Wenn ein Esel einen anderen Esel Langohr schimpft
Uri Avnery , 31.5.08
ICH KANN nicht behaupten, dass mir Ehud Olmert jemals sympathisch
war. Aber jetzt tut er mir fast leid.
Es
ist nicht angenehm, zuzusehen, wie sie sich jetzt auf ihn stürzen
und wie Schakale und Hyänen um einen Tierkadaver kämpfen.
Das lässt einige Fragen hochkommen.
WAR OLMERT das einzige nicht unfehlbare menschliche Wesen in diesem
Paradies? Ganz und gar nicht. Die Geschichten über die mit Bargeld
vollgestopften Kuverts, die Zigarren und die Luxus-Suiten in
Nobelhotels beflügeln die Phantasie, aber Olmerts Hedonimus ist
nicht anders als der von Binjamin Nethanyahu und Ehud Barak. Wenn
Barak Olmert anklagt, so ist es, als würde ein Esel einen andern
Langohr nennen.
Nethanyahu lebt wie ein König in teuren Hotels, die von freundlichen
Spendern bezahlt wurden, die natürlich nichts dafür zurück haben
wollen, dessen einziger Lebenssinn darin besteht, den Luxus in
vollen Zügen zu genießen. So wie Barak, der - nach Jahrzehnten
als Armeeoffizier mit einem nicht übermäßigen Gehalt und einigen
Jahren als Kabinettsminister mit einem ähnlichen Einkommen - eine
Weile aus der Öffentlichkeit verschwand und als reicher Mann
zurückkehrte. Er kaufte eine Luxuswohnung in einem der teuersten
Gebäude Tel Avivs, einem Bau, der ein Symbol für protzigen Reichtum
ist. Wie wird man in so kurzer Zeit so reich? Könnte es sein, dass
man Verbindungen ausnützt, die man im Staatsdienst erwarb?
Olmert war ein Pionier dieser Methode. Als er noch ein sehr junger
Politiker war und gerade die juristische Fakultät hinter sich hatte,
wurde er dadurch reich, dass er Verbindungen zu den Chefs der
Regierungsabteilungen nützte, die er als parlamentarischer Berater
knüpfte.
Je
enger die Verbindungen zwischen Kapital und Macht werden, und je
enger die Nähe zwischen lokalen und ausländischen Magnaten
einerseits und den Generälen andrerseits werden, um so mehr blüht
die Korruption. Das ist schon fast ein automatischer Prozess.
WAS SAGT dies über unsere Politiker aus? Ganz einfach: keiner von
ihnen ist eine verantwortungsvolle Führungsperson.
Ein wirklicher Führer ist nicht nur eine Person mit einem Ziel. Ein
Führer ist eine Person mit nur einem einzigen Ziel.
Im
besten Fall ist es ein positives Ziel, dem er sein ganzes Leben
widmet. Im schlimmsten Fall ist es die Macht als solche, nach der
er sich ausstreckt. Auf jeden Fall aber ist ein wirklicher Führer
seinem Ziel vollkommen unterworfen – und hat kein anderes - weder
Geld, noch Vergnügen oder ein Leben in Luxus.
Solch eine Person war David Ben Gurion und auch Menachem Begin. Sie
entschieden sich nicht für ein „bescheidenes Leben“ oder auf
Verzicht von Luxus – sie waren gar nicht daran interessiert, auch
nicht an Geld oder bequemem Leben. Für sie war dies alles unwichtig.
Vom Augenblick am Morgen, in dem sie die Augen öffneten, bis zu dem,
wenn sie sie am Abend wieder schlossen, interessierte sie nur
eines, ihr Ziel. Hier könnte noch Yitzhak Rabin hinzugefügt werden.
Die Prioritäten eines Nur-Politikers sind völlig anders; er will an
die Macht, um sich an ihren Annehmlichkeiten zu erfreuen, die sie
mit sich bringt. Macht ist ein Mittel. Die Möglichkeiten der Macht
wie Geld, Luxus, erstklassige Restaurants, besonders angesehene
Hotels – sind das Ziel.
Nach dieser Definition ist die ganze Ernte früherer und jetziger
Politiker wie Moshe Dayan, Ezer Weitzman, Shimon Peres, die beiden
Ehuds und Nethanjahu ganz gewöhnliche Politiker.
MIT OLMERT gibt es wegen seines persönlichen Hintergrunds noch ein
besonders ernstes Problem.
Die Leute fragen sich: Wozu braucht er dies? Hat er nicht
vorausgesehen, dass am Ende alles bekannt wird, dass seine Freunde
und Bewunderer ihn verlassen würden? Lohnte es sich, seine ganze
Zukunft wegen Ferien in Italien, teuren Zigarren, Luxussuiten in
Hotels und teurer Flüge aufs Spiel zu setzen?
