Der `zweite Libanonkrieg`: Ein
dummer Krieg
Drei Fragen - 15.7.2007
Jerusalem
(Weltexpress) - Ein Detektiv, der ein Verbrechen
aufzudecken versucht, stellt die Frage „cui bono?“ (Wem
nützt es?) Wenn wir versuchen, das Verbrechen, das
„Zweiter Libanonkrieg“ genannt wird, aufzudecken, muss
diese Frage an erster Stelle stehen.
Vorgestern, genau
ein Jahr nach Kriegsanfang, widmeten alle israelischen
Medien einen großen Teil ihrer Zeit rückblickenden
Analysen dieses Krieges. Eine Fernseh-Stunde nach der
anderen, eine Seite nach der anderen in den Printmedien.
Als der Krieg
ausbrach, feuerten alle Medien Olmert an. Abgesehen von
ein paar einsamen Stimmen funktionierten die Medien wie
eine Gruppe herumtanzender Cheerleader bei einem
amerikanischen Fußballspiel. Die
Antikriegsdemonstrationen wurden beiseite gewischt. Kein
Wunder, dass auch in dieser Woche der Antikriegsprotest
vollständig ignoriert wurde, und alle Kritik in den
Medien von der politisch Rechten kam.
Dutzende
scharfzüngiger Fragen wurden erhoben: Warum wurde die
Entscheidung übereilt getroffen? Warum war die Armee
nicht bereit? Warum war das Hinterland im Norden nicht
auf einen Krieg vorbereitet? Nur eine Frage wurde nicht
gestellt: Warum eigentlich wurde ein Krieg geführt?
Frage Nummer 1:
Wer wollte davon profitieren?
Um zu verstehen,
warum der Krieg ausbrach, sollte man nicht die Frage
stellen, wer profitierte tatsächlich davon? Die
entscheidende Frage ist, wer hätte von dem Unternehmen
profitiert, wenn er – wie geplant – ein Erfolg gewesen
wäre?
Derjenige, der am
meisten profitiert hätte, wäre der Präsident der USA
gewesen. George Bush steckte schon tief im irakischen
Sumpf. Er benötigte verzweifelt einen Erfolg im Nahen
Osten.
Die israelische
Armee sollte die Hisbollah vernichten, die als Teil der
„Achse des Bösen“ betrachtet wird, um so der
pro-amerikanischen Marionettenregierung von Fuad Siniora
zu erlauben, den ganzen Libanon zu kontrollieren. Da
niemand Zweifel an der riesigen Überlegenheit der
israelischen Armee über die kleine Guerillagruppe hegte,
glaubte man, sie in wenigen Tagen zu erledigen.
Das Szenarium
schließt ein zweites Kapitel ein: die siegreiche
israelische Armee sollte die syrische Armee provozieren,
so dass nach einem kurzen Krieg das Regime von Bashar
al-Assad in sich zusammenstürzt. Die „Achse des Bösen“
wäre auf diese Weise zerschlagen worden. Die
amerikanische öffentliche Meinung wäre überzeugt worden,
dass die „Vision“ des Präsidenten Bush realisiert worden
sei: „Demokratie“ im Nahen Osten wäre triumphierend auf
dem Vormarsch, das Irak-Fiasko wäre irrelevant geworden.
Der zweite
Profiteur würde Ehud Olmert gewesen sein. Der
Ministerpräsident, der durch reinen Zufall das Amt von
Ariel Sharon übernommen hatte, und der bis dato als
unbedeutender Politiker angesehen worden war, wäre als
hervorragender Führer, Staatsmann und Stratege anerkannt
worden. Selbst der Gewerkschafts-Heini (Peretz), den
Olmert mit dem Verteidigungsministerium beauftragt
hatte, hätte daraus Kapital geschlagen.
Nach diesem
Szenario wäre die Bedrohung Israels aus dem Norden
beseitigt, das Arsenal von Raketen wäre zerstört worden.
Die Hisbollah wäre von der Landkarte gewischt worden,
eine Allianz hätte sich zwischen Jerusalem und der
Marionettenregierung der Amerikaner in Beirut gebildet.
Und wenn auch noch Syrien zusammengebrochen wäre, dann
wäre eine ideale Situation erreicht worden. Die ganze
Bedrohung des Nordens Israels, die das israelische
Militär seit Jahrzehnten beunruhigte – der „Halbmond“
Irak, Syrien und Libanon - wäre neutralisiert worden.
Olmert wäre als der Mann in die Geschichte eingegangen,
der den Vers aus der Bibel gelöscht hätte: „Von Norden
her wird das Unheil losbrechen über alle, die im Lande
wohnen.“ (Jeremia 1, 14).
