Präsidenten
Abbas retten
Uri Avnery, 23.6.07
EHUD OLMERT
ist der Gegenpart von Midas, dem König von Phrygien. Alles was der
König berührte, wurde zu Gold. So erzählt es die griechische Sage.
Alles, was Olmert berührt, wird zu Blei. Und dies ist keine Sage.
Nun berührt
er Mahmoud Abbas. Er lobt ihn in den höchsten Tönen. Er verspricht
ihm, ihn zu „stärken“. Er will sich bald mit ihm treffen.
Wenn ich
Abbas einen Rat geben könnte, würde ich ihm zurufen: „Renne, renne
um dein Leben! Die Berührung von Olmerts Hand wird dein Schicksal
besiegeln!
KANN ABBAS
gerettet werden? Ich weiß es nicht. Einige meiner palästinensischen
Freunde sind verzweifelt.
Sie sind mit
der Fatah aufgewachsen, und die Fatah ist ihre Heimat. Sie sind
säkular und nationalistisch eingestellt. Sie wollen wirklich kein
islamistisches Regime in ihrem Land.
Aber im
aktuellen Konflikt sind sie für die Hamas. Der Geist ist gespalten.
Und das ist keine Überraschung.
Sie hören
die Worte von Präsident Bush, von Olmert und dem ganzen
nachplappernden Chor der israelischen Politiker und ihrer
Journalisten. Und sie ziehen daraus den unweigerlichen Schluss: die
Amerikaner und die Israelis bemühen sich sehr, Abbas zu einem
Agenten der Besatzung und die Fatahbewegung zu einer Miliz des
Besatzers zu machen.
Jedes Wort,
das jetzt aus Washington und Jerusalem kommt, bestätigt diesen
Verdacht. Jedes Wort vertieft die Kluft zwischen der
palästinensischen Gesellschaft und der Palästinensischen Behörde in
der Westbank. Die neue „Notstandsregierung“ in Ramallah wird von
einer Person geleitet, die nur 2% der Stimmen bei den letzten
Wahlen erhalten hat, als die Liste von Abbas selbst von der Hamas
haushoch geschlagen worden war – nicht nur im Gazastreifen, sondern
auch auf der Westbank.
Keine
„Milderung der Reisebeschränkungen“ und keine „wirtschaftlichen
Schritte“ werden helfen. Nicht die Rückgabe der palästinensischen
Steuergelder, die von der israelischen Regierung unterschlagen
worden waren. Nicht der Zufluss europäischer und amerikanischer
Hilfsgelder. Schon vor 80 Jahren machte sich Wladimir Jabotinsky,
der Ultra- Zionist, über die zionistischen Führer lustig, die
versuchten, das palästinensische Volk zu kaufen, in dem sie es mit
wirtschaftlichen „Angeboten“ in Versuchung führten. Ein Volk kann
nicht gekauft werden.
WENN ABBAS
überhaupt gerettet werden kann, dann gibt es nur einen Weg: sofort
mit zügigen und ernst zu nehmenden Verhandlungen über ein
Friedensabkommen zu beginnen – und zwar mit dem erklärten Ziel,
einen palästinensischen Staat in allen besetzten Gebieten zu
errichten, mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt. Nicht weniger.
Aber genau
das ist es, was die Regierung Israels nicht zu tun bereit ist. Weder
Olmert noch Tzipi Livni. Noch Ehud Barak.
Wenn sie
dazu bereit gewesen wären, dann hätten sie oder ihre Vorgänger dies
vor langer Zeit tun können. Barak hätte es mit Yasser Arafat in Camp
David regeln können. Ariel Sharon hätte mit Abbas eine Übereinkunft
treffen können, nachdem dieser mit einer großen Mehrheit zum
Präsidenten gewählt worden war. Olmert hätte verhandeln können,
nachdem Sharon die politische Bühne verlassen hatte. Er hätte es mit
der palästinensischen Einheitsregierung tun können, die unter der
Schirmherrschaft der Saudis zustande gekommen war.
Sie haben es
nicht getan. Nicht weil sie Dummköpfe waren und auch nicht, weil
sie zu schwach waren. Es geschah nicht, weil ihr Ziel ein ganz
gegenteiliges war: die Annexion großer Teile der Westbank und die
Vergrößerung der Siedlungen. Deshalb taten sie alles, um Abbas zu
schwächen, der von den Amerikanern als „Friedenspartner“ bezeichnet
wurde. In den Augen Sharons und seiner Nachfolger, war Abbas
gefährlicher als Hamas, die von den Amerikanern als „terroristische
Organisation“ bezeichnet wurde.
