AVRAHAM BURG (53) war ein Mitglied
der Arbeiterpartei und eine Zeit lang Präsident der
Knesset. Sein verstorbener Vater war lange Zeit
Kabinettminister und Führer der national-religiösen
Partei, bevor diese zu einem fanatisch-messianischer
Mob mutierte. Die Beziehungen zwischen Burg sen. und
mir waren recht freundschaftlich, weitgehend
deshalb, weil wir die einzigen beiden Mitglieder der
Knesset waren, die in Deutschland geboren sind…
Burg jr., der immer noch die Kippa
eines gläubigen Juden trägt, trat in die Laborpartei
ein und wurde Mitglied der „acht Tauben“, einer
moderaten Gruppierung innerhalb der Partei.
Letzte Woche veröffentlichte Haaretz
einen Artikel, in dem Burg vorschlug, die
„Zweistaaten-Lösung“ mit einer
„Zweistaaten-Föderation“ zu verknüpfen. Dabei
benutzte er die Metapher eines Gebäudes, dessen
Erdgeschoss sich aus den Menschenrechten
zusammensetzt, dessen erster Stock die zwei Staaten,
Israel und Palästina – und dessen zweiter die
Föderation hostet.
Das hat in mir viele Erinnerungen
wachgerufen.
Im Frühjahr 1949, unmittelbar nach der
Unterzeichnung des
Original-Waffenstillstandsabkommens zwischen dem
neuen Staat Israel und den arabischen Ländern, die
in den Krieg eingegriffen hatten, bildete sich in
Israel eine Gruppe, die sich für die Errichtung
eines palästinensischen Staates an der Seite Israels
und für die Unterzeichnung eines Paktes zwischen den
beiden Nationen einsetzen wollte.Solche Gedanken
wurden zu der Zeit als ketzerisch angesehen, da die
tatsächliche Existenz eines palästinensichen Volkes
in Israel energisch abgestritten wurde. Sie bestand
aus einem muslimischen Araber, einem arabischen
Drusen und mir. Als unsere Versuche, eine neue
Partei zu gründen, scheiterten, löste sich die
Gruppe nach einiger Zeit wieder auf. (Kurioserweise
wurden wir alle drei später Mitglieder der
Knesset.) In einem brisanten Punkt waren wir uns
einig: Die Grenzen zwischen den beiden Staaten
müssen für den freien Verkehr von Menschen und Waren
offen sein. Wir benutzten das Wort ,„Föderation“
nicht explizit, aber so etwas hatten wir im Sinn.
Nach dem
Suez-Krieg im Jahre 1956 griff eine neue Gruppe
diesen Gedanken auf. Sie wurde von Nathan Yellin-Mor
und mir ins Leben gerufen und lockte eine
beeindruckende Vielzahl Intellektueller,
Schriftsteller und Künstler an. Yellin-Mor war der
ehemalige Anführer der „Kämpfer für die Freiheit
Israels“, die von den Briten als die extremste
jüdische Terroristenorganisation gebrandmarkt worden
war und die als „Stern-Bande“ bekannt war.
Solche Gedanken wurden zu der Zeit
als ketzerisch angesehen, da die tatsächliche
Existenz eines palästinensischen Volkes in Israel
energisch abgestritten wurde.Wir nannten uns
„Semitische Aktion“ und veröffentlichten ein
Dokument, „das Hebräische Manifest“, was meiner
Meinung nach einzigartig war und auch bleiben wird:
der vollständige und detaillierte Entwurf für einen
anderen Staat Israel. Es enthielt unter anderem den
Plan für die Errichtung eines
arabisch-palästinensischen Staates an der Seite
Israels und für eine Föderation zwischen Israel,
Palästina und Jordanien, die den Namen „die
Jordanische Union“ erhalten sollte.
In den 1970-er Jahren brachte Abba
Eban den Gedanken einer „Benelux-Lösung“ in Umlauf;
dieser Name stammt von der Vereinbarung zwischen
Belgien, den Niederlanden und Luxemburg, die einer
Föderation gleichkam. Zu meiner Überraschung
gebrauchte Yassar Arafat genau dieselbe Bezeichnung,
als ich ihn zum ersten Mal im Jahre 1982 während der
Belagerung von Beirut traf: „Eine Föderation
zwischen Israel, Palästina und Jordanien – und
eventuell auch noch dem Libanon – warum nicht?“ Er
wiederholte denselben Gedanken, mit denselben Worten
bei unserem letzten Treffen, kurz vor seinem
mysteriösen Tod.
