Zum Teufel, wie konnte dies geschehen?
Uri Avnery, 8.1.05
Wie zum Teufel geriet ich in dieses
verdammte Schlamassel? Ich wache am Morgen auf und kann es nicht
glauben. Was, ich, Arik Sharon führe einen Krieg mit den Siedlern?
Ich, der ich sie überhaupt erst dorthin gesetzt habe? Ich, der ich
den Plan der Siedlungen entwarf, lang bevor die Siedler selbst nur
davon träumten?
Wie, um Gottes willen, hat dies
begonnen? Was wollte ich eigentlich?
Präsident Bush bat mich darum,
irgend eine Art von Friedensplan zu entwerfen. Er brauchte so etwas
für seine 2.Wahlkampagne. Sollte ich ihm also nicht einen Gefallen
tun, nachdem er uns in allem unterstützt hat, doch wenigstens ein
gutes Wort von mir zu erhalten - oft widersprach er sich selbst
dabei wie bei den Siedlungsblöcken.
Ich musste doch auch etwas tun, um
die phantastischen Vorstellungen dieses Beilin-Burschen zu beenden.
Sein „Friedensplan“ erhielt internationales Echo, Präsidenten und
Ministerpräsidenten tanzten um ihn. Das hätte gefährlich werden
können. Vor allem auch deshalb, weil es die allgemeinen
Überzeugungen untergrub, dass „wir keinen Partner für Frieden
haben“. Stimmt, wir haben dies Ehud Barak zu verdanken; aber es ist
noch immer die wirksamste Waffe in unserem Arsenal. Also musste ich
etwas erfinden, das diese Initiative vom Tisch wischt und mich
wieder in den Mittelpunkt der israelischen und internationalen
Aufmerksamkeit rückt. Es ging das Gerücht, dass ich alt, müde,
schwach und ohne Initiative sei; dass ich die Dinge treiben ließe.
Was, ich bin alt? Schwach? Also nahm ich meine Zuflucht zu diesem
Plan und zeigte, wie resolut und standhaft ich bin und welch
starken Willen ich habe.
Und sieh, was geschah: schon ein
ganzes Jahr hat mein „Trennungsplan“ für Aufregung in Israel
gesorgt und die ganze Welt beschäftigt. Jeder sagt, es sei die
einzige Show im Lande.
Es stimmt, ich habe vorher nicht
viel darüber nachgedacht. Und ich habe mir nie im Traume vorstellen
können, dass es solche Ausmaße annimmt.
Was habe ich denn vorgeschlagen?
Dass wir die Armee aus dem Gazastreifen abziehen und die Siedlungen
dort räumen. Die Amerikaner baten außerdem darum, noch ein paar
winzige Siedlungen im Norden Samarias dem hinzuzufügen. Das tat ich.
Na, und ?
Wie immer hatte ich einen Plan für
den besten und einen anderen für den schlimmsten Fall. Bestenfalls
rechnete ich damit, dass überhaupt nichts daraus wird oder entweder
der Ritter oder das Pferd sterben werden (1). Und mittlerweile
würde ich bewiesen haben, dass ich wirklich ein Mann des Friedens
bin: ich würde eine weltweite Sensation geschaffen haben. Ich stünde
gut da. Am Ende müssten wir keinen Quadratmeter aufgeben und keinen
einzigen Siedler umsiedeln.
Im schlimmsten Fall wenn dies also
nicht gelänge, und ich wirklich den Plan erfüllen müsste, dann wäre
dies auch nicht schlecht. Ich würde dies in meinen grandiosen
Planentwurf integrieren, in dem Judäa und Samaria großenteils
annektiert wird und die Araber in einem halben Dutzend Enklaven
bleiben. Will denn jemand diese Araber im Staate Israel haben ?
Ich war sicher, dass die Führer der
Siedler diese Logik verstehen würden. Ich lud sie zu privaten
Gesprächen auf meine Farm ein und sagte ihnen: Seht, Jungs, (was,
sie sind nicht meine Jungs?), ich führe ein großartiges Manöver
durch. Wir werden ein paar kleine Siedlungen opfern. Alle Siedlungen
im Gazastreifen und einige in Samaria. In der nächsten Phase werden
wir auch ein paar der wertvollen Siedlungen im Herzen Samarias
opfern. Es tut mir leid, aber dies kann nicht vermieden werden.
Stimmt, das schmerzt. Ich sagte im
voraus, dass es „schmerzvolle Konzessionen“ geben werde, nicht wahr?
Aber ich betrachte es vom historischen Standpunkt aus: wir werden
jetzt ein paar tausend Siedler evakuieren – wir werden dagegen 200
000 andere retten. Und nicht nur dies, außerdem werden wir hundert
tausend Siedler mehr bringen, die auf all dem Land siedeln, das wir
in Judäa und Samaria annektieren. Es ist, als ob wir einen Baum
beschneiden würden, damit sich seine Wurzeln und seine Krone besser
entwickeln könnten.
Ich war sicher, dass sie dieses
Angebot gleich annehmen würden. Was, kennen sie mich denn nicht?
Habe ich denn nicht hundertmal mit ihnen gesprochen? Waren sie denn
nicht Tag und Nacht auf meiner Farm? Verstehen sie die
historischen Dimensionen dieses Planes nicht? Sehen sie denn nicht,
dass dies ein riesiger Schritt vorwärts ist zur Erfüllung des
Zionismus?