ES IST
unmöglich, die letzten Entwicklungen zu verstehen, ohne auf den
„Trennungsplan“ - die Auflösung der Siedlungen im Gazastreifen -
einzugehen.
In dieser
Woche wurden in Israel sensationelle Enthüllungen publik, die
vorher unter Verschluss gehalten worden waren. Sie bestätigen den
Verdacht, den wir von Anfang an hatten: dass die „Trennung“ nichts
anderes als ein Trick war, Teil eines Programms mit einer
verborgenen Agenda.
Sharon hatte
einen Gesamtplan, der aus drei Elementen bestand: a) den
Gazastreifen abzutrennen, zu isolieren und von der Hamas führen zu
lassen; b) die Westbank in ein abgetrenntes Gebilde unter Führung
der Fatah zu verwandeln; und c) beide Gebiete unter der Herrschaft
des israelischen Militärs zu belassen.
Dies
erklärt, warum Sharon auf einem „einseitigen“ Rückzug bestand.
Zunächst erscheint dies unlogisch. Warum nicht vorneweg mit der
palästinensischen Behörde darüber reden? Warum sich nicht über die
ordentliche Machtübernahme durch Mahmoud Abbas absichern? Warum
keine Übergabe der intakten Siedlungen an die Behörde mit allen
Gebäuden und Gewächshäusern? Warum nicht die Grenzübergänge weit
öffnen? Und warum nicht wirklich den Palästinensern den Flughafen
wieder eröffnen und einen Seehafen bauen lassen?
Wenn es
tatsächlich das Ziel gewesen wäre, ein Friedensabkommen zu
erreichen, dann wäre all dies geschehen. Aber da genau das Gegenteil
gemacht wurde, kann vermutet werden, dass Sharon genau das wollte,
was jetzt geschehen ist: der Kollaps der palästinensischen Behörde
im Gazastreifen, die Machtübernahme des Gazastreifens durch die
Hamas, die Trennung des Gazastreifens von der Westbank.
Deshalb
schnitt er den Gazastreifen von jeder Land-, See- und Luftverbindung
ab, hielt die Grenze fast permanent geschlossen und machte den
Gazastreifen zum „größten Gefängnis der Welt“. Die Versorgung mit
Lebensmitteln, Medizin, Wasser und Strom ist vollständig vom
Wohlwollen Israels abhängig - genau so wurde es auch mit dem
Übergang nach Ägypten gehandhabt (mit Hilfe einer europäischen
Überwachungseinheit, die von der israelischen Armee abhängig ist)
und mit allen Importen und Exporten, ja, sogar das
Einwohnermeldeamt ist von Israel abhängig.
ES MUSS klar
sein: das ist keine neue Politik. Das Abtrennen des Gazastreifen
von der Westbank ist seit vielen Jahren ein militärisches und
politisches Ziel der israelischen Regierungen gewesen.
Der Artikel
IV der Oslo-Prinzipienerklärung stellt eindeutig fest: „Beide
Parteien sehen die Westbank und den Gazastreifen als eine einzige
territoriale Einheit an, deren Integrität während der
Übergangsphase erhalten werden soll.“ Ohne diesen Passus hätte
Arafat dieses Abkommen nicht akzeptiert.
Später
erfand Shimon Peres den Slogan „Gaza zuerst“. Die Palästinenser
weigerten sich unnachgiebig. Letzten Endes gab die israelische
Regierung nach, und 1994 wurde das Abkommen „Gaza - Jericho zuerst“
unterzeichnet. Die Ausgangsbasis, die der Palästinensischen Behörde
in der Westbank auf diese Weise gegeben wurde, sicherte so die
Einheit beider Gebiete.
Im selben
Abkommen versprach Israel eine „sichere Passage“ zwischen dem
Gazastreifen und der Westbank. Und nicht nur eine, sondern vier, die
auf einer Karte eingezeichnet waren, die als Anhang dem Abkommen
beigefügt worden war. Kurz darauf wurden sogar entlang der
Westbankstraßen Straßenschilder mit der arabischen Aufschrift „nach
Gaza“ aufgestellt..
Aber während
der 13 Jahre, die seitdem vergangen sind, ist die Passage nicht
einen Tag lang offen gewesen. Als Ehud Barak sich auf den Sessel
des Ministerpräsidenten setzte und seine Politik absteckte,
fantasierte er vom Bau der größten Brücke der Welt zwischen dem
Gazastreifen und der Westbank (etwa 40km). Wie viele andere von
Baraks Blitzideen starb auch diese schon vor der Geburt. Die
Passage blieb hermetisch geschlossen.
Die
israelische Regierung hat sich daran gemacht, diese Verpflichtung
einzulösen, und kürzlich gab sie sogar Condoleezza Rice persönlich
eine spezielle und detaillierte Zusage. Doch nichts ist geschehen.
