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Palästinas Nelson Mandela
Uri Avnery - 19.4.
2017
ICH MUSS
etwas bekennen. Ich liebe Marwan Barghouti.
Ich hab ihn in
seiner bescheidenen Wohnung in Ramallah mehrfach besucht. Während
unserer Gespräche, diskutierten wir über den
israelisch-palästinensischen Frieden. Unsere Ideen waren dieselben:
einen Staat Palästina neben dem Staat von Israel und einen Frieden
zwischen den beiden Staaten zu schaffen, der sich auf die 1967
Grenzen (mit geringen Veränderungen) mit offenen Grenzen und
Zusammenarbeit gründete.
Dies war kein
geheimes Abkommen: Barghouti hat diesen Vorschlag viele Male
wiederholt – im Gefängnis und außerhalb.
Ich mochte auch
seine Frau Fadwa, die als Anwältin ausgebildet war, die aber ihre
Zeit dem Kampf um die Entlassung ihres Mannes verbrachte. Bei dem
gedrängtvollen Begräbnis von Yasser Arafat stand ich zufällig neben
ihr und sah ihr tränen-bedecktes Gesicht.
In dieser Woche
begann Barghouti zusammen mit über tausend anderen palästinensischen
Gefangenen in Israel einen unbegrenzten Hungerstreik. Ich habe
gerade eine Petition für seine Entlassung unterschrieben.
MARWAN BARGHOUTI
ist ein geborener Führer. Trotz seiner geringen physischen Größe,
fällt er in jeder Versammlung auf. Innerhalb der Fatah-Bewegung
wurde er der Führer der jugendlichen Abteilung. ( Das Wort „Fatah
besteht aus den Initialen der Palästinensischen Befreiungsbewegung,
rückwärts)
Die Barghoutis sind
eine weit verbreitete Familie. Die in mehreren Dörfern, nahe
Ramallah dominieren. Marwan selbst wurde 1959 im Dorf Konar geboren.
Ein Vorfahre Abd-al-Jabir al-Barghouti führte 1834. eine arabische
Revolte. Ich habe Mustafa Barghouti, einen Aktivisten der
Demokratie, in vielen Demonstrationen getroffen und teilte mit ihm
das Tränengas. Omar Barghouti ist ein Führer der internationalen
Anti-Israel-Boykott-Bewegung.
Vielleicht hängt
meine Sympathie für Marwan damit zusammen, dass wir in unserer
Jugend von einigen Ähnlichkeiten (Ähnliches erlebten) beeinflusst
waren. Er schloss sich mit 15 der palästinensischen
Widerstandsbewegung an - im selben Alter, in dem ich mich - 35
Jahre früher - der hebräischen Untergrund-Bewegung anschloss. Meine
Freunde und ich betrachteten uns selbst als Freiheitskämpfer,
wurden aber von den britischen Behörden als „Terroristen“
bezeichnet. Dasselbe geschieht jetzt mit Marwan einem
Freiheitskämpfer in seinen eigenen Augen (nach ihm selbst) und in
den Augen der israelischen Behörden geschehen
Als er im Tel
Aviver Distrikt-Gericht vor Gericht stand, versuchten meine Freunde
und ich, Mitglieder der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom
(Friedensblock), aus Solidarität mit ihm im Gerichtssaal zu
demonstrieren. Wir wurden von bewaffneten Wächtern vertrieben/
rausgeschmissen. Einer meiner Freunde verlor bei diesem glorreichen
Kampf einen Zehennagel.
Vor Jahren nannte
ich Barghouti den „palästinensischen Mandela“. Abgesehen von ihrem
Unterschied an Größe und Hautfarbe, gab es eine wesentliche
Ähnlichkeit zwischen den Beiden: beide waren Männer des Friedens,
aber rechtfertigten die Anwendung von Gewalt gegen ihre
Unterdrücker. Doch das Apartheid-Regime war mit einer
lebenslangen Gefängnisstrafe zufrieden. Barghouti wurde zu einer
lächerlichen Strafe verurteilt: fünfmal lebenslang plus weitere 40
Jahre für Gewaltakte, die von seiner Tanzim-Organisation ausgeführt
wurden.
