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Brillante Isolation
Uri Avnery, 20. Dezember 2014
FAST
EINTAUSEND israelische Persönlichkeiten haben schon einen Aufruf an
das Europäische Parlament unterschrieben, sie sollten ihre
Regierungen bitten, den Staat Palästina
anzuerkennen.
Ich
habe die Ehre, unter den Unterzeichnern zu sein, zu denen frühere
Minister und Knesset-Mitglieder, Diplomaten und Generäle, Künstler
und Geschäftsleute, Schriftsteller und Dichter gehören,
einschließlich der drei herausragenden Schriftsteller Amos Oz,
David Grossman und A.B. Jehoshua.
Wir
sind davon überzeugt, dass die Unabhängigkeit des palästinensischen
Volkes in ihrem eigenen Staat neben dem Staat Israel die Basis für
Frieden ist und deshalb für Israel genauso wichtig ist wie für die
Palästinenser. Dies ist übrigens schon seit dem 1948er-Krieg meine
feste Überzeugung.
Die
extreme Rechte, die Israel während der letzten Jahre beherrscht, ist
vom Gegenteil überzeugt. Da sie das ganze Gebiet zwischen
Mittelmeer und Jordan in den „Nationalstaat des jüdischen Volkes“
verwandeln will, lehnt sie das Errichten eines palästinensischen
Staates total ab.
Dies
sind dann die Fragen die zur Debatte stehen:
Ein
palästinensischer Staat in der Westbank und im Gazastreifen mit
Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt, ein
israelisch-palästinensischer Friedensvertrag, das Ende der
Besatzung, Frieden zwischen Israel und der ganzen arabischen und
muslimischen Welt oder ein Groß-Israel, eine andauernde Besatzung
oder Annexion, noch mehr Siedlungen, ethnische Säuberung und immer
wieder Krieg.
Israel
muss wählen.
Ebenso
die Welt.
IN
LETZTER Zeit haben mehrere europäische Parlamente ihre Regierungen
aufgerufen, den Staat Palästina anzuerkennen. Wir wollen zu diesem
Prozess ermutigen.
Das
portugiesische Parlament tat es am letzten Freitag und folgte
damit den Parlamenten Großbritanniens, Irlands, Frankreichs und
Spaniens. Das EU-Parlament, eine Institution mit wachsendem
Einfluss und wachsender Macht, hat es auch getan.
Das
sind nur Empfehlungen. Aber die Regierung von Schweden hat offiziell
den Staat Palästina anerkannt. Einige irre geführte Geister haben
festgestellt, dass dies die erste Anerkennung Palästinas durch ein
Land der EU wäre. Das ist völlig falsch: Palästina ist von
folgenden EU-Staaten schon anerkannt worden: Bulgarien, Zypern, die
tschechische Republik, Ungarn, Malta, Polen, Rumänien und die
Slowakei, sowie von den europäischen nicht EU-Staaten Albanien,
Aserbaijan, Weißrussland, Bosnien & Herzegowina, Georgien, Island,
Montenegro, Russland, Serbien, die Türkei und die Ukraine.
Eine
ziemlich eindrucksvolle Liste. Doch ist sie wichtig?
DIE
AMERIKANISCHE Unabhängigkeitserklärung betont die Bedeutung eines
„ordentlichen Respektes für die Meinung der Menschheit“.
Die
israelische Unabhängigkeitserklärung enthält diesen Satz nicht, aber
ihre ganze Komposition zeigt, dass es ein Versuch ist, der Welt ihre
Ziele zu erklären, um die weltweite diplomatische Anerkennung zu
bekommen.
Doch
David Ben-Gurion, der beim Gründungstreffen die Erklärung laut
vorgelesen hatte, verkündigte bald danach seine Doktrin: „Es ist
nicht wichtig, was die Gojim (Nichtjuden) sagen, wichtig ist, was
die Juden tun!“
Stimmt
das wirklich? Zählt die Meinung der Menschheit nicht?
Das
war vielleicht vor 150 Jahren wahr, als Benjamin Disraeli kund tat,
dass die britische Politik in „brillanter Isolation“ sei. Ich
bezweifle es. Selbst damals war Groß-Britannien
tief in europäische Affären verwickelt, ja auch in die
Affären der Welt.
Seit
damals hat sich die Welt zutiefst verändert. Die Regierungen sind
viel demokratischer geworden, die Bildung der Massen hat die
Grundlage der öffentlichen Meinung erweitert, die Mittel der
Massenkommunikation, von denen man nicht einmal träumte, haben
Transparenz geschaffen, einige sprechen vom „Weltdorf“.
