Eine ungewöhnliche Konferenz
Uri Avnery, 25.2. 2006
EIN
ENDERGEBNIS von 1:1 mag nicht sehr beeindruckend sein,
aber für die Jungs von Bil’in war es ein rühmliches
Ereignis Für sie war nicht das Ergebnis
ausschlaggebend, nicht einmal der Wettkampf (gegen das
Team vom benachbarten Betunia) selbst, sondern der
Platz, auf dem er statt fand: ein improvisierter
Fußballplatz, der in Eile auf dem von der Mauer
gestohlenen Dorfland eingeebnet worden war.
Der
Wettkampf wurde als Teil eines einzigartigen Ereignisses
abgehalten. In dem armen, kleinen Dorf mit seinen 1500
Einwohnern, von dem bis zu seinem heldenhaften Kampf
gegen die Mauer nur wenige gehört hatten. Hier fand
eine „internationale Konferenz über den gemeinsamen
gewaltfreien Kampf gegen die Mauer“ statt. Im Rahmen
dieses Ereignisses, das zwei Tage dauerte, fanden eine
Reihe Veranstaltungen und Aktivitäten statt: Berichte
und Debatten über den Kampf, die Auszeichnung mit
Ehrenplaketten an die Familien, von den neun Menschen
ihr Leben im Kampf gegen die Mauer verloren hatten, das
Pflanzen von jungen Olivenbäumen auf gestohlenem Land,
die Einweihung des Fußballfeldes und das Fußballspiel
selbst.
Ich
hatte die Ehre, eingeladen worden zu sein, um eine der
Eröffnungsreden vor etwa 300 Leuten zu halten, vor
Einwohnern von Bil’in, Mitgliedern des Palästinensischen
Parlamentes, Vertretern des Kampfes aus verschiedenen
Gebieten entlang der Mauer, israelischen
Friedensaktivisten und Abgeordneten aus europäischen
Solidaritätsgruppen. Hier ist, was ich sagte:
Liebe Freunde,
Jedes Mal, wenn ich nach Bil’in komme, bin ich
aufgeregt und glücklich. Dieses Dorf – so klein es ist –
ist zu einem Symbol in Palästina, ja, in Israel und
tatsächlich in der ganzen Welt geworden. Euer Kampf
spiegelt den Kampf des ganzen palästinensischen Volkes
wider.
Drei
Züge unterscheiden den Kampf von Bilin, drei Eigenarten,
die sich einander ergänzen und miteinander Bil’in so
außerordentlich machen:
-
die
Zähigkeit, die Ausdauer und der Mut des
palästinensischen Kampfes,
-
die
Partnerschaft mit dem israelischen Friedenslager,
-
die
Unterstützung der Solidaritätsbewegung in aller Welt
;
zu
all diesem kommt noch ein anderer Wesenszug, der Bil’in
zu einem leuchtenden Beispiel macht: die vollständige
Gewaltlosigkeit des Kampfes.
Vor
ein paar Tagen besuchte der Dalai Lama dieses Land. Er
traf berühmte Leute und nahm an diversen Feierlichkeiten
statt. Es wurden auch Photos mit ihm aufgenommen. Ich
hätte ihm gern den Rat gegeben, nach Bil’in zu kommen,
um hier eine Lektion über Gewaltlosigkeit zu erhalten.
WENN
WIR versuchen, den Kampf zu analysieren, müssen wir
immer auf seine Ursprünge zurückkommen. In diesem Land
leben zwei Völker, zwei Nationen. Das Ziel unserer
Bemühungen ist, Frieden zu schaffen, der sich auf
Gerechtigkeit gründet.
Der
israelisch-palästinensische Konflikt sieht keinem
anderen Konflikt der Welt ähnlich. Er ist keine Kopie
der südafrikanischen Auseinandersetzung oder eine 2.
Ausgabe des algerischen Befreiungskampfes. Dies ist ein
einmaliger Konflikt, der einzigartigen Umständen sein
Entstehen verdankt.
Ein
berühmter Historiker beschrieb dies folgendermaßen: Eine
Person lebt in der oberen Etage eines Gebäudes, in der
ein Feuer ausgebrochen ist. Um sein Leben zu retten,
springt er aus dem Fenster und landet auf einem
zufällig Vorbeikommenden, der dabei schwer verletzt
wird. Zwischen diesen beiden entwickelt sich eine
Todfeindschaft.
Wer
hat recht? Die Person, die aus dem Fenster sprang, um
ihr Leben zu retten? Oder die andere Person, die
verletzt und ruiniert wurde, ohne schuldig zu sein?
Die
Zionistische Bewegung ist entstanden, weil Europa schon
fünfzig Jahre vor dem Holocaust für Juden zur Hölle
geworden war, dem schrecklichen Holocaust, der Millionen
Juden das Leben kostete und in dessen Folge der Staat
Israel gegründet worden war. Die ersten Zionisten
glaubten, dass das Land leer sei. Ihr Hauptslogan hieß:
„Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land.“ Als die
Zionisten entdeckten, dass es in diesem Land schon eine
Bevölkerung gab, versuchten sie, sie hinauszustoßen.
Diese Bemühung setzt sich bis heute fort – und so auch
der hartnäckige Kampf des palästinensischen Volkes für
seine Existenz und seinen Boden.