Die Bedingungen, unter denen er als Kind aufwuchs, hat
wahrscheinlich etwas mit seinem Verhalten als Erwachsener zu tun. Er
wuchs in den 50ern in einem Stadtteil auf, der von der Herut-Partei
für die ehemaligen Irgun-Mitglieder im Dorf Binyamina nahe Haifa
errichtet wurde. Es war ein armer Stadtteil, und die Kinder des
ursprünglichen Dorfes, die zum politischen Mainstream gehörten,
schauten auf seine Bewohner herab. Kinder können grausam sein . In
jener Zeit war die Herut-Partei (heute Likud) weit von der Macht
und dem nationalen Konsens entfernt. Ihre Mitglieder wurden wie
„Außenseiter“ betrachtet, die nicht dazu gehörten.
Wenn jemand mit solch einem Hintergrund die politische Leiter
hochsteigt, kann er durch die sich ihm bietenden Möglichkeiten
verdorben werden. Eine Welt der Verwöhnung und Schmeicheleien
macht sich hier breit. Und wenn ein amerikanischer „Exil-Jude“ – ein
äußerst verächtlicher israelischer Terminus für einen Juden im
Ausland – ein professioneller Schnorrer, der es für eine große Ehre
hält, ihn zu unterstützen, kommt und ihm alle Leckerbissen anbietet,
dann ist die Versuchung groß.
Die Olmert-Geschichte hat noch eine besondere Seite. Vielleicht
wegen des Gefühls in seiner Kindheit, nicht dazu zu gehören,
benötigt er Chaverim. „Chaver“ ist ein typisch hebräisches Wort, das
Kamerad, Freund, Genosse und Kumpel bedeutet. (Bill Clinton endete
seine berühmte Grabesrede für Rabin mit den hebräischen Worten
„Shalom, Chaver!“) Olmert benötigt viele Chaverim, immer Freunde,
Freunde die ihn verehren, besonders Intellektuelle und/ oder Reiche,
die ihn bewundern und lieben.
Er
liebt es, seine Freunde zu verwöhnen, nimmt sie mit, wenn er
verreist und Urlaub macht. Er überschüttet sie mit Wärme und Charme,
klopft ihnen auf die Schulter, widmet ihnen Zeit und Aufmerksamkeit.
Für ihn gehört das zu den Attraktionen der Macht.
Einer dieser Freunde ist der Anwalt Uri Messer, der sich jetzt
martert. Nicht weil er gegen das Gesetz verstoßen hat. Nicht weil
er Normen der Moral und Demokratie verletzt hat. Sondern weil er
Olmert bei der Polizei verpetzt hat. ( Messer selbst verwendete das
Wort „stinker“, das israelische Äquivalent zu Informant/Petzer) Wie
ein Schuljunge: man petzt nicht beim Lehrer. Er quält sich selbst.
Wie er selbst sagt, sei er kein Verrückter, sondern ein gequälter
Mensch, der einen Freund verraten hat.
EINE ANDERE Seite der Angelegenheit: die Beziehungen zwischen Olmert
und Morris Talansky, der ihn viele Jahre lang mit vollen Kuverts
versorgte.
Talansky behandelte ihn, wie ein Sklave seinen Herrn behandelt. Nach
einiger Zeit begann Olmert ihn wie einen Knecht zu behandeln. Ich
hätte fast gesagt: wie ein Kolonialherr einen minderwertigen
Eingeborenen.
Und das ist kein Zufall. Viele Israelis behandeln die Juden der
Diaspora, als ob sie koloniale Untertanen wären, die verpflichtet
sind, den Aristokraten des „Mutterlandes“ zu dienen. Indem sie über
amerikanische Juden denken und reden, wiederholen sie unbeabsichtigt
antisemitische Stereotypen. Talansky passt genau zu solch einem
Stereotyp. Olmert sah ihn so, und er betrachtete sich selbst auch
als solcher. Als Olmert nach Amerika kam und ihn vor seinen
jüdischen Nachbarn und Bekannten mit seiner Präsenz ehrte, hob dies
Talanskys Status, und dafür war er bereit, zu zahlen – und er
zahlte nicht wenig.
EINE FRAGE stellt sich von selbst: warum beginnen solche fatalen
Skandale immer dann, wenn ein Politiker Schritte in Richtung
Frieden unternimmt oder zumindest vorgibt, solche Schritte zu tun?
Ich glaube nicht, dass es eine Komplott ist. Im allgemeinen glaube
ich nicht an Verschwörungen, obwohl es diese auch gibt.
