Die beiden Amerikas
Uri Avnery, 22.3.08
„DER KRIEG ist eine
viel zu ernste Angelegenheit, als dass man ihn dem Militär
überlassen sollte,“ so in Talleyrands unvergesslichen Worten. Im
selben Geiste könnte man sagen: die amerikanischen
Präsidentschaftswahlen sind eine viel zu ernste Angelegenheit, um
sie den Amerikanern zu überlassen.
Die USA sind nun
die einzige Supermacht der Erde. Es wird noch eine Weile so bleiben.
Die Entscheidungen des US-Präsidenten gehen jedes Lebewesen auf der
Welt an.
Leider ist es den
Bürgern der Welt nicht erlaubt, an den Wahlen teilzunehmen. Aber sie
dürfen wenigstens ihre Meinung dazu äußern.
Ich werde von
diesem Recht Gebrauch machen und sage: Ich bin für Barack Obama.
ALS ERSTES muss ich
bekennen: meine Haltung gegenüber den USA ist eine der unerwiderten
Liebe. In meiner Jugend war ich ein großer Bewunderer. Wie viele
andere meiner Generation wuchs ich mit der Legende von dem neuen
Land voller Ideale und Pioniere, der Freiheitsfackel der Welt auf.
Ich bewunderte Abraham Lincoln, der die Sklaven befreite, und
Franklin Delano Roosevelt, der sich beeilte, dem belagerten England
beizustehen, als dieses allein gegen das Nazi-Monster stand, und der
sich im entscheidenden Augenblick am 2.Weltkrieg beteiligte. Ich
wuchs mit Wildwestfilmen auf.
Nach und nach
verlor ich meine Illusionen. Joe McCarthy half mir dabei. Ich
lernte, die USA würden in regelmäßigen Abständen von der einen
oder anderen Hysterie ergriffen. Aber jedes Mal zieht es sich kurz
vor dem Abgrund zurück.
Während des
Vietnamkrieges nahm ich an Demonstrationen teil. Zufällig war ich
1967 gerade in den USA und nahm an dem legendären Marsch der halben
Million zum Pentagon teil. Ich kam bis zum Eingang des Gebäudes und
sah vor mir eine Reihe Soldaten mit eiskaltem Blick, die den Finger
schon am Abzug zu haben schienen, um das Feuer zu eröffnen. Im
letzten Augenblick fiel mir ein, dass es für ein Mitglied des
israelischen Parlamentes unpassend sein würde, da hinein gezogen
zu werden; also sprang ich vom Eingang weg - und verstauchte mir
dabei mein Fußgelenk.
Irgendwie geriet
ich auf die schwarze Liste der CIA (oder war es der FBI?). Ich bekam
nur noch mit großen Schwierigkeiten eine Visum für die USA und
wurde für immer von der Liste der Partygäste der amerikanischen
Botschaft in Tel Aviv gestrichen. Ich weiß nicht, ob dies mit jenen
Demonstrationen zusammenhängt oder mit meiner Freundschaft zu Henri
Curiel, einem jüdisch-ägyptischen Revolutionär, der uns zu unsern
Kontakten mit der PLO verhalf. Die Amerikaner hielten ihn -
irrtümlicherweise - für einen KGB-Agenten.
Zur selben Zeit
wurde mein Name von den Sowjets von jeder Liste von Personen
gestrichen, die aus Israel eingeladen wurden. Vielleicht sahen sie
in mir einen CIA-Agenten (wie ich in dem Parteiorgan der
israelischen Kommunistischen Partei bezeichnet wurde). So wurde ich
zu einer der wenigen Leute in der Welt, die gleichzeitig auf den
schwarzen Listen der USA wie auch der Sowjetunion standen. Es war
etwas, worauf ich ziemlich stolz war.
