Wer fürchtet sich vor der bösen-Bombe?
Uri Avnery,
4.4. 2015
ICH MUSS mit einem
schockierenden Bekenntnis beginnen: ich habe keine Angst vor der
iranischen Atombombe.
Ich weiß, das macht
mich zu einem anormalen Menschen, fast zu einem Monster.
Aber was kann ich
tun? Ich bin nicht in der Lage, Furcht aufzubringen wie ein echter
Israeli. Würde ich es noch so sehr versuchen, so würde mich die
iranische Atombombe doch nicht hysterisch machen.
MEIN VATER lehrte
mich einst, Erpressungen zu widerstehen: Stell dir vor, die
schreckliche Bedrohung des Erpressers ist schon geschehen. Dann
kannst du ihm sagen: Zur Hölle mit dir!
Ich habe viele Male
versucht, diesem Rat zu folgen und fand ihn gut. Also wende ich ihn
jetzt gegen die iranische Bombe an: ich bilde mir ein, dass das
Schlimmste schon geschehen ist: die schrecklichen Ayatollahs haben
die Bombe, die das kleine Israel in einer Minute auslöschen kann.
Na und?
Nach ausländischen
Experten hat Israel zwischen 80 und 400 Atombomben. Wenn der Iran
seine Bomben schickt und den größten Teil Israels (auch mich)
vernichtet, werden Israels Atombomben den Iran zerstören. Was auch
immer ich über Benjamin Netanjahu denke, ich verlasse mich auf ihn
und auf unsere Sicherheitschefs, dass sie unser „Zweitschlag“-Vermögen
intakt halten. Erst letzte Woche wurden wir informiert, dass
Deutschland unserer Marine noch ein U-Boot nach dem neuesten Stand
der Technik für unsern Zweck geliefert hat.
Israels Idioten - und
da gibt es einige – antworten: „Ja, aber die iranischen Führer sind
keine normalen Leute. Sie sind verrückt. Religiöse Fanatiker. Sie
riskieren die totale Zerstörung des Iran, nur, um den zionistischen
Staat zu zerstören. So wie man beim Schachspiel die Königinnen
austauscht“.
Solche Überzeugungen
sind die Folge von jahrzehntelanger Dämonisierung. Die Iraner - oder
mindestens ihre Führer werden als unmenschliche Schurken angesehen.
Die Wirklichkeit
zeigt uns, dass die Führer des Iran sehr nüchtern denkende Politiker
sind. Vorsichtige Kaufleute im Stil des iranischen Basar. Sie nehmen
keine unnötigen Risiken auf sich. Der revolutionäre Eifer der frühen
Khomeini-Tage ist seit langer Zeit vorbei, und selbst Khomeini
hätte nicht geträumt, so etwas wie einen nationalen Suizid zu
begehen.
NACH DER Bibel
erlaubte der große persische König Cyrus den gefangenen Juden in
Babylon nach Jerusalem zurück zu kehren und ihren Tempel wieder
aufzubauen. In jener Zeit war Persien schon eine alte Zivilisation –
kulturell und politisch.
Nach der „Rückkehr
von Babylon“ lebte das jüdische Reich um Jerusalem 200 Jahre unter
persischer Herrschaft. In der Schule wurde uns beigebracht, dass
diese Zeit für die Juden eine glückliche Zeit war.
Seitdem ist die
persische Kultur und Geschichte weitere 2500 Jahre älter geworden.
Die persische Zivilisation ist eine der ältesten in der Welt. Sie
hat eine großartige Religion (Zarathustra) geschaffen und viele
andere beeinflusst, auch das Judentum. Die Iraner sind sehr stolz
auf diese Zivilisation.
Kann man sich
vorstellen, dass die gegenwärtigen Führer des Iran nur daran denken,
die Existenz von Persien aufs Spiel zu setzen, allein aus purem Hass
auf Israel, ist lächerlich und größenwahnsinng.
Außerdem sind während
der ganzen Geschichte die Beziehungen zwischen Juden und Persern
fast immer ausgezeichnet gewesen. Als Israel gegründet wurde, wurde
der Iran als natürlicher Verbündeter betrachtet, als ein Teil von
David Ben Gurions „Strategie der Peripherie“ – eine Verbindung aller
Länder, die die arabische Welt umgaben.
Der Schah, der von
den Amerikanern und dem britischen Geheimdienst wieder eingesetzt
wurde, war ein sehr enger Verbündeter. Teheran war voll israelischer
Geschäftsleute und Militärberater. Es diente als Basis für
israelische Agenten, die mit den rebellischen Kurden im nördlichen
Irak arbeiteten, die gegen das Regime von Saddam Hussein kämpften.
Nach der islamischen
Revolution unterstützte Israel den Iran noch einmal in seinem
grausamen acht Jahre andauernden Krieg. Die berüchtigte
Iran-Gate-Affäre, in der mein Freund Amiram Nir und Oliver North so
eine bedeutende Rolle spielten, wäre ohne die alten
iranisch-israelischen Beziehungen nicht möglich gewesen.
Selbst jetzt führen
der Iran und Israel freundliche Schiedsverfahren über ein altes
Unternehmen durch: die Eilat-Ashkelon-Öl-Pipeline, die gemeinsam von
beiden Ländern gebaut wurde.
Falls das Schlimmste
zum Schlimmsten eintreten würde, werden das nukleare Israel und der
nukleare Iran in einem Gleichgewicht des Schreckens leben.
In der Tat, sehr
unerfreulich. Aber keine existentielle Bedrohung.
