Dunum um Dunum*
Uri
Avnery, 5.2.05
Was würde man
wohl sagen, wenn eine amerikanische Institution, die ein Siebtel
des ganzen Landes verwaltet, Richtlinien akzeptieren würde, die
es ihr erlauben, Land nur an weiße, angelsächsisch-stämmige
Protestanten zu verkaufen oder zu verpachten?
Wir würden dies
sicher nicht glauben. Und eigentlich sollte so etwas auch
nicht möglich sein
Doch eine
derartige Situation besteht in Israel. Sie verursacht gerade
eine stürmische öffentliche Debatte.
Dies sind die
Fakten: Der Jüdische Nationalfonds ( auf hebräisch: Keren
Kayemet le-Israel oder kurz KKL) verwaltet 13% allen Landes in
Israel. Seine Statuten verbieten ausdrücklich, Land an
Nicht-Juden zu verkaufen oder zu verpachten. Das heißt, jeder
Jude der Welt könne, selbst wenn er in Timbuktu oder Kamchatka
lebt, vom KKL Land kaufen, ohne nach Israel kommen zu müssen,
während ein arabischer Bürger aus Israel, dessen Vorfahren seit
Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden hier gelebt haben, kein
Haus, keine Wohnung in einem Teil seines Landes käuflich
erwerben oder pachten kann .
Die Debatte
wurde akut, weil das israelische Oberste Gericht vor kurzem in
einer Entscheidung jede Diskriminierung von Bürgern bei der
Landverteilung verurteilt hat. Auf Grund derselben wurde der KKL
verklagt. Jetzt hat der Staatsanwalt entschieden, dass die
Regierung die arabischen Bürger nicht benachteiligen darf,
selbst wenn sie Land, das dem jüdischen Nationalfond gehört,
vergibt.
Das sieht an
sich sehr gut aus, wenn die Sache nicht einen Haken hätte. Die
besten juristischen Köpfe suchen nach einem Ausweg: Wie kann die
Diskriminierung trotz dieser Gerichtsentscheidung beibehalten
werden? Kein Problem. Der Staatsanwalt schlägt einfach vor, die
Regierung werde den KKL für jeden Dunum*, den er – Gott
bewahre! – an Araber vergibt, mit einem Dunum irgendwo anders
kompensieren. Das alternative Land wird in „peripheren“ Lagen
wie im Negev oder in Galiläa sein, wo es viel rentabler ist.
Und obendrein wird die Regierung garantieren, dass die
jährlichen Staatseinkünfte des KKL eine halbe Milliarde Schekel
erreichen wird. So wird der Kuchen geteilt und bleibt doch ganz.
Der KKL
ernennt übrigens fast die Hälfte der Direktoren der
„israelischen Landbehörde“, die Regierungskörperschaft, die
alles in staatlichem Besitz befindliche Land in Israel
verwaltet.
Durch diese
Situation wird 20% der Bevölkerung Israels das Recht verweigert,
in großen Teilen des Landes ein Haus zu kaufen, während Juden in
Brooklyn oder Odessa sich dieses Rechts erfreuen können.
Wie ist es dazu
gekommen? Wie viele schlimme Dinge hier fing es ganz unschuldig
an.
Als vor mehr
als 100 Jahren die zionistische Bewegung geschaffen wurde,
bestand die Notwenigkeit für die jüdischen Einwanderer in
Palästina Land zu kaufen. Zu diesem Zweck wurde der KKL
gegründet. Überall in der Welt wurde in jedem zionistischen Haus
eine blaue Sammelbüchse aufgehängt. In jedem Klassenzimmer
jüdischer Schulen wurden Kinder gedrängt, ihre Münzen in diese
Büchse zu werfen. In jüdischen Schulen dieses Landes wurden
KKL-Vertreter gewählt, deren Aufgabe es war, zu größeren Spenden
zu ermutigen. ZB. durch Wettbewerbe zwischen Klassen oder
Schulen. Die blaue Büchse wurde zu einem Symbol der
zionistischen Bewegung, vielleicht das bekannteste. Auch ich
habe meine Münzen in diese Büchse geworfen, die jeden Freitag in
meinem Klassenzimmer der Achad-Ha’am-Grundschule in Tel Aviv von
Bank zu Bank gereicht wurde.
