Wer ist der Boss?
Uri
Avnery, 4.4.09
SCHON AM ersten Tag der neuen Regierung
klarte der Nebel auf und enthüllte: es ist eine Lieberman-Regierung.
Der Tag begann mit einer Feier im Amt
des Präsidenten. Alle Mitglieder der aufgeblähten Regierung –
dreißig Minister und acht stellvertretende Minister - posierten in
ihren besten Anzügen für ein Gruppenfoto. Netanyahu las eine Rede
ab, die jeder Inspiration entbehrte und die die abgedroschenen
Klichees mit einschloss, die nötig sind, um die Welt zu beruhigen:
Die Regierung ist dem Frieden verpflichtet, sie will mit der
palästinensischen Behörde verhandeln bla-bla-bla.
Avigdor Lieberman eilte von dort zum
Außenministerium und der dort stattfindenden zeremoniellen
Amtsübergabe der Minister. Auch er hielt eine Rede – aber es
handelte sich keineswegs um eine Routinerede.
„Si vis pacem, para bellum – wenn du
Frieden willst, bereite den Krieg vor“, erklärte der neue
Außenminister. Wenn ein Diplomat dieses alte lateinische Wort
zitiert, achtet die Welt nicht auf den ersten Teil des Zitates,
sondern nur auf den zweiten Teil. Und wenn dies aus dem Mund des
schon berüchtigten Lieberman kommt, so handelt es sich um eine klare
Drohung: die neue Regierung betritt den Weg des Krieges und nicht
den des Friedens.
Mit diesem Satz machte Lieberman
Netanyahus Rede zunichte und machte Schlagzeilen rund um die Welt.
Er bestätigte die schlimmsten Befürchtungen, die mit der Bildung
dieser Regierung verbunden sind.
Er begnügte sich nicht mit dem
lateinischen Zitat. Er erklärte noch genauer, warum er dieses Motto
wählte. Konzessionen, so sagt er, bringen keinen Frieden, im
Gegenteil. Die Welt respektierte und bewunderte Israel, als es den
Sechs-Tage-Krieg gewann.
Zwei Irrtümer in einem Satz. Besetztes
Land zurückzugeben ist keine „Konzession“. Wenn ein Dieb gezwungen
wird, gestohlenes Gut zurückzugeben oder wenn ein Hausbesetzer eine
Wohnung, die ihm nicht gehört, verlässt, so ist das keine
„Konzession“. Und die Bewunderung Israels 1967 kam von einer Welt,
die uns als ein kleines, kühnes Land sah, das gegen mächtige Armeen
aufstand, die uns zerstören wollten. Aber das Israel von heute sieht
wie ein brutaler Goliath aus, während die besetzten Palästinenser
wie ein David mit der Steinschleuder aussehen, der um sein Leben
kämpft.
Mit dieser Rede gelang es Lieberman,
die Welt aufzuregen, aber noch mehr Netanyahu zu demütigen. Er
deckte auf, dass die Friedenserklärungen des neuen
Ministerpräsidenten nichts als Seifenblasen sind.
Doch die Welt möchte – wie ich schon
letzte Woche schrieb – getäuscht werden. Ein Sprecher des Weißen
Hauses verkündigte, dass es - soweit es die amerikanische Regierung
betrifft - Netanyahus Bla-Bla-Bla-Rede ist, die zählt, nicht
Liebermans offene Äußerungen. Und Hillary Clinton schämte sich
nicht, Lieberman anzurufen und ihm zum Amtsantritt zu gratulieren.
DAS WAR die erste Kraftprobe innerhalb
des Netanyahu-Lieberman-Barak-Dreiecks. Lieberman hat seine
Verachtung gegenüber beiden, Netanyahu und Barak, demonstriert.
Seine Machtposition ist sicher, weil
er allein in der Lage ist, jeden Moment die Regierung zu stürzen.
Nach der Knessetdebatte über die neue Regierung, stimmten nur 69
Mitglieder für sie. Wenn man die fünf Mitglieder der Arbeiterpartei
hinzuzählt, die „zwar präsent waren, aber an der Abstimmung nicht
teilnahmen“ ( eine Art Abstimmung, die etwas weniger negativ als
Stimmenthaltung ist), dann hat die Regierung 74 Stimmen. Das
bedeutet: ohne Liebermans fünfzehn Mitglieder hat die Regierung
nicht die Mehrheit.
Seine Rede hatte die Absicht, diese
politische Realität zu unterstreichen. Er wollte Netanyahu damit
sagen: Falls du mich zum Schweigen bringen willst, vergiss es. Es
war, als setzte er an Netanyahus Kopf eine Pistole – in
diesem Fall könnte es eine deutsche Parabellum sein, eine Pistole,
deren Name sich von besagtem lateinischen Sprichwort herleitet.
Das volle Ausmaß von Liebermans Chuzpeh
kam nur eine Stunde später zum Vorschein. Vom Außenministerium eilte
er zu einer anderen rituellen Amtsübergabe – dieses Mal beim
Minister für Innere Sicherheit ( früher Polizeiministerium genannt).