DOCH FÜR jene, die
vor den iranischen nuklearen Fähigkeiten in Schrecken leben, habe
ich einen Rat: nützt die Zeit, die wir noch haben!
Nach den
amerikanisch-Iranischen Verhandlungen, die gerade im Gang sind,
haben wir wenigstens noch 10 Jahre, bis der Iran in die Endphase
treten könnte, um die Atombombe zu produzieren.
Bitte, nutzt die
Zeit, (carpe diem !) um Frieden zu schließen.
Der iranische Hass
gegen das „zionistische Regime“ – den Staat Israel – hängt mit dem
Schicksal des palästinensischen Volkes zusammen. Das Gefühl der
Solidarität für die hilflosen Palästinenser ist in allen islamischen
Völkern tief verwurzelt. Es ist ein Teil der populären Kultur in
ihnen allen. Sie ist ganz real, auch wenn die politischen Regime
diese missbrauchen, manipulieren oder auch ignorieren.
Da es keinen Grund
für einen spezifischen iranischen Hass gegen Israel gibt, gründet
sich dieser nur auf dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Kein
Konflikt -keine Feindschaft .
Die Logik sagt uns,
wenn wir mehrere Jahre haben, bevor wir im Schatten einer iranischen
Bombe leben müssen, lasst uns die übrige Zeit nutzen, um den
Konflikt zu eliminieren. Wenn die Palästinenser selbst einmal
erklären, dass sie den historischen Konflikt mit Israel als erledigt
ansehen, wird keine iranische Führung in der Lage sein, ihr Volk
gegen uns zu erheben.
SEIT MEHREREN Wochen
rühmt sich Netanjahu tatsächlich einer riesigen historischen
Errungenschaft.
Es ist das erste Mal,
dass Israel praktisch Teil einer arabischen Allianz ist.
In der ganzen Region
wütet der Konflikt zwischen muslimischen Sunniten und muslimischen
Schiiten. Das schiitische Lager, vom Iran angeführt, schließt die
Schiiten im Irak, die Hisbollah im Libanon und die Huthis im Jemen
ein (Netanjahu schließt aus Ignoranz oder Propagandagründen die
Hamas, die Sunniten sind, in seinem Lager mit ein.)
Das entgegengesetzte
sunnitische Lager schließt Saudi-Arabien, Ägypten und die
Golfstaaten ein. Netanjahu deutet darauf hin, dass Israel jetzt im
Geheimen von ihnen als Mitglied akzeptiert worden ist.
Es ist ein sehr
verworrenes Bild. Der Iran kämpft gegen den „Islamischen Staat“ in
Syrien und im Irak, der ein Todfeind Israels ist. Der Iran
unterstützt das Assad Regime in Damaskus, das auch von der Hisbollah
unterstützt wird, die gegen den „Islamischen Staat“ kämpft, während
die Saudis andere extreme sunnitische Syrer unterstützen, die gegen
Assad und den „Islamischen Staat“ kämpfen. Die Türkei unterstützt
den Iran und die Saudis, während die Saudis gegen Assad kämpfen und
so weiter…
Ich bin von
arabischen militärischen Diktatoren und korrupten Monarchien nicht
entzückt. Ehrlich gesagt, verachte ich sie; aber wenn es Israel
gelingt, ein offizieller Teil der arabischen Koalition zu werden,
wäre es ein historischer Durchbruch, der erste in 130 Jahren des
zionistisch-arabischen Konfliktes.
Doch alle
israelischen Beziehungen mit arabischen Ländern sind geheim, außer
jenen mit Ägypten und Jordanien, und selbst diese beiden sind nur
kalte und distanzierte Beziehungen - eher zwischen den Regimen
-doch nicht zwischen den Völkern.
Befassen wir uns mit
den Fakten: kein arabischer Staat will mit Israel eine offene und
enge Kooperation eingehen, bevor nicht der
israelisch-palästinensische Konflikt beendet ist. Selbst Könige und
Diktatoren können sich das nicht leisten. Die Solidarität ihrer
Völker mit den unterdrückten Palästinensern ist zu tief.
Wirklicher Friede mit
den arabischen Ländern ist unmöglich ohne Frieden mit dem
palästinensischen Volk, wie Frieden mit dem palästinensischen Volk
unmöglich ohne Frieden mit den arabischen Ländern ist.
Wenn es jetzt eine
Chance gibt, einen offiziellen Frieden mit Saudi-Arabien und den
Golfstaaten zu schließen und den kalten Frieden mit Ägypten in einen
wirklichen zu verwandeln, dann sollte Netanjahu sich darauf
stürzen. Die Bedingungen für ein Abkommen liegen bereits (seit 2002)
auf dem Tisch: der Saudi-Friedensplan, auch der Arabische
Friedensplan genannt, der vor vielen Jahren von der Arabischen Liga
adoptiert wurde. Er gründet sich auf die Zwei-Staatenlösung des
israelisch-arabischen Konfliktes.
Netanjahu könnte sich
vor der ganzen Welt rühmen, dass er es wie „De Gaulle mit Algerien
macht – Frieden mit der sunnitisch-arabischen Welt, was die
Schiiten zwingen würde, es den andern gleich zu tun.
Glaube ich das? Nein.
Aber wenn Gott es will, kann sogar ein Besenstiel schießen.
Und am Tag des
jüdischen Passah-Festes, an dem Juden an den Auszug aus Ägypten
denken, erinnern wir uns selbst daran, dass Wunder tatsächlich
geschehen.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)