Mit dem auf
diese Weise gesammelten Geld wurde ein Menge Land erworben, auf
dem Kibbuzim und Moschavim aufgebaut wurden. Das war der
Höhepunkt des zionistischen Idealismus. Die „Erlösung des
Landes“ und „hebräische Arbeit“ wurden die Eckpfeiler des
zionistischen Traumes.
Und was konnte
in der Tat schöner sein? Kinder in aller Welt warfen ihr
Taschengeld in die blauen Dosen. Das Land Israels wurde mit
gutem Geld gekauft. Dieses Land wurde von seinen Pionieren,
den Söhnen von Kaufleuten und Wucherern im Schweiße ihres
Angesichts bearbeitet.
Überall in der
Welt sangen jüdische Kinder: „Ich werde dir sagen, Mädchen/ und
dir, Junge,/ wie im Lande Israels/ das Land erlöst wird.// Ein
Dunum hier und ein Dunum dort,/ Scholle um Scholle./ Das Land
des Volkes ist gekauft worden,/ vom Norden bis zum Negev.// An
der Wand hängt eine Dose,/ eine blaue Dose, / jeder Pfennig
darin erlöst Land...“
Doch diese
wunderbare Geschichte hat eine dunkle Seite, die im
zionistischen Bewusstsein nicht registriert wurde. Das Land war
tatsächlich gekauft worden – manchmal zu unverschämten Preisen
– doch von reichen abwesenden Besitzern, die weder darauf lebten
noch es kultivierten. Als das späte ottomanische Reich bankrott
und in großer Geldnot war, verkaufte es große Landflächen an
reiche arabische Kaufleute in Jaffa, Beirut und anderen Städten,
die diese als Geldanlage kauften. Die arabischen Fellachen
(Bauern), die das Land seit Generationen bearbeiteten, waren nur
Pächter. Als der KKL das Land kaufte, wurden die Fellachen oft
mit Hilfe der türkischen und später der britischen Polizei
vertrieben.
Als im November
1947 die Vereinten Nationen sich zu einer Teilung des Landes in
einen jüdischen und arabischen Staat entschlossen, waren trotz
all der Bemühungen nur 7% des Landes in jüdischem Besitz. Und
nur ein Teil dieses Gebietes gehörte dem KKL, der Rest war von
privaten jüdischen Besitzern in Städten und
landwirtschaftlichen „Kolonien“ gekauft worden.
Es wäre nun nur
logisch gewesen, hätte der KKL mit der Gründung des Staates
Israel sein Land dem Staat übereignet; denn genau für diese
Idee war das Geld ja gesammelt worden.
Aber dies
geschah nicht - es geschah genau das Gegenteil: der neue Staat
transferierte Millionen von Dunum enteigneten Landes der Araber
an den KKL. Es war Land von Flüchtlingen, denen es nicht erlaubt
wurde, zurückzukehren - (in juristischer Sprache wurden sie zu
„absentees“, zu „Abwesenden“). Oder es war das Land von denen,
die im Lande geblieben waren, aber an einem bestimmten Tag nicht
in ihrem Dorf waren. Sie wurden zu „present absentees“,
(„anwesend Abwesenden“). Oder es war das Land von Arabern, die
zu Bürgern Israels wurden.
Man sollte dies
gut im Gedächtnis behalten, da es die große Lüge aufdeckt, die
über der ganzen Debatte schwebt: dass das KKL-Land mit dem Geld
des jüdischen Volkes gekauft wurde. Der größere Teil des
KKL-Landes war keineswegs gekauft, vielmehr im Krieg erobert und
dem KKL transferiert worden.
