Busharon: der Countdown
Uri Avnery, 15.5.04
Die seltsame Kreatur, mit
Namen Busharon , befindet sich ernsthaft in Schwierigkeiten.
Der vordere Teil dieses
Tieres – George W. Bush – ist wegen der Nacktaufnahmen in Schwierigkeiten.
Nicht nur die der unglücklichen irakischen Gefangenen mit der eifrigen auf
deren Genitalien zeigenden Soldatin, sondern auch von Bush selbst, dessen
Blöße alle wahrnehmen.
Derjenige, der das
irakische Volk vor einem grausamen Tyrannen errettet hat, der „tapfere“
Führer, der Mesopotamien mit der Demokratie beschenken wollte, der
Vertreter der westlichen, gegen Barbarei kämpfenden Zivilisation – hat
sich nun selbst als grausamer Barbar entlarvt.
Lassen wir uns nichts
vormachen: Dies ist nicht die Sache von ein paar männlichen und
weiblichen Sadisten, die sich zufällig an ein und demselben Ort befanden.
Es ist bereits klar, dass es eine systematische Misshandlung der
Gefangenen gab – sie nackt zu halten, sie sexuell zu demütigen, scharfe
Hunde auf sie zu hetzen, die sie wahrscheinlich bissen, sie am Schlafen zu
hindern, sie lange Zeit in schmerzhaften Stellungen gefesselt zu halten,
ihre Köpfe in stinkende Säcke zu stecken, sie mit dem Tod durch
elektrischen Strom zu bedrohen – all dies wurde photographiert. Es ist
kaum daran zu zweifeln, dass mit solch einer Einstellung gegenüber
Gefangenen noch schlimmere Folter angewandt wurde, die aber nicht
fotografiert wurde.
Inzwischen ist ziemlich
deutlich geworden, dass dies als Standardverfahren angewandt wird, um
Gefangene „weich“ zu machen. Nicht nur im Gefängnis, nicht nur in allen
Gefängnissen des Irak, sondern auch in Afghanistan, auf der Teufelsinsel
Guantanamo und all den anderen Orten, an denen sich solche wehrlosen
Opfer befinden – die meisten von ihnen unschuldige, zufällig aufgelesene,
ins Gefängnis geworfene Leute. Das heißt: es war eine
Verfahrensangelegenheit, die von höchster Stelle kam.
Die Soldaten und
Soldatinnen, die sich so happy in diesen pornographischen Szenen
fotografieren ließen, sind abscheulich; aber jeder, der mit militärischem
Leben vertraut ist, weiß, dass dies keine Privatinitiative war. Solche
Taten können nicht auf längere Zeit mit Hunderten aufgenommener Bilder
weiter ausgeführt werden, ohne dass die ganze Befehlskette daran beteiligt
ist.
Jeder gemeine Soldat wird
vom Geist seines Kommandeurs beeinflusst, mindestens bis zur Stufe des
Brigadechefs. Dieser Kommandeur wiederum wird vom Geist seines
Vorgesetzten bis einschließlich des Generalstabschefs beeinflusst. In
diesem Fall – und dies ist bewiesen – kannten die Pentagonchefs und der
Verteidigungsminister die Fakten schon lange vorher. Der nachforschende
General fand keinen geschriebenen Befehl – aber solche Befehle werden
immer mündlich gegeben und manchmal durch eine bloße Geste oder nur mit
einem Wink.
Diese Soldaten, von denen
die meisten aus anständigen Familien kommen, benahmen sich wie der Pöbel
beim Lynchen. Der Hintergrund ist derselbe: Leugnung der Menschlichkeit
der anderen Rasse, die als „untermenschlich“ betrachtet wird. Rassismus
verwandelt die Mitglieder der „Herrenrasse“ selbst in Untermenschen.
George Bush verlor mit
der Veröffentlichung dieser Fotos seine Welt. Er hätte die ganze
Befehlskette entlassen können, vom Verteidigungsminister bis zum
Gefängnisdirektor. Das tat er natürlich nicht.
All die moralischen
Argumente, die diesen Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen versuchten,
sind zusammengestürzt. Keine Demokratie, keine Befreiung, keine
Zivilisation. Nichts ist geblieben, außer nackter Aggression von zynischen
und grausamen Raubrittern, genau wie die Handlanger von Saddam Hussein.
Sollte mir eine
Prophezeiung erlaubt sein, dann begann in dieser Woche der Countdown des
Endes der Karriere von George W.
