TRANSLATE
Eingeständnis eines Größenwahnsinnigen
Uri
Avnery, 14. Januar 2017
DER ARABISCHE TAXIFAHRER,
der mich nach Ramallah brachte, hatte keine Probleme mit den
israelischen Grenzposten. Er mied sie nur.
Das ersparte uns
eine Menge Probleme.
Ich war von
Mahmood Abbas eingeladen, dem Präsidenten der Palästinensischen
Nationalbehörde (als auch der PLO und der Fatah-Bewegung.), um an
einer gemeinsamen palästinensisch-israelischen Konsultation im
Vorlauf der internationalen Konferenz in Paris teil zu nehmen.
Da Benjamin
Netanjahu sich geweigert hat, an dem Treffen in Paris teilzunehmen,
und zwar Seite an Seite mit Mahmood Abbas sollte das
Ramallah-Treffen demonstrieren, dass ein großer Teil der
israelischen Gesellschaft die französische Initiative unterstützt.
SO EINFACH
wie es klingt, war das Ramallah-Treffen keineswegs.
Vor dem Tod von
Yasser Arafat 2004, waren solche Treffen fast Routine. Seit unserm
innovativen ersten Treffen 1982 in Beirut während der israelischen
Blockade, hat Arafat viele Israelis getroffen.
Arafat hatte fast
absolute moralische Autorität, und selbst seine haus-gemachten
Rivalen akzeptierten sein Urteil. Nach unserm ersten Treffen
entschied er, dass israelisch-palästinensische Treffen der Sache des
palästinensisch-Israelischen Friedens dienen, und seitdem ermutigte
er zu vielen solchen Begegnungen.
Nach seinem Mord,
gewann der entgegengesetzte Trend die Oberhand. Palästinensische
Extremisten fanden, dass solche Treffen mit Israelis, egal, wer sie
sein mochten, der „Normalität“ dienten - ein schrecklicher,
schrecklicher Buhmann.
Abbas hat jetzt
diesem Unsinn ein Ende bereitet. Genau wie ich glaubt er, dass ein
palästinensischer Staat und Unabhängigkeit nur durch einen
gemeinsamen Kampf der Friedenskräfte auf beiden Seiten mit der Hilfe
internationaler Kräfte zustande kommt.
In diesem Geist
lud er uns nach Ramallah ein, da es Palästinensern nicht erlaubt
ist, israelisches Gebiet zu betreten.
Er bat mich,
neben ihm auf der Bühne Platz zu nehmen und so begann das Treffen.
MAHMOOD ABBAS
- oder „Abu Maazen“, wie er gewöhnlich genannt wird - war so
freundlich, zu erwähnen, dass er und ich seit 34 Jahren Freunde
gewesen sind, seit wir uns das erste Mal in Tunis trafen, bald
nachdem die PLO Beirut verlassen hat und sich dort niederließ.
Während all den
Jahren, als meine Freunde und ich nach Tunis kamen, folgte dieselbe
Prozedur: zuerst traf ich Abu Maazen, der für die Kontakte mit
Israelis zuständig war, um Pläne für gemeinsame Aktionen zu
schmieden. Dann gingen wir gemeinsam in Arafats Büro. Arafat, der
eine fast unheimliche Fähigkeit hatte, schnelle Entscheidungen zu
treffen, würde innerhalb von Minuten sich für „ja“ oder „nein“
entscheiden.
Es konnten fast
keine verschiedenere Charaktere als Abu Amar (Arafat) und Abu Maazen
geben. Arafat war ein „warmer“ Typ. Er umarmte und küsste seine
Besucher im alten arabischen Stil – ein Kuss auf jede Backe für
gewöhnliche Besucher, drei Küsse für bevorzugte Gäste. Nach fünf
Minuten hat man das Gefühl, man würde ihn schon immer kennen.
Mahmood Abbas ist
eine viel distanziertere Person. Er umarmt und küsst auch, aber es
geht nicht so natürlich zu wie bei Arafat. Er ist verschlossener. Er
sieht mehr wie ein Hochschulrektor aus.
Ich habe großen
Respekt vor Mahmood Abbas. Er braucht enormen Mut, um seinen Job zu
tun – der Führer eines Volkes unter brutaler Militärherrschaft zu
sein, gezwungen, mit der Besatzung in einigen Dingen zusammen zu
arbeiten, und in andern Dingen bemüht zu widerstehen. Das Ziel
seines Volkes ist durchzuhalten und zu überleben. Er ist gut
darin.
Als ich ihm für
seinen Mut ein Kompliment machte, lachte er und sagte, es wäre viel
mutiger von mir gewesen, Beirut, während der Belagerung von 1982
zu betreten. Danke.
Der israelischen
Regierung ist es sogar vor Netanyahu gelungen, die Palästinenser
im Lande zu teilen: Durch die einfache Devise der Verweigerung, ihr
feierliches Versprechen, laut dem Oslo-Abkommen, vier „sichere
Passagen“ zwischen der Westbank und Gaza zu schaffen. Das machte
eine Teilung fast unvermeidbar.
Jetzt, während
offiziell der moderate Abbas als Freund und die extremistische Hamas
in Gaza wie ein Feind behandelt wird, benimmt sich unsere Regierung
genau umgekehrt: Hamas wird geduldet, Abbas wird wie ein Feind
behandelt. Das scheint pervers, aber ist wirklich logisch. Abbas
kann die öffentliche Meinung zu Gunsten eines palästinensischen
Staates in der ganzen Welt beeinflussen – Hamas kann dies nicht.
NACH DEM
Ramallah-Treffen bei einer privaten Sitzung schlug ich Abbas einen
Plan zur Begutachtung vor.
Er gründet sich
auf die Beurteilung, dass Netanjahu niemals wirklichen
Friedens-Verhandlungen zustimmen wird, da diese unvermeidbar zu
einer Zwei-Staaten-Lösung führen würde.
Ich schlug vor,
zu einer „Populären Frieden-Konferenz“ einzuladen, die sich –
sagen wir - - einmal im Monat innerhalb des Landes trifft. Bei
jeder Sitzung, wird sich die Konferenz mit einem der Paragraphen des
zukünftigen Friedensabkommen befassen, wie z.B. die endgültige
Festlegung der Grenzen, den Charakter der Grenzen (offen?),
Jerusalem, Gaza, Wasserressourcen, Sicherheits-Vereinbarung,
Flüchtlinge und so weiter …
Eine gleiche
Anzahl von Experten und Aktivisten von jeder Seite wird
beratschlagen, legt alles auf den Tisch und wird durchdiskutiert.
Wenn ein Abkommen erreicht werden kann – wunderbar! – wenn nicht,
werden die Vorschläge beider Seiten klar definiert und das Problem
auf das nächste Treffen verschoben.
Am Ende ----
sagen wir –nach einem halbes Jahr wird das populäre
Friedensabkommen veröffentlicht, selbst mit definierten
Unstimmigkeiten für die Beratung der Friedensbewegungen auf
beiden Seiten. Beratungen über Unstimmigkeiten werden fortgesetzt,
bis ein Abkommen gefunden ist.
Abbas hörte
aufmerksam zu, wie es seine Gewohnheit ist, und am Ende versprach
ich ihm ein schriftliches Memorandum zu schicken. Ich tat dies,
nachdem ich mich mit einigen meiner Kollegen, wie Adam Keller, der
Sprecher von Gush Shalom beraten habe.
Mahmood Abbas
bereitet sich jetzt vor, um an der Pariser Konferenz teilzunehmen,
deren offizielles Ziel es ist, die Welt für die Zwei-Staaten-Lösung
zu mobilisieren.
MANCHMAL WUNDERE
ich mich, dass ich nicht mit Größenwahnsinn infiziert wurde. (Einige
meiner Freunde glauben, dass mir dies nicht passieren kann, da ich
schon ein Größenwahnsinniger sei.)
Ein paar Wochen
nach dem Ende des 1948er Krieges traf sich eine winzige Gruppe
junger Leute im neuen Staat Israel in Haifa, um über einen Weg zu
einer Friedenslösung, die jetzt die Zwei-Staaten-Lösung genannt
wird, zu debattieren. Einer war Jude (ich), einer Muslim und einer
ein Druse. Ich war gerade aus dem Krankenhaus entlassen und trug
noch immer meine Militäruniform.
Die Gruppe wurde
von allen völlig ignoriert. Keine Interessenten.
Etwa zehn Jahre
später, als ich schon ein Mitglied in der Knesset war, (wie durch
Zufall auch die anderen beiden) ging ich ins Ausland, um zu sehen,
wer überzeugt werden könnte. Ich wanderte in Washington DC herum,
traf mich mit Leuten im Weißen Haus, im Außenamt und den
UN-Delegationen in New York. Auf dem Weg nach Hause wurde ich im
Außenamt in London, Paris und Berlin empfangen.
Keine
Interessenten, nirgendwo. Ein palästinensischer Staat ? Unsinn.
Israel muss mit Ägypten, Jordanien und anderen darüber
verhandeln.
Ich hielt in der
Knesset Dutzende Reden über diesen Vorschlag. Einige Mächte
begannen die Zwei-Staaten-Lösung aufzunehmen. Die erste war die
Sowjet Union, wenn auch ziemlich spät, unter Leonid Brejnew (1969).
Andere folgten.
Heute gibt es
keinen, der an etwas anderes, als an die Zwei-Staaten-Lösung glaubt.
Selbst Netanjahu gibt vor, daran zu glauben, aber nur wenn die
Palästinenser Juden werden oder nach Grönland auswandern.
Ja, ich weiß,
dass nicht ich dies tat. Die Geschichte tat es. Aber ich möchte
mich entschuldigen, dass ich mich ein bisschen stolz fühle. Oder
wie ein kleiner Größenwahnsinniger.
DIE
ZWEI-STAATEN-LÖSUNG
ist weder gut noch schlecht. Es ist die einzige.
Die einzige
Lösung, die es gibt.
Ich weiß, dass es
eine Anzahl guter, ja sogar bewundernswerter Leute gibt, die an die
so genannte Ein-Staaten-Lösung glauben. Ich würde sie darum bitten,
sich die Details näher anzusehen, wie es aussehen würde, wie es
tatsächlich funktionieren würde: die Armee, die Polizei, die
Wirtschaft, das Parlament, Apartheid? Fortwährender Bürgerkrieg?
Nein. Seit 1948
hat sich alles verändert, aber nichts hat sich verändert.
Tut mir leid, die
Zwei-Staaten-Lösung ist noch immer die einzige weltweit.
(dt. Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
|