Ich sagte ihnen: Zionismus bedeutet
ein jüdischer Staat im ganzen Erez Israel, ohne Araber. Das ist ein
historischer Prozess. Der Zionismus weiß in jeder Phase, was in
diesem Stadium verwirklicht werden könnte. Er versteht die Grenzen
der Macht und nimmt bei jeder Gelegenheit, was er nehmen kann, ohne
sein Ziel aus den Augen zu verlieren, zu gegebener Zeit den Rest zu
gewinnen.
Im Augenblick ist es unsere Aufgabe,
den größten Teil von Judäa und Samaria zu annektieren und die Araber
vorläufig in Gaza, Hebron, Ramallah, Nablus und Jenin und deren
Umgebung zu lassen. Sollen sie dies Palästinensischer Staat nennen –
was geht es uns an? Aber dafür müssen wir einige Siedlungen
aufgeben, ein paar Dutzend, ja, unter ihnen sind einige der
kostbarsten. Tut das weh? Ja. Aber wir müssen das ganze große Bild
sehen. Denkt ans Ende, an die Endphase, wenn ihr und ich nicht mehr
hier sind. Dann werden die Araber auch aus diesen Gebieten entfernt.
Was geschah ? Die Siedler begannen
zu toben. Keine einzige Siedlung darf aufgegeben werden, schrieen
sie.
Ich sagte zu ihnen: Schaut, ich bin
ein Soldat. Vor der Schlacht bei Abu Ageila (2) wusste ich, dass so
und so viele Soldaten wahrscheinlich getötet werden. Es ist nicht
so, als hätte ich nicht einen Augenblick an die Toten und ihre
trauernden Angehörigen gedacht. Doch hielt mich das nicht auf. Wenn
das Ziel wichtig genug ist, diese Soldaten zu opfern, dann müssen
sie geopfert werden. Kein Zögern. Keine Zweifel. Wer nicht in der
Lage ist, dies zu tun, kann kein Feldherr sein. Denkt also in diese
Richtung!
Ich dachte, sie würden dies
verstehen. Es ist so logisch. Aber es scheint, dass ihnen Logik
völlig gleichgültig ist. Sie sind wie in einem Trancezustand. Alle
Arten von Verrückten, Rabbiner und neu-bekehrte Juden stehen hinter
ihnen. Sie sagten, falls wir eine einzige Siedlung räumen, kann der
Prozess nicht aufgehalten werden, dass wir am Ende alle
räumen würden. Ich versuchte, sie zu beruhigen – aber sie laufen
Amok.
Und für wen? Für die
Siedler von Gush Kativ - nicht zu glauben - die am Anfang
überhaupt Labor-Leute waren. Wer hat sie dorthin gesetzt? Israel
Galili und Moshe Dayan (3). Sie sollten nicht über Gott und das
biblische Gebot: Kultiviert das Land Israel! reden. Aber der
religiöse harte Kern der Siedler von Judäa und Samaria stacheln sie
an, und nun sieht es so aus, als käme es zu einem Krieg zwischen
den israelischen Bürgern und den Siedlern insgesamt.
Hätte jemand vor fünf Jahren
geglaubt, dass ich, Arik, der Feind Numero eins der Siedler werden
würde? Dass sie mich verfluchen würden und planen, mich umzubringen?
Dass ich die Armee für die Evakuierung der Siedler vorbereiten
würde, ich, der ich sie selbst aufgezogen und verhätschelt habe? Das
ist die Ironie der Geschichte.
Ich wäre in diesem Augenblick viel
glücklicher, wenn ich mit diesen Burschen, den Siedlern, zusammen
sein und mit ihnen einen Mordskrach gegen den Ministerpräsidenten
schlagen könnte.
Jemand schrieb, dies sei ein Krieg
zwischen dem Staat Israel und dem jüdischen Staat; es betreffe die
wahre Identität des Staates; dass ich ein im Lande im Dorf Malal
Geborener die religiösen Fanatiker der Siedlungen zugrunde richten
wolle, bevor sie die israelische Demokratie zerstören würden.
Nichts könnte mir ferner liegen.
Ich habe die religiösen Leute und ihre Rabbiner immer geachtet.
Einmal bin ich sogar ins Fettnäpfchen getreten und sagte, es sei
wichtiger, den Talmud zu studieren als in einer Kampfeinheit der
Armee zu dienen.
Aber welche Alternative habe ich
denn noch? Ich habe das Gefühl, im Meer zu schwimmen, und
Strömungen, die stärker sind als ich, reißen mich mit. Ich kann
keinen Rückzieher machen, weil ich gegenüber Bush eine Verpflichtung
habe, und weil ich entschieden und fest entschlossen aussehen muss,
sonst verspeisen mich Bibi (Netanyahu) und die anderen hungrigen
Hyänen der Partei zum Frühstück. Außerdem muss ich die Armee
schützen; denn was wird von Israel ohne die Armee übrigbleiben?
Das ist es also. Man muss für einen
weiteren Arbeitstag aufstehen. Man muss mit all diesen Nullen eine
Koalition aufbauen; die Strategie gegen Abu Mazen planen, der morgen
gewählt werden wird und der mich mit honigsüßen Worten austricksen
will. Und, was noch wichtiger ist, mich mit den Siedlern
beschäftigen, die einen Bürgerkrieg beginnen können.
Wer hätte je geglaubt, dass ich in
diese Situation kommen würde?
1)
Hier deutet Sharon auf den klassischen
jüdischen Witz vom polnischen Edelmann, der seinen Juden mit dem Tod
bedroht, wenn er nicht seinem Pferd das Lesen beibringt.
2)
Sharons berühmteste Schlacht während des
Krieges von 1967
3)
Galili und Dayan waren beide Falken in
der Laborpartei
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autor |