Ich bin
ein israelischer Patriot, und ich bedarf
niemandes Anerkennung des Rechts meines
Staates zu existieren. Mir reicht es
vollkommen, wenn jemand bereit ist, mit mir
Frieden zu schließen, und zwar auf der
Grundlage von gemeinschaftlich
ausgehandelten Bedingungen und
Grenzziehungen. Ich bin bereit, die
Geschichte, Ideologie und Theologie dieser
Materie den Theologen, Ideologen und
Historikern zu überlassen. |
Mekka
entgegen
Uri Avnery, 17.Februar 2007
MUSS EIN Indianer das Existenzrecht der
Vereinigten Staaten anerkennen?
Eine interessante Frage. Die USA wurden von
Europäern gegründet, die einen Kontinent eroberten,
der ihnen nicht gehörte, die den Großteil der
indigenen Bevölkerung (die „Indianer“ ) in einem
langen Völkermordfeldzug auslöschte, und die die
Arbeit von Millionen Sklaven ausbeuteten, die brutal
aus ihren Leben in Afrika gerissen wurden. Und dabei
haben wir noch gar nicht erwähnt, was heute
geschieht. Muss also ein indianischer Ureinwohner –
oder überhaupt irgendjemand – das Existenzrecht
eines solchen Staates anerkennen?
Aber niemand stellt diese Frage. Die Vereinigten
Staaten kümmern sich einen Dreck darum, ob
irgendjemand ihr Existenzrecht anerkennt oder nicht.
Sie verlangen dies nicht von Staaten, mit denen sie
offizielle Beziehungen pflegen.
Warum? Weil dies komplett lächerlich wäre.
O.k., die Vereinigten Staaten sind älter als der
israelische Staat, und natürlich auch größer und
mächtiger. Aber auch Länder, die keine Supermächte
sind, verlangen dies nicht. Von Indien zum Beispiel,
wird nicht erwartet, Pakistans „Existenzrecht“
anzuerkennen, obwohl Pakistan zur selben Zeit wie
Israel gegründet wurde, und dies – wie im Falle
Israels auch – auf Grundlage einer
ethnisch-religiösen Basis.
ALSO WARUM wird von der Hamas verlangt, „Israels
Existenzrecht anzuerkennen“?
Wenn ein Staat einen anderen „anerkennt“, so handelt
es sich dabei um eine formelle Bestätigung eines
bereits existierenden Faktums. Dies beinhaltet nicht
Zustimmung. Von der Sowjetunion wurde nicht
verlangt, die Existenz der USA als kapitalistischem
Staat anzuerkennen. Nikita Chruschtschow versprach
1956 ganz gegenteilig, die USA zu „beerdigen“. Die
USA wiederum erkannten zu keiner Zeit das Recht der
Sowjetunion an, als kommunistischer Staat zu
existieren.
Also warum wird diese seltsame Forderung den
Palästinensern angetragen? Warum sollen sie das
Existenzrecht Israels als jüdischem Staat
anerkennen?
Ich bin ein israelischer Patriot, und ich bedarf
niemandes Anerkennung des Rechts meines Staates zu
existieren. Mir reicht es vollkommen, wenn jemand
bereit ist, mit mir Frieden zu schließen, und zwar
auf der Grundlage von gemeinschaftlich
ausgehandelten Bedingungen und Grenzziehungen. Ich
bin bereit, die Geschichte, Ideologie und Theologie
dieser Materie den Theologen, Ideologen und
Historikern zu überlassen.
Vielleicht sind wir auch 60 Jahre nach
Staatsgründung und nachdem wir eine Regionalmacht
geworden sind, unser selbst immer noch derartig
unsicher, dass wir nach der stetigen Bestätigung
unseres Existenzrechts von Seiten anderer verlangen
– und dies ausgerechnet von dem Volk, dass wir seit
nunmehr 40 Jahren unterdrücken. Vielleicht ist es
immer noch die Ghetto-Mentalität, die uns derartig
tief eingegraben ist.