(Gush Shalom
veröffentlichte in dieser Woche eine Erklärung, die behauptete, dass
nach derselben Logik Menachem Begin für den Anschlag aufs
King-David-Hotel, - bei dem 91 Leute getötet wurden, viele waren
Juden - von den Briten 91 mal lebenslänglich verurteilt werden
sollte.
Es gibt noch eine
andere Ähnlichkeit zwischen Mandela und Marwan: als das
Apartheid-Regime von einer Kombination von „Terroristen“ mit
gewaltsamen Streiks und einem weltweiten Boykott zerstört wurde.
Mandela tauchte als der natürliche Führer des neuen Süd-Afrika auf.
Viele Leute erwarten, dass wenn ein palästinensischer Staat
errichtet wird, wird Barghouti nach Mahmoud Abbas sein Präsident.
In seiner
Persönlichkeit gibt es etwas, das Vertrauen weckt und ihn in einen
natürlichen Schlichter von internen Konflikten verwandelt.
Hamas-Leute, die die Opponenten der Fatah sind, neigen dazu, Marwan
zuzuhören. Er ist der ideale Friedenstifter zwischen den beiden
Bewegungen.
Vor einigen Jahren
gehörte eine große Anzahl von Gefangenen zu den beiden
Organisationen, die eine gemeinsame Forderung um eine nationale
Einheit, die konkrete Bedingungen festlegte, unterzeichneten. Sie
hatten keinen Erfolg.
Übrigens mag das
ein zusätzlicher Grund für die israelische Regierung sein, jeden
Vorschlag abzulehnen, Barghouti frei zu lassen, auch dann, wenn es
einen Gefangenen-Austausch bei einer günstigen Gelegenheit gibt.
Ein freier Barghouti könnte ein mächtiger Agent für die
palästinensische Einheit werden, das letzte, nach dem israelische
Oberherren schauen.
Divide and impera –
„teile und herrsche“ ist seit römischen Zeiten ein führendes
Prinzip von jedem Regime gewesen, das ein anderes Volk unterdrückt.
Darin sind israelische Behörden unglaublich erfolgreich gewesen.
Die politische Geographie lieferte einen idealen Rahmen. Das
Westufer (westbank) des Jordan ist vom Gaza-Streifen durch etwa 50
km vom israelischen Gebiet abgeschnitten.
Hamas erhielt
durch Wahlen und Gewalt den Gazastreifen und weigerte sich, die
Führung der PLO zu akzeptieren, eine Union mit der säkulareren
Organisation, die die Westbank beherrscht.
Dies ist keine
ungewöhnliche Situation bei nationalen Befreiungsorganisationen.
Gewöhnlich sind sie in mehr oder weniger extremen Flügeln
getrennt - zum großen Entzücken der Unterdrücker. Es ist das
Letzte, das israelische Behörden zu tun bereit wären: Barghouti frei
zu lassen und ihm erlauben, die palästinensische nationale Einheit
herzustellen – um Himmels Willen, nein!.
DIE HUNGERSTREIKER
verlangen nicht die Entlassung, sondern fordern bessere
Gefängnisbedingungen. Sie fordern - unter anderem – häufigere und
längere Besuche von ihren Frauen und Familien, ein Ende der Folter,
besseres Essen und ähnliches. Sie erinnern uns auch, dass es nach
inter-nationalem Gesetz einer „Besatzungsmacht“ verboten ist, die
Gefangenen aus dem besetzten Gebiet in das Gebiet des Besatzers zu
bringen. Genau dies geschieht gegenüber fast allen
palästinensischen „Sicherheitsgefangenen“.