Die indirekten
Profiteure wären die Herrscher Ägyptens, Jordaniens und
vielleicht auch Saudi-Arabiens gewesen. Die
Palästinenser wären in ihrem Kampf sogar mehr denn je
isoliert worden.
Wer drängte wen in
den Krieg? Drängte Bush Olmert oder drängte Olmert Bush?
Es mögen Jahre vergehen, bevor man dies sicher weiß –
und tatsächlich ist dies ziemlich unwichtig.
Frage Nummer 2:
Wer hat tatsächlich von diesem Krieg profitiert?
Zu jedermanns
Erstaunen ist Israels Armee an seiner Aufgabe
gescheitert. Die Hisbollah wurde nicht besiegt, sondern
hielt gegen eine Militärmaschinerie stand, die als die
fünft stärkste in der Welt angesehen wird. Es war der
längste Krieg in den Annalen Israels seit 1949 und der
endete in einer Pattsituation. Wer profitierte also?
Nicht Israel. Die
Luftwaffe zerstörte zwar einen großen Teil von
Hisbollahs Arsenal von Langstreckenraketen, aber die
Kurzstreckenraketen verursachten Chaos im Norden Israels
und machten der ganzen arabischen Welt deutlich, wie
verwundbar Israel für diese Art Waffen ist.
Die beiden
gefangen genommenen israelischen Soldaten - die die
verlogene Rechtfertigung für den Krieg lieferten –
wurden nicht befreit. Internationale Truppen sind zwar
als Puffer zwischen Israel und die Hisbollah gelegt
worden. Dies war als riesiger Erfolg dargestellt worden.
Doch vor dem Krieg war das israelische Militär
hartnäckig gegen genau solche Militärkräfte. Die Armee
fürchtete den Verlust ihrer Aktionsfreiheit gegenüber
der Hisbollah. Nun verteidigen die UN-Truppen die
Hisbollah gegen die israelische Armee genau so wie sie
Israel gegen die Hisbollah verteidigen.
Die USA
profitierten auch nicht von diesem Krieg. Nach
durchsickernden Berichten aus Washington hat der
Misserfolg der israelischen Armee Bush wütend gemacht.
Er hat seinen Zorn auf Olmert gerichtet. Die israelische
Armee habe ihn enttäuscht. Im Laufe des Krieges hat Bush
mit der großzügigen (und verabscheuungswürdigen) Hilfe
verschiedener Regierungen, einschließlich Deutschlands,
immer wieder das Eintreten eines Waffenstillstands
verhindert, um Israel ein bisschen mehr Zeit zu geben,
seine Aufgabe zu erfüllen. Doch dies half nichts.
Auch die Hisbollah
hat nicht gewonnen. Ihre Standhaftigkeit gegen die
israelische Armee wurde zwar von vielen als Heldentum
betrachtet, das die Würde der ganzen arabischen Welt
wiederherstellte. Hisbollahs Verluste werden seitdem
wieder wettgemacht. Aber Hassan Nasrallah, der eine
außerordentliche Integrität ausstrahlt, befand es für
notwendig, in der Öffentlichkeit zuzugeben, dass er den
anfänglichen Vorstoß in israelisches Territorium nicht
durchgeführt hätte, wenn er gewusst hätte, was danach
folgen würde. Er entschuldigte sich bei den Libanesen,
Israel einen Vorwand für den Krieg geliefert zu haben,
der so viel Tod und Zerstörung im Libanon angerichtet
hatte.
Die Hisbollah ist
vor allem ein Teil der libanesischen Szene. Das
Hauptziel Nasrallahs ist für die Hisbollah – und für
sich selbst - eine dominante Position im politischen
System seines Landes zu sichern. Seine Verbindungen mit
Syrien und dem Iran sind eine Folge dieses Ziels. Die
schiitische Verschwörung und die terroristische „Achse
des Bösen“ existieren nur in der blühenden Phantasie von
George W.
Der Krieg hat die
Hisbollah im Libanon nicht geschwächt. Einen Beweis
dafür gab es in dieser Woche, als der Präsident
Frankreichs, Nicholas Sarkozy, die Hisbollah einlud, an
einer Konferenz aller libanesischen Gruppierungen in
Paris teil zu nehmen. Aber es scheint, dass der Krieg
die Hisbollah auch nicht gestärkt habe.
Hat der Iran
profitiert? Nachdem die USA ihm den Gefallen getan und
den Irak zerstört hat, der Jahrhunderte lang als
Sperrgürtel zwischen dem Iran und dem arabischen Nahen
Osten gedient hat, hat er nun im Irak genau wie im
Libanon ein Einflussgebiet hinzugewonnen. Das hat aber
auch seine Nachteile: diese Situation drängt seine
potentiellen Feinde unter der Führung von Ägypten und
Saudi Arabien zu Präventivaktionen.
