Frieden und Wassermelonen
Uri Avnery ,
23.Februar 2013
EINE DER
interessantesten und längsten privaten Debatten meines Lebens
führte ich mit dem großartigen Dr. Nahum Goldmann. Das Thema:
Amerikanische Friedensinitiativen.
Es war natürlich
eine ungleiche Debatte. Goldmann war 28 Jahre älter als ich.
Während ich nur Herausgeber eines israelischen Nachrichtenmagazins
war, war er eine international bekannte Persönlichkeit, Präsident
der zionistischen Weltorganisation und des Jüdischen
Weltkongresses.
Als ich Mitte der
50er-Jahre nach einer Persönlichkeit Ausschau hielt, die vielleicht
David Ben Gurion im Amt des Ministerpräsidenten ablösen könnte,
dachte ich an Goldmann. Er hatte das notwendige Format und war
bei moderaten Zionisten beliebt. Was nicht weniger bedeutsam war: er
hatte eine klare Meinung. Vom ersten Tag des Staates Israel an
hatte er vorgeschlagen, dass Israel eine „nahöstliche Schweiz“
werden möge, neutral zwischen den USA und der Sowjetunion. Für ihn
war Frieden mit den Arabern für die Zukunft Israels absolut
notwendig.
Ich besuchte ihn in
einer luxuriösen Suite in Jerusalems Nobelherberge, dem King
David-Hotel. Er trug einen seidenen Morgenrock, und als ich ihm
meinen Vorschlag unterbreitete, antwortete er: „Schau, Uri, ich
liebe ein gutes Leben. Luxus-Hotels, gutes Essen und schöne Frauen.
Wenn ich Ben Gurion herausfordern würde, würde all dieses
verschwinden. Seine Leute würden mich diffamieren, wie sie es mit
Dir tun. Warum sollte ich all dies riskieren?“
Wir begannen auch
eine Diskussion, die erst mit seinem Tod – etwa 27 Jahre später –
endete. Er war davon überzeugt, die USA wünsche zwischen uns und
den Arabern Frieden und eine große amerikanische Friedensbemühung
sei schon in Sichtweite. Dies war keine abstrakte Hoffnung. Er
versicherte mir, dass er sich gerade mit den höchsten Politikern
getroffen habe und dass er es von den höchsten Autoritäten wüsste.
Das waren Informationen aus erster amerikanischer Hand.
Goldmann war einer,
der sich regelmäßig mit bedeutenden amerikanischen, sowjetischen
und anderen politischen Persönlichkeiten traf und nie versäumte,
dies in seinen Gesprächen zu erwähnen. Da ihm von den amtierenden
US-Präsidenten, Ministern und Botschaftern zugesichert worden sei,
dass die US gerade dabei seien, den Israelis und den Arabern Frieden
aufzuzwingen, sagte er mir, ich solle nur warten. „Du wirst sehen“.
DIESER GLAUBE an
einen aufgezwungenen amerikanischen Frieden hat die israelische
Friedensbewegung jahrzehntelang nicht losgelassen. In Erwartung des
bevorstehenden Besuches von Präsident Obama in Israel im nächsten
Monat hebt er noch einmal sein müdes Haupt.
Jetzt endlich wird es
geschehen. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit wird Barak Obama sein
Zögern, seine Ängste und Inkompetenz, die seine erste Amtszeit
kennzeichneten, abschütteln. AIPAC wird nicht in der Lage sein, ihn
weiter zu terrorisieren. Ein neuer, starker und entschlossener Obama
wird auftauchen und alle Köpfe an einander schlagen. Die führenden
Kräfte werden mit Gewalt zum Frieden gezwungen.
Dies ist eine sehr
bequeme Überzeugung. Dies befreit uns von der Pflicht, etwas
Unpopuläres zu tun und selbst etwas zu wagen. Es ist also sehr
tröstlich. Die israelische Linke ist schwach und ohne Leben? Doch
haben wir einen Verbündeten, der den Job tun wird. Wie das kleine
Kind, das den Rabauken mit seinem großen, mächtigen Bruder droht.
Diese Hoffnung ist
immer wieder und wieder zerborsten. US-Präsidenten kamen und gingen,
jeder mit seinem Gefolge jüdischer Berater, Mitarbeiter im Weißen
Haus und Außenministerium und Botschafter. Und nichts geschah.