Wir haben es hier mit einem tiefer sitzenden Phänomen zu tun. Die
Schwungkraft des gegenwärtigen Establishment geht in Richtung
Besatzung, Expansion und Krieg. Wenn sich dann ein Führer, der von
einem Korruptionsskandal betroffen ist, sich genau in dieser
Richtung bewegt, wird der Skandal erstickt. Aber wenn der Skandal
einen Führer belastet, der etwas in Richtung Frieden tut, erreicht
der Skandal riesige Proportionen.
Das passierte Sharon am Vorabend der Siedlungsauflösungen im
Gazastreifen. Das geschieht jetzt Olmert, wenn er wagt, mit Syrien
über Frieden und die Evakuierung der Golansiedlungen zu sprechen.
LORD ACTON ist berühmt für seinen Ausspruch: „Macht korrumpiert und
absolute Macht korrumpiert absolut.“ In ähnlicher Weise sagen wir
„Besatzung korrumpiert, und totale Besatzung korrumpiert total“.
Ehud Olmert ist ein typisches Produkt des Zynismus und der
Gesetzlosigkeit, die dieses Land in den 41 Jahren der Besatzung
infizierte.
Das heißt nicht, dass es vorher keine Korruption gegeben habe. Die
gab es sicherlich.
Meiner Meinung nach wurde die Korruption zusammen mit dem Staat
gegründet - und nicht zufällig. Im Zusammenhang mit dem 60.
Jahrestag von Israels Staatsgründung, wurde auch eine Menge über die
Nakbah gesagt. Aber ein Phänomen, das die Nakbah begleitete, wird
konsequent ignoriert: der massive Diebstahl von arabischem Besitz.
Im
Laufe der Flucht und Vertreibung von 1948 verließen 100 bis 150 000
arabische Familien ihre Häuser. Viele von ihnen lebten in
bescheidenen Wohnverhältnissen, aber nicht wenige lebten in schönen
Häusern in Jaffa, Jerusalem und Haifa. Was geschah mit den
Wohnungseinrichtungen dieser Häuser? Mit den Zehntausenden teurer
Teppiche, Polstermöbel, Gefrierschränke, Kleiderschränke? Wohin
gingen die Einrichtungen von Läden und Vorratslagern ?
Sie verschwanden.
Einiges kam in Lagerhallen der Regierung und wurde an
Neu-Einwanderer verteilt. Ich habe darüber nie einen Bericht
gesehen. Der größte Teil wurde einfach gestohlen.
Gewöhnlich nicht von den Frontsoldaten, die diese Orte eroberten.
Sie kämpften und gingen weiter. Aber nach ihnen kam die Nachhut, die
Transportgruppen und Quartiermeister, die Freunde der Leute an der
Macht. Sie kamen mit LKWs und Treckern und luden alles auf, was
ihnen passte.
Das war kein Geheimnis. Wir wussten damals darum und sprachen
darüber. Jahrelang konnte man die mit Samt bezogenen Sofas und
Sessel in privaten Wohnzimmern und Büros sehen. Aber niemals wurde
dieses Phänomen untersucht, und später wurde darüber geschwiegen und
unter der Decke gehalten.
Ich habe darüber mehrfach in der Knesset gesprochen. Ich erwähnte
die biblische Geschichte von Achan, den Sohn von Carmis, der
während der Eroberung von Jericho Gottes Gebot, nicht zu plündern,
missachtete. Als Strafe wurden die Israeliten bei der nächsten
Schlacht geschlagen. „Israel hat gesündigt, es hat meinen Bund
übertreten, den ich ihm geboten habe und hat von dem Gebannten
genommen und gestohlen und hat es verheimlicht und es zu seinen
Geräten gelegt.“ (Josua.7,11) Josua exekutierte Achan und seine
ganze Familie durch Steinigung. Er war für Genozid an den
Kanaanäern, aber gegen Plünderung.
Der Diebstahl von verlassenem Eigentum am hellerlichten Tag durch
Personen verletzte die ethischen Werte, die vor der Gründung des
Staates akzeptiert worden waren. Die Leugnung und das Verschweigen
machten es nur noch schlimmer. Aber die maßlose Korruption, deren
bittere Früchte wir heute in aller Hässlichkeit sehen, begann 1967
mit der Besatzung.
Die Besatzung ist korrupt, und sie korrumpiert allein durch ihre
Existenz. Sie erkennt die Menschenrechte nicht an, einschließlich
der Rechte auf Besitz. Sie schafft in den besetzten Gebieten eine
allgemeine Atmosphäre der Gesetzlosigkeit. Sie bereichert den
Besatzer und jeden, der mit ihm liiert ist. Sie schafft ein Klima
von schamlosem Zynismus, eine Umgebung„ in der „alles möglich ist.“
Solch eine Atmosphäre hält nicht an der Grünen Linie an. Sie
durchdringt den Staat des Eroberers.
Damit begann die Verrottung.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)
|