Die
Schlussfolgerung: keiner hat in diesem Krieg gewonnen,
der so viel Tod und Zerstörung verursacht hat: nach den
letzten Zählungen wurden in den 34 Kriegstagen 119
israelische Soldaten und 39 Zivilisten und 1200
libanesische Zivilisten und Kämpfer getötet. 2250
Israelis und 4400 Libanesen wurden verletzt. 300 000
Israelis und eine Million Libanesen mussten ihre Häuser
verlassen, und 200 000 Libanesen sind noch immer nicht
zurückgekehrt.
Frage Nummer 3:
Hat Israel irgendwelche Folgerungen daraus gezogen?
Seit einem Jahr
zieht jeder eifrig "Schlussfolgerungen“. Von der
Winograd-Untersuchungskomission bis zum letzten
Fernsehreporter. J-e-d-e-r.
Aber dies ist eine
Täuschung. Als Ergebnis der Konspiration des Schweigens
im Hinblick über die grundsätzlichen Fragen dieses
Krieges ist es völlig unmöglich, sich mit den Ursachen
des Problems zu befassen.
Jeder beschäftigt
sich natürlich mit der Rehabilitation der Armee. Gott
sei Dank, hat sich alles verändert. Anstelle des
„beflügelten“ Armeechefs (Halutz) haben wir nun einen
mit Staub bedeckten Kommandeur, Gabi Ashkenazi. Jeden
Tag sehen wir im Fernsehen, wie die Brigaden trainieren,
wie Soldaten zwischen Dornenbüschen herumkriechen und
wie Panzer vor Ort eingesetzt werden. Das nächste Mal
(und jeder betrachtet es als selbstverständlich, dass es
ein nächstes Mal geben wird) wird die israelische Armee
bereit sein.
Keiner weist auf
die Absurdität dieses Spektakels hin. Die Armee war für
den letzten Krieg nicht vorbereitet, also trainiert sie
jetzt mit großer Entschlossenheit – für den letzten
Krieg. Die Folgerungen sind aus dem Mangel an
Einsatzbereitschaft für den vergangenen Feldzug gezogen
worden, also ist jetzt jeder für den vergangenen Feldzug
bereit.
Wenn es etwas
gibt, dass man mit Sicherheit über den nächsten Krieg
vermuten kann - falls es einen geben wird - dann ist es,
dass er sicher keine Wiederholung des letzten sein wird.
Raketen werden sicher eine größere Rolle spielen, und
diese werden eine größere Reichweite haben. Die Waffen
werden noch raffinierter sein. Das Schlachtfeld wird ein
anderes sein.
Viel ist über die
Unfähigkeit der gewählten Regierung gesagt worden, sich
gegenüber dem Armeekommando in Diskussionen über Leben
und Tod, über einen Kriegsbeginn und die Durchführung
eines Feldzuges, zu behaupten. Die Leute trösten sich
mit dem Gedanken, dass wir jetzt einen „erfahrenen“
Verteidigungsminister haben, Ehud Barak, einen früheren
Generalstabschef, Ministerpräsidenten und
Verteidigungsminister. Aber der Personalwechsel bringt
nicht unbedingt eine Veränderung im Mächtegleichgewicht
mit sich: auch in der Zukunft wird ein Haufen Politiker,
die zufällig Mitglieder der Regierung geworden sind, es
nicht wagen, den autoritären und entschlossenen
Ansichten der militärischen Führung gegenüber zu treten,
die immer - wirklich immer - einen „professionellen“
Geheimdienstbericht liefert, um diese Ansichten zu
unterstützen.
Dieses Phänomen
hat Israel seit seiner Gründung begleitet. Ein starker
Führer wie David Ben Gurion und vielleicht Ariel Sharon,
könnte - vielleicht, vielleicht – irgendwie dieses
Ungleichgewicht aufheben. Aber das Ungleichgewicht
bleibt.
Dies findet jetzt
in endlosen Reden über „den nächsten Krieg“ seinen
Ausdruck, „Krieg in diesem Sommer“, „eine
Fehlkalkulation, die womöglich einen Krieg mit Syrien
einleitet“, „Der unvermeidliche Angriff auf Irans
Nuklearanlagen“ und so weiter. Es ist die Armee, die den
öffentlichen Diskurs bestimmt. Und wie der frühere
Oberrabbiner Frankreichs in dieser Woche in Jerusalem
klagte: „Das Wort `Frieden` ist in Israel ein
schmutziges Wort geworden.“
Fast jeder Krieg
ist ein dummer Krieg. Der letzte Krieg war dümmer als
die meisten anderen. Der nächste Krieg, falls es einen
geben wird, wird sogar noch dümmer sein.
Aus dem Englischen
übersetzt von Ellen Rohlfs und Christoph Glanz. Die
Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert.