Fragen und Antworten: am 15. Tag des Libanonkrieges
Uri Avnery, 26.7.06
Frage: Wer
wird diesen Krieg gewinnen?
Am 15. Tag des
Krieges funktioniert die Hisbollah noch immer und kämpft
weiter. Allein dies wird in die Geschichtsbücher der
arabischen Völker als glänzender Sieg eingehen.
Wenn ein
Leichtgewichtler gegen einen Schwergewichtler kämpft und
in der 15. Runde immer noch steht – so ist dies ein
Sieg, egal wie das Ende aussieht.
F.: Kann die
Hisbollah aus dem Grenzgebiet vertrieben werden?
Die Frage beruht
auf einem Missverständnis über das Wesen der Hisbollah.
Nicht zufällig
wird die Organisation Hisb-Allah ( „Partei Allahs“) und
nicht Jeish-Allah („Armee Allahs) genannt. Es ist eine
politische Organisation, die in der schiitischen
Bevölkerung des Süd-Libanon verwurzelt ist. Praktisch
vertritt sie diese Gemeinschaft. Die Schiiten machen 40%
der libanesischen Bevölkerung aus – und zusammen mit den
anderen Muslimen sind sie die Mehrheit (im Libanon).
Hisbollah kann
nur „entfernt“ werden, wenn die ganze schiitische
Bevölkerung vertrieben wird – das wäre eine ethnische
Säuberung, und ich hoffe, dass keiner an so etwas
denkt. Nach dem Krieg wird die Bevölkerung in ihre
Städte und Dörfer zurückkehren, und Hisbollah wird
weiter wachsen und gedeihen.
F.:Was wird
geschehen, wenn die libanesische Armee an der Grenze
entlang aufgestellt wird?
Dies ist vom
ersten Augenblick an einer der Slogans der israelischen
Regierung gewesen. Dann wird sie dies als Sieg
verkaufen. Das klingt für denjenigen sehr überzeugend,
der keine Ahnung über die Komplexität des Libanon hat .
Jeder der 1982
im Libanon war und die libanesische Armee in Aktion
gesehen hat, weiß, dass es keine ernst zu nehmende Armee
ist. Außerdem sind viele ihrer Offiziere und Soldaten
Schiiten. Solch eine Militärkraft wird nicht gegen die
Hisbollah kämpfen.
Ihre Aufstellung
im Süden hängt auf jeden Fall von einem Abkommen mit der
Hisbollah ab – und das wird für jeden Tag gelten, an dem
sie dort ist.
F.: Könnte
eine internationale Streitkraft hilfreich sein?
Dito. Das ist
ein Slogan, der besonders für Diplomaten zugeschnitten
wurde, die nach einer Idee Ausschau halten, der sie
zustimmen können. Sie klingt gut, besonders wenn man
noch das Wort „robust“ hinzufügt.
Was genau soll
eine „robuste internationale Truppe“ dort tun?
Man schlägt vor,
sie solle die Hisbollah in einem bestimmten Abstand
von der Grenze halten. Nicht durch Worte - wie die
glücklose UNIFIL, die jeder von Anfang an ignorierte -
sondern durch Gewalt.
Wenn die
Aufstellung dieser Kräfte in Absprache mit beiden Seiten
stattfinden sollte, d.h. mit Israel und der Hisbollah
– dann ist das in Ordnung. Dies mag dann als Leiter für
die israelische Regierung dienen, um mit ihr vom Baum
herunterzukommen, auf den sie geklettert war.
Aber wenn diese
Kräfte gegen den Willen der Hisbollah dort aufgestellt
werden, wird sich ein Guerillakrieg entwickeln. Wird
die internationale Streitkraft an einem Ort standhalten
und kämpfen, von dem die mächtige israelische Armee vor
sechs Jahren mit eingezogenem Schwanz geflohen ist?
Für Israel wird
dies ein spezielles Dilemma sein: Was wird geschehen,
wenn die Hisbollah Israel trotz der Pufferkräfte
angreifen wird? Wird Israel wieder in das Gebiet
einmarschieren und einen Zusammenstoß mit der
internationalen Truppe riskieren, z.B. mit deutschen
Soldaten?
F.:Olmert
sagte, wir sollten nicht mit Syrien verhandeln. Ist das
durchführbar?
So sagte er. Er
sagte überhaupt eine Menge und seine Zunge ist immer
noch aktiv
Syrien ist eine
zentrale Figur auf diesem Feld. Es wird keine Abmachung
mit dem Libanon ohne - direkte oder indirekte -
Teilnahme Syriens Erfolg haben.
Eigentlich wurde
die Hisbollah von uns geschaffen. Als die israelische
Armee 1982 in den Libanon einfiel, wurde sie von den
Schiiten mit Reis und Süßigkeiten empfangen. Sie
hofften, wir würden die PLO-Kräfte vertreiben, die
damals die Kontrolle über das Gebiet hatten. Aber als
ihnen klar geworden war, dass unsere Armee dort ist, um
zu bleiben, begannen sie einen Guerillakrieg, der 18
Jahre lang andauerte. In diesem Krieg ist die Hisbollah
entstanden und breitete sich aus, bis es die stärkste
Organisation des ganzen Libanon wurde.
Aber das wäre
nicht ohne massive syrische Unterstützung geschehen.
Syrien verlangt die Rückgabe der Golanhöhen, die Israel
annektiert hat. Deshalb ist es für die Syrer so wichtig,
Israel keine Ruhe zu gönnen. Da sie keine Unruhe an
ihrer eigenen Grenze mit Israel haben wollen, benützen
sie die Hisbollah, damit diese die Grenze zum Libanon
unruhig hält.
Die libanesische
Grenze wird nicht ruhig werden, bis wir nicht ein
Abkommen mit Syrien abschließen werden. Das bedeutet:
bis wir die Golanhöhen zurückgegeben haben . Die
Alternative wäre ein Krieg mit Syrien mit seinen
ballistischen Raketen, chemischen und biologischen
Waffen und einer Armee, die sich bewährt hat. Präsident
Bush drängt Israel dazu, dies zu tun, um vielleicht die
Aufmerksamkeit von seinen Fiaskos im Irak und in
Afghanistan abzulenken.
F.: Wie kann
man die Durchführung der militärischen Kampagne
bewerten?
Dan Haluz will
in die israelischen Geschichtsbücher nicht als der
größte Feldherr aller Zeiten eingehen.
Er hat die
Regierung in diesen Krieg gestoßen, um zwei beschämende
militärische Fehlschläge zu vertuschen: die
palästinensische Kommando-Aktion in Kerem Shalom und die
Hisbollah-Aktion an der libanesischen Grenze. Kein
Offizier wurde deshalb zur Rechenschaft gezogen. Die
Hauptverantwortung ruht natürlich auf dem
Generalstabschef.
Haluz, der erste
Generalstabschef, der aus den Reihen der Luftwaffe
kommt, war davon überzeugt, dass er die Hisbullah mit
einem Bombardement aus der Luft und der Hilfe von
Artillerie und mit Kriegsschiffen erledigen könne . Er
hat sich gewaltig geirrt. Selbst nach der vielfältigen
Zerstörung der Infrastruktur im Libanon gelang es ihm
nicht, den Gegner zu besiegen.
Jetzt ist er
gezwungen, das zu tun, wovor alle Angst hatten:
Bodentruppen in den libanesischen Sumpf zu schicken. Am
15. Tag des Krieges war kein einziges Ziel erreicht
worden. Was Haluz betrifft, als Stratege und
Kommandeur, so ist seine Benotung nahe Null.
F.:Haben die
Zivilisten an der Spitze der Regierung sich unter Beweis
gestellt?
Nach den Wahlen
dachten viele Leute in Israel, eine bürgerliche Ära
habe begonnen, da beide, der Ministerpräsident und der
Verteidigungsminister, komplette Zivilisten waren,
ohne militärischen Hintergrund. Es hat sich
herausgestellt, dass das Gegenteil der Fall ist.
Die Geschichte
zeigt, dass politische Funktionäre, die starken Führern
folgten, in der Lage sind, schreckliche Dinge zu tun.
Sie wollen beweisen, dass auch sie starke Führer sind,
dass sie den Schneid haben, einen Krieg zu führen. Harry
Truman, der Franklin Roosevelt folgte, ist für das
vielleicht größte Kriegsverbrechen der Geschichte
verantwortlich: er ließ die Atombomben auf Hiroshima und
Nagasaki fallen. Antony Eden, der Winston Churchill
folgte, begann den dummen Suez-Krieg in Verschwörung mit
Frankreich und Israel.
Die
Olmert-Regierung hat diesen Krieg begonnen, war in einer
schockierenden Unverantwortlichkeit, ohne ernsthafte
Debatten und Beratung. Sie scheute sich, sich gegen
die Forderungen des Generalstabschefs zu stellen.
F.: Olmert hat
versprochen, dass nach dem Krieg die Situation anders
sein würde als vorher. Gibt es dafür ein Chance?
Absolut. Aber
die Situation wird für uns viel schlimmer als vorher
sein.
Eines von Hassan
Nasrallahs Zielen ist, die Schiiten und die Sunniten in
einem gemeinsamen Kampf gegen Israel zu vereinigen.
Man sollte
wissen, dass Sunniten und Schiiten Jahrhunderte lang
Todfeinde waren. Viele orthodoxe Sunniten betrachten die
Schiiten als Ketzer. Indem sie den Palästinensern zu
Hilfe kamen, die Sunniten sind , hofft Nasrallah, u.a.
eine neue Allianz zu schmieden
Im Nahen Osten
könnte eine neue Achse entstehen, eine die die
Hisbollah, die Palästinenser, Syrien, den Irak und den
Iran einschließt. Syrien ist ein sunnitisches Land. Der
Irak wird jetzt von den Schiiten kontrolliert, die die
Hisbollah voll unterstützen. Aber die irakischen
Sunniten, die einen harten Guerillakrieg gegen die
Amerikaner führen, unterstützen auch die Hisbollah.
Dieser Block
erfreut sich großer Beliebtheit bei der Masse der
Bevölkerung in der ganzen arabischen Welt, weil er gegen
die USA und Israel kämpft. Der andere Block, der Saudi-
Arabien, Ägypten und Jordanien einschließt, verliert
täglich an Popularität . Diese Regime werden von der
Bevölkerung als Söldner der Amerikaner und als Agenten
Israels betrachtet. Mahmoud Abbas tut alles, damit er
nicht in diese Kategorie mit eingeschlossen wird.
F.: Was kann
also getan werden?
Den
israelisch-palästinensischen Konflikt beenden, der den
ganzen Nahen Osten am Brodeln hält.
Die Hamas aus
dieser feindlichen Front herausholen, indem man mit ihr
als der gewählten palästinensischen Regierung
verhandelt.
Ein Abkommen mit
dem Libanon erreichen. Damit dieses andauert, müssen in
diesem Abkommen die Hisbollah und Syrien mit
eingeschlossen sein. Das verpflichtet uns, den Golan
zurückzugeben.
Man sollte sich
daran erinnern, dass Ehud Barak schon damit
einverstanden war und fast einen Friedensvertrag
unterzeichnet hatte, ähnlich dem mit Ägypten – aber
unglücklicherweise im letzten Augenblick aus Furcht vor
der öffentlichen Meinung gekniffen hat.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert) |