Im Laufe der Zeit verzichtete ich das
Wort „Föderation“. Ich war zu dem Schluß gekommen,
dass dieser Begriff beide Seiten zu sehr abschrecken
würde. Die Israelis befürchteten, eine Föderation
könnte Israels Souveränität beschneiden, wohingegen
die Palästinenser darin eine weitere zionistische
List sahen, die Besatzung mittels anderer Methoden
beizubehalten. Aber eigentlich liegt es doch auf der
Hand, dass zwei Staaten in einem so kleinen Land wie
dem historischen Palästina auf Dauer nicht Seite an
Seite existieren können, ohne eine enge Beziehung
miteinander zu haben.
Man muss daran erinnern, dass der
Original-UN-Teilungsplan bereits eine Art Föderation
beinhaltete, jedoch ohne dieses Wort explizit zu
erwähnen. Diesem Plan zufolge sollte der arabische
Staat mit dem jüdischen Staat in einer
Wirtschaftsunion vereint bleiben.
DIE WELT ist voll von Föderationen
und Konföderationen und keine gleicht der anderen.
Jede besitzt eine eigene Struktur, die sich durch
die Gegebenheiten vor Ort und aus der Geschichte
heraus entwickelt hat. Alle basieren auf einem Pakt
– auf Latein „foedus“, daher der Begriff.
Der furchtbare Bürgerkrieg in den USA
wurde zwischen einer Föderation (dem Norden) und
einer Konföderation (dem Süden) ausgefochten. Die
Föderation wurde als enge Union mit einer starken
zentralen Regierung konzipiert, die Konföderation
hingegen als lockere Kooperation zwischen
halb-autonomen Staaten.
Die Liste ist lang. Die Schweiz
bezeichnet sich selbst als eine Konföderation. Nach
dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist Russland nun
eine Föderation. Deutschland ist eine
„Bundesrepublik“, usw.
Eine Föderation zwischen Israel und
Palästina, mit oder ohne Jordanien, muss
hinsichtlich ihrer besonderen Gegebenheiten ihren
eigenen Charakter finden.
Aber das Wichtigste ist das Timing.
Da Burg seinen Vorschlag mit einem
Gebäude verglichen hat, folgt daraus, dass von unten
nach oben, Stockwerk für Stockwerk, erbaut werden
muss. So sehe ich es auch.
Der erste Stock ist die
Zweistaaten-Lösung. Diese muss als allererstes
umgesetzt werden. Jeder Gedanke an das, was danach
folgen könnte, ist ohne sie gegenstandslos.
Das bedeutet die Gründung des
Staates Palästina in den Grenzen von 1967, mit
Ostjerusalem als seiner Hauptstadt, als einen freien
unabhängigen und souveränen Nationalstaat des
palästinensischen Volkes.
Solange dieser Grundgedanke nicht
realisiert wird und keine Lösung aller damit
zusammenhängender Probleme („Kernfragen“) vereinbart
wird, hat alles andere nur wenig Bedeutung.
Die Besatzung ist eine blutende Wunde
und sie muss vor allem anderen im Rahmen des
Friedens geheilt werden. Zwischen dem Unterdrücker
und dem Unterdrückten kann kein ernsthaftes Gespräch
über eine Föderation zustande kommen. Eine
Föderation setzt Partner voraus, die den gleichen
Status, wenn nicht sogar die gleiche Stärke, haben.
Die Zweistaaten-Lösung verspricht
Frieden – zumindest einen formellen Frieden, der den
hundert Jahre alten Konflikt beendet. Sobald Frieden
erlangt wird, kann – und sollte – man über die
nächste Stufe nachdenken, seine Vertiefung und seine
Umwandlung in die Alltagsrealität, die das Leben der
Menschen formt.
SETZEN WIR einmal voraus, dass diese
Verhandlungsrunden oder andere zukünftige
Verhandlungsrunden zu einem formellen
Friedensvertrag – und dem Ende aller gegenseitigen
Ansprüche führen, wie John Kerry es formuliert hat.
Das ist der Zeitpunkt, wo eine Föderation in
Betracht gezogen werden sollte.
An was denken wir dabei? An eine enge
Föderation oder eine lockere Konföderation? Welche
Funktionen sind beide Seiten bereit, freiwillig von
der nationalen auf eine föderalistische Ebene zu
übertragen?
