Juchas Nagel
Uri Avnery, 17.9.05
Eines Tages
verkaufte Jucha, ein volkstümlicher arabischer Held – dem deutschen
Eulenspiegel nicht unähnlich – sein Haus. Der Preis, den er
verlangte, war lächerlich niedrig, und er hatte nur eine Bedingung:
„An einer der Wände steckt ein Nagel, mit dem ich sehr verbunden
bin. Den will ich nicht verkaufen.“ Der Käufer willigte ein. Wer
wird sich schon um einen Nagel scheren?
Nach einigen Tagen
kam Jucha zum Haus, ging hinein und hing seinen Mantel an diesen
Nagel. Danach brachte er sein Bett und begann, darin zu schlafen.
„Der Nagel ist mir so ans Herz gewachsen, dass ich nicht so weit weg
von ihm schlafen kann,“ erklärte er. Ein anderes Mal brachte er
seine Familie mit, um den Nagel zu besuchen und veranstaltete dort
eine Partie. Am Ende konnte der neue Besitzer dies nicht mehr
ertragen und kaufte den Nagel für einen viel höheren Preis, als er
vorher für das Haus allein bezahlt hatte.
Vielleicht kennen
die Führer Israels diese Geschichte nicht, ihr Benehmen ähnelt aber
sehr Juchas Verhalten.
Es begann mit dem
Friedensabkommen mit Ägypten (1978). Israel war damit einverstanden,
sich aus dem Sinai zurückzuziehen. Zwischen Menahim Begin und Anwar
Sadat begann so etwas wie eine Freundschaft. Und dann kam der
Nagel. Israel weigerte sich, Taba aufzugeben, ein winziges Stück
Land am Golf von Akaba. Die Beziehungen kühlten ab; eine Runde
bitterer Streitigkeiten folgte, und schließlich entschied ein
internationaler Schiedsspruch, was von Anfang an klar war: Taba
gehört zu Ägypten und wurde schließlich zurückgegeben. Heute machen
sich Massen von israelischen Glücksspielern nach Taba auf, um dort
ihr Geld los zu werden.
Diese Geschichte
wiederholte sich mit dem Libanon. Zuerst entschied die Regierung,
einen großen Nagel zu behalten: den „Sicherheitsstreifen“, der einen
langen und blutigen Guerillakrieg verursachte. Schließlich waren
wir gezwungen, ihn zu verlassen – mit einer militärischen Maßnahme,
die wie Flucht aussah – und behielten nur einen kleinen Nagel: die „Shaba-Farm“
.
Dies gab der
Hisbollah den Grund, sich nicht zu entwaffnen und ab und zu je
nach Belieben die Grenze aufzuheizen.
Wenn jemand lieber
eine polnische Geschichte anstelle einer arabischen will, kann man
die Frau erwähnen, die zum Zahnarzt ging, der ihr alle schlechten
Zähne ziehen sollte bis auf einen, nur damit sie sich daran
erinnere, wie schmerzhaft es war.
Nun haben wir uns
aus dem Gazastreifen zurückgezogen. Wir haben alles Land aufgegeben,
alle Siedler vertrieben, alle Siedlungen zerstört. Wir haben nur
einen Nagel in der Wand gelassen: die Synagogen.
Das waren- Gott
behüte - keine heiligen Gebäude aus der Antike, kostbare Reste aus
der Vergangenheit. Sie waren nichts anderes als Gebäude, die man vor
kurzem zum Beten und für Zusammenkünfte errichtet hatte. Die Armee
schlug vor, sie mit allen anderen Häusern zu zerstören, und so hatte
dann auch die Regierung entschieden.
Aber nachdem die
Farce der „Entwurzelung der Siedler“ abgeschlossen war, nachdem der
letzte Heuler seine Tränen an der Uniform eines Polizisten vor einer
TV-Kamera vergossen hatte, nachdem der letzte Armeeoffizier einen
nationalistischen Rowdy –entsprechend der Order – umarmt hatte,
erinnerten sich die Siedlungsrabbiner auf einmal, dass Synagogen
geheiligte Gebäude sind. Gott wurde politisch instrumentalisiert,
genau wie die Babys zuvor.
Die Likudminister,
die Gott weniger als ihr Parteizentralkomitee, änderten mit
Lichtgeschwindigkeit ihre Meinung und entschieden, dass es verboten
sei, die Synagogen zu zerstören. Die Regierung änderte im letzten
Augenblick ihre Position, ohne die palästinensische Führung zu
informieren und ohne sich mit ihr darüber zu beraten. Sie
informierte nicht einmal den Obersten Gerichtshof, der bereits
entschieden hatte, dass sie zerstört werden könnten.
Das war – schlicht
und einfach - ein gemeiner Akt. Er brachte die Palästinenser in eine
Zwickmühle: entweder Tausende Soldaten damit beauftragen, leere
Gebäude von jetzt an bis in alle Ewigkeit zu schützen oder die
aufgeregten Massen diese gehassten Symbole der Besatzung stürmen zu
lassen, die ihr Leben zur Hölle gemachte hatte.
