Mittagessen in Damaskus
Uri Avnery,
7.10.06
WÄHREND EINER Taxifahrt hatte ich einmal ein Streitgespräch
mit dem Taxifahrer – dazu muss man wissen, dass
Taxifahrer in Israel für ihre extrem rechten Ansichten
bekannt sind. Ich versuchte vergeblich, ihn davon zu
überzeugen, dass Frieden mit den Arabern nur
wünschenswert sei. In unserm Land, das während der
letzten 100 Jahre keinen einzigen Tag Frieden erlebt
hat, wirkt Frieden manchmal wie Science-Fiction.
Plötzlich hatte ich eine Eingebung. „Wenn wir Frieden haben
werden“, sagte ich, „könnten Sie am Morgen Ihr Taxi
nehmen und nach Damaskus fahren, dort Mittagessen mit
echtem Hummus haben und abends wieder zu Hause sein.“
Er jauchzte bei diesem Gedanken: „Wow! Wenn dies geschieht,
dann nehme ich Sie umsonst mit!“
„Und ich werde Sie zum Mittagessen einladen!“ antwortete ich.
Er träumte weiter. „Wenn ich mit meinem Wagen nach Damaskus
fahren kann, dann kann ich ja von dort in einem weiter
durch nach Paris fahren!“
BASHAR AL-ASSAD hat es wieder getan. Es ist ihm gelungen, die
israelische Regierung zu verwirren.
Solange er die fast rituelle Drohung ausspricht, den Golan
mit Gewalt zu befreien, regt sich niemand auf. Es
bestätigt nur, was eigentlich jeder hören will: es gibt
mit Syrien keine Möglichkeit des Friedens. Früher oder
später werden wir mit Syrien einen Krieg haben.
Wozu ist das gut? Ganz einfach: Frieden mit Syrien bedeutet,
die Golanhöhen zurückgeben (der Definition nach
syrisches Territorium). Kein Frieden - keine
Notwendigkeit, sie zurückzugeben.
Aber wenn Bashar damit beginnt, über Frieden zu reden, dann
beunruhigt uns dies. Das ist wie eine ernst zu nehmende
Verschwörung. Das kann – Gott bewahre! – eine Situation
schaffen, die uns zwingt, das Gebiet zurückzugeben.
Deshalb sollten wir nicht einmal darüber reden. Diese
Nachricht muss in den Zeitungen in irgendeiner Ecke
versteckt werden und im Fernsehen, als nur „ eine
weitere Rede Assads“ auftauchen. Die Regierung weist
sie von Anfang an zurück; man könne darüber nicht einmal
diskutieren, bis …
Bis was? Bis Assad aufhört, die Hisbollah zu unterstützen.
Bis Syrien die Vertreter von Hamas und der anderen
palästinensischen Organisationen hinauswirft. Bis ein
Regimewechsel in Syrien stattfindet. Bis eine Demokratie
im westlichen Stil errichtet wird. Kurz, bis er sich als
Mitglied der zionistischen Organisation eintragen
lässt….
DIE BEZIEHUNGEN zwischen Israel und Syrien haben eine
dokumentierte Geschichte von mindestens 2859 Jahren. Im
Jahr 853 v. Chr. wird Israel anscheinend zum ersten Mal
in einem authentischen Dokument außerhalb der Bibel
erwähnt. Zwölf Herrscher der Region, von den Königen von
Damaskus und Israel angeführt, haben sich gegen die
wachsende Bedrohung durch die Assyrer verbunden. Die
entscheidende Schlacht fand bei Karkar (im Norden des
heutigen Syriens) statt. Nach einem assyrischen Dokument
kämpften 20 000 Soldaten und 1200 Kampfwagen von
Damaskus Seite an Seite mit 10 000 Soldaten und 2000
Kampfwagen von König Ahab von Israel. Es ist nicht ganz
klar, welche Seite gewann.
Aber das war eine vorübergehende Allianz. Meistens kämpften
Israel und Aram-Damaskus um die regionale Vorherrschaft
gegen einander. Ahab starb nur zwei Jahre nach der
Schlacht gegen die Assyrer in einem Krieg gegen Aram den
Heldentod.
In unsern Zeiten opponierten die Syrer – obwohl zunächst noch
unter französischer Kolonialherrschaft – von Anfang an
energisch gegen das zionistische Untenehmen. Aber sie
waren auch gegen die palästinensische Nationalbewegung.
