Ja, wir
können
Uri
Avnery, 7, Januar 2017
WÄHREND DES 2.
WELTKRIEGES,
als deutsche Bomber England terrorisierten, stand eine kleine
Gruppe britischer tapferer Flieger ihnen gegenüber. Ihre
Lebenserwartung wurde nach Tagen gezählt.
Ein
findiger Geist im Propagandaministerium gestaltete ein Poster: „Wer
fürchtet sich vor der deutschen Luftwaffe?“
Als
dieses an einer der Königlichen Luftwaffenbasen angebracht wurde,
hat eine anonyme Hand darunter geschrieben: „Unterschreibe hier“!.
Innerhalb von Stunden hatten alle Flieger unterschrieben.
Es
waren die Männer, über die Winston Churchill folgendes sagte:
„Niemals haben so Viele so Vieles so wenigen geschuldigt!“
Wenn heute jemand ein Poster erfinden würde, das fragt: Wer
fürchtet sich vor den Siedlern, würde ich der erste sein, der es
unterzeichnet.
Ich
habe Angst. Nicht um mich. Um den Staat Israel. Um Alles, was wir in
den letzten 120 Jahren aufgebaut haben.
IN LETZTER ZEIT
sagen immer mehr Leute in Israel und in der Welt, dass die
„Zwei-Staaten-Lösung“ tot ist.
Finito. Kaput. Die Siedler haben sie schließlich umgebracht.
Der
Frieden ist am Ende. Da gibt es nichts, das wir tun könnten. Wir
können nur in unserm bequemen Sessel vor dem Fernseher sitzen, tief
seufzen, eine Tasse Kaffee trinken und zu uns selbst sagen: „Die
Siedlungen sind unumkehrbar“
Wann hab ich das zum ersten Mal gehört?
Vor
etwa 40 Jahren – oder war es vor 50 Jahren -- verwendete der
renommierte israelische Historiker Meron Benvenisti – dies das
erste Mal. Die Siedlungen, proklamierte er, haben eine
„Irreversible“ Situation geschaffen. Keine Zwei-Staaten-Lösung, wie
meine Freunde und ich es verlangten. Sorry, irreversible. In jener
Zeit gab es weniger als hunderttausend Siedler in der Westbank und
einige sogar im Sinai.
Jetzt kann dieser Slogan überall gehört werden. Unumkehrbar,
irreversible. Die bloße Menge der Siedler hat die
Zwei-Staaten-Lösung zu einem Hirngespinst gemacht.
Es
wird gesagt, dass es jetzt 450 Tausend Siedler in der Westbank gibt
und zusätzlich noch 150 Tausend im besetzen Ost-Jerusalem. Sie
können nicht ohne einen Bürgerkrieg umgesiedelt werden.
Also hören wir auf, über eine Zwei-Staaten-Lösung zu sprechen.
Lasst und über etwas anderes nachdenken. Eine Ein-Staat-Lösung?
einen Apartheid-Staat? Überhaupt keine Lösung? Ein ewiger
Konflikt?
ICH GLAUBE
nicht, dass es ein menschliches Problem gibt, das keine Lösung hat.
Ich
glaube nicht, dass Verzweiflung ein guter Berater sei, obwohl es ein
bequemer ist.
Ich
glaube nicht, dass im Leben etwas „irreversible“ ist. Natürlich
abgesehen vom Tod.
Wenn sich jemand einem Problem gegenüber sieht, das irreversibel
ist, muss man dieses Problem näher ansehen, dies analysieren und
die möglichen Wege da heraus bedenken.
Es
wird erzählt dass General Bernard Montgomery, der britische
Kommandeur in Nordafrika, ein Bild von seinem Feind, dem legendären
deutschen General Erwin Rommel auf seinem Schreibtisch in seinen
Hauptquartieren, stehen hatte. Als er von seinen erstaunten
Besuchern gefragt wurde, erklärte er: „Ich möchte mich selbst jeden
Moment fragen: Was denkt er jetzt?“
Falls wir versuchen über die Siedler nachdenken, sehen wir vor uns
eine Masse von 650 Tausend Fanatikern, die jeden Tag mehr werden.
Das ist wirklich erschreckend.
Aber es existiert keine Masse von Siedlern. Es gibt verschiedene
Arten von Siedlern. Wenn wir Mittel erfinden wollen, um mit diesem
Problem fertig zu werden, müssen wir es als erstes
auseinandernehmen.
Lasst uns auf die verschiedenen Gruppen, eine nach der anderen,
schauen.
ALS ERSTES
sind da die „ Siedler für Lebensqualität“ . Sie gehen auf die
Westbank, finden dort eine Stelle, die von malerischen arabischen
Dörfern umgeben sind und siedeln auf Land, das höchst
wahrscheinlich einigen arabischen Dorfbewohnern gehört. Sie schauen
aus ihrem Fenster auf wunderschöne Minaretts und Olivenbäume, hören
den Ruf zum Gebet und sind glücklich. Sie bekamen das Land für
nichts oder fast für nichts.
Nennen wir sie Gruppe 1.
Da
sie keine Fanatiker sind, wird es nicht so schwer sein, sie ins
eigentliche Israel umzusiedeln. Findet man für sie einen netten
Platz, gibt man ihnen eine Menge Geld, werden sie ohne zu viel
Ärger sich umsiedeln. Lassen.
DANN GIBT
es die „Grenz-Siedlungen“. Dort leben die Siedler in Städten und
Dörfern, die sehr nah an der alten Grünen Linie leben - die Grenze,
die vor 1967 bestand und die noch immer als legale Grenze des
Staates Israel gilt. Dort lebt der Großteil der Siedler.