Natürlich hat es
amerikanische Friedensinitiativen in Hülle und Fülle gegeben. Von
Nixons „Rogers Plan“ über Carters Camp-David-Abkommen betreff einer
palästinensischen Selbstregierung, bis zu Clintons Parameters und
Bushs Roadmap gab es eine Menge davon, jede überzeugender als die
vorausgegangene. Und dann kam Obama, der neue Mann, energisch und
entschlossen und verhängte über Benjamin Netanjahu für mehrere
Monate einen Baustopp des Siedlungsbaus, und … nichts geschah.
Keine
Friedensinitiative und keine Wassermelonen, wie wir auf Hebräisch
sagen (Eine aus dem Arabischen ausgeliehene Redensart).
Wassermelonen haben eine sehr kurze Saison.
LANGSAM ABER sicher
begann sogar Goldmann an der Illusion der amerikanischen
Intervention zu zweifeln.
Bei unsern
Konversationen versuchten wir, den Code dieses Rätsels zu brechen.
Warum – um Gottes willen – taten die Amerikaner nicht, was die Logik
diktierte? Warum übten sie keinen Druck auf unsere Regierung aus?
Warum machten sie kein Angebot, das unsere Führer nicht ablehnen
konnten? Kurzum , warum keine effektive Friedensinitiative?
Es konnte doch nicht
im amerikanischen Interesse sein, einer Politik zu folgen, die sie
zum Hassobjekt der Massen der ganzen arabischen und einem großen
Teil der muslimischen Welt machte? Verstanden die Amerikaner nicht,
dass sie dabei waren, ihre Kunden in der arabischen Welt zu
hintergehen – wie diese Regierenden nicht müde wurden, sie bei
jedem Treffen zu mahnen?
Ein offensichtlicher
Grund war die wachsende Macht der Pro-Israel-Lobby seit den frühen
50ern. AIPAC allein hat nun mehr als 200 Angestellte in sieben Büros
in den USA. Fast jeder in Washington DC lebt in tödlicher Furcht vor
ihr. Die Lobby kann jeden Senator oder Kongressmann aus seinem Amt
werfen, der ihren Zorn erregt. Man sehe sich nur an, was gerade
jetzt Chuck Hagel geschieht, der das Undenkbare zu sagen wagte: „Ich
bin ein amerikanischer Senator und kein israelischer Senator!“
Die beiden
Professoren Mearsheimer und Walt wagten es zu sagen: die pro
Israel-Lobby kontrolliert die amerikanische Politik.
Aber diese Theorie
ist nicht ganz zufriedenstellend. Was ist mit der Spionage-Affäre
rund um Jonatan Pollard, der lebenslang in den USA im Gefängnis
bleibt trotz immensen israelischen Druckes, ihn zu entlassen?
Kann eine Weltmacht
wirklich von einem kleinen ausländischen Land und einer mächtigen
internen Lobby veranlasst werden, jahrzehntelang gegen die eigenen
nationalen Grundinteressen zu handeln?
EIN ANDERES Motiv,
das oft erwähnt wird, ist die Macht der Rüstungsindustrie.
Als ich jung war,
wurde niemand mehr verachtet als die Händler des Todes. Diese
Zeiten sind längst vorbei. Die Länder, einschließlich Israels sind
stolz auf den Verkauf von Waffen an die verabscheuungswürdigsten
Regime.
Die US liefern uns
riesige Mengen der raffiniertesten Waffen. Zwar werden uns viele
von ihnen als Geschenk gegeben – doch ändert dies das Bild nicht.
Die Rüstungsindustrie wird von der US-Regierung bezahlt, als eine
Art öffentlichen Arbeitsprojektes, das sogar begeistert (und
besonders) von den Republikanern unterstützt wird. Seitdem die
Waffen nach Israel geliefert werden, sehen sich einige arabische
Länder gezwungen, große Mengen für sich selbst zu bestellen und
sich dabei dumm und dämlich zu zahlen. Sieh Saudi Arabien!
Diese Theorie, die
einmal sehr populär war, befriedigt auch nicht wirklich. Keine
Industrie ist mächtig genug, eine Nation dazu zu zwingen, ein halbes
Jahrhundert lang gegen ihre eigenen Interessen zu handeln.
Dann ist da noch die
„ beiden gemeinsame Geschichte“. Die USA und Israel sind sich sehr
ähnlich, nicht wahr? Sie haben beide ein anderes Volk vertrieben und
leugnen dies. Gibt es einen großen Unterschied zwischen der Nakba
der amerikanischen Urbevölkerung und der palästinensischen?
Zwischen den amerikanischen und zionistischen Pionieren, die in der
„Wüste“ Wurzeln schlugen und eine neue Nation aufbauten? Gründen
sich nicht beide auf dasselbe Alte Testament und glauben, Gott habe
ihnen ihr Land gegeben (ob sie nun an Gott glauben oder nicht)?
