Wer ist der
Nächste?
George W. Bush ist ein
Produkt des Mythos vom Wilden Westen. Er sieht sich selbst als
schlagfertiger Sheriff, der schnell auf böse Kerls schießt, um die
Ordnung in der Stadt wieder herzustellen. Tatsächlich ähnelt er
eher einer anderen Figur der Wildwest-Filme: den Zylinder tragenden
Verkäufer von Allheilmedizin, die gegen Zahn- und Bauchschmerzen,
Cholera und Impotenz, Schusswunden und Herzattacken hilft.
Bushs Patentmedizin heißt
„Demokratie“ . Demokratie wird alle Übel im Nahen Osten und auf der
ganzen Welt heilen. Wenn nur die muslimischen Nationen seine kleine
Flasche kaufen würden, dann wären alle Probleme gelöst und vor allem
der israelisch-palästinensische Konflikt. Und da Israel schon eine
beispielhafte Demokratie ist, geführt vom großen Demokraten Ariel
Sharon, so ist es nur noch nötig, den Palästinensern die Demokratie
aufzuerlegen. Das bedeutet freie Wahlen eines Präsidenten und
Parlamentes.
Eine Person mit begrenzter
intellektueller Kapazität braucht einfache Lösungen, eine
ein-dimensionale Lösung, die nicht verlangt, sich mit der
Vielschichtigkeit anderer Gesellschaften und Zivilisationen näher zu
befassen. Was für seine kleine Stadt in Texas gut ist, ist auch gut
für Bagdad und Gaza.
Seit er die Wiederwahl
gewonnen hat, ist sein Selbstvertrauen himmelhoch gestiegen. Er warf
den unglücklichen Colin Powell hinaus und setzte eine garantierte
Jasagerin ins Amt des Außenministeriums. Ab jetzt wird keiner mehr
seine Entscheidungen hinterfragen. Auch dann nicht, sollte er auf
die Idee kommen, sein Pferd zum Präsidenten des Obersten Gerichtes
zu ernennen.
Wer macht sich Sorgen?
Ausgerechnet Ariel Sharon, sein großer Freund, Lehrer und Führer.
Das Schicksal wollte es,
dass Bush seinen großen Sieg einen Tag vor dem plötzlichen
mysteriösen Zusammenbruch von Yasser Arafats Gesundheit errang.
Sharons Alibi wurde in Ramallah beerdigt.
Alle israelischen
Regierungen haben Arafat in ein Monster verwandelt und seine
Ungeheuerlichkeit als Ausrede verwendet, um jeden Versuch, einen
Frieden mit den Palästinensern zu schließen, zu vermeiden. Frieden
bedeutet, sich mehr oder weniger auf die Grenzen von vor 1967
zurückzuziehen und die Siedlungen aufzugeben. Frieden bedeutet auch,
Ost-Jerusalem, mehr als die Hälfte von „ Israels ewiger Hauptstadt
“, aufzugeben. Gott behüte!
Die Dämonisierung Arafats
half dies zu verhindern. Man kann doch nicht mit einem Monster
Frieden schließen. Das verstand sogar Bush. Deshalb half er Sharon,
die Wahlen für die palästinensische Behörde zu verhindern, bei der
Arafat mit riesiger Mehrheit sicher wiedergewählt worden wäre.
Aber nun gibt es Arafat
nicht mehr – aber Bush gibt es. Sharon ist beunruhigt. Zu Recht.
Seit vier Jahren heißt das
Mantra in Washington: Kampf dem internationalen Terror! Das passte
Sharon ins Konzept; denn er ritt ja auf dem Pferd der
Terrorismusbekämpfung.
Während der nächsten vier
Jahre mag das Mantra in Washington „Demokratie dem Nahen Osten !“
heißen. Das wird Abu-Mazen passen, der das Pferd der Demokratie
reitet.
Abu-Mazen ist zum
Vorsitzenden der PLO ernannt worden. Abu-Mazen trägt den Anzug
eines Geschäftsmannes, keine Uniform. Er trägt auch eine Krawatte
und keine Keffiye. Er sieht wie ein normaler demokratischer Führer
aus. Er ist für seine Opposition gegen Selbstmordattentate in Israel
bekannt. Entgegen allen israelischen Voraussagen fand die
palästinensische Machtübergabe in geordneter Weise stand, so wie in
jedem zivilisierten Land. Innerhalb zweier Monate sollen Neuwahlen
stattfinden.
Genau das bringt Sharon aber
in Verlegenheit. Er kann sich nicht gegen diese Wahlen stellen. Sie
sind Bushs Augapfel. Er darf nicht den leisesten Verdacht aufkommen
lassen, er wolle sie zum Scheitern bringen. Jede Beschwerde, die
israelische Armee hindere die Wahlen durch militärische Einfälle,
Straßensperren und „gezielte Attentate“ , kann im Weißen Haus Zorn
erregen.
Sharon hofft, die
Palästinenser würden ihre Wahlen selbst sabotieren . Bewaffnete
Fraktionen können den ordentlichen Prozess stören. In der letzten
Woche gab es beim Besuch Abu- Mazen in Gaza eine Schießerei – was
in Israel riesige Schadenfreude auslöste. Doch der Zwischenfall ist
vorbeigegangen; alle palästinensischen Fraktionen zeigten
Zurückhaltung. Das Volk ist sich in seinem Wunsch einig, die Wahlen
friedlich durchzuführen.
