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„Sharm-el Sheikh, wir sind wieder da ...."

Uri Avnery, 12.2.05

Keiner nannte sie die „Ophira-Konferenz". Nicht einmal die Zeitungen der extremen Rechten. Wer denkt überhaupt noch an den Namen Ophira, der Sharm-El-Sheikh während der israelischen Besatzung - als erster Schritt zur Annexion – gegeben wurde?

Wer will sich noch an den berühmten Ausspruch von Moshe Dayan erinnern, Sharm-El-Sheikh sei wichtiger als Frieden ? Ein paar Jahre später nahm derselbe Dayan an den Friedensverhandlungen mit Ägypten teil und gab Sharm-El-Sheikh zurück. In der Zwischenzeit aber hatten etwa 2500 junge israelische Soldaten und, wer weiß wie viel Tausende Ägypter für dieses Statement während des Yom Kippurkrieges ihr Leben gelassen.

Während der Konferenz konnte ich mich eines Liedes nicht erwehren, das mich ständig verfolgte: „Sharm-El-Sheikh, wir sind wieder da ..." Es wurde mit Begeisterung in den Tagen der stupiden Euphorie nach dem 6-Tage-Krieg gesungen. Es erinnerte die Leute an die Zeit, als wir den Ort während des Sinaikrieges 1956 eroberten – wo wir aber vom Eisenhower-Bulganin-Ultimatum gezwungen wurden, uns zurückzuziehen. Nun waren wir also wieder hier.

Ich war 1956 dort: eine schöne Bucht (Sharm-el-Sheikh heißt „die Bucht des alten Mannes"), ein paar kleine Häuser und eine charakteristische Moschee. Bevor sich unsere Armee ein paar Monate später zurückzog, sprengte sie in einem Anfall von Wut und Ärger die Moschee in die Luft.

Jetzt 22 Jahre, nachdem wir Ophira das letzte Mal verlassen hatten ( sang keiner „Sharm-El-Sheikh, wir haben dich wieder verlassen..."), behandelten wir den Platz als ägyptischen Urlaubsort, so ägyptisch wie Kairo und Alexandria. Die Vergangenheit ist gelöscht worden. Die Besatzung ist aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwunden.

Das ist die erste optimistische Lektion aus der Konferenz. Man kann sich zurückziehen. Man kann eine Besatzung beenden. Man kann sogar vergessen, dass israelische Besatzung hier je statt gefunden hat.

Der Geist zweier Leute, die nicht anwesend waren – schwebte über dem, was sich dort abspielte.

Der eine war der von George W. Bush. Weder er noch ein anderer Amerikaner saß mit am großen, runden Tisch. Aber alle vier, die dort saßen, wussten, dass sie vollständig abhängig von ihm seien. Husni Mubarak ist abhängig von den 2 Milliarden Dollar, die er jedes Jahr von den USA unter der Schirmherrschaft des Kongresses erhält, die von der Israel-Lobby dominiert wird. König Abdallah von Jordanien erhält viel weniger, aber auch seine Herrschaft hängt von der Unterstützung der USA ab.

Ariel Sharon ist der siamesische Zwilling von Bush und kann sich ohne ihn nicht bewegen. Man kann sich kaum vorstellen, dass er irgendetwas – sei es groß oder klein - tun würde, was Bush aufregen könnte. Abu Mazen spielt va banque in der Annahme, dass Bush den Palästinensern hilft, die Besatzung los zu werden, und mit der Hoffnung, einen Staat zu errichten.

Warum also kamen die Amerikaner nicht nach Sharm? Weil sie nicht bereit waren, das Risiko in einem Prozess zu übernehmen, der womöglich fehl schlagen würde. Sie werden kommen, wenn ein Erfolg sicher ist. Und der ist es im Augenblick nicht.

Der zweite Abwesende war Yasser Arafat.

Die Konferenz hätte ohne seinen mysteriösen Tod nicht stattgefunden. Er nahm Sharon den Vorwand, den Frieden in „Formalin" zu legen, wie es von Dov Weißglas, seinem engsten Mitarbeiter, beschrieben wurde, und der während der Konferenz neben ihm saß. Kein Arafat, kein Vorwand. Israelische Propaganda, die sich große Mühe gegeben hat, Arafat als Teufel darzustellen, wird sich noch größere Mühe geben müssen, um mit Abu Mazen dasselbe zu tun.

Abu Mazen gelang es, den Namen Arafats in seine Rede zu bringen – doch nur auf indirekte Weise. Aber er – und jeder Palästinenser – weiß, dass die 45 Jahre von Arafats Arbeit den Grundstein legten, auf dem Abu Mazen nun seine neue Strategie aufbauen kann. Ohne die 1. Intifada hätte es kein Oslo gegeben, und ohne die zweite Intifada hätte es keine Sharm-El-Sheikh-Konferenz gegeben. Nur der gewalttätige palästinensische Widerstand, den die israelische Armee nicht niederwerfen konnte, hatte Sharon an den runden Tisch gebracht.

Die israelische Armee weiß mittlerweile, dass sie den Aufstand nicht mit militärischen Mitteln besiegen kann. Die Palästinenser haben ihre Selbstachtung wieder gewonnen – so wie die Ägypter im Yom Kippur-Krieg. Viele von ihnen glauben auch, dass Bush in seiner 2. Amtsperiode Israel zu einem Rückzug zwingen wird.

