Du und ich und
der nächste Krieg
Uri Avnery, 24.2.07
„WIR SIND
bereit für den nächsten Krieg,“ sagte ein
Reservesoldat diese Woche zu einem Fernsehreporter,
der über ein Brigademanöver auf den Golanhöhen
berichtete.
Was für ein
Krieg? Gegen wen? Aus welchem Grund? Das wurde
nicht gesagt, ja, nicht einmal gefragt. Der Soldat
sah es als selbstverständlich an, dass bald ein
Krieg ausbrechen werde, und es scheint, dass es für
ihn nicht besonders interessant war, gegen wen
dieser gerichtet sein wird.
Politiker sind
es gewohnt, sich vorsichtiger auszudrücken – z.B.
mit Worten wie „Falls ein Krieg – Gott bewahre –
ausbrechen sollte…“ Doch im öffentlichen Diskurs
Israels wird der nächste Krieg wie ein Naturphänomen
betrachtet so wie der Sonnenaufgang am nächsten
Morgen. Natürlich wird der nächste Krieg ausbrechen.
Die einzige Frage lautet: gegen wen?
UND TATSÄCHLICH
– gegen wen? Vielleicht noch einmal gegen die
Hisbollah?
Das ist
möglich. In der Knesset und in den Medien gab es in
dieser Woche eine lebhafte Debatte über die Frage,
ob die Hisbollah wieder über dieselbe militärische
Stärke verfüge, die sie vor dem zweiten
Libanonkriegs hatte, oder nicht.
In einem
Knesset-Komitee gab es eine heftige
Auseinandersetzung zwischen einem
Nachrichtendienstchef der Armee, der darauf bestand,
dass es so sei, und dem Verteidigungsminister, der
sich dahingehend äußerste, dass die Hisbollah nur
das „Potential“ dazu habe.
Hassan
Nasrallah, der ein wunderbares Talent hat, die
Israelis an die Decke gehen zu lassen, goss bei
einer öffentlichen Rede Öl in die Flammen, als er
verkündigte, Waffen würden von Syrien geliefert,
und man würde sie mit Stroh bedeckt auf LKWs in den
Süden transportieren. Sollen sie das doch ruhig
wissen.
Unsere
Kommentatoren reagierten darauf, indem sie
erklärten, dass „schon in diesem Sommer“ die
israelische Armee gezwungen sein werde, den Libanon
anzugreifen, um die Gefahr zu bannen, und bei
dieser Gelegenheit auch die Schande zu löschen und
der Armee die „Abschreckungsmacht“ zurückzugeben,
die auf dem Schlachtfeld dieses unglücklichen
Krieges verloren gegangen war.
ODER DIESES
Mal vielleicht gegen Syrien?
Das ist auch
möglich. Das Brigade-Manöver dieser Woche - das
erste nach langer Zeit - war offensichtlich gegen
Damaskus gerichtet.
Die Syrer haben
zwar Frieden angeboten und tun alles, was möglich
ist, um Israel dahin zu bringen, mit Verhandlungen
zu beginnen.
Aber das kommt
nicht in Frage. Präsident Bush hat Israel verboten,
auch nur den kleinsten Schritt in diese Richtung zu
machen. Bush bedroht Syrien mit Krieg (s.u.), und
es ist undenkbar, dass Israel, der treue Knappe, mit
jemandem Frieden macht, den Amerika nicht liebt.
Nein, Frieden mit Syrien steht nicht auf dem Plan.
Vergiss es.
Und wie die
Römer es nicht sagten: „Si non vis pacem, para
bellum“ – „wenn du keinen Frieden willst, dann
bereite dich für den Krieg vor.“
Vorbereitungen
gehen über das Training der Bodentruppen weit
hinaus. Sie haben auch eine psychologische
Dimension. Vorvorgestern verkündete eine besonders
große Schlagzeile auf der Vorderseite von Haaretz:
„Syrisches Wettrüsten mit der Hilfe des Iran“. Die
anderen Medien folgten auf dem Fuß. Man sagt,
Russland rüste Syrien mit großen Mengen von
Antipanzerraketen aus und zwar von der Art, die
sogar die fortschrittlichsten israelischen Panzer
des letzten Krieges durchdringen könnten. Und als ob
das nicht genug wäre, rüstet Russland Syrien auch
mit Langreckenraketen aus, die eine wahre Bedrohung
für unsere Marine wären und die jede Ecke Israels
erreichen könnte.
Die
Zeitungsgeschichten fügten drei Länder zusammen –
Syrien, Russland und den Iran – die ganz zufällig
die drei Mitglieder von Bushs neuer „Achse des
Bösen“ sind.
