Dürre in Texas
Uri Avnery,
14.8. 04
Zu Levi Eshkol, einem
unserer verstorbenen Ministerpräsidenten, eilte einmal einer seiner
Assistenten und rief: „Levi, eine Katastrophe! Eine Dürre ist
ausgebrochen!“
„Wo?“ fragte der
Ministerpräsident beunruhigt, „in Texas?“ „ Nein, in Israel!“
antwortete der Mann. „Dann brauchen wir uns ja keine Sorgen
machen,“ soll Eshkol erleichtert gesagt haben.
Von Anfang an haben sich
Ereignisse in den USA stark auf den Staat Israel ausgewirkt. „Wenn
Amerika niest – dann erkältet sich Israel“ heißt die lokale Version
eines weltweit bekannten Sprichwortes.
Dies trifft besonders vor
Wahlen in den USA zu. Sie können für Israel so wichtig wie die
eigenen Wahlen sein, da der Bewohner des Weißen Hauses das Schicksal
Israels auf verschiedene Weise entscheidend beeinflussen kann. Sie
haben aber eine zusätzliche Bedeutung: die Monate vor den US-Wahlen
sind in Israel eine Art Jagdsaison. (Man kann tun und lassen, was
man will. Übers.)
Man nimmt an, dass kein
Kandidat für das Weiße Haus es wagen würde, amerikanisch-jüdische
Wähler in Wahlzeiten zu provozieren. Sie sind eine außerordentlich
gut organisierte und politisch hoch motivierte Gruppe, die bereit
ist, eine Menge Geld zu spenden – was ihnen große politische Macht
verleiht, die weit über ihre Zahl hinausgeht.
In Wirklichkeit leben jetzt
mehr Muslime als Juden in den USA. Aber sie sind nicht organisiert,
wenig motiviert, und ihre Bereitschaft, große Summen an Geld
auszugeben, ist nahezu Null. Ihr Engagement z.B. für die
palästinensische Sache kann nicht mit der großen Loyalität der Juden
gegenüber Israel verglichen werden. Dazu kommt, dass Israel jetzt
auch von etwa 50 Millionen christlicher Fundamentalisten
unterstützt wird.
Die israelischen Regierungen
legen ihre umstrittensten Maßnahmen natürlich so, dass sie zeitlich
mit den US-Wahlen zusammentreffen. Je kleiner die Kluft zwischen den
Kandidaten ist, um so attraktiver werden die Wahlen für israelische
Planer und Abenteurer.
Der Staat Israel erklärte im
Mai 1948 einseitig seine Unabhängigkeit, als Harry Trumans
Wiederwahlkampagne in einer kritischen Verfassung war. David Ben
Gurion entschied gegen den Rat einiger seiner klügsten Kollegen, die
ihn warnten, dass sich die USA mit aller Macht gegen die
Entscheidung stellen würde. Er aber setzte auf die Unfähigkeit des
amerikanischen Systems, genau dies während einer Wahlkampagne zu
tun.
In jener Zeit war Trumans
Wahlkampagne in größten Geldnöten. Einige jüdische Millionäre
halfen ihm aus. Aus Dankbarkeit und gegen den ausdrücklichen Rat
seines Außenministers (George Marschall) und besonders seines
Verteidigungsministers ( James Forrestal) gab er dem neuen Staat
sofort die de facto Anerkennung. (Stalin übertrumpfte ihn und
erkannte Israel de jure an.)
Seitdem ist dies ein
Muster, das sich immer wieder wiederholt. Die israelische Regierung
gab 1967 den Befehl zum Angriff – und begann so den 6-Tage Krieg -
nachdem sie ein OK vom Präsidenten Lyndon Johnson erhalten hatte,
der zu diesem Zeitpunkt hoffte, wieder gewählt zu werden. Das
kritische erste Jahr nach dem Krieg, als die US 1968 versäumte,
Israel zu zwingen, sich aus den eroberten Gebiete zurückzuziehen,
war natürlich ein Wahljahr. Die meisten unserer gegenwärtigen
Probleme hängen damit zusammen.
Nur einmal ging die Rechnung
nicht auf: als Ben Gurion 1956 mit Frankreich und Britannien eine
geheime Aktion gegen Ägyptens Gamal Abd-el-Nasser unternahm.
Nachdem die Sinaihalbinsel erobert worden war, rief Ben Gurion das
„3. israelische Königreich“ aus. Er war sicher, dass die Amerikaner
so sehr mit ihrer Wahl beschäftigt seien, dass sie sich hier nicht
einmischen würden. Er hatte unrecht.
Präsident Dwight Eisenhower,
der vor einer Wiederwahl stand, war sich seines überwältigenden
Wahlsieges sicher. Er brauchte die jüdischen Stimmen nicht.
Außerdem war er ein Mann mit Grundsätzen. Also setzte er Ben Gurion
eine Art Ultimatum: den Sinai zu räumen – „sonst passiert etwas!“
Vier Tage, nachdem Ben Gurion sein „Königreich“ ausgerufen hatte,
kündigte er seinen Rückzug an. Dies war aber eine Ausnahme.
Ariel Sharon, der sich für
einen persönlichen Jünger Ben Gurions hält ( genau wie Shimon
Peres) gründet seine jetzige Politik auf dieselbe Überlegung.
Präsident George Bush kämpft ums politische Überleben. Er wird es
nicht wagen, zu diesem Zeitpunkt einen Streit mit Israel zu
provozieren. So wird Sharon von jetzt ab bis November tun können,
was ihm gefällt.
Präsident Bushs berühmte
Road Map ist tot. (Ich höre ihn geradezu fragen: „Road Map? Was für
eine Road Map? Die einzige Karte, die ich brauche, ist der
Straßenplan zum Weißen Haus.“) Seine Forderung, alle Bautätigkeiten
in den Siedlungen einzufrieren, auch für das „natürliche Wachstum“
ist zu einem Witz geworden. Sharon hat gerade offen verkündet, dass
600 neue Häuser in der Siedlung Maaleh Adumim ( östlich von
Jerusalem) gebaut werden sollen.
Emissäre des amerikanischen
Sicherheitsrates und des Außenministeriums ( übrigens zionistische
Juden) baten Sharon praktisch auf Knien, Dutzende der nach 2001
entstandenen neuen Siedlungen ( sog. „Außenposten“) zu demontieren.
Sharon hat Bush dies viele Male versprochen – als Gegenleistung für
eine langjährige Pro-Israel-Politik der USA. Sharon müsste es
schwer fallen, die Emissäre nicht auszulachen.
Doch hat er ein vitales
Interesse an Bushs Wiederwahl. Er fürchtet sich vor John Kerry,
auch wenn er genau dasselbe zum israelisch-palästinensischen
Problem sagt wie Bush und Kerrys Großvater „Cohen“ hieß. Erfahrung
hat gezeigt, dass es keine notwendige Verbindung gibt zwischen dem,
was Politiker vor der Wahl sagen – und was sie danach tun. Das ist
die Kehrseite der Wahl-Medaille.
Sharon mag also überredet
worden sein, etwas zu tun – irgend etwas – das Bush zu behaupten
erlaubt, er habe einen „historischen Durchbruch“ im Nahen Osten
erreicht – wer weiß? Vielleicht werden eine Woche vor den Wahlen
drei Wohnmobile (eines Außenpostens) von irgend einem
gottverlassenen Hügel in Samaria abgeholt. Wow!
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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