Warum?
Warum riskiert unsere Regierung eine offensichtliche, klar
umrissene, unzweifelhaft und andauernde Verletzung einer solch
wichtigen Verpflichtung? Warum geht sie so weit und spuckt einer
Freundin wie der guten Condoleeza ins Gesicht?
Dafür gibt
es nur eine mögliche Antwort: Die Abtrennung des Gazastreifens von
der Westbank ist ein substantielles, strategisches Ziel der
Regierung und der Armee, ein wichtiger Schritt bei den historischen
Anstrengungen, den palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung
und die Annexion zu brechen.
In dieser
Woche scheint dieses Ziel erreicht worden zu sein.
Die
offizielle Operation, Abbas zu „stärken“ ist ein Teil dieses Plans.
In Jerusalem haben manche nun das Gefühl, dass ihre Träume wahr
werden: die Westbank ist vom Gazastreifen abgetrennt, in mehrere
Enklaven von einander und von der Welt abgeschnitten wie die
Bantustans im früheren Südafrika. Ramallah ist die Hauptstadt
Palästinas, um die Palästinenser Jerusalem vergessen zu lassen.
Abbas erhält Waffen und Verstärkungstruppen, um die Hamas in der
Westbank zu zerstören. Die israelische Armee beherrscht die Gebiete
zwischen den Städten und operiert – wenn es ihr passt, auch in den
Städten . Die Siedlungen wachsen ungehindert, das Jordantal ist
vollkommen vom Rest der Westbank abgeschnitten, die Mauer wächst
weiter und verschlingt immer mehr palästinensisches Land, und das
Regierungsversprechen, die Siedlungsaußenposten aufzulösen, bleibt
ein seit langem vergessener Witz .
Präsident
Bush ist damit zufrieden, dass „sich die Demokratie in den
palästinensischen Gebieten ausbreitet“, und die US-militärischen
Hilfsgelder an Israel wachsen von Jahr zu Jahr.
VON OLMERTS
Standpunkt aus ist das eine ideale Situation. Wird dies so bleiben?
Die Antwort
ist ein uneingeschränktes NEIN!
Wie alle
Aktionen von Bush und Olmert - wie auch die ihrer Vorgänger -
gründen diese in der Verachtung gegenüber den Arabern. Diese
Verachtung hat sich viele Male als ein Weg in die Katastrophe
erwiesen.
Die
israelischen Medien, die inzwischen zum Propagandaorgan von Mahmoud
Abbas und Mohammed Dahlan geworden sind, beschreiben schon
schadenfroh, wie die hungrigen Bewohner des Gazastreifens voller
Neid auf die wohlgenährten, aufblühenden Bewohner der Westbank
schauen. Sie werden gegen die Hamas-Regierung rebellieren, sodass
auch dort ein Quisling im Dienste Israels eingestellt werden kann.
Die Menschen in der Westbank werden mit Hilfe von amerikanischen und
europäischen Geldern gemästet, und sie werden glücklich sein, den
Gazastreifen und dessen Probleme los zu sein.
Das ist
reine Phantasie. Es ist viel wahrscheinlicher, dass der Zorn der
Menschen im Gazastreifen sich gegen die israelischen Gefängniswärter
richten wird, die sie aushungern wollen. Und die Menschen in der
Westbank werden ihre Landsleute nicht vergessen, die im Gazastreifen
dahinsiechen.
Kein
Palästinenser wird mit der Abtrennung des Gazastreifens von der
Westbank einverstanden sein. Eine Partei, die damit einverstanden
ist, würde von der palästinensischen Gesellschaft ausgestoßen
werden, und eine Führung, die solch eine Situation akzeptieren
würde, würde beseitigt werden.
Israels
Politik ist hin und her gerissen zwischen zwei mit einander im
Konflikt stehenden Wünschen: zu verhindern, dass die im
Gazastreifen geschehenen Ereignisse sich auf der Westbank
wiederholen, wo eine Machtübernahme durch die Hamas viel
gefährlicher wäre - aber auch zu verhindern, dass Abbas einen so
großen Erfolg hat, dass die Amerikaner Olmert zwingen könnten, mit
ihm wirklich zu verhandeln. Wie gewöhnlich praktiziert die
Regierung das Prinzip „nicht Fisch und nicht Fleisch“.
Gegenwärtig
sind alle Aktionen Olmerts für Abbas und die Fatahbewegung
gefährlich. Seine Umarmung ist eine Bärenumarmung und sein Kuss ein
Todeskuss.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs
und Christoph Glanz vom Verfasser autorisiert)
|