Mein Freund Afif
Safieh, der jetzige PLO-Chefvertreter in den USA, behauptet, es
gebe zwei Amerikas : das Amerika, das die einheimischen Amerikaner –
die sog. Indianer – auslöschte und die Schwarzen zu Sklaven machte,
das Amerika von Hiroshima und McCarthy, und das andere Amerika: das
Amerika der Unabhängigkeitserklärung und das von Lincoln, Wilson
und Roosevelt.
Nach diesem
gehört George Bush zum ersten. Obama - in fast jeder Hinsicht sein
Gegenteil - vertritt das andere Amerika.
MAN KANN zu Obana
durch einen Eliminierungsprozess kommen.
John McCain ist
eine Fortsetzung von Bush. Attraktiver, wahrscheinlich intelligenter
(was nicht viel besagt). Doch ist er mehr oder weniger derselbe.
Dieselbe Politik – eine gefährliche Mischung von Machtrausch und
Einfältigkeit. Dieselbe Welt der Wildwestmythen, der guten Kerle
(Amerikaner und ihre Handlanger) und der bösen Kerle (alle anderen).
Eine Machowelt von falscher Männlichkeit, bei der alles durch das
Fadenkreuz eines Gewehrs gesehen wird,
McCain wird mit
Kriegen weitermachen und vielleicht neue beginnen. Seine
Wirtschaftsagenda ist derselbe „gemeine Kapitalismus“ (nach Shimon
Peres), der jetzt eine Katastrophe über die Wirtschaft der USA und
die Wirtschaft von uns allen gebracht hat.
Acht Jahre
Bushregierung sind für uns genug. Danke.
Hillary? In der
Tatsache, dass es sich um eine Frau handelt, die eine potentielle
Kandidatin für die Führung des mächtigsten Landes der Welt ist, ist
etwas Positives. Wie ein alter jüdischer Segen sagt: Gepriesen seist
Du, oh Herr, unser Gott, der du uns diesen Tag hast erleben lassen .
Ich glaube, dass die feministische Revolution bei weitem die
bedeutendste des 20. Jahrhunderts war, da sie das soziale Muster von
Tausenden von Jahren umwarf und vielleicht auch die biologischen
Muster von Millionen von Jahren. Diese Revolution ist noch im Gange,
und die Wahl einer Präsidentin würde ein Meilenstein bedeuten.
Aber es genügt
nicht, eine Frau zu sein. Es ist auch wichtig, was es für eine Frau
ist.
Ich verbrachte ein
paar Jahre damit, gegen Golda Meir zu kämpfen, die schlimmste unter
den Ministerpräsidenten, die Israel je hatte. Fast alle weiblichen
Regierungschefs von Ländern der letzten Zeit begannen Kriege.
Margaret Thatcher begann den Falklandkrieg, Golda Meir war für den
Ausbruch des Yom Kippur-Krieges verantwortlich, Indira Gandhi
führte Krieg mit Pakistan, die augenblicklichen Präsidentinnen der
Philippinen und Sri Lankas führen interne Kriege.
Die übliche
Erklärung ist die: um sich in einer Männerwelt durchsetzen zu
können, musste eine weibliche Politikerin beweisen, dass sie
wenigstens so hart wie Männer ist. Wenn sie zur Macht kommt, wolle
sie zeigen, dass auch sie Kriege führen und Armeen befehligen
könne. Hillary hat schon gezeigt, dass sie hart ist, als sie für den
verheerenden Irak-Krieg stimmte.
(Als sie sich vor
Jahren für einen palästinensischen Staat aussprach, demonstrierte
Gush Shalom zu
ihren Ehren vor der US-Botschaft in Tel Aviv. Wir wollten ihr einen
Blumenstrauß überreichen. Die Botschaftsleute behandelten uns wie
Feinde und weigerten sich, die Blumen anzunehmen. Seitdem hat
Hillary nie wieder ein Wort zu Gunsten der Palästinenser geäußert.)
