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Das Gold und der Stein
Uri Avnery, 9.April 2011
IN DER Person von
Richard Goldstone liegt etwas Tragikomisches.
Zuerst gab es einen wahren Sturm der Entrüstung,
als der ursprüngliche Goldstone-Bericht herauskam..
Was für ein böser Feind! Goldstone – ursprünglich
Goldstein - ein Jude, der behauptet, ein Zionist zu sein und Israel
zu lieben, der die abscheulichste Verleumdung über unsere tapferen
Soldaten veröffentlichte und damit den schlimmsten Antisemiten in
aller Welt half und sie unterstützte. Genau der Prototyp eines
selbsthassenden Juden. Noch schlimmer, ein „Mosser“ - ein Jude, der
einen anderen Juden den üblen Goyim ausliefert – die verachtetste
Gestalt in der jüdischen Folklore.
Und nun die 180-Grad-Wendung. Goldstone, der
Jude, der widerrufen hat. Goldstone, der öffentlich bekannte, dass
er mit allem Unrecht hatte; dass die israelische Armee keine
Verbrechen während der Cast-Lead-Operation 2008/2009 begangen hat.
Im Gegenteil, während die israelische Armee ehrliche und genaue
Untersuchungen all der Behauptungen durchgeführt habe, habe die
Hamas keine der abscheulichen Verbrechen, die es begangen hat,
untersucht.
Goldstone, der Mann, der zum Stein des Anstoßes
wurde, ist zu Goldstone dem Mann aus Gold geworden. Ein Mann mit
Gewissen! Ein Mann, der bewundert werden muss.
Es war natürlich Binyamin Netanyahu, der das
letzte Wort hatte. Er fasste zusammen: Goldstones Widerruf hat
wieder einmal bestätigt, dass die IDF die moralischste Armee der
Welt ist.
MEIN HERZ blutet für Richter Goldstone; denn er
wurde von Anfang an in eine unmögliche Situation gebracht.
Die UN-Kommission, die ihn zum Chef der
Untersuchungskommission ernannte, die den Behauptungen von während
der Operation begangener Kriegsverbrechen nachgehen sollte, handelte
anscheinend nach einer logischen, aber tatsächlich törichten
Einschätzung. Einen guten Juden und dazu noch einen anerkannten
Zionisten für eine Aufgabe ernennen, würde jede Behauptung
anti-israelischen Vorurteils beseitigen, dachte man.
Goldstone und seine Kollegen taten zweifellos
einen aufrichtigen und gewissenhaften Job. Sie gingen das
Beweismaterial durch, das ihnen vorgelegt wurde und kamen zu
vernünftigen Schlussfolgerungen. Doch fast alle Beweise kamen von
Palästinensern und aus UN-Quellen. Die Kommission konnte nicht die
Offiziere und Soldaten der IDF befragen, weil unsere Regierung in
einem typischen und fast schon routinemäßigen Akt von Torheit sich
weigerte, zu kooperieren.
Warum? Die grundsätzliche Annahme ist die , dass
alle Welt gegen uns ist, nicht weil wir irgend etwas tun, sondern
weil wir Juden sind. Wir wissen, dass wir Recht haben, und wir
wissen, dass sie beweisen wollen, dass wir Unrecht haben. Warum also
mit diesen Scheiß-Antisemiten und jüdischen Selbsthassern
zusammenarbeiten?
Fast alle einflussreichen Israelis räumen heute
ein, dass dies eine dumme Einstellung war. Aber es gibt keine
Garantie dafür, dass unsere Führer sich beim nächsten Mal anders
verhalten, besonders da die Armee dagegen ist, dass ein Soldat vor
einem nicht israelischen Forum oder sogar vor einem israelischen
nicht militärischen Forum erscheint.
ZURÜCK ZUM armen Goldstone. Nach der
Veröffentlichung seines Kommissionsberichtes wurde sein Leben zur
Hölle.
