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Operette in fünf Akten
Uri Avnery, 12.April 2012
DER ZAUBERMEISTER hat noch ein Kaninchen aus dem
Zylinder gezogen. Ein sehr lebendiges Kaninchen.
Er hat jeden verblüfft, einschließlich den Führer
aller Parteien, die politischen Topexperten und seine eigenen
Kabinettsminister.
Er hat auch gezeigt, dass sich in der Politik –
buchstäblich – alles über Nacht ändern kann.
Um 2 Uhr nachts war die Knesset sehr damit
beschäftigt, die letzten Korrekturen an einem Gesetz zu machen, um
sich selbst aufzulösen – and damit die Hälfte ihrer Mitglieder in
die politische Vergesslichkeit zu schicken..
Um 3 Uhr nachts gab es eine riesige neue
Regierungskoalition. Keine Wahlen. Vielen Dank.
Eine Operette in 5 Akten.
ERSTER AKT: alles ist still. Allgemeine
Meinungsumfragen zeigen, dass Binjamin Netanjahu die absolute
Kontrolle hat. Seine Popularität nähert sich 50%, kein anderer
nähert sich auch nur den 20% .
Die größte Partei in der Knesset, Kadima, sinkt bei
den Umfragen von 28 Sitzen auf elf; alle Anzeichen deuten
daraufhin, dass sie weiter sinken wird. Ihr neuer Führer, der
frühere Stabschef Shaul Mofaz hat sogar noch weniger Chancen als
Kandidat für den Ministerpräsidentenposten..
Netanjahu konnte sich auf dem Dach seiner Luxusvilla
sonnen und gelassen in die Zukunft schauen.
ZWEITER AKT: Plötzlich verdunkeln Wolken den Himmel.
Der Oberste Gerichtshof, der von einem neuen
Präsidenten– von den Siedlern und der extremen Rechten bevorzugt –
geleitet wird, trifft eine Entscheidung: ein neuer Ortsteil der Bet-
El-Siedlung muss innerhalb von zwei Wochen demoliert werden. Kein
Wenn und Aber, dies ist eine entgültige Entscheidung. Auch eine
andere Siedlung, Migron, muss innerhalb von zwei Monaten geräumt
werden.
Netanjahu sieht sich verschiedenen verheerenden
Möglichkeiten gegenüber: den Gerichtsbeschluss auszuführen, was
seine Koalition auseinander brechen lassen würde; ein neues Gesetz
zu erlassen, das das Gericht umgehen würde und nicht
verfassungsgemäß wäre; oder das Gericht einfach zu ignorieren, was
das Ende der Demokratie markieren würde – der „einzigen Demokratie
im Nahen Osten“ .
Wie im Buch Hiob folgt eine Katastrophe der anderen.
Die Frist des zeitlich begrenzten Gesetzes, das orthodoxe
Yeshiva-Studenten vom Militärdienst befreit – etwa 7000 in diesem
Jahr – ist abgelaufen, und eine überwältigende Mehrheit im Lande
verlangt seine Aufhebung vollständig. Das würde unvermeidbar die
Koalition zerbrechen
Und dann geschieht etwas Erstaunliches. Netanjahu
kommt zur Eröffnungsversammlung der neuen Likud-Konferenz. Diese
Konferenz ist traditionell eine stürmische und chaotische Szene,
die der in der römischen Arena in alten Zeiten ähnelt. Netanjahu
ist ein Meister dieser Versammlungen. Auch dieses Mal wird er
herzlich empfangen und erzählt dem Volk live im Fernsehen von den
fabelhaften Errungenschaften seiner dreijährigen Regierungszeit.
Dann stellt er den Antrag zum Vorsitzenden der Konferenz gewählt
zu werden, was ihm die Kontrolle über die Kandidatenliste der
nächsten Wahlen geben würde.
Dann geschieht das wirklich Unglaubliche. Die Hälfte
der Mitglieder springt auf und beginnt gegen ihn zu schreien. Wie
Nicolae Ceausescu bei einer denkwürdigen Gelegenheit, starrt
Netanjahu seine Untergebenen verständnislos an.