Was Sharon
betrifft, so war diese Übung ein riesiger Erfolg: die Welt sah
„den aufgehetzten palästinensischen Mob“ die „Gottesdiensthäuser“
verbrennen, in einer Art vorfabrizierter Kristallnacht, made in
Israel. Präsident Bush verurteilte das „Verbrennen von
Synagogen“; Moshe Katzav, der Präsident von Israel, regte sich über
„die Schändung jüdischer heiliger Stätten“ auf, die israelische
Öffentlichkeit wurde noch mehr in ihrem Glauben bestärkt, dass die
Araber unmenschliche Barbaren seien und die damit noch einmal
bewiesen haben, dass wir niemanden haben, mit dem wir reden könnten.
Das war nicht der
einzige Nagel, den Jucha in der Wand gelassen hat.
Ein anderer Nagel
war die Zerstörung des Rafah-Grenzüberganges. Die kam auch als
Überraschung ohne vorherigen Dialog mit den Palästinensern. Da die
israelische Regierung behauptet, dass die Besetzung des
Gazastreifens aufgehört habe und sie nun aus der Verantwortung für
die ein und ein halb Millionen Bewohner dort entlassen sei, heißt
das, dass wir eine Grenze zwischen zwei fremden Territorien, dem
Gazastreifen und Ägypten, geschlossen haben.
Dies war natürlich
nicht einen Augenblick lang effektiv. Was dann geschah, ähnelte den
Ereignissen nach dem Fall der Berliner Mauer, die die Stadt in zwei
Teile teilte, wie die Mauer, die Israel in Rafa baute: Verwandte,
die sich jahrzehntelang nicht gesehen hatten, liefen nun und
umarmten sich. Menschenmassen strömten nun auf die andere Seite, um
zu schauen und billig einzukaufen und ihren aufgeregten Gefühlen
Luft zu machen. Israel hat noch einmal gewonnen: die Ägypter haben
ihre Unfähigkeit bewiesen, die palästinensische Behörde, dass man
sich nicht auf sie verlassen kann, und die Massen bewiesen, dass sie
wild und gesetzeswidrig// außer Rand und Band sind.
Wenn die Ägypter
mit Gewalt reagiert hätten, hätten sie ausgesehen, als ob sie Feinde
des palästinensischen Volkes seien. Wenn die palästinensischen
Polizisten auf ihre eigenen Leute geschossen hätten, hätten sie jede
moralische Autorität verloren. Es ist klar, dass keine israelische
eiserne Mauer den Gazastreifen vom Sinai abschneiden kann. Die
Angelegenheit kann nur durch sensible Verhandlungen geregelt werden.
Und da gibt es
weitere Nägel: den Gazahafen, dessen Bau Israel zu verhindern, und
den Flughafen, dessen Benützung Israel zu blockieren versucht. All
dies, um den „Waffenschmuggel in den Gazastreifen“ zu verhindern –
ein durchsichtiger Vorwand, um den Streifen von der Welt
abzuschneiden und die Besatzung mit anderen Mitteln fortzusetzen.
Nun, nachdem „die
Abtrennung“ beendet zu sein scheint, kann man ein eindeutiges Urteil
fällen: die ganze Operation war unglaublich dumm.
Sie war töricht,
weil sie einseitig war. Sie machte Zusammenarbeit unmöglich -
abgesehen von der niedrigsten Ebene der Waffenruhe - während der
Rückzug stattfand. Diesen hätte man ausnützen können, um
psychologisch und politisch Brücken zwischen beiden Völkern zu
bauen. Es hätte die Bevölkerung von Gaza überzeugen können, dass es
sich lohnt, im Frieden mit uns zu leben. Es hätte die radikalen
Organisationen isoliert, der palästinensischen Führung geholfen und
die Sicherheit für die in der Nähe des Gazastreifens liegenden
Städte und Dörfer vergrößert.
Wenn die ganze
Operation von Anfang an im Geiste des Dialogs zwischen Partnern
auf gleicher Augenhöhe stattgefunden hätte, hätte man bindende
Abkommen erreichen können, was den Grenzübergang zwischen dem
Gazastreifen und Ägypten betrifft, die internationale Überwachung,
um Schwarzhandel mit Waffen zu verhindern, den Status der Synagogen,
die Verbindungen zu Wasser und in der Luft und alles übrige. Aber
Sharon wünschte keinen Dialog mit den Palästinensern; denn das wäre
– Gott bewahre – ein Präzedenzfall für die Zukunft der Westbank.
Stattdessen verlief
alles in einer Atmosphäre des Misstrauens und der Feindseligkeit.
Die israelischen Offiziere und Politiker redeten und benahmen sich
weiterhin – ohne Ausnahme – wie Militärgouverneure und gebrauchten
die Sprache der Drohung und Arroganz. Ihr Verhalten beweist, dass
die Besatzung in Wirklichkeit noch nicht beendet ist – nicht im
Gazastreifen und erst recht nicht auf der Westbank.
Der
palästinensische Jucha ist ein schlauer Fuchs – der israelische nur
plump.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
|