Diese
Medienkampagne war deutlich mit den Armeechefs
abgesprochen und mit dem Manöver verknüpft.
Tatsächlich war es der erste Akt des neuen
Generalstabschef Gaby Ashkenazi, der das Manöver in
Begleitung des Verteidigungsministers beobachtete
(Ein flinker Photograph machte einen Schnappschuss
von Peretz, als er mit einem Fernglas die Kämpfe
beobachten wollte, wohl aber nur schwarz sah, da er
vergessen hatte, die Schutzkappen von den Linsen zu
nehmen).
Wahr ist, dass
aus dieser Richtung keine Gefahr droht. Es gibt
nicht die geringste Wahrscheinlichkeit, dass Syrien
Israel angreifen würde. Die militärischen
Fähigkeiten Syriens - selbst mit all den
russischen Waffen, die sie angeblich bekommen haben
- sind bei weitem denen der israelischen Armee
unterlegen. Dies ist die Ansicht der gesamten
israelischen Nachrichtendienste. Falls Syrien
aufrüstet, dann nur zu Verteidigungszwecken. Es
fürchtet sich zu Recht vor Israel und den
Vereinigten Staaten.
Doch wenn man
Krieg will, ist das doch egal.
UND VIELLEICHT
sind dies alles nur Ablenkungsmanöver, um die
Aufmerksamkeit vom wirklichen Ziel des nächsten
Krieges – dem Iran – abzulenken?
Seit mehreren
Monaten strahlen unsere Medien täglich dunkle
Warnungen über den Iran aus. Innerhalb weniger Jahre
sei er in der Lage, einen „zweiten Holocaust“
auszuführen und habe auch den Willen, dieses zu tun.
Wir sehen das Bild eines wahnsinnigen Landes, an
dessen Spitze ein zweiter Hitler steht, der zur
Auslöschung des eigenen Landes bereit sei, wenn
dies der Preis dafür ist, Israel von der Landkarte
zu löschen.
Gegen solch
einen Feind gilt natürlich das alte hebräische
Sprichwort: „Derjenige, der aufsteht, dich zu töten,
den töte zuerst.“
NACH DEM
Sechs-Tage-Krieg trug eine pazifistische Satire den
Titel: „Du und ich und der nächste Krieg.“
Vielleicht sollte diese wieder aufgeführt werden.
In den letzten
Tagen erschien in den Zeitungen ein sehr großes
Inserat, das von einer Gruppe unterzeichnet worden
war, die sich „Die Reservesoldaten“ nennt und die
für sich in Anspruch nimmt, die enttäuschten
Reservisten des letzten Krieges zu vertreten. Das
Inserat zählte die Gründe auf, weshalb Olmert von
seinem Posten gejagt werden sollte. Der Höhepunkt
war die ernste Warnung: „Wenn er auf seinem Posten
bleibt, wird er den nächsten Krieg leiten.“
Vielleicht ist
es genau das, was er im Sinne hat. Wir hatten nie
einen Ministerpräsidenten, der so tief in der
Patsche saß wie er. In wenigen Wochen wird die
Untersuchungskommission des 2. Libanonkrieges ihre
Ergebnisse veröffentlichen. Olmert hat zwar selbst
die Kommission ernannt und die Mitglieder
handverlesen bestimmt, um ja nicht in die Hände
einer juristischen Untersuchungsbehörde zu geraten,
deren Mitglieder vom Obersten Gerichtshof bestimmt
worden waren, und die weniger rücksichtsvoll mit ihm
umgegangen wären. Aber selbst jetzt wird er nur mit
knapper Müh und Not den Untersuchungsergebnissen
entkommen. Zugleich werden mehrere gegen ihn
gerichtete Korruptionsvorwürfe von der Polizei
untersucht.
Olmert gelang
es zwar letzte Woche, nicht nur neue Polizeichefs zu
bestimmen (einschließlich eines persönlichen
Freundes), sondern auch einen neuen Justizminister –
nach seinem Geschmack zu bestimmen – aber auch das
garantiert ihm nicht volle Immunität.
In der
Zwischenzeit demonstriert er eine alte Wahrheit:
eine schlaue Person weiß, wie sie sich aus einer
Falle ziehen kann, in die eine kluge Person gar
nicht erst hinein geraten wäre.
Er hat keine
Agenda – sagt er selbst. Er ist der Chef einer
amorphen Partei, ohne Mitglieder oder Institutionen
und ohne wirkliche Wurzeln im Volk. Die öffentlichen
Meinungsumfragen zeigen, dass seine Bewertung nahe
Null sind (nur der Verteidigungsminister hat eine
noch niedrigere Bewertung). Olmert bleibt nur
deshalb an der Macht, weil man befürchtet, dass jede
andere verfügbare Alternative noch schlimmer sein
würde.