Der ganze Zorn des jüdischen Ghettos gegen
Verräter aus seiner Mitte wandte sich gegen ihn. Juden waren
dagegen, dass er an der Bar Mitzva seines Enkels teilnimmt. Seine
Freunde wandten sich von ihm ab. Er wurde von allen Leuten, die er
schätzte, geächtet.
Deshalb ging er in sich und fand, dass er Unrecht
hatte. Seine Befunde waren einseitig. Er hätte auf andere Ergebnisse
kommen können, wenn er auch die israelische Seite der Geschichte
gehört hätte. Die israelische Armee hat ehrliche Untersuchungen der
Behauptungen durchgeführt, während die barbarische Hamas keinerlei
Untersuchungen ihrer offensichtlichen Kriegsverbrechen unternommen
hat.
So, wann hatte Goldstone Unrecht? Beim ersten
oder beim zweiten Mal?
Die Antwort ist leider: er hatte beide Male
Unrecht.
ALLEIN DER Begriff „Kriegsverbrechen“ ist
problematisch: der Krieg als solcher ist ein Verbrechen, das nie
gerechtfertigt werden kann, außer wenn es die einzige Möglichkeit
ist, ein größeres Verbrechen zu verhindern – wie es der Krieg gegen
Adolf Hitler war und jetzt gegen Muammar Gaddafi, wenn auch in
unvergleichbar kleinerem Ausmaß.
Der Gedanke von Kriegsverbrechen kam nach den
entsetzlichen Grausamkeiten des 30-Jährigen Kriegs auf, der
Mitteleuropa verheerte. Der Gedanke war, es sei unmöglich, brutale
Aktionen zu verhindern, wenn sie nötig sind, um den Krieg zu
gewinnen, dass aber solche Aktionen verboten sein sollen, wenn sie
nicht diesem Zweck dienen. Das Prinzip ist nicht moralisch, sondern
praktisch. Gefangene und Zivilisten töten, ist ein Kriegsverbrechen,
weil dies keinem militärischen Zweck dient, da es beide Seiten tun –
das gilt auch für willkürliche Zerstörung von Eigentum.
In Israel war dieses Prinzip im berühmten Urteil
von Binyamin Halevi enthalten, und zwar nach dem Kafr Kassem
Massaker, als unschuldige Bauern, Männer, Frauen und Kinder, getötet
worden waren. Der Richter erklärte, eine „Schwarze Fahne“ fliege
über „eindeutig“ illegalen Befehlen – über Befehlen, die sogar eine
einfache Person als illegal erkennt, ohne einen Juristen zu fragen.
Seitdem ist die Ausführung solcher Befehle nach israelischem Gesetz
ein Verbrechen .
DIE WIRKLICHE Frage über Cast Lead ist nicht, ob
einzelne Soldaten solche Verbrechen begangen haben. Sicher taten sie
es – jede Armee ist zusammengesetzt aus allen menschlichen Typen,
anständigen Jungendlichen mit einem Gewissen neben Sadisten,
Dummköpfen und Idioten, die unter moralischer Geisteskrankheit
leiden. In einem Krieg gibt man ihnen allen Waffen und die
Erlaubnis zum Töten. Die Folgen können vorausgesehen werden. Das ist
der Grund, dass „Krieg die Hölle!“ ist.
Das Problem mit dem 2. Libanonkrieg und der
Operation Cast Lead (im Gazastreifen) ist , dass ihr Grundansatz
- derselbe in beiden Fällen – Kriegsverbrechen so gut wie
unvermeidbar machen. Die Planer waren keine Monster – sie taten nur
ihren Job. Sie überlagerten zwei Fakten auf einander. Das Ergebnis
war unvermeidbar.
Die eine Überlegung war die absolute Erfordernis:
auf unserer Seite darf es keine Verluste geben. Wir haben eine
Volksarmee, zusammengesetzt aus Militärdienstpflichtigen aus allen
Gesellschaftsschichten (wie die USA in Vietnam, aber nicht in
Afghanistan) Unsere öffentliche Meinung beurteilt Kriege nach der
Anzahl (unserer) Verluste . Deshalb lautet die Weisung der
militärischen Planer: tut alles Mögliche, damit die Zahl der
Verluste nahe Null liegt.