Für Sharon ist es ein
Alptraum. So wie es jetzt aussieht, werden tatsächlich Wahlen
stattfinden – verschiedene Kandidaten werden aufgestellt – und
Abu-Mazen wird zum Präsidenten gewählt werden.
Für Bush wird dies ein
großer Erfolg sein: die erste arabische Demokratie ist auf dem Weg.
Selbst wenn Anarchie im Irak herrscht, Palästina wird beweisen, dass
seine Vision wahr wird. Bush wird Abu-Mazen herzlich umarmen. Der
Weg zu einem „freien palästinensischen Staat“ wird innerhalb von
vier Jahren offen sein.
Für Sharon gibt es keine
größere Gefahr. Sein Plan - 58% der Westbank zu annektieren – wird
von der Agenda gestrichen. Er wird aufgefordert werden, die meisten
Siedlungen aufzulösen und vorher noch ihren Ausbau einzufrieren.
Was noch schlimmer ist, die
exklusive Beziehung zu Bush wird in Brüche gehen. Das Paar wird zu
einer Dreiecksbeziehung und drei ist eine Menge. Condoleeza ist
dabei, sich mit Abu-Mazen zu treffen.
Was kann dagegen getan
werden? Klar, Abu-Mazen muss vernichtet werden, bevor er die
Möglichkeit erhält, Wurzeln zu schlagen. Doch ist auch klar, dass
Sharon nicht offen gegen ihn vorgehen kann. Eine indirekte
Strategie wäre angesagt.
Noch bevor Arafat seine
Seele seinem Schöpfer zurückgab, erklärte Sharon, es werde keine
Verhandlungen mit seinem Nachfolger geben, solange dieser nicht mit
dem Terrorismus ein Ende gemacht habe. Er hoffte, das Zauberwort
„Terrorismus“ lasse Bush aufschrecken . Und nachdem sogar Arafat
mit seiner gewaltigen Autorität die Hamas und den Jihad nicht
entwaffnet hat, gibt es nicht die geringste Aussicht, dass
Abu-Mazen dies gelingen würde.
Die Amerikaner werden nicht
in diese primitive Falle stolpern. Und darum entschied Sharon, noch
etwas raffinierter vorzugehen. In dieser Woche verkündigte er, er
werde mit Abu-Mazen nicht sprechen, solange er nicht die Hetze
gegen Israel in allen Medien und Schulen gestoppt habe.
Genau so gut könnte man von
Abu-Mazen verlangen, den Mond vom Himmel zu holen. Wie kann der neue
demokratische Vorsitzende die Redefreiheit im Fernsehen und in der
Presse verbieten – während die Hetze gegen die Palästinenser in den
israelischen Medien auf Hochtouren weiterläuft, ganz zu schweigen
vom Tanz auf Arafats Grab? Und wie verändert man Schulbücher ( die
meisten von ihnen auf jeden Fall ägyptisch und jordanisch) innerhalb
von zwei Monaten – während in Israels Schulen, besonders in den
religiösen - mündlich und schriftlich – das Recht der Palästinenser
auf ihr Land völlig abgestritten wird?
Unmögliche Forderungen als
Vorbedingung für Verhandlungen zu stellen, ist Sharons alter Trick
Man kann annehmen, dass die Amerikaner auch nicht in diese Falle
stolpern. Irgend etwas Schlimmeres müsste bald geschehen, z.B.
blutige Angriffe, Akte von „Terrorismus“, die dem neuen Führer
angelastet werden können, Bürgerkrieg und Anarchie.
Abu-Mazen und seinen
Kollegen ist das vollkommen bewusst. Sie bemühen sich darum, dies zu
verhindern. Da sie aus Mangel keine Mittel der Gewalt anwenden
können, versuchen sie es mit Überzeugung. Die traditionelle
arabische Methode ist „Idschma“ – eine Runde von Diskussionen, die
solange geht, bis jeder überzeugt ist, und keine Minorität sich
von einer Majorität besiegt fühlt. Arafat war ein Meister dieser
Strategie.
Wenn dies gelingt, dann
wird es bis zu den Wahlen eine vorübergehende Waffenruhe geben. Aber
das Hauptproblem bleibt bestehen. Abu-Mazen wird nicht in der Lage
sein, sein Volk davon zu überzeugen, die bewaffnete Intifada zu
beenden, wenn er nicht einen anderen Weg aus der Besatzung und zur
palästinensischen Unabhängigkeit aufzeigen kann. Wenn die Amerikaner
wollen, dass die neue Regierung bleibt, müssen sie für schnellen
Beginn von Verhandlungen sorgen und zwar mit dem klaren Ziel, einen
palästinensischen Staat innerhalb eines strikten Zeitplans zu
errichten.
Sharon wird alles nur
Mögliche tun, um Abu Mazen zu vernichten, bevor dies geschieht. Er
stürzte die erste Abu-Mazen-Regierung vor zwei Jahren, indem er
alles, was politischen Fortschritt gebracht hätte, verhinderte,
(und wie gewöhnlich, Arafat dafür die Schuld gab) Nun muss er
Abu-Mazen unter sehr viel schwierigeren Umständen stürzen.
Machen wir uns keine
Illusionen: Sharon wird jedes Mittel anwenden - offene genau so wie
verdeckte - um eine „moderate“ palästinensische Führung zu Fall zu
bringen. Sein natürlicher Verbündeter ist HAMAS, der jede
Verhandlung mit Israel ablehnt.
Im Augenblick ist Abu-Mazen
der Feind Nummer eins.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert) |