Übrigens hat die Dämonisierung Arafats nach seinem Tode keinesfalls aufgehört. Im Gegenteil, dies geht mit großem Eifer weiter. Der linke und rechte Flügel Israels erklären in fast jedem Artikel und jeder TV-Talkshow einmütig, dass Arafat das große Hindernis zum Frieden war. Nicht die Besatzung, nicht die Siedlungen, nicht die Politik von Netanyahu-Barak-Sharon. Nur Arafat. Der Beweis: Arafat starb - und eins, zwei, drei - schon gibt es eine Konferenz.

Das von Condoleezza Rice gespielte Spiel war besonders amüsant. Sie besuchte die Mukata’ah, wo jeder Stein den Namen Arafats zu schreien scheint. Sie legte keinen Kranz auf sein Grab – was eine minimale Geste der Höflichkeit gewesen wäre, mit der sie die Herzen der Palästinenser gewonnen hätte. Für einen diplomatischen Kompromiss war sie schließlich einverstanden: das Händeschütteln mit Abu Mazen wurde unter dem Bild Arafats aufgenommen.

Arafat hatte wie üblich sein schlaues Lächeln. Er hatte sicher verstanden.

Und was wurde bei der Konferenz erreicht?

Es ist leichter zu sagen, was nicht erreicht wurde.

Das Oslo-Abkommen war ein Fehlschlag, weil dort der Endstatus nicht angesprochen oder erst nach umständlichen Zwischenstadien erreicht werden sollte. Arafat und Abu Mazen hatten ein klares Ziel: ein palästinensischer Staat in allen besetzten Gebieten mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt, Rückzug bis zur Grünen-Linie-Grenze ( mit minimalem Austausch), Auflösung der Siedlungen und eine praktische Lösung für das Flüchtlingsproblem. Die Israelis hatten nicht den Mut, diese unvermeidliche Lösung des Konfliktes zu definieren, und viele träumten noch immer von Groß-Israel.

Dies war ein Rezept für den Fehlschlag. Schon am nächsten Tag begann der Streit um jeden einzelnen Paragraphen.

In Sharm-El-Sheikh wurde die Lösung des Konfliktes überhaupt nicht erwähnt. Abu Mazen gelang es, ein paar Worte darüber zu äußern, aber Sharon reagierte überhaupt nicht. Dieses Überhören ist bedeutsam. Es muss betont werden: Sharon äußerte in Sharm nicht ein einziges Wort, das nicht mit seinem Plan übereinstimmte: 58% der Westbank zu annektieren und die Palästinenser in kleine Enklaven der restlichen Gebieten einzusperren.

So ist es auch mit dem Zeitplan. In Oslo waren Termine festgelegt worden, aber die israelische Seite dachte gar nicht daran, sie einzuhalten. „Es gibt keine heiligen Daten", war Yitzhak Rabins berühmter Ausspruch, nachdem er den Zeitplan unterschrieben hatte.

Das war ein fataler Fehler. Buchstäblich – er tötete Rabin. Das Hinausschieben der Lösung ließ die Friedensgegner Zeit gewinnen, um wieder Stärke zu erlangen, sich neu zu gruppieren und den Gegenangriff zu organisieren, der in der Ermordung von Rabin gipfelte. Vergeblich zitierten wir für Rabin den Spruch von Lloyd George: „Man kann einen Abgrund nicht mit zwei Sprüngen überschreiten."

Abu Mazen sagte in Sharm-El-Sheikh , dass dies der erste Schritt auf einem langen Weg sei. Ein langer Weg ist ein gefährlicher Weg; denn überall lauern Friedenssaboteure, israelische wie palästinensische .

Eine der Grundbedingungen für einen wirklichen Friedensprozess – und vielleicht der wichtigste – ist außerdem die wahrheitsgemäße Darstellung der Realität. Wenn man all den Reden in Sharm-El-Sheikh zugehört hat, konnte man den Eindruck gewinnen, das Hauptproblem sei der „palästinensische Terrorismus", und wenn dieser aufhöre, dann wird alles in Ordnung sein.

Die folgende Reihenfolge wäre dann: a) die Palästinenser beenden ihre „Gewalt", b) Israel stoppt die militärischen Aktionen; c) Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen wird eingerichtet und d) Gott und/oder Allah wird für den Rest sorgen.

Pessimisten werden sagen: Die Konferenz hatte kein Ergebnis. Die Waffenruhe hängt an einem seidenen Faden. Bestenfalls wird Sharon sein Versprechen einhalten, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen und ein paar Siedlungen aufzulösen. Dann werden die Scherereien von Neuem beginnen.

Optimisten werden sagen: das ist ein guter Anfang. Das Ende des „Palästinensischen Terrorismus" wird eine neue Atmosphäre in Israel schaffen. Das Auflösen der ersten Siedlungen wird eine entscheidende Konfrontation mit sich bringen. Die Siedler und die nationalistisch-messianischen Rechten werden besiegt werden. Den Menschen wird klar, dass das Leben anders aussehen kann. Die Dynamik des Prozesses wird Sharon mitreißen; er wird nicht in der Lage sein, diese zu stoppen, selbst wenn er es wollte.

Wer wird recht behalten?

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

 
 

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