Imitieren unsere
Siedler, die einen neuen “Wilden Osten“ in den besetzten Gebieten
schaffen, nicht den „Wilden Westen“ der amerikanischen Filme? (Vor
ein paar Tagen zeigte das israelische Fernsehen einen Avri Ran, der
sich selbst als „Souverän“ der Westbank ausgab und beide
terrorisierte , die Palästinenser und die Siedler, nach Land
grabschte, egal wem es gehört, der Armee sagt, was zu tun ist,
offen die israelische und andere Regierungen verachtet und dabei
ein Multi-Millionär wird. Hollywood vom Feinsten)
Aber all dies gilt
auch für Australien (mit dem wir uns grade im Streit befinden),
Kanada, Neu-Seeland und den lateinamerikanischen Nationen. Doch
haben wir mit ihnen nicht dieselbe Beziehung.
Noam Chomsky, der
brillante Linguist, hat eine Antwort: Israel ist nur ein Lakai des
amerikanischen Imperialismus, der in dieser Region seine Interessen
vertritt. Eine Art unsinkbarer Flugzeugträger. Ich sehe es nicht
so. Wenn der amerikanische Hund mit dem israelischen Schwanz wedelt,
so wedelt der Schwanz mit dem Hund.
WEDER GOLDMANN noch
ich fanden eine befriedigende Antwort auf dieses Rätsel.
Acht Monate vor
seinem Tod erhielt ich von ihm völlig unerwartet einen Brief, der
mich überraschte. Auf Deutsch geschrieben (das wir nie
untereinander sprachen), auf seinem Briefpapier war eine Art
Entschuldigung: Ich hätte immer recht gehabt – keine amerikanische
Friedensinitiative sollte erwartet werden; die Gründe blieben
unerklärlich.
Der Brief trug das
Datum vom 30.Januar 1982, fünf Monate vor Ariel Sharons blutiger
Invasion in den Libanon, der im Voraus von Alexander Haig, dem
damaligen amerikanischen Außenminister, genehmigt worden war und
vermutlich auch vom Präsidenten Reagan.
Der Brief war eine
Reaktion auf einen Artikel, den ich ein paar Tage zuvor in dem von
mir herausgegebenen Magazin Haolam Hazeh geschrieben hatte und in
dem ich fragte: „Wollen die Amerikaner wirklich Frieden?“
Goldmann schrieb:
„Auch ich stellte mir manchmal diese Frage, obschon der Mangel an
staatsmännischer Klugheit der amerikanischen Außenpolitiker nicht zu
unterschätzen ist. Ich könnte ein ganzes Buch schreiben, dass
Amerika Frieden will und andere Beispiele bringen, dass es keinen
Frieden will.“
Er erwähnte Amerikas
Furcht, die Sowjets drängen in den Nahen Osten, und ihre
Überzeugung, Frieden ohne russische Teilnahme, sei nicht möglich.
Er enthüllte auch die Tatsache, dass ein russischer Diplomat ihm
gesagt hätte, es habe ein amerikanisch-russisches Einverständnis
gegeben, eine Friedenskonferenz in Genf abzuhalten, dass Moshe
Dayan aber die amerikanischen Juden aufgerufen hätte, dies zu
sabotieren. Die Russen waren darüber sehr verärgert.
Während er noch viele
Namen nennt, fasst er zusammen: „ Im Moment würde ich sagen, ohne
ganz sicher zu sein, dass eine Kombination der amerikanischen
diplomatischen Unfähigkeit einerseits, ihrer Furcht vor einer
Beteiligung der Russen an einem Frieden andrerseits dazu die
innenpolitische Angst vor der pro-israelischen Lobby, nicht nur
Juden, sondern auch Männer wie der Senator (Jack)Jackson u. a., die
Ursachen für die völlig verständnis- und ergebnislose amerikanische
Politik im Nahen Osten sind, die Israel noch teuer zu stehen kommen
wird.“
ABGESEHEN VOM
Rückgang russischen Einflusses, gilt jedes Wort auch heute noch, am
Vorabend von Obamas Besuch – also 31 Jahre später.
Wieder hoffen viele
Israelis und Palästinenser auf eine amerikanische
Friedensinitiative, die auf beide Seiten Druck ausübt. Wieder
leugnet der Präsident jede solche Absicht. Wieder werden die
Resultate des Besuches wahrscheinlich Enttäuschung und Verzweiflung
sein.
Gerade jetzt gibt es
auf dem Markt weder Wassermelonen - noch eine reale
US-Friedensinitiative.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)