„Das Star
ging zum Raben“ oder
(„Gleich und gleich gesellt sich
gern“)
Uri Avnery,
26.6.04
Eine alte und verbrauchte Hure, die
vergeblich nach einem Mann Ausschau hält, der sie um ihre Gunst
bittet, ist wirklich ein bemitleidenswerter Anblick. In genau dieser
erbärmlichen Lage befindet sich jetzt die Arbeiterpartei (Labor) –
nur ist es schwierig, für sie Mitleid zu empfinden.
Seit Monaten wartet die Partei vor
der Tür der Sharonregierung und hofft, jeden Augenblick eingeladen
zu werden. Ab und zu öffnet Sharon die Tür, wirft einen
verächtlichen Blick auf sie und schlägt die Tür vor ihrer Nase zu.
Auch diese Woche geschah es wieder - zum soundsovielten Male.
Gewöhnlich wird Shimon Peres für
diese Situation die Schuld zugeschoben. Natürlich ganz zu recht.
Peres sehnt sich nach seiner Stelle als Außenminister - so wie ein
in der Wüste vor Durst Sterbender nach Wasser lechzt. Als
Regierungsmitglied könnte er sich mit Königen und Präsidenten
treffen, an internationalen Konferenzen teilnehmen, feierliche
Erklärungen abgeben und all die Dinge tun, die seinem Leben Sinn
geben. Für ihn ist das Leben in der Opposition überhaupt kein Leben.
Die Frage aber ist: Warum wurde
dieser Mann in diese Position als Exekutiv-Vorsitzender der Partei
gewählt? All jene, die ihn wählten, wussten, wohin er gehen wolle.
Schließlich hat er schon als Sharons Außenminister gedient und die
gute Nachricht verbreitet, dass Sharon nicht Sharon sei, dass der
Leopard jeden seiner Flecken verändert habe und nun wie eines der
Schafe auf seiner Farm sei.
Als Vorsitzender der größten
parlamentarischen Fraktion außerhalb der Regierungskoalition ist
Peres berechtigt, nach dem Gesetz als „Chef der Opposition“
angesprochen zu werden. Kein Titel passt weniger zu ihm. Während
z.B. Menachem Begin in der Opposition auflebte und dort 29
glückliche Jahre verbrachte, welkt Peres dort wie eine Blume ohne
Wasser dahin. Er weiß nicht, was er tun soll. Selbst wenn ihm ein
Plan mit Oppositionsaktivitäten auf einer Platte serviert würde,
würde er nicht wissen, was er damit tun solle.
Schon seit Beginn seiner Karriere
in der Arbeiterjugendbewegung war er ein Mann der Regierung. Als
Assistent von Ben Gurion, als Generaldirektor des
Verteidigungs-Ministeriums, als Minister und als Ministerpräsident –
er identifizierte sich immer mit der Regierung, arbeitete für die
Regierung und repräsentierte die Regierung. Als Ben Gurion ihn 1965
zwang, die Arbeiterpartei zu verlassen, um an der Gründung der
Oppositionspartei Rafi teilzunehmen, war er unglücklich und benützte
den ersten Vorwand, um wieder in die Regierungspartei zu kommen.
Als er eine Wahl verlor und in der Opposition hängen blieb, sah er
sich nach der erstbesten Gelegenheit um, um sich einer „Nationalen
Einheits“-Regierung anzuschließen.
Von diesem Standpunkt aus ist Peres
das vollkommene Symbol seiner Partei. Von 1933 an, als sie in den
Regierungsinstitutionen der zionistischen Organisation die Macht
übernahm bis zum „Umsturz“ von 1977, der den Likud zur Macht
brachte, erfreute sich die Arbeiterpartei 44 Jahre lang
ununterbrochen der Macht. Der Likudsieg machte tatsächlich jeden
sprachlos. Bis zu diesem Augenblick konnte sich niemand die
Arbeiterpartei außerhalb der Regierung vorstellen.
Damals konnte ein
Parlamentsmitglied mit den Genossen der Arbeiterpartei nur Mitleid
haben. Sie trieben sich in den Korridoren der Knesset wie Geister
herum. Wenn sie aufs Rednerpodium gingen, um dort über irgendein
Thema zu reden, nahmen sie automatisch die Pose von
Regierungssprechern an und mussten sich dann selbst mitten in der
Rede daran erinnern, dass es ihre Aufgabe war, zu kritisieren.
Während des ganzen letzten Jahres
konnte man kaum ein Anzeichen dafür finden, dass die Arbeiterpartei
in der Opposition ist. Es stimmt zwar, dass sie regelmäßig
Misstrauensanträge einreicht, aber das ist ein wöchentliches leeres
Ritual, das von niemandem ernst genommen wird – weder innerhalb der
Knesset noch außerhalb.