Es scheint, als ob bei der letzten
Registrierungsaktion des Likud die Siedler sich gemeinsam darum
bemüht hätten, die Partei mit den eigenen Leuten aufzufüllen. Diese
haben nicht die Absicht jemals den Likud zu wählen ( sie stimmen
für die noch extremere Rechte), sondern sie wollten Netanjahu
erpressen. Da sie früh gekommen sind, füllen sie die viel zu kleine
Halle, in der die Konferenz stattfindet. Da sie alle eine Kippa
tragen, sind sie leicht zu erkennen.
Sie schreien und verlangen die Wahl des Vorsitzenden
durch eine geheime Abstimmung. Netanjahu gibt auf und die Konferenz
wird verschoben.
Nach dieser öffentlichen Demütigung, schwört
Netanjahu Rache.
DRITTER AKT: Aus heiterem Himmel verkündet Netanjahu
seine Entscheidung, die Knesset aufzulösen und ruft zu einer
schnellen allgemeinen Wahl auf.
Alle sind platt. Es sind noch anderthalb Jahre vor
dem Ende der legislativen Amtszeit. In einem Umschwung voller Komik
sind es die Oppositionsführer, die gegen die Wahl sind, aber
Netanjahu ist entschieden.
Die Aussichten sind trostlos: ein Sieg Netanjahus,
der einem Erdrutsch gleich kommt, ist unvermeidlich. Es gibt keinen
anerkennenswerten Kandidaten, der für das Amt des
Ministerpräsidenten in Frage kommt. Kadima ist dabei, fast ganz zu
verschwinden. Kleine erwartete Gewinne für Labour sind unbedeutend.
Bei den Umfragen bewegt sich Yair Lapids neue Partei – mit Namen „Es
gibt eine Zukunft“ - bei etwa 10 %. In der nächsten Knesset wird es
keine effektive Opposition geben.
Was die Linke betrifft, so sieht es wie eine
vollkommene Katastrophe aus – weitere vier Jahre mit der
rechts-orthodoxen-Siedler-Koalition.
VIERTER AKT: beneidet von allen, eines
Erdrutschsieges sicher, ist Netanjahu in düsterer Stimmung.
Er ist verpflichtet, mitten in der Wahlkampagne
Siedlungen aufzulösen. In seiner eigenen Partei gewinnt die extreme,
von Siedlern angeführte Rechte an Stärke und gefährdet so seine
Ambitionen, die Partei in die Mitte zu führen. Die Zeitbombe der
orthodoxen Drückeberger, die in der Armee Dienst tun sollen, kann
jeden Moment explodieren.
Und dann kommt wie ein Blitz die fantastische Idee,
die allen den Teppich unter den Füßen wegziehen wird und eine ganz
neue politische Landschaft entstehen lässt.
Irgendwo liegen da 28 ungenutzte
Kadima-Knessetmitglieder herum, die von einem gierigen Exgeneral
angeführt werden. Alle sehen sich politischer Vergessenheit
gegenüber. Die können für fast nichts gekauft werden – man gibt
ihnen noch anderthalb Jahre politisches Leben; das genügt.
Und siehe da, während eine Gruppe Likudnicks noch in
einem Knesset-Komitee daran arbeiten, einem Gesetz zur Auflösung
der Knesset den letzten Schliff zu geben, unterzeichnet eine andere
Gruppe von Likudnicks ein Abkommen mit Kadima. Die vergrößerte
Koalition umfasst 75% der Knesset. Keiner aus der bestehenden
Koalition geht und 28 neue Mitglieder schließen sich ihr an, das
lässt die Opposition mit nur 26 Mitgliedern zurück ( 8 Labour, 3
Meretz, 7 aus arabischen Parteien, 4 Kommunisten, 4 Nationale
Front).
FÜNFTER AKT: Dies verändert das Bild vollkommen. Der
extrem rechte Flügel außerhalb und innerhalb des Likud haben ihre
Vetomacht verloren, ebenso die religiösen Parteien. Yair Lapid, die
viel versprechende leuchtende Fackel (das ist die Bedeutung seines
Namens) ist dabei, ausgelöscht zu werden, bevor sie wirklich
gebrannt hat.