Die
öffentliche Meinung hat einen sehr
großen Einfluss auf Politiker in demokratischen Ländern. Ja, selbst
in Diktaturen. Wo die öffentliche Meinung den Ton angibt, folgen
früher oder später auch die Regierungen. Die öffentlichen Gefühle
werden Regierungspolitik. Dies hat diplomatische, wirtschaftliche
und sogar militärische Konsequenzen.
DIE
VEREINTEN NATIONEN sind das ausgewählte Gefäß, um die „Meinung der
Menschheit“ zu äußern.
Nach
seiner Gründung kämpfte Israel eine schwere Schlacht der Akzeptanz
in der Weltorganisation. Die Unabhängigkeitserklärung, die
Demokratie und Gleichheit für alle Einwohner versprach, spielte eine
bedeutende Rolle in diesem Kampf.
Doch
Ben Gurion pflegte die UN als UM-Shmum zu bezeichnen (UM ist die
hebräische Abkürzung für die Vereinten Nationen, und wenn man noch
die Buchstaben Shm hinzufügt, ist es die jiddische Form, die
Verachtung ausdrückt.)
Jetzt
sind es mehr als 40 Jahre, dass dieser Verachtung vollkommen
gerechtfertigt war. Die israelischen Führer verließen sich auf
die USA, um jede Resolution des Sicherheitsrates zu blockieren, die
die israelische Regierung missbilligte, unabhängig von ihrem Inhalt.
Wenn die UN gefragt worden wäre, im Widerspruch zu Israels Wünschen,
man solle die zehn Gebote noch mal bestätigen, dann hätten die USA
ihr Veto ausgesprochen.
Zum
ersten Mal in der Geschichte der UN könnte jetzt das Damoklesschwert
verschwinden. Die US hat angedeutet, dass sie, falls die
israelische Regierung sich einem Entwurf des Sicherheitsrates
streng widersetzt, keinen Einspruch erheben werde.
Unglaublich! Kein US-Veto? Das ist, als ob man sagen würde, morgen
wird die Sonne nicht aufgehen!
WAS
IST geschehen?
Die
einfachste Antwort ist, dass Barack Obama – wie viele andere - von
Benjamin Netanjahu genug hat. Unser Ministerpräsident hat eine
Brücke zu viel abgebrannt.
Er hat
den US-Präsidenten immer wieder gedemütigt. Er hat die Hunde von
AIPAC auf ihn losgelassen. Und er hat das Schlimmste getan, was man
einem Politiker antun kann: er hat öffentlich dessen Gegner bei den
letzten beiden Wahlkampagnen unterstützt.
Die
Unterstützung des Minister-Präsidenten für Mitt Romney war einfach
skandalös. Netanjahu folgte den Befehlen seines Besitzers, des
primitiven, aber enorm mächtigen Kasino-Moguls Sheldon Adelson, er
half Romney offen und ungeniert. Dafür kreierte und finanzierte
Adelson die Jisrael Hayom („Israel Heute“)Tageszeitung, die gratis
verteilt wird und nun die am weitesten verbreitete Zeitung im Land
ist. Ihre einzige editorische Politik ist, Netanjahu durch Dick und
Dünn zu unterstützen.
Während der letzten US- midterm –Wahlen, unterstützte AIPAC
die Republikaner wieder und half ihnen, den Senat in eine
Anti-Obama-Bastion zu verwandeln.
Obama
hat sich still verhalten. Aber es würde übermenschlich gewesen
sein, wenn er nicht an Rache gedacht hätte. Er hat es getan, indem
er die Europäer im Geheimen ermutigte, mit ihren
pro-palästinensischen Bemühungen fortzufahren. Nun ist er damit in
die Öffentlichkeit gekommen. Die US haben verkündigt, dass sie ihr
Veto villeicht nicht anwenden werden.
Ein
palästinensischer Entwurf steht auf dem Spiel, für den der
Sicherheitsrat einen Ein-Jahres-Termin gesetzt hat, und zwar für
das Ende der Besatzung und die Errichtung eines palästinensischen
Staates innerhalb der Grenzen von 1967.
Für
Israelis vom rechten Flügel wäre das nah am Weltende.
Ein
französischer Entwurf steht auch auf dem Spiel; der geht zwar nicht
so weit, setzt aber auch eine Zwei- Jahresgrenze für
Friedensverhandlungen.
