Ein
Eskimo in Bantustan
(Gedanken über
Apartheid)
Uri Avnery, 24.1.2004
Ein Eskimo kommt in die Stadt und sieht zum ersten Mal in seinem Leben ein
Stück Glas. Das Glas sieht für ihn wie Eis aus. Eis ist durchsichtig und
Glas auch. Eis kann gelutscht werden. Also steckt der Eskimo das Stück
Glas in den Mund und fängt an zu lutschen.
Das ist ein ganz normales logisches Verhalten. Es ist aber auch eine
Warnung vor zu einfachem Gebrauch von Analogien. Analogien sind in vielen
Fällen nützliche Kunstgriffe, aber man muss immer genau kontrollieren, wie
weit der Vergleich geht. Er sollte nicht blind angewandt werden, weil er
sonst zu einem irreführenden Schluss führt.
In
diesem Falle ist es die Anwendung des Begriffes „Apartheid“ im
Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in der
Hoffnung, dass die Weltöffentlichkeit Druck auf die israelische Regierung
ausübt, so wie sie es auf das rassistische Regime in Süd-Afrika getan hat.
Auf Afrikaans, der Sprache der holländischen Siedler in Südafrika,
bedeutet „Apartheid“ „Trennung“, „getrennt halten“. Die Apartheidpolitik
war theoretisch davon bestimmt, die Rassen getrennt zu halten, aber in der
Praxis diente sie dazu, die Schwarzen aller ihrer Rechte zu berauben. Bei
der Ausführung dieser Politik hielt das rassistische Regime den größten
Teil der schwarzen Bevölkerung in Reservaten, wo ihnen eine
Scheinautonomie gegeben wurde. Solch eine Enklave wurde offiziell
Bantu-Homeland genannt, nach dem schwarzen Bantuvolk in Südafrika. So
entstand der ekelhafte Name „Bantustan“.
Man kann leicht Ähnlichkeiten zwischen den Bantustans und den Enklaven
feststellen, in die Ariel Sharon die Palästinenser im Laufe seiner
„einseitigen Schritte“ einzusperren beabsichtigt. Die durch die Westbank
laufende Route der „Trennungsbarriere“ schafft einige Dutzend größere und
kleine palästinensische Bantustans. Deshalb mag die Mauer sehr wohl
Apartheid-Mauer genannt werden, da ja Trennung und Apartheid fast dasselbe
bedeuten.
Die Wirklichkeit in den besetzten palästinensischen Gebieten ist in vielen
Hinsichten der Realität des Apartheidregimes ähnlich. Da gibt es (gute)
Autobahnen (nur) für Siedler und Soldaten und andere ( schlechte) Straßen
für die Palästinenser; die Kontrollpunkte und Straßensperren, wo
Palästinenser aufgehalten werden, während Israelis frei passieren können,
passen in dieses Bild.
Man sollte aber diesen Vergleich nicht ad absurdum führen und falsche
Schlüsse ziehen, weil die Unterschiede zwischen beiden Konflikten nicht
weniger bedeutsam sind als ihre Ähnlichkeiten
--- Zunächst das Kräfteverhältnis. In Südafrika waren die Weißen nur 10%
der Bevölkerung, während die Schwarzen 77% ausmachten. Der Rest bestand
aus „Mischlingen“, „Farbigen“, Indern und anderen. ( Es sollte erinnert
werden, dass Mahatma Gandhi seine Karriere als junger indischer
Rechtsanwalt in SA begonnen hat, wo er seine ersten Schlachten für die
Rechte der Inder und Schwarzen ausfocht).
Im
Gebiet von Israel-Palästina, zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan,
stellen die Juden mit 60% die Mehrheit dar. In Israel selbst sind es mehr
als 80%. Selbst wenn sich dieses Verhältnis, dank der hohen arabischen
Geburtsrate, in Zukunft ändern wird, wird es nicht an die südafrikanischen
Proportionen heranreichen.
--- Selbst auf der Höhe der rassistischen Übermacht war die
südafrikanische Wirtschaft auf der Arbeitskraft der Schwarzen gegründet
und hätte nicht ohne sie existieren können. Es stimmt, dass die
israelische Wirtschaft nach 1967 auch die billige Arbeitskraft ausgenützt
hat; aber als dies während der Intifada problematisch wurde, wurden sogar
noch billigere ausländische Arbeitskräfte importiert.