Das Hinterteil des Tieres
– Ariel Sharon – steckt auch in großen Schwierigkeiten.
Es begann mit der
Ablehnung des „Einseitigen Trennungs“-Planes durch die Likudmitglieder,
durch einen winzigen Teil der Bevölkerung, der von den Siedlern
manipuliert wird. Seitdem bewegt er sich wie ein Raubtier im Käfig. Unter
seinen Ministern und Parlamentsmitgliedern, (die ans Parteireferendum
gebunden sind,) hat er nicht die Mehrheit. Er ist nicht in der Lage, eine
neue Regierung zu bilden (die Mitlieder der Knesset seiner Partei lassen
dies nicht zu); er ist unfähig, gegenüber Präsident Bush, sein Versprechen
einzuhalten – und macht Bush auf diese Weise lächerlich.
Er schwätzt nun über
„andere Pläne“, die er jetzt schmiede – was an Groucho Marxs Witz
erinnert: „Dies sind meine Prinzipien. Wenn ihr sie nicht mögt, hab ich
noch andere.“
Falls Sharon wirklich
beabsichtigt haben sollte, Gaza zu verlassen, dann hätte er es schnell
und ohne viel Spektakel getan: er hätte sich an einen strengen Zeitplan
gehalten, ohne die Details alle paar Tage zu wechseln. Er hätte in diesen
Plan die Evakuierung der „Philadelphi Achse“ eingeschlossen, eines
schmalen Streifens von kaum hundert Metern Breite zwischen Gaza und
Ägypten, der fast jeden Tag menschliche Opfer kostet.
Eine Woche nach dem
Likudreferendum ereigneten sich zwei schreckliche Explosionen. Ein
gepanzertes Fahrzeug, das eine große Menge Sprengstoff transportierte,
fuhr nach Gazastadt hinein, um dort Gebäude in die Luft zu jagen. Es wurde
von einer am Straßenrand von palästinensischen Guerillas versteckten Bombe
getroffen. Es explodierte und riss sechs Soldaten in Stücke. Am nächsten
Tag passierte dasselbe noch einmal auf der „Philadelphi Achse“: ein
gepanzerter Wagen voller Sprengstoff war dorthin geschickt worden, um
Tunnels unter der Grenze zu zerstören. Er wurde von einer
palästinensischen Rakete getroffen und explodierte mitsamt seinen 5
Mannschaftsmitgliedern.
Die Macht von jeder der
beiden Explosionen war so stark, dass die Leichenteile über Hunderte von
Metern zerstreut wurden. Das ganze Land sah im Fernsehen, wie israelische
Soldaten auf allen Vieren krochen und den Sand mit bloßen Händen
durchkämmten, um die Leichenteile ihrer Kameraden aufzusammeln. Die Medien
wetteiferten bei der Orchestrierung einer nekrophilen Hysterie mit
endlosem Gerede über „Leichenteile“, unterbrochen von Beerdigungen.
Es war unmöglich, die
direkte Verbindung zwischen der Ablehnung des Rückzugs durch das
Likud-Referendum und dem Tod der Soldaten zu übersehen. Dies wurde vom
Schauspieler Shlomo Wishinsky, dessen Sohn Lior im zweiten Fahrzeug
getötet wurde, auf sehr einfache Weise zum Ausdruck gebracht: er machte
die Mitglieder des Likud für den Tod seines Sohnes verantwortlich.
Es war das erste Mal,
dass die israelische Öffentlichkeit das wahre Bild von Gaza sah: kein
„Terror“, keine „Terroristen“, sondern einen klassischen Guerilla-Krieg,
an dem die ganze Bevölkerung gegen die Besatzungskräfte teilnimmt. Heute
ist es Gaza – morgen die Westbank.
In solch einem Kampf
können wir nicht gewinnen. Man kann Palästinenser en masse töten, ganze
Stadtteile zerstören, wie es im Augenblick geschieht. Aber man kann nicht
gewinnen. Langsam begreift dies die Öffentlichkeit. Die „zionistische
Linke“ – so scheint es – wacht aus ihrem vier Jahre dauernden Koma auf.
Israel will den
Gazastreifen verlassen, wie es den „Sicherheitsstreifen“ im Libanon
verließ.
Die Ähnlichkeit zwischen
den beiden Streifen ist so offensichtlich, dass banale Schlagzeilen es in
allen Medien verkünden.
Sollte mir eine zweite
Prophezeiung erlaubt sein, dann beginnt in dieser Woche der Countdown des
Endes der Karriere von Ariel Sharon.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert) |