Letzte Woche
verlangte Barghouti genau dies in einem Op-ad-Artikel, in der
New-York-Times, einem Akt, der die freundliche/ bessere Seite der
Zeitung zeigt. Die redaktionelle Bemerkung beschreibt den Autor als
einen palästinensischen Politiker und Mitglied des Parlaments. Es
war ein mutiger Akt der Zeitung (die irgendwie in meinen Augen ihre
Haltung wieder herstellen wollte, nachdem sie Bashar al-Assad
verurteilte, dass er Giftgas verwendete, ohne dass es den leisesten
Beweis gab.
Aber Mut hat seine
Grenzen. Am genau nächsten Tag veröffentlichte die NYT eine
Bemerkung, dass Barghouti wegen Mordes überführt wurde. Es war eine
niederträchtige Kapitulation auf zionistischen Druck hin.
Der Mann, der
diesen Sieg beanspruchte, war ein Individuum/ eine Person, das/die
ich besonders unausstehlich finde. Er nennt sich selbst Michael
Oren und ist jetzt ein vertretender Minister in Israel, war aber in
den USA geboren und gehört zu einer Untergruppe amerikanischer
Juden, die super-super Patrioten von Israel sind. Er nahm gleich
die israelische Staatsangehörigkeit an und einen israelischen Namen,
um als Israels Botschafter in den USA zu dienen. In dieser Funktion
hat er Aufmerksamkeit geweckt, in dem er besonders bösartige
anti-arabische Rhetorik anwand, so extrem, dass sogar Benjamin
Netanjahu im Vergleich mit ihm moderat erschien.
Ich zweifle, dass
diese Person jemals etwas für seinen Patriotismus geopfert hat.
Tatsächlich hat er damit eine Karriere gemacht. Doch spricht er mit
Verachtung über Barghouti, der fast sein ganzes Leben im Gefängnis
oder Exil verbracht hat. Er beschreibt den Barghouti-Artikel in der
NYT als einen journalistischen Terrorakt. Sieh, wer spricht.
EIN HUNGERstreik
ist ein sehr mutiger Akt. Es ist die letzte Waffe der am wenigsten
geschützten Menschen auf Erden – die Gefangenen. Die grässliche
Margaret Thatcher ließ die irischen Hungerstreiker vor Hunger
sterben.
Die israelischen
Behörden wollten die palästinensischen Hungerstreiker unter Zwang
füttern. Die israelische Ärzte- Vereinigung, sehr zu ihrer Ehre,
weigerte sich, hier mitzuarbeiten, da solche Akte in der
Vergangenheit zum Tode der Opfer führte. Das führte zu einem Ende
dieser Art von Folter.
Barghouti forderte,
dass palästinensische politische Gefangene wie Kriegsgefangene
behandelt werden. Keine Chance.
Doch sollte man
verlangen, dass jede Art von Gefangenen menschlich behandelt wird.
Das bedeutet, dass der Entzug der Freiheit die einzige Strafe ist
und dass innerhalb der Gefängnisse das Maximum von annehmbaren
Bedingungen zugestanden werden sollte.
In einigen
israelischen Gefängnissen scheint eine Art modus vivendi zwischen
den Gefängnisbehörden und den palästinensischen Gefangenen gewesen
zu sein. In den andern Gefängnissen hat man den Eindruck, dass der
Gefängnisdienst/die Wärter der Feind der Gefangenen war, der ihnen
das Leben so miserabel wie möglich machte. Das ist jetzt als
Antwort auf den Hungerstreik noch schlimmer geworden.
Diese Politik ist
grausam, illegal und contra-produktiv. Es gibt keinen Weg, um einen
Hungerstreik zu gewinnen. Die Gefangenen müssen gewinnen, besonders
wenn anständige Leute in aller Welt dies beobachten, Vielleicht
sogar die NYT.
Ich warte auf den
Tag, an dem ich Marwan wieder als freien Menschen in seiner Wohnung
besuchen kann. Oder noch besser, wenn Ramallah in dieser Zeit eine
Stadt im freien Staat Palästina sein wird.
(dt. Ellen Rohlfs,
vom Verfasser …)
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