Das hat einen historischen Grund: in der arabischen
Sprache wird Syrien Al-Sham (der Norden)
genannt, dazu gehörte das ganze Gebiet zwischen Ägypten
und der Türkei. Deshalb ist im arabischen Bewusstsein
nicht nur der Libanon, sondern auch Jordanien, Palästina
und Israel ein Teil Syriens.
Als Yasser Arafat Ende der 50er Jahre die unabhängige
palästinensische Nationalbewegung gründete, verlangten
die Syrer, als Protektoren des palästinensischen Volkes
anerkannt zu werden. Als Arafat dies ablehnte, warfen
die Syrer die ganze palästinensische Führung ins
Gefängnis (außer der Frau von Abu Jihad, Intissar
al-Wasir. Sie übernahm das Kommando der Fatahkämpfer –
und wurde so die erste Frau der Moderne, die eine
arabische Kampftruppe befehligte).
Natürlich fanden alle Feinde Arafats Zuflucht in Damaskus,
und das ist der ursprüngliche Grund für die Präsenz
einiger Führer von Hamas und anderer Organisationen
dort. Sie waren eher eine Bedrohung für die PLO als für
Israel.
IM KRIEG von 1948 war die syrische Armee die einzige
arabische Armee, die nicht besiegt worden war. Sie
besetzte weiter ein Stück israelisches Gebiet. Entlang
der Grenze fanden viele Zwischenfälle statt (meistens
von einem Offizier mit Namen Ariel Sharon initiiert).
Am Ende besetzte die israelische Armee die Golanhöhen im
Sechs-Tage-Krieg, für dessen Ausbruch die Syrer einige
Verantwortung trugen.
Seitdem haben sich alle Beziehungen zwischen Israel und
Syrien auf dieses besetzte Gebiet konzentriert. Seine
Rückgabe ist das oberste syrische Ziel. Israel hat
inzwischen das israelische Gesetz dort eingeführt
(das, im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht weniger als
Annexion bedeutet). Hafez al-Assad eroberte den Golan
im Krieg von 1973 wieder zurück, wurde aber schließlich
bis in die Nähe von Damaskus zurückgetrieben. Seitdem
haben die Syrer meist über die Hisbollah versucht,
Israel zu belästigen.
Es gab einmal die Idee einer „östlichen Front“ - eines
koordinierten Angriffs von Jordanien, Syrien und dem
Irak - die in Israel Alpträume verursachte. Die
Prophezeiung des Jeremia (1,14): „Von Norden wird das
Unheil losbrechen über alle, die im Lande wohnen“
hallte durch die Kriegsräume des Oberen Armeekommandos.
Seitdem haben wir Frieden mit Jordanien gemacht. Der
Irak wurde von den Amerikanern mit der begeisterten
Unterstützung Israels und seiner amerikanischen Lobby in
tausend Stücke geschlagen. Aber die Syrer werden noch
immer als Bedrohung empfunden, weil sie mit dem Iran
verbündet und mit der Hisbollah verknüpft sind.
Lohnt es sich für uns, in solch einer Situation zu leben, nur
um die Golanhöhen zu halten? Der normale
Menschenverstand sagt nein. Wenn wir mit Syrien ein
Friedensabkommen erreichen, wird automatisch auch ein
Abkommen mit der Hisbollah folgen. Ohne den syrischen
Konsens ist die Hisbollah keine wirksame Militärmacht,
da praktisch alle Hisbollahwaffen aus Syrien kommen oder
durch Syrien transportiert werden. Ohne syrische
Unterstützung wird die Hisbollah eine rein libanesische
Partei werden und aufhören, für uns eine Bedrohung
darzustellen.
Zudem ist Syrien ein durch und durch säkulares Land. Als die
Muslimische Bruderschaft gegen Assad sen. rebellierte,
richtete er unter ihnen ein Blutbad an. Die Syrer sind
größtenteils Sunniten. Wenn Syrien mit Israel Frieden
schließt, wird es keinen Grund haben, weiter mit den
fanatischen Schiiten des Iran verbündet zu bleiben.
Warum machen wir dann keinen Frieden mit Syrien?