Es gibt nichts, was die
Arbeiterpartei in der Regierung wirklich bekämpft. Sie
identifiziert sich mit der thatcheristischen Wirtschaftspolitik des
Finanzministers Binyamin Netanyahu, der die Armen trifft, ( die
jedenfalls für den Likud stimmen,) und der wirtschaftlichen Elite
dient, ( die zur Arbeiterpartei gehört). Sie kann nicht gegen die
Siedlungen kämpfen, da Peres ja selbst die erste Siedlung (Kedumin)
mitten in der Westbank gegründet hat. Der Trennungszaun, der die
Palästinenser in Ghettos sperrt, wurde von der Arbeiterpartei
initiiert, und als Sharon Ministerpräsident wurde, hat er den
Verlauf der Mauer nur verändert. Das Mantra „Wir haben keinen
Partner“ wurde von Laborführern erfunden, von Ehud Barak und Shlomo
Ben-Ami. Die Idee, Siedlungsblöcke zu annektieren, war von Yossi
Beilin, dem damaligen führenden Labormitglied, ausgedacht worden.
Die engen Beziehungen zwischen
Shimon Peres und Ariel Sharon sind nicht zufällig. Der Prophet Amos
( 3,3) sagte: „Können denn zwei mit einander wandern, sie seien denn
einig untereinander?“ Beide kamen vom selben Platz: dem Hof Ben
Gurions. Beide repräsentieren Variationen derselben Ideologie. Das
alte hebräische Sprichwort sagt doch: „ Nicht umsonst geht der Star
zum Raben - es sind nämlich zwei von der selben Sorte.“ *
Der Name der „Arbeiterpartei“ als
solcher ist eine falsche Bezeichnung – sie ist weder eine Partei
noch hat sie irgend etwas mit Arbeit zu tun. Sie hat in vier der
fünf Teile der israelischen Gesellschaft keinerlei Wurzeln: nicht
bei den Religiösen, den Orientalen, den neuen russischen
Einwanderern und nicht bei den arabischen Bürgern. Sie ist begrenzt
auf die fünfte Gruppe – die Ashkenasim, die europäischen Juden,
besonders die ältere Generation. Dies ist die wohletablierte,
privilegierte, tatsächlich verwöhnte Elite, die es sich in der
bestehenden Situation bequem macht und die sich über nichts aufregt
und die keine Lust hat, sich mit Parteipolitik zu befassen
(abgesehen von einer vereinzelten Ausnahme).
Die Partei liegt in Trümmern. Sie
hat keine echten lokalen Zweigstellen, nur kleine Gruppen von
interessierten Funktionären. Noch schlimmer: es gibt keine Anzeichen
einer neuen Führung oder nach dem Kollaps der alten Konzepte gar
neue Ideen. Man sieht nur eine Gruppe alter Politiker, von denen
jeder nur danach trachtet, ein paar Minuten beim Fernsehen zu
ergattern, wo er dann altmodische Phrasen aus der Vergangenheit
drischt. Das Publikum lauscht und gähnt.
Diese Politiker sind es, die Peres
gewählt haben, weil sie sich nicht auf einen anderen Kandidaten als
Vorsitzenden einigen konnten. Dies ist kein Symphonieorchester,
sondern nur ein Haufen von Straßenmusikanten, von denen jeder seine
eigene Melodie spielt.
All dies wäre nicht so wichtig, wenn
es nicht so ernste Folgen hätte. Das Fehlen einer wirklichen
Opposition ist wie ein Vakuum in der politischen Landschaft und
überlässt die ganze Arena Sharon und seinen Handlangern. Die kleine
Meretz-Partei, jetzt „Yahad“ („Zusammen“) genannt, ist auch keine
wirksame Opposition – nicht nur wegen ihres geringen Formates,
sondern weil sie an vielen Leiden kränkelt wie die Laborpartei. Sie
nimmt nicht an den täglichen Auseinandersetzungen vor Ort teil. Sie
kämpft nicht gegen die monströse Mauer. Der Bestechungsskandal des
Ministerpräsidenten, der für jede echte Opposition ein großer Tag
hätte werden können, hat bei Yahad keine Reaktion ausgelöst. Labor
blieb natürlich stumm.
Die kleinen Parteien, die die
arabischen Bürger vertreten, sind viel aktiver. Aber der größte Teil
der jüdischen Öffentlichkeit ignoriert sie, so wie sie die arabische
Öffentlichkeit im allgemeinen ignoriert.
Das ist eine verheerende Situation.
Sie ruft Verzweiflung bei denen hervor, die sich nach einer Änderung
sehnen, aber keine lebensfähige Alternative sehen, die die Macht
übernehmen könnte. Sie erklärt auch das merkwürdige Ergebnis von
allgemeinen Meinungsumfragen: Die Mehrheit wäre bereit, für den
Frieden die nötigen Opfer zu bringen - die Mehrheit wählt Sharon.
Ein Wechsel der Regierung ist ohne
eine Änderung in der Opposition unmöglich. Und eine neue Opposition
hat nur dann eine Chance, Begeisterung zu wecken, wenn ihre Agenda
wirklich gegen die Regierungsagenda stünde. Dafür aber wären Mut,
Glaube und ein kämpferischer Geist nötig.
Bis solch eine Opposition
zum Leben erwacht – innerhalb oder außerhalb von Labor – gibt es
keine Chance für einen reellen politischen Wechsel.
* vgl. das deutsche Sprichwort:
„Gleich und gleich gesellt sich gern.“ (Ergänzung der Übersetzerin)
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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