Die andere Tatsache ist die totale Nichtbeachtung
der Menschlichkeit der andern Seite. Viele Jahre der Besatzung haben
eine Armee geschaffen, für die die Palästinenser und allgemein die
Araber reine Objekte sind. Keine menschlichen Feinde, nicht einmal
menschliche Monster, nur Objekte.
Diese beiden (geistigen) Haltungen führen
notwendigerweise zur strategischen und taktischen Doktrin, die die
Anwendung tödlicher Gewalt gegen jeden und alles diktiert, das
möglicherweise Soldaten bedroht, die auf feindlichem Gebiet
vorrücken, und dies vor den Soldaten liquidiert , vorzugsweise aus
der Ferne durch Artillerie und aus der Luft.
Wenn der Krieg gegen eine Widerstandsbewegung in
einem dicht bevölkerten Gebiet geführt wird, können die Ergebnisse
fast mathematisch genau berechnet werden. In Cast Lead waren
mindestens 450 *palästinensische Zivilisten, unter ihnen Hunderte
von Frauen und Kindern, die wir zusammen mit etwa 750 feindlichem
Kämpfern töteten. Auf der israelischen Seite wurden fünf Soldaten
durch feindliches Feuer getötet ( und etwa sechs versehentlich
durch eigene Leute).
Dieses Ergebnis widersprach nicht dem unerklärten
politischen Ziel der Operation. Es ging darum, die Bevölkerung so
unter Druck zu setzen, dass sie die Hamasregierung stürzt. Dieses
Ergebnis wurde natürlich nicht erreicht – eher das Gegenteil.
Die Logik – und das Verhältnis der Verluste –
beim 2. Libanonkrieg waren etwa dieselben mit einer riesigen
materiellen Zerstörung ziviler Ziele.
NACH DER Veröffentlichung des Goldstone-Berichtes,
führte unsere Armee tatsächlich ganz umfangreiche Untersuchungen
der einzelnen Vorfälle durch. Die Zahl ist eindrucksvoll, das
Ergebnis nicht. Etwa 150 Fälle wurden untersucht, zwei Soldaten
wurden verurteilt ( einer wegen Diebstahls), ein Offizier wurde
angeklagt, weil er durch einen Irrtum eine ganze große Familie
ausgelöscht hat.
Das schien Goldstone zufrieden zu stellen, der
diese Woche dankbar eine Einladung des Innenministers annahm –
vielleicht der rassistischste in der ganzen Regierung, in der es
von Rassisten wimmelt. Eine Einladung zu einem Besuch nach Israel.
(Als der Minister das veröffentlichte, hat Goldstone seinen Besuch
annulliert und erklärt, sein Bericht werde nicht zurückgezogen.)
Andrerseits ist Goldstone wütend auf die Hamas,
die Raketen und Granaten gegen Zivilisten in Israel abfeuerte und
keinerlei Untersuchungen durchführte. Ist es nicht ziemlich
lächerlich: er wendet dieselben Maßstäbe für eine der fünf
mächtigsten Armeen in der Welt an und einer Gruppe Irregulärer und
schlecht bewaffneter Widerstandskämpfer ( alias Terroristen).
Terrorismus ist die Waffe der Schwachen. ( „Gib
mir Panzer und Flugzeuge , und ich werde keine Bomben legen“ sagte
einmal ein Palästinenser). Da die ganze Strategie der Hamas darin
besteht, israelische Gemeinden entlang der Grenze zu terrorisieren,
um Israel davon zu überzeugen, die Besatzung zu beenden (und im
Falle Gazas auch die anhaltende Blockade), scheint Goldstones
Entrüstung schon ein bisschen überraschend.
Alles in allem: Goldstone hat nun den Weg für
eine neue Cast Lead-Operation vorbereitet, die bei weitem schlimmer
sein wird.
Ich erwarte, dass er nun in jeder von ihm
gewählten Synagoge beten kann.
*bei B’tselem: 758 Zivilpersonen,
darunter 318 Minderjährige, 5300 verletzte Palästinenser
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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