Obama wird nicht zurückzwinkern
Uri Avnery, 13.6.09
ERINNERT MAN sich an Dov Weisglass? An denjenigen, der sagte, dass
der Frieden warten müsse, bis die Palästinenser Finnen würden? Und
der davon redete, dass der Friedensprozess in Formaldehyd gelegt
werden solle?
Doch von Weisglass wird man weniger in Erinnerung behalten, was
sein Mund aussprach, als wie er mit den Augen zwinkerte. Weisglass
ist der König des Zwinkerns.
In
dieser Woche rief ihn Binyamin Netanyahu zu dringenden
Konsultationen zu sich. Er benötigte eine Lektion „wie man mit den
Augen arbeitet“ (eine wörtlich übersetzte Ausdrucksweise für
„Mogeln“ im hebräischem Slang).
Man muss wissen: zwinkern ist das Hauptinstrument des
Siedlungsunternehmens. Das Zwinkern ist der wirkliche Vater der
Siedlungen. Das Zwinkern der Siedler. Das Zwinkern der Regierung.
Regierungsvertreter erteilen keine Genehmigung, sie zwinkern. Sie
sagen nein und zwinkern. Zwinkern und bauen. Zwinkern und legen
Wasser –und Stromleitungen. Zwinkern und schicken Soldaten, um die
Außenposten zu schützen und um die Palästinenser von ihren eigenen
angrenzenden Feldern und Olivenhainen zu jagen.
Das Zwinkern ist auch das wichtigste Werkzeug israelischer
Diplomatie. Alles geschieht mit Zwinkern. Die Amerikaner fordern ein
Einfrieren des Siedlungsbaus – und zwinkern. Die Israelis sind damit
einverstanden – und zwinkern zurück.
Es
gibt nur ein Problem: es gibt kein gedrucktes Zeichen für ein
Zwinkern. Der PC hat kein Standardsymbol dafür. Deshalb konnte
Hillary Clinton in dieser Woche ehrlich behaupten, in keinem von
den USA und Israel unterzeichneten Abkommen sei ein Zwinkern
dokumentiert. Auch nicht in der Mitschrift einer direkten mündlichen
Konsultation. Also gibt es keine Abmachungen. In keiner Akte, in
keinem Dokument wird ein Zwinkern erwähnt.
Es
kommt noch schlimmer: es scheint, dass die afro-amerikanische Kultur
das Zwinkern nicht kennt. Als Netanyahu zum Weißen Haus kam und
zwinkerte – reagierte Barack Obama nicht. Er zwinkerte und zwinkerte
– und Obama verstand ihn nicht. Er zwinkerte und zwinkerte bis sein
Gesicht schmerzte – nichts geschah. Obama dachte vielleicht,
Netanyahu habe einen nervösen Tick. Das ist wirklich peinlich.
Was macht man mit einem, der kein Zwinkler ist? Wie – um Gottes
willen - bringt man jemanden dahin, zurück zu zwinkern?
DAS IST das Hauptproblem, dem sich der Ministerpräsident Israels
gegenübersieht.
Morgen wird er eine große Rede halten. Nicht nur groß,
sondern eine historische. Seine durchschlagende Antwort auf
Obamas Rede in Ägypten. Es wird alles getan, um die beiden
Ereignisse gleichwertig zu machen. Obama sprach in der Kairoer
Universität. Netanyahu wird in der Bar-Ilan- Universität reden, der
Institution des religiösen rechten Flügels, aus der der Mörder
Yitzhak Rabins kam.
Aber das ist auch das einzige, was sie gemeinsam haben. Obama umriss
die Konturen des neuen Nahen Ostens. Netanyahu wird die
Umrisse des alten Nahen Ostens aufzeigen. Obama sprach über
eine Zukunft des Friedens, der Zusammenarbeit und der gegenseitigen
Achtung. Netanyahu wird über eine Vergangenheit des Holocaust, der
Gewalt, des Hasses und der Ängste reden.
Netanyahus größtes Problem ist, dass er glauben machen will, das
Alte sei neu. Er will, dass die gestrigen abgegriffenen, alten
Klischees wie der Sammelruf für einen neuen Morgen klingen. Aber wie
soll das ohne Zwinkern geschehen, wenn man einer Person
gegenübersteht, die die Sprache des Zwinkerns nicht versteht?