Aber diese Forderung, die jetzt an die
palästinensische Einheitsregierung gestellt wird,
ist keinesfalls ehrlich. Im Hintergrund steht eine
politische Absicht, genauer genommen zwei Absichten:
zum einen soll die internationale Gemeinschaft davon
überzeugt werden, die sich gerade formierende
Einheitsregierung nicht anzuerkennen, und zum
anderen soll die Weigerung der israelischen
Regierung, sich auf Friedensverhandlungen mit dieser
Regierung einzulassen, gerechtfertigt werden.
Die Briten bezeichnen einen solchen Zug als Bückling
("roter Hering“) – gemeint ist ein stark riechender
Fisch, mit dem ein Ausbrecher die verfolgenden Hunde
von ihrer Fährte abbringt, indem er den Fisch über
den Weg schleift.
ALS ICH jung war, sagten die jüdischen Leute in
Palästina gerne: „Unsere Geheimwaffe ist die
arabische Verweigerung.“ Sobald jemand einen
Friedensplan vorschlug, konnten wir uns immer auf
das „Nein“ der arabischen Seite verlassen. Richtig,
die zionistische Führung war gegen jeglichen
Kompromiss, der den Status quo befestigt, und damit
das Momentum der zionistischen Expansions- und
Siedlungsbewegung gestoppt hätte. Dennoch sagten die
zionistischen Führer „Ja“ und „Wir reichen unsere
Hände zum Frieden“ – und konnten sich dabei darauf
verlassen, dass die Araber den Vorschlag schon
torpedieren würden.
Das war für den Zeitraum von hundert Jahren gültig,
bis Yassir Arafat die Spielregeln änderte, Israel
anerkannte und unterschrieb das Osloabkommen,
welches die Festlegung der endgültigen Grenz-ziehung
bis spätestens 1999 festlegte. Bis zum heutigen Tag
haben diese Endstatusverhandlungen noch nicht einmal
begonnen. Die aufeinander folgenden israelischen
Regierungen verhinderten dies, da sie unter keinen
Umständen dazu bereit waren, endgültigen
Grenzziehungen zuzustimmen. ( Beim Camp David
Treffen im Jahr 2000 handelte es sich nicht um echte
Verhandlungen – Ehud Barak hatte das Treffen ohne
jegliche Vorbereitung zusammengerufen, seine
Bedingungen den Palästinensern diktiert und den
Dialog abgebrochen, sobald sie diese verweigerten).
NACH DEM Tode Arafats, wurde die Weigerung immer
schwieriger. Arafat wurde nur noch als Terrorist,
Lügner und Betrüger dargestellt. Mahmud Abbas aber
wurde von jedermann als ehrlicher Mensch anerkannt,
der tatsächlich nach Frieden strebe. Dennoch gelang
es Ariel Sharon, jegliche Verhandlungen mit ihm zu
vermeiden. Die „unilaterale Trennung“ diente diesem
Zweck. Präsident Bush unterstützte ihn dabei
tatkräftig.
Nun, Sharon erlitt seinen Schlaganfall, und Olmert
nahm seinen Platz ein. Und dann geschah etwas, das
in Jerusalem für große Freude sorgte: die
Palästinenser wählten die Hamas.
Wie wunderbar! Immerhin bezeichneten sowohl die USA
als auch Europa die Hamas als Terrororganisation!
Hamas ist Teil der schiitischen Achse des Bösen!
(Sie sind keine Schiiten, aber wen kümmert das
schon!) Hamas erkennt Israel nicht an! Hamas
versucht Mahmud Abbas zu eliminieren, den noblen
Mann des Friedens! Selbstverständlich ist es weder
notwendig, noch machte es Sinn, mit einer solchen
Gang Verhandlungen über Frieden und Grenzen zu
führen.
Und tatsächlich boykottieren die Vereinigten Staaten
und ihre europäischen Satelliten die
palästinensische Regierung und lassen die
palästinensische Bevölkerung hungern. Sie haben drei
Bedingungen für die Aufhebung der Blockade gesetzt:
a) dass die palästinensische Regierung und die Hamas
das Existenzrecht Israels anerkennen, b) dass sie
den „Terror“ beenden müssen, und c) dass sie die mit
der PLO unterzeichneten Verträge erfüllen müssen.