Warum
transferiert? Warum transferiert ein souveräner Staat sein Land
gratis an eine nicht staatliche Körperschaft ? Mir fällt nur ein
Grund ein: damit man mit der Diskriminierung der arabischen
Bürger fortfahren kann.
In einer
offiziellen Darstellung behauptet der KKL, er schulde
gegenüber den Prinzipien des Staates Israel keine Loyalität, wie
sie in der Unabhängigkeitserklärung von 1948 festgelegt wurden
(d.h. Gleichheit aller Bürger, ohne Unterschied von Religion und
Rasse) sondern nur dem „jüdischen Volk“. Dies bedeutet, dass
das „jüdische Volk“, das keine politische Körperschaft ist, als
unabhängige Entität dargestellt wird, die über dem Staat Israel
steht.
Der KKL agiert
natürlich nicht für das „jüdische Volk. Er ist ein Instrument
der israelisch jüdischen Gemeinschaft gegen die israelisch
arabische Gemeinschaft. Er ist ein Instrument für
institutionalisierte Diskriminierung. Der Trick des
Staatsanwalts bestand nun darin, der Forderung des israelischen
Obersten Gerichtes für Gleichheit aller Bürger nachzukommen,
während eine Körperschaft, die auf Diskriminierung beruht,
weiterhin 13% des Staatslandes verwalten darf. Im Prinzip ändert
sich also nichts.
Der KKL steht
damit nicht alleine da . Diskriminierung herrscht auf vielen
Gebieten. Allein in den letzten Tagen kamen zufällig folgende
Tatsachen ans Licht.
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Die Verantwortlichen des
Finanzministeriums grübeln darüber nach , wie man großen
jüdischen Familien Beihilfen zahlen kann, ohne gleichzeitig auch
große arabische Familien damit zu versehen. In Israel gibt es
zwei Gemeinschaften mit großer Geburtenrate: die
jüdisch-orthodoxe und die muslimisch-arabische, besonders die
der Beduinen .
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Das Innenministerium ist dabei, ein
Gesetz durchzudrücken, das jedem Ausländer, der einen
israelischen Ehepartner hat, erlaubt, die israelische
Staatsangehörigkeit zu erlangen, auch wenn er nicht jüdisch
ist. Es schließt Araber aber ausdrücklich aus. Es verweigert
Tausenden von jungen Arabern, Bürgern Israels, das Recht, eine
Familie in Israel zu gründen, wenn die Braut oder der Bräutigam
ein Bewohner der palästinensischen Gebiete ist, auch wenn es ein
Verwandter ist.
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Das Bildungsministerium bestätigte,
was bis jetzt ein offenes Geheimnis war: die Ernennung eines
jeden Lehrers und Schulleiters einer arabischen Schule in
Israel hängt von der Genehmigung des israelischen Geheimdienstes
(Shin Bet) ab. Doch macht das Ministerium mittlerweile
Fortschritte. Bis jetzt war der Shin Bet-Repräsentant
automatisch der stellvertretende Vorsitzende des
Ernennungskomitees. Von jetzt an wird er nur noch ein
Es wäre schön, wir könnten sagen,
dass diese Phänomene - und viele andere dieser Art - vom rechten
Flügel stammen würden. Die Wahrheit jedoch ist, dass die meisten
dann aufkamen, als die „zionistische Linke“ die Verantwortung
hatte – und nun so weitermacht mit der Unterstützung des Linken
Flügels, dessen Vertreter der Sharonregierung angehören.
Das ist nicht der Staat, den wir
uns in der Unabhängigkeitserklärung versprochen haben. Wir
haben noch einen harten Kampf vor uns, bis Israel ein
demokratischer, liberaler, säkularer, pluralistischer und auf
Gleichheit gegründeter Staat werden wird.
Ein Schritt in diese Richtung wäre
die Auflösung des KKL und die Übergabe seines Landes an den
Staat.
*1 Dunum
(=1000 qm = 0,1ha) ein türkisches Flächenmaß, das von Israel
übernommen wurde.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert) |