Ein zynischer
Ministerpräsident, der in solch einer Situation
gefangen sitzt, könnte versucht sein, noch ein
weiteres militärisches Abenteuer zu beginnen in der
Hoffnung, dass es ihm die verlorene Popularität
zurückgeben und von seinen privaten und politischen
Problemen ablenken würde. Falls dies das Ziel ist,
dann ist es völlig gleichgültig, gegen wen der Krieg
gehen wird – gegen die Palästinenser, Libanesen, die
Syrer oder die Iraner. Hauptsache ist, dass es so
bald wie möglich geschieht. Möglichst schon in
diesem Sommer. Man muss die Öffentlichkeit nur von
der Existenz einer wirklichen Gefahr überzeugen;
aber das ist nicht so schwierig.
ALL DIES lässt
natürlich an einen anderen hervorragenden Führer
denken, an George W. Bush. Bemerkenswert, wie sich
die Situationen ähneln, denen die beiden sich
ausgesetzt sehen.
Das politische
System Amerikas wird von vielen in Israel
bewundert, und von Zeit zu Zeit wird verlangt, dass
dieses doch auch von uns übernommen werden sollte.
Ein starker Führer, direkt vom Volk gewählt, der
kompetente Minister beruft – was könnte besser sein?
Aber es
scheint, dass das amerikanische System eine
erschreckende Situation geschaffen hat. Präsident
Bush hat noch zwei Jahre in seinem Amt, und in
dieser Zeit kann er noch jeden x-beliebigen Krieg
starten, obwohl ihm die amerikanische Öffentlichkeit
bei den Kongresswahlen klar gezeigt hat, dass es
den Irakkrieg verabscheut. Als oberster Kommandeur
der mächtigsten Militärmacht der Welt kann er den
Krieg im Irak erweitern und vertiefen und
gleichzeitig einen neuen Krieg gegen den Iran oder
Syrien beginnen.
Die beiden
Häuser des Kongresses können ihn theoretisch
stoppen, indem sie ihm die Gelder für die Armee
streichen, aber die meisten Mitglieder dieser beiden
hehren Häuser sind Schwätzer, die allein schon bei
dem Gedanken an diese Möglichkeit zu Tode
erschrecken. Jeder Soldat in Bagdad hat mehr Mut
als diese ganze Klicke der Senatoren und
Kongressleute zusammen. Sie würden nicht einmal
daran denken, ein Verfahren gegen den Präsidenten
anzustrengen.
Auf diese Weise
kann eine einzige Person eine weltweite Katastrophe
verursachen. Er hat keine Bremsen, sondern einen
starken Drang zum Krieg: Seine „Vision“ zu erfüllen
(die ihm von Gott persönlich im privaten Gespräch
diktiert wurde) und so sein Image in der Geschichte
zu überarbeiten.
Ist das
praktisch durchführbar? Die amerikanische Armee ist
zu klein, um noch einen größeren Krieg zu Lande
durchzuführen. Aber Bush und seine Berater glauben,
dass dies auch gar nicht notwendig sei. Sie sind die
Nachfolger des amerikanischen Generals, der
seinerzeit davon sprach, „Vietnam in die Steinzeit
zurückzubomben“. Es funktionierte doch in Serbien
und Afghanistan auch.
Die Neo-Kons,
die noch immer in Washington das Sagen haben, sind
davon überzeugt, dass ein Regen von vielen hundert
der modernsten Bomben („smart bombs“), die auf all
die nuklearen, militärischen, Regierungs- und
öffentlichen Gebäude im Iran geworfen werden, „den
Job erledigen wird“. Ihre Freunde in Israel werden
applaudieren; denn dies wird Israel davon befreien,
etwas Ähnliches - wenn auch in kleinerem Ausmaße -
zu tun.
Aber ein
amerikanisches und/oder ein israelisches Abenteuer
würde eine Katastrophe bedeuten. Bomben können ein
Land zerstören, aber nicht ein Volk wie das
iranische. Nur in unseren wildesten Träumen können
wir uns ausmalen, wie mehr als eine Milliarde
Muslime in vielen Ländern – einschließlich unserer
Nachbarn – auf die Zerstörung eines muslimischen
Landes (selbst eines schiitischen) reagieren würde.
Dies heißt mit einem Feuer spielen, das in einen
weltweiten Brand ausarten kann.
Bush und Olmert
und der nächste Krieg – HILFE!
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)