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King George 

Uri Avnery, 22.1.05

 Als König Georg V. starb, bekamen wir als Zeichen der Trauer schulfrei. Palästina war damals ein Teil des britischen Empire, das das Land als  Mandat  des Völkerbundes regierte. Bis zum heutigen Tag trägt im Zentrum  Tel Avivs eine Straße, nicht weit von meiner Wohnung, seinen Namen:  King George Street.

George’s V.  Nachfolger war – nach einer kurzen Zwischenzeit – George VI., der bis vor kurzem der letzte George in unserem Leben war. Nun haben wir einen neuen King George, keinen britischen, sondern einen amerikanischen.

 

Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Israel sind schwierig zu definieren. Die USA haben kein Mandat über unser Land. Es ist kein normales Bündnis zwischen zwei Nationen. Es ist auch keine Verbindung wie zwischen einem Satelliten und einem Herren.

Einige Leute sagen –  nur halb im Scherz – dass die USA eine Kolonie Israels sei. Und tatsächlich  in vieler Hinsicht sieht es so aus, als tanze Präsident Bush  nach Sharons Pfeife. Beide Kongresshäuser sind  gegenüber dem israelischen rechten Flügel total unterwürfig – viel mehr als die Knesset. Man hat gesagt, wenn die Pro-Israel - Lobby auf dem Kapitolhügel eine Resolution unterstützen  würde, die dazu aufrufe, die 10 Gebote  abzuschaffen, dann würden beide Häuser des Kongresses dies mit überwältigender Mehrheit annehmen. Der Kongress bestätigt jedes Jahr die Zahlung eines enormen  Tributs an Israel.

Andere aber behaupten das Gegenteil: Israel ist eine amerikanische Kolonie. Und tatsächlich: auch dies ist in vieler Hinsicht wahr. Es ist für die israelische Regierung undenkbar, eine klar umrissene Forderung des Präsidenten der USA zurückzuweisen.  Amerika verbietet Israel, ein teures Aufklärungsflugzeug an China zu verkaufen? Israel streicht den Verkauf. Amerika hat eine  umfangreiche  Militäraktion, wie sie letzte Woche  im Gazastreifen geplant war, verboten? Keine Aktion.  Amerika wünscht,  die israelische Wirtschaft solle nach amerikanischem Rezept  neu gemanagt werden? Kein Problem. Ein Amerikaner ( natürlich ein Beschnittener) ist jetzt von der Zentralbank Israels als Direktor ernannt worden.

In der Tat sind beide Versionen richtig: die USA ist eine israelische Kolonie, und Israel ist eine amerikanische Kolonie. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern ist eine Symbiose, ein Terminus, der im Oxford Dictionary folgendermaßen definiert wird: „eine Verbindung von zwei Organismen, die eng mit einander verbunden sind oder  der eine im anderen lebt“ (Der Terminus besteht aus zwei griechischen Wörtern: „leben“ und „zusammen“).

Vieles ist schon über die Ursachen dieser Symbiose gesagt worden. Der amerikanische christliche Zionismus ging der Gründung der jüdisch zionistischen Organisation voraus. Der amerikanische Mythos ist mit dem zionistisch israelischen Mythos fast identisch, dem Inhalt  als auch dem Symbolgehalt nach ( Die Siedler flohen wegen Verfolgung aus ihren Heimatländern, das leere Land, Pioniere erobern die Wüste, wilde Eingeborene, etc). Beide sind Einwanderungsländer, was Gutes und Schlechtes mit einschließt. Beide Regierungen glauben, dass ihre Interessen übereinstimmen. Am  Unabhängigkeitstag Israels  sieht man viele amerikanische Flaggen neben der israelischen wehen – ein Phänomen, für das es keine Parallele auf der Welt gibt.

Deshalb hat die Amtsantrittsfeier von George Bush in der letzten Woche eine besondere Bedeutung für Israel. Der vom Staat kontrollierte Fernsehkanal brachte sie live. In vieler Hinsicht ist der Präsident der USA auch der König Israels.

 

George Bush ist eine sehr simple, sehr gewalttätige Person mit sehr extremen Ansichten, obendrein ein Ignorant. Das ist eine sehr gefährliche Kombination. Diese Leute haben in der  Geschichte der Menschheit schon viele Katastrophen ausgelöst. Maximilian Robespierre, der französische Revolutionär, der die Terrorherrschaft erfand, ist „ der große Vereinfacher“ genannt worden, und zwar wegen der schrecklichen Einfalt seiner Ansichten, die er mit der Guillotine durchzusetzen versuchte.

Die Ideologen, die Bushs Gedanken und Taten  lenken, werden „Neo-Konservative“ genannt, doch ist dies irreführend. Tatsächlich sind sie eine revolutionäre Gruppe. Ihr Ziel ist es, nicht etwas zu erhalten, sondern  umzustürzen. Sie sind – meistens jüdisch – Schüler von Leo Strauss, einem deutsch-jüdischen Professor mit einer trotzkistischen Vergangenheit, der damit endete, semi-faschistische Ideen zu entwickeln, und sie an der Universität von Chikago propagierte. Er illustrierte seine Haltung gegenüber der  Demokratie, indem er die Geschichte von Gulliver zitierte: als in der Zwergenstadt  ein Feuer ausbrach, löschte er das Feuer, in dem  er auf sie urinierte. Auf diese Weise sollte die kleine Elitegruppe der Führer  das dumme und  naive Volk behandeln, das nicht weiß, was für  seine Sache gut ist.