Was hatte er dort zu suchen? Nichts.
Es ist höchst ungewöhnlich für einen Minister, solch einer
Zeremonie in einem anderen Ministerium beizuwohnen. Der neue
Minister für Innere Sicherheit, Yitzhak Aharonovitch, gehört zwar zu
Liebermans Partei, aber das ist hier irrelevant. Schließlich nahm
er nicht an der entsprechenden Zeremonie des Ministeriums für
Immigration teil, wo ein anderes Mitglied seiner Partei eingeführt
wurde.
Das Rätsel wurde am nächsten Tag
gelöst. Der neu installierte Außenminister verbrachte sieben Stunden
in einem Polizeiverhörraum, wo er Fragen zu beantworten hatten, die
sich auf Bestechungsverdacht, Geldwäsche und Ähnliches in Verbindung
mit den riesigen Summen beziehen, die aus dem Ausland an eine
Gesellschaft transferiert wurden, die auf den Namen seiner 23
jährigen Tochter läuft.
Dies erklärt seine Präsenz bei der
Zeremonie im Polizeiministerium. Er wurde dort neben den Chefs der
Abteilung für strafrechtliche Ermittlungen fotografiert. Sein
Erscheinen dort ist nichts anderes als eine grobe und schamlose
Androhung gegen jene, die ihn am nächsten Tag verhören sollten.
Seine Präsenz bei dieser Zeremonie
erklärte: Ich bin der Mann, der den Minister ernannt hat, der jetzt
für jede eurer Karrieren verantwortlich ist, sowohl für deren
Beförderung und Beendigung. Und dieselbe Botschaft galt auch den
Richtern: ich habe den neuen Justizminister ernannt, und ich werde
jede Beförderung von euch entscheiden.
ALL DIES erinnert mich an einen
diplomatischen Empfang bei der ägyptischen Botschaft vor genau 10
Jahren. Ich traf dort die meisten Mitglieder der neuen Regierung,
die gerade von Ehud Barak gebildet worden war. Alle waren
deprimiert.
Barak hatte etwas getan, das an
Sadismus grenzt. Er hatte jeden Minister für einen Posten ernannt,
der am wenigsten zu ihm passte. Der freundliche und höfliche
Professor Shlomo Ben-Ami wurde zum Minister für innere Sicherheit
ernannt (wo es ihm während der Oktober 2000-Unruhen misslang, die
Polizei daran zu hindern, ein Dutzend arabischer Bürger zu töten).
Yossi Beilin, ein Diplomat mit einem sehr schöpferischen Geist, ein
natürlicher Kandidat für das Außenministerium, wurde zum
Justizminister ernannt usw. In privaten Gesprächen gaben sie ihre
Verbitterung gegenüber Barak Ausdruck.
Nun hat Netanyahu Barak übertrumpft.
Die Ernennung Liebermans als Außenminister grenzt an Wahnsinn. Die
Ernennung von Yuval Steinitz, einem Professor für Philosophie und
einem persönlichen Freund von Netayahus Frau Sarah, einem Mann, der
keinerlei wirtschaftliche Erfahrungen hat, zum Finanzminister – noch
dazu auf der Höhe der Weltfinanzkrise – überschreitet die Grenze
zum Absurden. Die Ernennung der Nummer Zwei der Likudpartei, Silvan
Shalom für zwei untergeordnete Ministerien hat ihn zu einem Todfeind
werden lassen. Die Schaffung einer langen Liste neuer und
unbedeutender Ministerien nur um seine Freunde mit Jobs zu
versehen, hat die Regierung in einen Straßenwitz verwandelt (‚einen
Minister für die ankommende Post und einen Minister für die
abgehende Post’).
ABER EINE Regierung ist keine Witz. Und
Lieberman ist kein Witz . Weit davon entfernt.
Schon am ersten Tag machte er klar,
dass er – er und nicht Netanyahu oder Barak - den Stil der neuen
Regierung bestimmen wird, zum einen wegen seiner starken politischen
Position und zum andern wegen seiner massiven persönlichen Präsenz
und seines provokativen Charakters.
Er wird die Regierung so lange halten,
wie es ihm passt und in dem Augenblick stürzen, wenn er das Gefühl
hat, Neuwahlen könnten ihm zu vermehrter Macht verhelfen.
Sein grober und brutaler Stil
entspricht seiner Natur, ist aber auch kalkuliert. Er beabsichtigt
damit, zu drohen und die primitivsten Typen der Gesellschaft
anzusprechen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und
sich der Medien zu versichern. All dies erinnert an andere Länder
und andere Regime. Nicht zufällig hat ihm der ex-faschistische
Außenminister Italiens als erster gratuliert.
In dieser Woche wurden immer wieder
frühere Statements von Lieberman wiederholt. Er hat einmal das
Bombardieren des großen Assuandammes vorgeschlagen, einen Akt, der
eine tsunami-gleiche Überschwemmung verursacht und viele Millionen
Ägypter getötet hätte. Ein anderes Mal schlug er vor, den
Palästinensern ein Ultimatum zu stellen: um 8 Uhr bombardieren wir
eure Handelszentren, mittags eure Tankstellen und um 14 Uhr eure
Banken usw.