Höchstwahrscheinlich wird Israel
seine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich seiner
Beziehungen zur weltweiten jüdischen Diaspora so wie
hinsichtlich der Einwanderung nicht aufgeben. Das
Gleiche gilt für Palästinas Beziehungen zur
arabischen Welt und im Hinblick auf die Rückkehr der
Flüchtlinge.
Was ist mit den ausländischen
Beziehungen im Allgemeinen? Ich glaube, dass bei
allen bereits bestehenden Föderationen und
Konföderationen, eine zentrale Autorität für diese
federführend ist. In unserer Situation stellt dies
ein Problem dar. Militär- und
Sicherheitsangelegenheiten sind sogar noch
problematischer.
So, wie ich es sehe, wird eine
Föderation hauptsächlich wirtschaftliche und
menschenrechtliche Angelegenheiten,
Bewegungsfreiheit und dergleichen, betreffen.
Aber der wichtigste Punkt ist dieser:
die Verhandlungen zwischen dem Staat Israel und dem
Staat Palästina, die eine Föderation betreffen,
müssen frei von jeglichem Druck sein und nach Treu
und Glauben auf Augenhöhe geführt werden.
WIRD DIES das Ende der Straße zu
einem wahrhaftigen Frieden sein? Ich neige dazu, zu
glauben, dass dies nur die ersten wenigen Schritte
auf dem Weg dorthin sind.
Wenn die Zweistaaten-Lösung der erste
Stock, und die Föderation der zweite Stock, könnte
man sich vorstellen, dass der dritte Stock eine
regionale Union würde, analog zur Europäischen
Union.
Bei den gegenwärtigen Unruhen in
unserer Region kann man sich nur schwer vorstellen,
dass der Arabische Frühling zu irgendeiner
Stabilität führen wird. Doch wir haben nur ein
kurzes Gedächtnis. Die EU war der direkte Nachkomme
des grausamsten aller Kriege – des 2. Weltkrieges –
mit Millionen Europäern unter den Opfern.
Eine regionale Union (ich pflegte sie
„Semitische Union“ zu nennen), die Israel und
Palästina einschließt, wird in einer Welt, in der
regionale Gruppierungen eine immer wichtigere Rolle
einnehmen, für alle Partner von Vorteil sein.
Aber der oberste Stock einer neuen
Ordnung wird eine Art Weltregierung sein, die schon
jetzt bitter benötigt wird. Ich bin ziemlich sicher,
dass sie Realität werden wird, noch bevor dieses
Jahrhundert vorüber ist. Sie ist nicht viel
utopischer als vor einhundert Jahren die Idee einer
Europäischen Union, die zuerst von einer Handvoll
weitsichtiger Idealisten aufgebracht wurde.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es
viele Probleme, die auf der nationalen, ja sogar
regionalen Ebene nicht mehr gelöst werden können:
Die Rettung unseres Planeten vor einer
Umweltkatastrophe. Die Reglementierung einer
globalisierten Wirtschaft. Die Verhinderung von
Kriegen und Bürgerkriegen. Die Sicherstellung der
Menschenrechte überall. Das Erzielen der wirklichen
Gleichberechtigung für Frauen. Der Schutz von
Minderheiten. Das Ende von Hunger und Krankheiten.
All das bedarf einer neuen Weltordnung.
Solch eine Ordnung wird
notwendigerweise einer weltweiten Föderation ähneln.
Das bedeutet nicht, den Wegfall der Nationalstaaten.
Diese werden wahrscheinlich auch weiterhin bestehen
bleiben, so wie sie auch heute noch innerhalb der
Europäischen Union bestehen, nur mit eingeschränkter
Souveränität.
Kann solch eine Weltordnung
demokratisch sein? Sie muss es. Eines Tages wird die
Menschheit ein Weltparlament wählen, so wie die
Europäer heute ein europäisches Parlament wählen,
das ständig neue Verantwortungsbereiche übernimmt.
DIES SIND Zukunftsträume, jedoch ist
es schon jetzt lohnenswert, darüber nachzudenken.
Aber unsere heutige Aufgabe besteht
darin, endlich Frieden zu erlangen, einen Frieden
zwischen zwei Nationen, die in Harmonie in zwei
Schwesternstaaten leben.
Übersetzt v. Inga Gelsdorf