Während der nächsten anderthalb Jahre kann Netanjahu
tun, was immer er will: den einen gegen den anderen ausspielen, also
nach Wunsch manövrieren . Die linke Opposition ist sogar
ohnmächtiger als zuvor, falls das möglich ist. König Bibi herrscht
absolut.
(Vorläufiges) Ende.
IM ERSTEN AUGENBLICK fürchteten einige, dass die
ganze Übung gegen den Iran gerichtet sei.
Regierungen der nationalen Einheit werden im
allgemeinen in Kriegszeiten aufgestellt. Großbritannien tat dies
1939, Israel 1967. Aber wie fast alle Generäle und Exgeneräle hat
Mofaz den Angriff auf den Iran eindeutig zurückgewiesen. Nun, er
wechselt ja seine Meinungen häufiger als seine Socken.
Die Gelegenheit ist da. Eine überwältigende
Knessetmehrheit wird jede Entscheidung Netanjahus unterstützen.
Barak Obama wird in der Mitte seiner entscheidenden Kampagne für
eine Wiederwahl nicht wagen, zu protestieren. Die Republikaner
werden Netanjahu durch dick und dünn folgen.
(Dies ist eine etablierte strategische Voraussetzung
in Israel. Viele waghalsige israelische Initiativen sind auf den
Vorabend von US-Wahlen gelegt. Der Staat ist 1948 gegründet worden,
als Harry Truman um sein politisches Leben kämpfte. Der Sinaikrieg
fand 1956 statt, als Dwight D. Eisenhower in der Mitte seiner
Wiederwahlkampagne steckte. Dieser Trick schlug übrigens fehl -
Eisenhower war wütend und benötigte keine jüdischen Stimmen und
Geld. Er trieb Israel aus seinen neu erworbenen Gebieten.)
Doch kann mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden,
dass Netanjahus Schritt nichts mit dem Iran zu tun hat – obwohl sein
Antiheld im Iran geboren ist. Mofaz mag nicht wie ein General
aussehen, sondern eher wie ein Händler im Bazar und verhält sich
wie so einer.
Amerikanische Parteipolitiker - jeder Seite - mögen
unverantwortlich klingen, aber wenn vitale US-Sicherheitsinteressen
auf dem Spiel stehen, dann wirkt sich ihr Reden nicht in Aktionen
aus. Selbst auf der Höhe einer Wahlkampagne wird Amerika Israel
nicht erlauben, es in eine weltweite Katastrophe zu stürzen.
Netanjahu hört sich in diesen Tagen immer mehr wie
ein Mann an, der sich mit dieser Realität abfindet. Kein Krieg in
Sicht. Während der ganzen Operette wird der Iran kaum erwähnt. Keine
rauchende Waffe im ersten Akt.
DIE MEISTEN Experten und Politiker auf der Linken
verurteilten den Netanjahu-Mofaz-Pakt als etwas
Verabscheuungswürdiges. „Ein stinkender Trick“ war einer der
moderateren Ausdrücke.
Ich bin kein Partner dieses Aufschreis. Stinkende
Tricks bestimmen das übliche Handeln der Politiker, und dieser ist
nicht schmutziger als viele andere.
Im Großen und Ganzen ist die erweiterte Regierung
moderater und weniger der Erpressung durch Siedler und Orthodoxe
ausgesetzt als die kleinere war. Faschistische Gesetze haben
weniger Chancen, verabschiedet zu werden. Die Position des Obersten
Gerichtshofes ist weniger gefährdet. Was den November betrifft, kann
ein wiedergewählter Obama wirklichen Druck für Frieden ausüben.
Aber die Hauptsache ist, dass die Wahlen verschoben
wurden. Es hängt jetzt von den Friedenspartisanen und denen, die um
soziale Gerechtigkeit kämpfen, ab, die gewonnene Zeit zu nützen, um
eine wirkliche politische Kraft aufzubauen, die für ein Test bereit
ist. Nachdem man einer fast sicheren Wahlkatastrophe in die Augen
gesehen hat, müssen sie jetzt zusammen stehen und sich selbst für
den Kampf vorbereiten. Es gibt eine Chance - sie sollte nicht
vergeudet werden.
UND FALLS es jemanden gibt, der das Libretto zur
Operette komponiert – kann er oder sie es gerne tun.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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