama, eines
Mannes, der zur einen Hälfte schwarz und zur andern weiß ist, und
dessen Überzeugungen liberal und demokratisch sind, kann uns unser
Vertrauen gegenüber den USA wieder zurückgeben. Es würde deutlich
machen, dass - wie es schon mehrfach in ihrer Geschichte geschah –
die USA sich von einem Abgrund noch rechtzeitig zurückziehen und
sich selbst wieder finden können, wie sie es nach der Joe
McCarthy-Ära taten.
Ich mache mir keine großen Illusionen.
Mir ist bewusst, dass auch unter den besten Umständen eine einzige
Person nicht in der Lage ist, solch ein riesiges System völlig
umzukehren. Aber auch kleine Veränderungen könnten für die Welt von
immenser Bedeutung sein und die Richtung völlig ändern.
Es könnte sein, dass ich eines Tages
jedes Wort bedaure, dass ich hier geschrieben habe. Obama könnte
sich als Enttäuschung erweisen – und vielleicht sogar sehr. Wir
kennen die Zukunft nicht. Heute können wir nur auf der Grundlage
dessen urteilen, was wir heute wissen, nach unsern Eindrücken und
Gefühlen von heute.
Und diese sagen mir: Obama.
(Aus dem Englischen Ellen Rohlfs, vom
Verfasser autorisiert)
Gush Shalom
Immer wieder greifen Siedler
Die
palästinensischen Olivenpflücker an.
Die
Armee und die Polizei schauen zu
Oder erklären den Olivenhain
Zu
einem geschlossenen militärischen Gebiet
Und
vertreiben die Palästinenser.
Soldaten und Polizisten, die es wagen
Sich den Siedlern entgegen zu stellen,
Werden selbst angegriffen
Ohne dass sie von ihren Offizieren
Unterstützt werden.
Wenn wir die Besatzung nicht beenden
Werden die Siedler auch uns besetzen.
Inserat am 24.Oktober 2008 in Haaretz
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