Oberflächlich gesehen, macht all das Sinn. In der
Realität hingegen nichts von alledem. Weil all diese
Bedingungen komplett einseitig sind:
a) die Palästinenser müssen Israels Existenzrecht
anerkennen (ohne jedoch dessen Grenzen zugleich
definieren zu können), die israelische Regierung
hingegen muss nicht das Existenzrecht eines
palästinensischen Staates anerkennen.
b) die Palästinenser müssen dem „Terror“ ein Ende
setzen, aber die israelische Regierung muss nicht
seine militärischen Aktionen in den besetzten
Gebieten beenden oder mit dem Siedlungsbau aufhören.
Die „Roadmap“ hatte genau dies tatsächlich
gefordert, wird aber von jedermann ignoriert,
insbesondere von den Amerikanern.
c) die Palästinenser müssen die Verträge erfüllen,
nicht aber die israelische Regierung, die nahezu
alle Artikel der Verträge von Oslo gebrochen hat.
Unter anderem: die Eröffnung einer „sicheren
Passage“ zwischen der Westbank und dem Gazastreifen,
den Vollzug der dritten „militärischen
Rückzugsphase“ (Rückzug von palästinensischem
Gebiet), die Behandlung der Westbank und des
Gazastreifens als einer Entität, und so weiter und
so fort.
Seitdem die Hamas an die Macht gekommen ist, haben
ihre Führer verstanden, dass sie flexibler werden
müssen. Sie haben ein offenes Ohr für die
Befindlichkeit ihres Volkes. Die palästinensische
Bevölkerung sehnt sich nach einem Ende der Besatzung
und einem Leben in Frieden. Daher hat sich die Hamas
Schritt für Schritt einer Anerkennung Israels
angenähert. Ihre religiöse Doktrin erlaubt ihnen
nicht, dies öffentlich zu deklarieren (jüdische
Fundamentalisten lassen auch nicht von dem Wort
„Deinen Nachfahren gebe ich dieses Land“), aber sie
hat dies sehr wohl indirekt getan. Ein kleiner
Schritt, aber eine große Revolution.
Hamas hat seine Unterstützung für die Schaffung
eines palästinensischen Staates innerhalb der
1967-er Grenze verkündet – wohlgemerkt: nicht statt
Israel, sondern an Israels Seite.
(Noch diese Woche hat der ehemalige Minister Kadura
Fares wiederholt, dass der Hamas- Führer Khalel
Mashal dies bestätigt hat). Hamas hat Mahmud Abbas
mit der Verhandlungsvollmacht mit Israel
ausgestattet und sich von vorneherein verpflichtet,
jeglicher durch ein Referendum ratifizierten
Übereinkunft zuzustimmen. Abbas befürwortet
natürlich die Schaffung eines palästinensischen
Staates neben Israel entlang der Grünen Linie. Es
gibt keinen geringsten Zweifel daran, dass die große
Mehrheit der Palästinenser einem solchen Vertrag
zustimmen würde, sobald er ausgehandelt wäre.
In Jerusalem macht sich die Sorge breit. Wenn dies
so weiter geht, könnte die Welt glatt den Eindruck
erhalten, dass sich die Hamas geändert hat, und
daraufhin – Gott behüte! – die ökonomischen
Sanktionen gegen die Palästinenser aufheben.
NUN KOMMT der saudische König dazu und stört Olmerts
Pläne noch einmal zusätzlich.
In einem beeindruckenden Ereignis, im Angesicht der
heiligsten Stätte des Islam, beendete der König die
blutige Fehde zwischen den palästinensischen
Sicherheitsorganen und bereitete den Grund für eine
palästinensische Einheitsregierung. Hamas
verpflichtete sich, die von der PLO unterzeichneten
Verträge, einschließlich des Oslo-Abkommens, das ja
die gegenseitige Anerkennung des Staates Israel und
der PLO als legitime Vertretung des
palästinensischen Volkes beinhaltete, zu
respektieren.