Wie soll man – ohne Zwinkern - über das „natürliche Wachstum“ der
Siedler sprechen? Wie soll man – ohne zu zwinkern – über einen
palästinensischen Staat sprechen? Wie soll man – ohne zu zwinkern
- über beschleunigte Friedensverhandlungen mit den Palästinensern
reden?
Die besten Schneider waren zusammengerufen worden, um zu beraten,
wie des Kaisers neue Kleider aussehen sollen. Minister und
Knessetmitglieder und Professoren und Zauberer und natürlich Shimon
Peres.
Alle versammelten sich, um die Aufgabe zu lösen: es galt einen
wunderschönen Umhang zu schneidern, modische Hosen und eine bunte
Krawatte – Kleider solcher Art, die nur von sehr weisen Menschen
gesehen werden können.
FRÜHER KONNTEN wir uns auf den Holocaust verlassen. Wir sprachen das
Wort „Holocaust“ aus – und alle unsere Gesprächspartner verstummten.
Wir konnten die Palästinenser unterdrücken, ihr Land stehlen,
Siedlungen bauen, überall Kontrollpunkte wie Fliegendreck hinsetzen,
den Gazastreifen blockieren und vieles andere. Wenn die Goyim
(Nicht-Juden) ihren Mund zum Protest öffneten, riefen wir
„Holocaust“ – und die Worte blieben ihnen in der Kehle stecken.
Was soll man mit jemandem tun, der selbst unaufhörlich über den
Holocaust redet und die Leugner denunziert? Eine Person, die
tatsächlich keine Ruhe lässt, bis sie ein KZ besucht und „Mr.
Holocaust“ mit sich zieht, Elie Wiesel, persönlich?
Kein Wunder, dass unser Ministerpräsident sich in seinem Bett hin
und her wälzt und seine Seele keine Ruhe findet. Netanyahu ohne
Holocaust ist wie der Papst ohne Kreuz. Netanyahu ohne einen
„Zweiten Holocaust“ – wie kann er über den Iran sprechen? Was kann
er über die existentielle Gefahr reden, die uns daran hindert,
Hütten in Judäa und Schuppen in Samaria abzubauen?
(Gott sei Dank gibt es kleine Vergünstigungen in dieser Situation:
wenigstens ist Mahmoud Ahmadinejad, unser wichtigster Aktivposten
in der Region, wieder gewählt worden.)
WAS WIRD Netanyahu also in seiner historischen Rede sagen?
Er
wird versuchen, einen quadratischen Pflock in ein rundes Loch zu
schlagen. Ja zu sagen, wenn er nein meint. Das taten seine
Vorgänger. Ehud Barak tat es. Ariel Sharon tat es. Ehud Olmert tat
es. Aber da gibt es einen großen Unterschied: sie taten es mit einem
verschlagenen Zwinkern. Netanyahu muss es tun, ohne die Miene zu
verziehen.
Er
muss über zwei Staaten sprechen, ohne zwei Staaten zu erwähnen. Er
wird über das Einfrieren des Siedlungsbaus reden, während das Bauen
mit großer Geschwindigkeit weitergeht.
In
der Vergangenheit gab es viele Möglichkeiten, mit dem Siedlungsbau
weiter zu machen.
„Das jüdische Gehirn produziert Patente“, heißt es in einem
volkstümlich hebräischen Lied. Neue Vororte wurden unter dem Vorwand
gebaut, dass sie nur eine Erweiterung von bestehenden Siedlungen
sind – in einer Entfernung von 10 Metern oder 100 oder eintausend
oder zwei, solange sie noch in Sichtweite waren. Oder es wurde
gesagt, dass die Bautätigkeit innerhalb der Siedlungsgrenzen
stattfinden – aber der Verwaltungsbezirk der Maale Adumin-Siedlung
ist zum Beispiel offiziell so groß wie ganz Tel Aviv.
Man kann auch mit George W. Bushs berühmtem Brief fuchteln, in dem
er seine Meinung ausdrückt, dass in jedem zukünftigen
Friedensabkommen „existierende israelische Bevölkerungszentren“
Israel angeschlossen werden sollen. Aber Bush definierte die
„Bevölkerungszentren“ nicht genauer und umriss ihre Grenzen nicht.
Und gewiss sagte er nicht, dass es uns erlaubt sei, vor dem
Unterzeichnen eines endgültigen Abkommens, einschließlich eines
möglichen Gebietsaustauschs, dort zu bauen. Auch nicht, dass er
irgendwelche Autorität habe, bei solchen Sachen zu entscheiden
Man kann also über „natürliches Wachstum“ reden. Kein Problem.