Diese
Entwürfe wären vor einem Jahr undenkbar gewesen. Sie zeigen Israels
zunehmende Isolation..
KEIN
POLITIKER liebt radikale Brüche. Nach 41 Jahren ungebrochener
Erfahrung mit amerikanischem Gebrauch des Vetos zu Gunsten Israels
(und sonst fast niemand anderem), wäre kein Veto ein revolutionärer
Schritt gewesen. Es könnte eine große Wirkung auf die US-
Innenpolitik haben, einschließlich der nächsten Präsidentenwahlen.
Es könnte Hillary Clintons Chancen verletzen (Vielleicht eine
zusätzliche Versuchung für Obama.)
Auch
wichtige US-Strategien sind damit verbunden. Die arabische Welt mag
im Chaos stecken, aber sie unterstützt auf diplomatischer Ebene noch
immer einmütig die palästinensische Sache. Amerika ist von der
arabischen Teilnahme in der Koalition abhängig, die gegen den
„Islamischen Staat“ (ex-ISIS) kämpft. Ein antipalästinensisches Veto
in diesem kritischen Augenblick würde alle arabischen Regierungen
verletzen, die sich anschließen wollen. Jordanien zum Beispiel.
Saudi Arabien, Ägypten.
John
Kerry, armer John Kerry, eilt von einem Treffen zum anderen, um eine
Lösung zu finden. Er droht Mahmoud Abbas, seine Finanzmittel zu
kürzen. Aber Abbas sagt ganz richtig, dass er nichts zu verlieren
habe – falls er nicht sehr bald Erfolge vorzeigen könne, könnte die
Westbank explodieren, und die palästinensische Behörde sich
auflösen.
Aus
Verzweiflung flog Netanjahu nach Rom, um dort Kerry persönlich zu
treffen. Dort hatte er mit ihm eine stürmische Sitzung. Es scheint
so, als ob Kerry nichts versprochen habe. Saeb Erekat hatte sogar
eine noch stürmischere Sitzung mit Kerry mit Schreien und wütenden
Schlägen auf den Tisch.
Ex-Präsident Shimon Peres, zwar nicht mehr im Amt, aber noch immer
ein unverbesserlicher Speichellecker kam Netanjahu zu Hilfe. Er
appellierte an den (konvertierten jüdischen) Außenminister, Laurent
Fabius. und bat ihn sehr, Netanjahu nicht kurz vor den Wahlen zu
verletzen.
Zipi
Livni, die vergessen hat, dass sie aus der Regierung entlassen
wurde und jetzt eine Führerin der Opposition ist, telefonierte mit
Kerry, um Netanjahu zu unterstützen. Kerry nahm die Idee auf. Er
bat jeden, alles zu tun, um die Sache bis nach Israels Wahlen
hinauszuschieben.
Sich
in die internen Wahlen eines anderen Landes mischen? Gott bewahre!
Wer würde von solch einem heimtückischen Ding nur träumen?!
DOCH
WAS immer die US auch tun oder lassen würden, sie werden sich in
unsere Wahlen einmischen.
Wenn
sie ihr Veto anwenden, dann ist das eine direkte und
offensichtliche Unterstützung des extremen rechten Flügels in
Israel. Es würde zeigen, dass Netanjahu immer recht hatte, dass
Amerika in unserer Tasche steckt, dass Israels Isolierung ein
Mythos ist, dass wir weiter tun können, was wir bis jetzt taten: die
Besatzung aufrecht erhalten, Siedlungen bauen und alles andere.
Falls
die US ihr Veto nicht anwenden und eine propalästinensische
Pro-Friedens-Resolution annehmen, so würde dies beweisen, dass der
linke Flügel recht hat, wenn er behauptet, dass die „Meinung der
Welt“ zählt, dass die nicht so brillante Isolation Israels sich zu
gefährlichen Proportionen auswächst, dass ein Regierungs- und
Politikwandel dringend nötig ist.
Diese Woche hat Obama eine internationale Bombe
geworfen. Nach einer glühenden Feindschaft von 56 Jahren hat er
verkündet, dass die Beziehungen zwischen den USA und Kuba wieder
aufgenommen werden.
Das zeigt, dass er die ihm verbleibenden zwei Jahre
an der Macht, nachdem er nicht wieder gewählt werden kann, ausnützen
will, um das zu tun, was er immer wollte, aber Angst hatte, es zu
tun. Jetzt kann er den Kongress provozieren und tun was er will.
Er kann jetzt Frieden zwischen Israel und Palästina
stiften.
Hoffentlich.
(dt. Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.)
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