Der König hat damit die palästinensische Sache aus
der Umklammerung des Iran gelöst, an die sich die
Hamas aufgrund mangelnder Alternativen gewandt
hatte, und hat Hamas damit in den Schoß der
sunnitischen Familie zurückgeführt. Da Saudi-Arabien
der Hauptalliierte der USA im arabischen Raum ist,
hat es damit zugleich die palästinensische Sache mit
Nachdruck auf den Arbeitstisch des Oval Office
gebracht.
In Jerusalem wäre beinahe Panik ausgebrochen. Dies
ist der bedrückendste aller Albträume: die Angst,
dass die uneingeschränkte Unterstützung Israels
durch die USA und Europa beeinträchtigt werden
könnte.
Die Panik zeitigte unmittelbare Resultate:
„politische Kreise“ in Jerusalem verkündeten, sie
lehnten das Mekka-Abkommen von vorneherein ab. Dann
setzte ein zweiter Gedanke ein. Shimon Peres, der
bereits seit langem gekrönte Meister der
„Jein“-Methode, überzeugte Olmert, dass das rüde
„Nein“ durch ein etwas gefälligeres „Nein“ zu
ersetzen sei. Zu diesem Zwecke wurde erneut der
Bückling aus dem Kühlschrank genommen.
Es reicht nicht aus, dass die Hamas Israel de facto
anerkennt. Israel besteht darauf, sein
„Existenzrecht“ sei auch noch anzuerkennen sei.
Politische Anerkennung reiche nicht aus, es bedürfe
der ideologischen Anerkennung. Getreu dieser Logik
könnte man auch gleich verlangen, dass Khaled Mashal
doch, bitte, der zionistischen Bewegung beitreten
solle.
WENN JEMAND denkt, Frieden sei für Israel wichtiger
als Expansion und Siedlungen, dann müsse derjenige
die im Mekka-Abkommen dokumentierte Wandlung der
Hamas begrüßen – und die Organisation darin
bestärken, diesen Weg fortzusetzen. Dem König Saudi
Arabiens, dem es bereits gelungen ist, alle
arabischen Staaten dazu zu bewegen, Israel im
Gegenzug gegen die Schaffung eines palästinensischen
Staates innerhalb der Grünen Linie anzuerkennen,
sollte aufs herzlichste gratuliert werden.
Aber wenn jemand den Frieden ablehnt, weil dieser
die Grenzen Israels endgültig festsetzen und keine
weitere Ausdehnung erlauben würde, dann wird er
alles tun, um die Amerikaner und Europäer davon zu
überzeugen, dass der Boykott der palästinensischen
Regierung und des palästinensischen Volkes
aufrechtzuerhalten sei.
ÜBERMORGEN WIRD Condoleeza Rice einem Treffen von
Olmert und Abbas in Jerusalem vorsitzen.
Die Amerikaner haben nun ein Problem. Auf der einen
Seite brauchen sie den saudi-arabischen König.
Dieser sitzt nicht nur sitzt er auf großen
Ölreserven, sondern ist auch der Eckstein des
„moderaten sunnitischen Blocks“. Wenn der König Bush
sagen sollte, die Lösung des palästinensischen
Problems werde ( dringend) gebraucht, um die
wachsende Einflussnahme des Iran im Nahen Osten zu
verhindern, so wäre dies eine Äußerung von großem
Gewicht. Falls Bush einen militärischen Angriff auf
den Iran plant - und es hat den Anschein, dass er
dies tut – so ist es wichtig für ihn, die Sunniten
vereinigt an seiner Seite zu wissen.
Andererseits ist Bush auf die Pro-Israel Lobby –
sowohl auf die jüdische als auch die christliche –
angewiesen. Es ist für ihn insbesondere von vitalem
Interesse, die „Christliche Basis“ der Republikaner
hinter sich zu wissen, die die radikale Rechte in
Israel unterstützen, komme da, was da wolle.
Also, was muss getan werden? Nichts. Für dieses
Nichts fand Condi im Fundus des aktuellen
amerikanischen Slang einen geeigneten diplomatischen
Slogan: „Neue politische Horizonte“.
Offensichtlich hat sie nicht über die Bedeutung
dieser Worte nachgedacht; denn der Horizont ist
etwas, dass man niemals erreicht: je mehr man sich
ihm näherst, umso mehr zieht er sich zurück.
(Aaus dem
Englischen von Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)