Frauen können in Produktionsstätten für Kinder, vorzugsweise
Zwillinge und Drillinge, verwandelt werden. Man kann auch Kinder im
Alter von 1 –101 adoptieren. Wenn es schließlich in der Familie ein
neues Kind gibt, muss man noch ein Zimmer, noch ein Haus, noch ein
neues Viertel bauen.
(Übrigens: das „natürliche Wachstum“ ist natürlich eine strikt
jüdische Angelegenheit. Bei den Arabern gibt es kein natürliches
Wachstum. Ihre Vermehrung ist unnatürlich.)
UND WIE ist es mit dem Staat Palästina, wie von Obama verlangt wird?
Das israelische Fernsehen erfüllte seinen Job in dieser Woche
großartig, als es uns daran erinnerte, was Netanyahu vor nur sechs
Jahren sagte: „Ein palästinensischer Staat – Nein!“ weil „ein Ja zu
einem palästinensischen Staat ein Nein für den jüdischen Staat
bedeuten würde.“
Netanyahu denkt anscheinend, dies sei nur eine Sache der
Formulierung. Er kann erwähnen, dass wir in der Vergangenheit schon
die Road Map akzeptiert haben, die etwas über einen
palästinensischen Staat enthält. Wir haben die Akzeptanz allerdings
von 14 Vorbehalten abhängig gemacht, die sie verstümmeln und so in
ein bedeutungsloses Papier verwandeln. Aber vielleicht ist Obama
damit zufrieden.
Fassen wir zusammen: es ist nicht nötig, über zwei Staaten zu reden,
wenn sie schon in der Road Map erwähnt werden – verflucht sei ihr
Name! Wir erklärten sie schon vor langer Zeit für tot, betrachten
sie nun aber wieder als lebendig. Und wo etwas wie zwei Staaten
erwähnt wird, ist es doch nicht nötig, es zu wiederholen. Es genügt
doch in versteckter Weise darauf anzuspielen.
Aber was tun, wenn trotz allem die Amerikaner darauf bestehen, dass
Netanyahu die zwei Wörter „Palästinensischer Staat“ mit seinem
eigenen Munde äußert? Wenn es keinen anderen Weg gibt, könnte
Netanyahu sie irgendwie murmeln und sehr leise ein „Pfui, Pfui,
Pfui!“ hinzufügen und laut Voraussetzungen aussprechen, die sie
jedes Inhalts berauben. Genau das tat Barak, danach Sharon und
Olmert.
Die Erklärungen von Tzipi Livni und ihren Leuten erwecken den
Eindruck, sie steckten in derselben Sackgasse. Auch sie scheinen zu
glauben, wir könnten weiter über zwei Staaten reden und genau das
Gegenteil davon tun, den Siedlungsbau einfrieren, aber lustig
weiterbauen. Aus diesem Lager kommen keine neuen Botschaften,
sondern nur Kritik an Netanyahu, dass er seinen Stil nicht verändert
hat, um Obama zu gefallen.
ABER WORUM Obama bittet, ist keine neue Formel. Er verlangt die
Akzeptanz des Prinzips der „Zwei Staaten“ als Grundlage für eine
konkrete und rigorose Aktion: das Erreichen eines Abkommens über die
Errichtung eines Staates, der „Palästina“ heißt, mit seiner
Hauptstadt Ost-Jerusalem – ohne Siedlungen und all das andere Drum
und Dran der Besatzung.
Er
verlangt umgehend den Anfang von Verhandlungen, dass innerhalb von
zwei bis drei Jahren – vor dem Ende seiner laufenden Amtszeit -
wirklicher Friede hergestellt worden ist, ein Frieden, der die
Existenz und die Sicherheit des „jüdischen Staates Israel“ (wie es
George Mitchell diese Woche ausdrückte) und des arabischen Staates
Palästina Seite an Seite sicher stellt.
All dies ist Teil der neuen Ordnung eines größeren Nahen Ostens von
Pakistan bis Marokko und Teil einer weltweiten Vision.
Gegen diese Forderung bleibt ein Zwinkern á la Weisglass oder
verbale Tricks á la Peres ohne Erfolg. In der Rede morgen am 14.
Juni wird Netanyahu zwischen drei Alternativen zu wählen haben:
einer frontalen Kollision mit den USA, einem vollkommenen Wandel
seiner Politik oder dem Abtreten von der politischen Bühne.
Die Ära des Zwinkerns ist vorbei.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)
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