Ich weiß nicht, wie
sehr sie eine Partnerin der Entscheidungen ihres Gatten im Weißen
Haus war. Die Präsidentengattin mag seinen Ohren am nächsten sein
– wie auch der Präsidentengatte ihren Ohren. Auf jeden Fall geschah
in den acht Jahren von Bill Clinton nichts Gutes für den
israelisch-palästinensischen Frieden. In diesem „Friedensteam“ waren
eine Menge amerikanischer Juden, aber kein einziger amerikanischer
Araber. Clinton war der israelischen Lobby völlig unterworfen, und
während seiner Amtszeit verdoppelte sich die Zahl der Siedler in den
besetzten Gebieten.
Israel braucht
nicht noch mal eine Amtszeit von Billary.
Hillary ist eine
Routine-Politikerin. Wenn McCain eine Fortsetzung von Bush ist, so
wäre Hillary eine Verlängerung des ganzen gegenwärtigen
amerikanischen politischen Systems, der gegenwärtigen Politik und
der gegenwärtigen Routine. Aber die Welt braucht ein anderes
Amerika.
DER NAME des
anderen Amerika ist Obama. Sein voller Name: Barack Hussein Obama.
Allein die
Tatsache, dass diese Person überhaupt ein ernsthafter Kandidat für
die Präsidentschaft sein kann, gibt mir den Glauben an
Möglichkeiten zurück, die in Amerika stecken. Nach McCarthy gab es
John Kennedy. Nach Bush könnte es Obama sein. Nur in Amerika.
Die große Botschaft
Obamas ist Obama selbst. Eine Person, die ihre Wurzeln in drei
Kontinenten hat (und in noch einem halben: in Hawaii) Eine Person,
deren Erziehung die weite Welt umspannt. Eine Person, die die
Realität vom Standpunkt Amerikas, Afrikas und Asiens sieht. Eine
Person, die beides ist, schwarz und weiß. Eine neue Art eines
Amerikaners, ein Amerikaner des 21. Jahrhunderts.
Ich bin nicht naiv
– auch wenn es so aussieht. In seinen Reden stelle ich mehr
Enthusiasmus als Inhalt fest. Wir wissen nicht, was er tun wird,
wenn er einmal zum Präsidenten gewählt wurde. Der Präsident Obama
kann uns enttäuschen. Aber ich möchte lieber ein Risiko mit einem
Mann wie diesem eingehen, als im voraus wissen, was die beiden
Routine-Politiker, seine Konkurrenten, tun werden.
Ich bin nicht
übermäßig von Wahlreden beeindruckt. Ich habe selbst vier
Wahlkampagnen durchgeführt, und ich weiß, dass es da Dinge gibt, die
man sagen muss, und Dinge, die man nicht sagt. Es hat alles seine
begrenzten Verbindlichkeiten. Aber jenseits all dieser Schwätzerei
ist eine Sache wichtiger als eine Million Worte: Obama war von
Anfang an gegen den Überfall auf den Irak, als dies Integrität und
eine Menge Mut benötigte. Hillary stimmte für den Krieg und änderte
ihre Position erst, als sich die öffentliche Meinung änderte. McCain
unterstützt den Krieg sogar jetzt noch.
Wir in Israel
kennen den großen Unterschied, ob man gegen einen Krieg in seiner
ersten entscheidenden Stunde ist oder einem Monat, einem Jahr oder
fünf Jahre später.
Auf der andern
Seite wird vielleicht genau diese Tatsache gegen ihn arbeiten – mehr
sogar als seine Hautfarbe, sein mittlerer Name und sein „Mangel an
Erfahrung“. Wähler mögen keine Person, die Recht hatte, als sie
Unrecht hatten. Es ist so, als würde man zugeben: Er war klug, als
wir dumm waren. Wenn ein Politiker gewählt werden will, dann würde
er wohl beraten sein, die Tatsache zu verbergen, dass er Recht
hatte.
Eine persönliche
Bemerkung: als Optimist von Geburt liebe ich Obamas Optimismus. Mir
ist ein Kandidat lieber, der Hoffnung bringt, als einer, der
Hoffnung zerstört. Optimismus spornt zu Aktionen an, Pessimismus
produziert nur Verzweiflung.
Amerika benötigt
eine Generalüberholung. Nicht nur eine Wäsche, nicht nur eine
neue Wachsschicht. Nicht nur neue Farbe. Es benötigt einen neuen
Motor, einen Wechsel der ganzen Führung, eine Neubewertung seiner
Position in der Welt, eine Werteänderung.
Kann Obama dies
vollbringen? Ich hoffe – ich bin nicht sicher. Aber ich bin ganz
sicher, dass es die beiden anderen nicht können.
HIER WIRD ein Jude
mit der klassischen Frage herausplatzen: Ist das für die Juden
gut?
Die Leute, die
behaupten, für die amerikanischen Juden zu sprechen, die sog.
„Führer“, die von niemandem gewählt worden waren, die Chefs der
„Organisationen“ , die in schlechtem Ruf stehen, führen gegen ihn
ein Kampagne gerissener Diffamierung und schmutziger Andeutungen.
Wenn sein mittlerer Name Hussein ist und er schwarz ist, dann muss
er ein „Arab-Lover“ sein. Außerdem habe er sich nicht
genügend von dem antisemitischen Louis Farakhan distanziert.
Dieselben „Führer“
liegen zusammen mit den abscheulichsten Rassisten in den USA,
obskuren Fundamentalisten und blutbefleckten Neo-Cons in einem
Bett. Aber die meisten amerikanischen Juden wissen, dass ihr Platz
nicht dort ist. Die unheilige Allianz mit diesen Typen wird
unvermeidlich auf den Urheber zurückfallen. Die Juden sollten dort
sein, wo sie immer gewesen sind: im progressiven Lager, das für
Gleichheit kämpft und für die Trennung zwischen Staat und Religion.
ES MUSS gefragt
werden: ist es gut für Israel?
Alle drei
Kandidaten krochen vor der AIPAC. Dieses Katzbuckeln von allen
dreien vor der israelischen Führung ist widerlich. Sie zeigen alle
einen Mangel an Integrität. Aber ich weiß, dass sie keine andere
Wahl haben. So ist es nun mal in den USA.
Dennoch gelang es
Obama, einen mutigen Satz zu sagen. Als er vor einem hauptsächlich
jüdischen Publikum in Cleveland sprach, sagte er: „ In der
pro-israelischen Gemeinschaft gibt es eine Sorte von Leuten, die
sagt, wenn man nicht eine beharrliche pro-Likud- Einstellung
gegenüber Israel habe, dann sei man anti-israelisch, und das kann
nicht der Maßstab für unsere Freundschaft mit Israel sein.“
Ich hoffe, dass der
amerikanische Barack (auf arabisch „gesegnet“) sich nicht in eine
Kopie des israelischen Barak ( auf hebräisch „Blitz“) verwandeln
wird.
Wirkliche
Freundschaft bedeutet: sollte man den Freund betrunken sehen, dann
wird man ihn nicht ermutigen, mit dem Auto zu fahren. Dann bietet
man ihm an, ihn nach Hause zu bringen. Ich sehne mich nach einem
amerikanischen Präsidenten, der den Mut und die Ehrlichkeit haben
wird, unsern Führern zu sagen: liebe Freunde, Ihr seid betrunken,
trunken von Macht. Ihr rast auf einer Schnellstraße dahin, die in
den Abgrund führt!
Vielleicht wird
Obama so ein Freund sein. Dies würde für uns alle ein Segen sein.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Gush Shalom, Inserat in Haaretz am
21.3.08
Die Bundeskanzlerin Merkel
Machte eine Pilgerreise nach
Israel
Und kroch vor Olmert und
Barak.
Vor ihr und nach ihr
Tun und taten
Andere Weltführer genau
dasselbe.
Damit erweisen sie
Israel keinen guten Dienst.
Sie schaden ihm.
Wirkliche Freunde Israels
Würden Olmert und Barak
Nicht ermutigen,
Auf dieser Straße
weiterzugehen,
die zur Katastrophe führt.
(dt. Ellen Rohlfs) |