FÜR DEN jetzigen Zeitpunkt gibt es zwei Gründe: einen innen-
und einen außenpolitischen.
Der innenpolitische Grund ist die Präsenz von 20 000 Siedlern
auf den Golanhöhen, die viel populärer sind als die
Siedler in der Westbank. Es sind keine religiösen
Fanatiker, und ihre Siedlungen wurden unter der
Schirmherrschaft der Labor-Partei errichtet. Keine
israelische Regierung hatte den Mut, sie in Frage zu
stellen.
Dies ist der wahre Grund für das Scheitern aller Versuche,
mit Syrien zu verhandeln. Yitzhak Rabin dachte darüber
nach und machte einen Rückzieher. Er vertrat den
Standpunkt, man solle zunächst das palästinensische
Problem lösen. Ehud Barak wäre es fast gelungen, ein
Abkommen mit Syrien zu schließen; auch er zog sich im
letzten Augenblick zurück. Die einzige damals noch
offene Frage war fast lächerlich: sollten die Syrer das
Ufer des Sees Genezareth erreichen (so wie es vor dem
6-Tage-Krieg war) oder in einer Entfernung von ein paar
dutzend Metern (so wie die Grenze zwischen den Briten
und den Franzosen, die damals über Palästina bzw. Syrien
herrschten, festgelegt worden war)? Populär gesprochen:
Darf Assad seine langen Beine im Wasser des Sees
baumeln lassen? Für Assad sen. war es eine Frage der
Ehre.
Lohnt es sich, dafür das Leben von Tausenden von Israelis und
Syrern aufs Spiel zu setzen, die bei einem weiteren
Krieg sterben würden?
Bis Israel eine Regierung hat, die bereit wäre, diese Frage
zu beantworten und den Siedlern mutig
gegenüberzutreten, wird es kein Abkommen mit Syrien
geben.
Der zweite - der außenpolitische - Grund, einen Frieden mit
Syrien zurückzuweisen, liegt bei den USA. Syrien gehört
zu George Bushs „Achse des Bösen“. Dem amerikanischen
Präsidenten sind die längerfristigen Interessen Israels
völlig gleichgültig. Für ihn ist es nur wichtig,
irgendeine Art Sieg im Nahen Osten zu erlangen: Die
Zerstörung des syrischen Regimes („Ein Sieg für die
Demokratie“) würde ihn für das Fiasko im Irak
entschädigen.
Keine israelische Regierung – und gewiss nicht die von Olmert
– würde es wagen, gegen den amerikanischen Präsidenten
zu handeln. Deshalb ist es selbstverständlich, dass jede
Bewegung in Richtung Frieden von Seiten Assads von
Anfang an zurückgewiesen wird. Selbst Zipi Livni, die
letzte Woche eine neue Front gegen Olmert eröffnet und
sich selbst fast als eine Friedensanhängerin
präsentiert hat, stellt sich gegen Verhandlungen mit
Syrien.
DIESE AFFÄRE wirft einiges Licht auf die komplexen
Beziehungen zwischen Israel und den US: wer wedelt mit
wem - wedelt der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz
mit dem Hund?
Olmert sagt, wir müssen Assads Friedensangebot ignorieren,
weil wir ihm nicht helfen wollen, Bushs Zorn zu
entkommen. Verweilen wir einen Augenblick bei dieser
Äußerung.
Ein israelischer Patriot würde natürlich genau das Gegenteil
sagen: Wenn Assad bereit ist, mit uns Frieden zu machen
– und sollte es nur deshalb sein, weil er Angst vor den
Amerikanern hat – dann sollten wir diese Gelegenheit
und Situation ausnützen, um endlich an unserer
Nordostgrenze Frieden zu erlangen.
In der vergangenen Woche machte Olmert eine bemerkenswerte
Erklärung: „ So lange wie ich Ministerpräsident bin,
werden wir die Golanhöhen auf ewig nicht aufgeben!“ Was
heißt das? Entweder glaubt Olmert, dass seine Amtszeit
mit Gottes Amtszeit übereinstimmt, und er in alle
Ewigkeit regieren werde – oder: in Olmerts Welt dauert
die Ewigkeit bestenfalls vier Jahre.
Auf jeden Fall müssen mein Taxifahrer und ich bis dahin auf
das Mittagessen in Damaskus warten.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz,
vom Verfasser autorisiert)
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