Er hatte auch vorgeschlagen. Tausende
von palästinensischen Gefangenen zu ertränken und bot an, die
nötigen Busse zur Verfügung zu stellen, um sie an die Küste zu
bringen. Ein anderes Mal schlug er vor 90% der 1,2 Millionen
arabischer Bürger Israels zu deportieren. Vor kurzem sagte er zu
Präsident Hosni Mubarak, einem der ergebensten Verbündeten der
israelischen Führung: „Geh zur Hölle!“
Während der letzten Wahlkampagne
schloss er in sein offizielles Programm die Forderung ein, den
Arabern die Staatsbürgerschaft zu entziehen, die ihre Loyalität
gegenüber Israel nicht beweisen könnten. Das war auch sein
Hauptslogan. Auch dies erinnert an Programme gewisser Parteien in
der Geschichte.
Dies ist verknüpft mit einer eklatanten
Feindseligkeit gegenüber den „Eliten“ Israels und gegenüber allen,
die mit den Gründern des Staates Israel verbunden sind.
EINIGE LEUTE glauben, Lieberman sei
gar kein neues Phänomen, dass er einfach Züge an die Oberfläche
bringt, die schon die ganze Zeit vorhanden waren, doch verborgen
unter einer dicken Schicht von frömmelnder Heuchelei.
Wie sieht seine Lösung des historischen
israelisch-arabischen Konfliktes aus? In der Vergangenheit sprach er
über ein Regime von Kantonen für die Palästinenser. Sie werden in
mehreren nicht mit einander verbundenen Enklaven auf der Westbank
und im Gazastreifen leben. Die Enklaven werden von Israel
beherrscht. Natürlich kein palästinensischer Staat und ohne das
arabische Ost-Jerusalem. Er schlug sogar vor, diesen Kantonen einige
Gebiete Israels anzuschließen, die eine dichte palästinensische
Bevölkerung haben, denen daraufhin die israelische
Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll.
Das liegt ziemlich nahe bei den Ideen
von Ariel Sharons und auch bei denen von Netanyahu, der erklärte,
dass sich die Palästinenser ‚selbst regieren’ sollen - natürlich
ohne Staat, ohne eigene Währung, ohne Kontrolle der Grenzübergänge,
ohne See- und Flughafen.
Bei der Zeremonie des
Außenministeriums erklärte Lieberman, dass das Abkommen von
Annapolis, das von Präsident Bush diktiert worden war, ungültig sei
und dass nur die ‚Road Map’ zählt. Die Sprecher des
Außenministeriums beeilten sich mit einer Erklärung, dass die Road
Map auch von ‚zwei Staaten’ spricht. Sie vergaßen, die Welt daran
zu erinnern, dass die israelische Regierung die Road Map nur mit 14
Bedingungen ‚angenommen’ habe, die sie vollständig jeglichen Inhalts
berauben. Zum Beispiel: Dass die Palästinenser zunächst die
‚terroristische Infrastruktur zerstören’ müssen (was ist das? wer
entscheidet?), bevor Israel einen Schritt tun wird, einschließlich
des Einfrierens des Siedlungsbaus.
(Das erinnert mich an den reichen Juden
im Shtetl, der sein Testament diktierte und seinen Reichtum unter
seine Verwandten und Freunde verteilte und dann hinzufügte: ‚Im
Falle meines Todes ist dieses Testament null und nichtig’.)
So weit es den israelisch-palästinensischen Konflikt betrifft,
besteht die Kontroverse zwischen Ehud Olmert und Zipi Livni
einerseits und Netanyahu und Lieberman andrerseits eher aus
taktischen denn aus strategischen Erwägungen. Die Strategie von
allen ist, die Schaffung eines normalen, freien, lebensfähigen
palästinensischen Staates zu verhindern. Zipi Livni war für eine
Taktik der endlosen Verhandlungen, die mit Äußerungen über Frieden
und einer ‚Zwei-Staaten-Lösung’ dekoriert wurden. Nicht umsonst
mokierte sich Netanyahu über sie : ‚Du hast doch mehrere Jahre Zeit
gehabt, um das Abkommen mit den Palästinensern abzuschließen. Warum
hast es nicht getan?’
Die Debatte geht aber nicht um Frieden,
sondern um einen ‚Friedensprozess’.
Mittlerweile lebt sich Zipi Livni in
ihrem neuen Job als Führerin der Opposition ein . Ihre erste Rede
war kraftvoll und äußerst kritisch. Wir werden bald wissen, ob sie
diesen Job mit Inhalt füllt. Werden ihre Reden über den Frieden sie
schließlich selbst von dessen Wert überzeugen? Wird sie dann eine
wirkliche Alternative für die Regierung Lieberman werden?
Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und
Christoph Glanz vom Verfasser autorisiert)
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