 

In seiner „Krönungsrede“ versprach Bush, in jede Ecke der Welt Freiheit und Demokratie zu bringen. Nicht mehr und nicht weniger. Er nannte die beiden Länder, in denen er dieses Ziel schon erreicht habe: Irak und Afghanistan. Beide sind von amerikanischen Flugzeugen, die die Botschaft mit ihren Bomben fallen ließen, verwüstet worden. Kürzlich radierten amerikanische Soldaten eine große Stadt von der Erdoberfläche aus, um die Gegner der „amerikanischen Werte“ zu überzeugen. Nun sieht  Falludja aus, als wäre es vom Tsunami getroffen worden.

Es ist kein Geheimnis, dass die Neo-Cons beabsichtigen, auch dem Iran und Syrien die „Demokratie zu bringen“, um so zwei weitere Feinde der USA und Israels zu eliminieren. Dick Cheney, der Vize-Präsident,  hat schon prophezeit,  Israel werde den Iran angreifen, etwa so, als ob es  drohte, einen Rottweiler loszulassen.

Man hätte hoffen können, dass nach dem totalen Debakel im Irak und dem weniger offensichtlichen, aber gleich schweren Misslingen in Afghanistan, Bush  vor ähnlichen  Aktionen zurückschrecken würde. Aber wie dies fast immer mit Herrschern dieses Typs geschieht, kann er sich nicht geschlagen geben und aufhören. Im Gegenteil, ein Fehlschlag treibt ihn dahin, noch extremer zu werden und schwört  eher wie der Kapitän der Titanic, „auf Kurs zu bleiben“.

Man kann es sich kaum vorstellen, was Bush  anrichten wird, nun, wo er von seinem Volk wiedergewählt wurde. Sein Ego ist zu riesigen Proportionen aufgeblasen worden und bestätigt damit, was Äsop vor 27 Jahrhunderten sagte: „Je kleiner der Geist, um so größer die Einbildung“.

Er hat den glücklosen, schwachen Colin Powell hinausgeworfen ( wie David Ben Gurion Moshe Sharett entfernte, um 1956 seinen Angriff auf Ägypten vorzubereiten) und  seine persönliche Dienerin Condoleeza Rice ernannt, ( so wie Ben Gurion  Sharett durch Golda Meir ersetzte).

Nun heißt der Befehl: „Macht das Deck frei für Aktionen!“ Auf diesem Deck ist Bush eine  frei bewegliche Kanone, eine Gefahr für jeden in seiner Nähe. Die Folge dieser Wahlen mögen in der Geschichte als  weltweites Unglück angesehen werden.

Innenpolitisch kann er ähnliche Katastrophen verursachen. Im Namen der „amerikanischen Werte“ ist er dabei, einen der vornehmsten amerikanischen Werte zu zerstören: die Trennung von Kirche und Staat. Seine Religion ist die eines „wiedergeborenen“ Konvertiten, eine primitive Religion ohne Moral und Mitleid. Wenn man diese Religion  allen Lebensbereichen aufdrängt – vom Verbot der Abtreibung und der gleichgeschlechtlichen Ehe bis zur Revision der Schulbücher – wird die Gesellschaft um Jahrhunderte zurückgeworfen und  beraubt damit die Verfassung jeglichen Inhalts. Nach vier weiteren Jahren wird Amerika  ein  anderes  Land sein als das, was wir in unserer Jugend liebten und bewunderten.

Einer meiner Freunde behauptet, dass in der amerikanischen Nation zwei Seelen wohnen, eine gute und eine böse. Das mag für jede Nation gelten, einschließlich der israelischen und der palästinensischen. Aber in Amerika ist es extremer. Da ist das Amerika  von Thomas Jefferson ( auch wenn er die Sklaven erst auf seinem Sterbelager befreite ), Abraham Lincoln, Woodrow Wilson, Franklin Roosevelt und Dwight Eisenhower, das Amerika der Ideale, des Marschallplans, der Carepakete, von Wissenschaft und Künsten. Und da gibt es das  Amerika des Völkermords, der gegenüber den einheimischen Amerikanern ausgeübt wurde, der Sklavenhändler und des Wildwestmythos, das Amerika von Hiroshima, von Joe McCarthy, der Rassentrennung und des Vietnamkriegs - ein gewalttätiges und unterdrückerisches Amerika.

 

Während Bushs zweiter Amtszeit  kann dieses andere Amerika zu neuen Dimensionen der Hässlichkeit und Brutalität gelangen. Es kann der ganzen Welt ein Modell der Unterdrückung darbieten. Ich wünsche nicht, dass mein Land Israel mit solch einem Amerika identifiziert wird. Der Vorteil, den wir von ihm gewinnen, wird nur kurzfristig sein, der Schaden dagegen lange anhalten und vielleicht  nicht mehr rückgängig zu machen sein.

 

Einer der Vorzüge der US-Verfassung ist, dass Bush nicht  ein 3. Mal gewählt werden kann. Ein volkstümliches israelisches Lied sagt: „Wir haben den Pharao überlebt, wir werden auch dies überleben.“ Vielleicht wird dieses Lied zu einer Welthymne.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

 

 

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