--- Noch wichtiger ist aber der Unterschied der Wahrnehmung. Weder die
Weißen noch die Schwarzen stellten die territoriale Einheit Südafrikas in
Frage. Der Kampf ging um die Macht im Staate, nicht um seine
Unversehrtheit. Da gab es einige Vorschläge, dass die Weißen sich im Süden
des Landes konzentrieren und einen separaten weißen Staat errichten
sollten: Aber das wurde von den Weißen sofort zurückgewiesen. Sie hatten
Landbesitz und Unternehmen übers ganze Land verteilt und dachten nicht
daran, dies aufzugeben.
Solche Ratschläge wurden manchmal von den Israelis gemacht, die
vorschlugen, dass das israelische Experiment Südafrika angepasst werden
könnte. In derselben Weise schlug Ben Gurion Charles de Gaulle eine
Politik der Konzentration französischer Siedler in einem Teil Algeriens
vor, um dort einen französisch-algerischen Staat zu gründen. Auch de
Gaulle lehnte höflich ab.
Die Weißen wie die Schwarzen definierten sich als Südafrikaner. Sogar auf
dem Höhepunkt des erbitterten Kampfes war das erklärte Ziel der schwarzen
Freiheitskämpfer, im Land ein multi- rassisches Regime zu errichten. Und
tatsächlich wurde diese Lösung von der Mehrheit beider Seiten akzeptiert –
und es scheint bis jetzt zu funktionieren.
Die israelisch-palästinensische Realität ist ganz anders. Keine
vernünftige Person würde leugnen, dass es sich hier um zwei getrennte
Völker handelt, mit verschiedenen, sich widersprechenden nationalen
Vorstellungen. Das südafrikanische Experiment nach hier zu
transplantieren, wäre genau so erfolglos, wie wenn man versuchen wollte,
das israelisch-palästinensische Experiment nach Südafrika zu
transplantieren.
---Ein anderer großer Unterschied liegt in der Haltung der Welt gegenüber
den beiden Ländern. Das südafrikanisch rassistische Regime hat sich nie
internationaler Sympathie erfreut. Die Führer der „afrikanischen
Nationalpartei“, die 1948 das Schlagwort „Apartheid“ geprägt hatten,
hatten im 2.Weltkrieg mit den Nazis zusammengearbeitet und zahlten dafür
mit Gefängnisstrafen.
Israel dagegen stellte sich von Anfang an als der „Staat der
Holocaustopfer“ dar und zog so die Bewunderung der ganzen Welt auf sich.
Allen folgenden israelischen Regierungen gelang es, daraus viel Kapital zu
schlagen. Aber selbst jetzt schrecken viele gute Leute rund um die Welt
davor zurück, unsere Handlungsweise zu kritisieren, teilweise aus Furcht
davor, als Antisemiten betrachtet zu werden. Und natürlich gibt es keine
sechs Millionen Amerikaner, die südafrikanischen Ursprungs sind.
Die Haltung gegenüber Israel wird langsam negativer. Nicht viel blieb von
dem Image des „tapferen, kleinen Staates, der von Feinden umgeben ist“,
und der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“. Wir werden immer mehr als
die brutalen Besatzer gesehen, als ein Staat, der internationale Gesetze
und moralische Normen verletzt. Die „Trennungsmauer“, die Checkpoints und
all die anderen Elemente der Besatzung sind dabei, unsern guten Namen zu
zerstören, und die Vorladungen zum Internationalen Gerichtshof ( in Den
Haag) tun uns auch keinen guten Dienst.
Aber all dies klingt nur wie ein ferner Schrei, verglichen mit der Haltung
der Welt gegenüber dem rassistischen Südafrika. Leute, die glauben, die
öffentliche Weltmeinung könne das israelische Regime wie das
südafrikanische zu Fall bringen, täuschen sich.
Kräfte von außen können und müssen eine wichtige Rolle beim Beenden der
Besatzung und beim Errichten des Friedens spielen, eines Friedens, der auf
der Basis von „Zwei Staaten für zwei Völker“ beruht. Auf die Dauer kann es
sich Israel nicht leisten, die internationale Meinung zu missachten.
Thomas Jefferson sagte einmal, kein Volk könne ohne eine entsprechend
annehmbare Achtung vor der Weltmeinung seine Angelegenheiten erledigen.
Aber der Hauptkampf liegt innerhalb der israelischen Öffentlichkeit, und
die Hauptlast muss von den Friedliebenden und den
Nach-Gerechtigkeit-Suchenden innerhalb der israelischen Gesellschaft
getragen werden.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)
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