Das
ist die Realität des Konfliktes – zwei Völker leben im
selben Land und kämpfen gegen einander. Der Kampf von
Bil’in gegen die Mauer, die sein Land raubt, ist ein
Teil dieses historischen Konfliktes.
VOR
ZWEIUNDDREISSIG Jahren, direkt nach dem Yom
Kippur-Krieg – oder dem Ramadankrieg – zog Yasser Arafat
eine Schlussfolgerung : es gibt keine militärische
Lösung dieses Konfliktes. Er beschloss, eine politische
Lösung zu finden.
Eine
kleine Gruppe von israelischen Friedensaktivisten
entschied sich, sich dieser Initiative anzuschließen.
Wir gründeten den „Israelischen Rat für
israelisch-palästinensischen Frieden“.
Arafat instruierte seine Gesandten, sich mit uns in
Verbindung zu setzen. Zuerst war es Said Hamami, dann
Issam Sartawi, zwei ranghohe Fatahführer. Beide wurden
später von Feinden des Friedens und Feinden Arafats
umgebracht. Möge ihr Andenken unvergessen sein!
!982, in der Mitte des Libanonkrieges, überquerte ich
die Frontlinien und traf mich mit Arafat im belagerten
Beirut. In der Mitte der Schlacht, inmitten von
Bombardements, sprach Arafat über Frieden zwischen
unsern beiden Völkern.
Schon damals legte Arafat die Grundlage für eine
Strategie nach drei Prinzipien: den Kampf des
palästinensischen Volkes durchzuhalten, die Hand dem
israelischen Friedenslager entgegenzustrecken und um
internationale Solidarität aufzurufen. Genau dies sind
auch die drei Prinzipien von Bil’in.
MAN
MAG fragen – tatsächlich muss man fragen: was hat das
israelische Friedenslager bis jetzt erreicht?
Oberflächlich betrachtet – nichts. Im Gegenteil, seit
dem Oslo-Abkommen ist die Situation der Palästinenser
von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Das wirtschaftliche
Elend verschlimmerte sich weiter. Täglich werden
Menschen getötet. Der Bau der monströsen Mauer geht
weiter. Die rassistischen Siedlungen breiten sich immer
weiter aus. Eben erfuhren wir, dass das Jordantal – ein
Drittel der Westbank – von den palästinensischen
Gebieten abgeschnitten und praktisch von Israel
annektiert werden soll. Der Sieg von Hamas bei den
palästinensischen Wahlen ist eine der Folgen davon.
All
dies geschieht deutlich vor unser aller Augen. Aber
unter der Oberfläche wirkt ein entgegengesetzter
Prozess.
Vor
50 Jahren hatte nur eine Hand voll Leute in Israel und
aller Welt die Existenz des palästinensischen Volkes
anerkannt. Sogar noch vor 32 Jahren behauptete Golda
Meir: „Es so etwas wie ein palästinensisches Volk gibt
es gar nicht“. Heutzutage gibt es in Israel und der
Welt keine vernünftige Person, die die Existenz des
palästinensischen Volkes und seine Rechte auf einen
eigenen Staat leugnet. Das ist der Sieg des hartnäckigen
palästinensischen Kampfes, aber auch der israelischen
Friedensbewegung.
Vor
zwanzig Jahren, als wir forderten, Verhandlungen mit der
Palästinensischen Befreiungsorganisation zu beginnen,
waren wir eine kleine Gruppe. Uns wurde gesagt, dass
Arafat ein Mörder, dass die PLO eine terroristische
Organisation sei, dass die Palästinensische Charta zur
Zerstörung Israels aufrufe. Genau dieselben Phrasen
werden jetzt für Hamas benützt. Aber einige Jahre später
erkannte der Staat Israel die PLO an, verhandelte mit
ihr und unterzeichnete Abkommen mit ihr. Das war der
Sieg des hartnäckigen palästinensischen Kampfes, aber
auch ein Sieg für die israelische Friedensbewegung .
LIEBE FREUNDE, es ist sehr leicht zu verzweifeln. Jeder
von uns hat Momente der Niedergeschlagenheit. Aber ich
bin davon überzeugt, dass es zum Frieden kommen, dass
Gerechtigkeit gewinnen wird.
Vor
ein paar Wochen war ich in Berlin. Dort werden in Läden
Stücke der Berliner Mauer zum Verkauf angeboten. Ich
bezahlte 2,50 Euro für ein solches Stück. Der Tag wird
kommen, wenn auch hier in Bil’in, im freien Staat
Palästina, Stücke der Mauer verkauft werden, gegen die
wir heute kämpfen.
Jedes Mal, wenn ich in Bil’in oder an anderen Orten im
besetzten Palästina bin, geht mir ein Gedanke durch den
Kopf : Was dieses Land doch für ein Paradies sein
könnte, wenn hier Frieden wäre, Frieden, der sich auf
Gerechtigkeit und gegenseitiger Achtung gründet.
Dieser Frieden wird kommen. Und wenn er kommt, wird
auch der letzte Wunsch Yasser Arafats, dessen Bild hier
hängt, in Erfüllung gehen: seine sterblichen Überreste
werden in Jerusalem ihre letzte Ruhe finden.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)
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