Es
besteht zwischen Israel und den Palästinensern eine schweigende
Übereinkunft, dass diese Siedlungen in den „Austausch von Gebieten“
eingeschlossen sind, die praktisch von jedem ins Auge gefasst
werden, der sich mit der Zwei-Staaten-Lösung befasst.
Die
Grundlage ist ein Austausch von 1 zu 1 von gleichem Wert. Zum
Beispiel: zum Ausgleich für die „Siedlungsblöcke“ könnte Israel
Gebiete entlang des Gazastreifens abgeben. Die Söhne und Töchter der
Familien innerhalb des Streifens, das übervölkertste Gebiet auf der
Erde, würden diese Gelegenheit willkommen heißen, um dort ihre
Wohnstätte in der Nähe ihrer Familien zu bauen.
Nennen wir diese Art von Siedlern „Gruppe 2“.
Zu
dieser Gruppe gehören viele der ultra-orthodoxen Siedler, die sich
wirklich nicht um die Lokalität kümmern. Sie haben sehr große
Familien, womit sie Gottes Willen erfüllen. Sie müssen auch in
bedrängten Gemeinden zusammen leben, da viele Gebote ihres
Glaubens gemeinsame Institutionen verlangen.
Die
ultra-orthodoxen („Haredim“ auf Hebräisch, bedeutet jene vor Gott
Zitternden) leben in schrecklich übervölkerten Städten in Israel –
West- Jerusalem, Bnei-Brak etc. Sie benötigen mehr Land und die
Regierung ist glücklich, ihnen beim Umsiedeln zu verhelfen – aber
jenseits der Grünen Linie. Einer dieser Orte ist Modiin Illith,
gegenüber dem arabischen Dorf Bilin, wo seit vielen Jahren jetzt die
Dorfbewohner jeden Freitag gegen den Landraub demonstriert haben.
LAST BUT
not least
gibt es noch die ideologischen Siedler, die Fanatiker, diejenigen,
die von Gott selbst dahin geschickt wurden. Nennen wir sie Gruppe 3.
Sie
sind der Kern des Problems. Diesen harten Kern umzusiedeln, ist ein
schwieriger und gefährlicher Job. Wie schwierig, hängt von mehreren
Faktoren ab.
Als
erstes: die öffentliche Meinung. So lange wie diese Siedler fühlen,
dass der Großteil der israelischen allgemeinen Öffentlichkeit sie
unterstützt, können sie nur mit brutaler Gewalt umgesiedelt werden.
Aber die meisten Soldaten und Polizisten gehören genau derselben
allgemeinen Öffentlichkeit an.
Diese Schlacht kann nur dann gewonnen werden, wenn sich vorher die
allgemeine Meinung geändert hat. Um dies zu bewirken, ist eine
Menge politischer Arbeit nötig. Internationale Unterstützung mag
helfen. Aber ich glaube nicht, dass internationale Unterstützung von
- UN, den US und so weiter - erscheinen wird, wenn die Israelis
selbst keinen Wechsel bewirken.
Am
Ende kann eine Umsiedlung des harten Kerns der Siedler mit Gewalt
nötig sein. Es ist nicht etwas, was man sich wünscht, aber es ist
etwas, was unvermeidlich sein kann.
DIE SIEDLER
der Gruppe 3 sind sich dieser Faktoren voll bewusst, viel mehr als
ihre Feinde. Seit Jahren sind sie jetzt mit einem systematischen
Aufwand engagiert, in die Armee, die Regierung , in den zivilen
Dienst und besonders in die Medien einzudringen.
Diese Anstrengung ist äußerst erfolgreich gewesen, wenn auch nicht
entscheidend. Das Friedenslagers muss ähnliche Anstrengungen machen.
Ein
Hauptfaktor, der alles andere in den Schatten stellt, ist die
Schlacht des Willens. Die Siedler kämpfen für ihre Ideologie als
auch um ihren Lebensstandard.
Dies reflektiert übrigens ein historisches und weltweites Phänomen:
Die Menschen an der Grenze sind härter und mehr motiviert als
Menschen die im geographischen Zentrum leben.
Ein
typisches Beispiel ist Preußen. Anfangs war dies eine deutsche
Grenz-Provinz mit sehr armem Land und wenig Kultur. Jahrhundertelang
wurde deutsche Kultur in den wohl situierten Städten im
Landesinneren konzentriert. Aber durch reine Beharrlichkeit und
Willenskraft wurde Preußen zur dominanten Region Deutschlands. Als
das vereinigte (zweite) deutsche Reich gegründet wurde, war Preußen
die entscheidende Macht.
Ziemlich dasselbe geschah im Süden. Österreich, eine kleine südliche
Grenzprovinz, hat im Herzen Europas ein großes Reich errichtet, das
viele verschiedene Nationalitäten einschloss..
DIESE NOTWENDIGE
kurze Skizze möglicher Lösungen bemüht sich nur darum, aufzuzeigen,
dass nichts unwiderruflich ist.
Am
Ende hängt alles von uns ab.
Wenn wir Israel genug lieben, um für seine Existenz als Staat
aufzustehen, einem Staat in dem wir gerne leben und mit dem wir uns
identifizieren können, sollten wir rechtzeitig handeln.
Würde es nicht schade sein, wenn alle Bemühungen und Hoffnungen von
120 Jahren im Morast eines elendigen, hässlichen kleinen
Apartheit-Staates versinken würde?,
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)