Drei Frauen
Uri Avnery, 15.Februar 2014
DIES IST eine
Liebeserklärung. Tatsächlich drei Lieben.
Ich liebe
Achinoam Nini. Ich liebe sie aus der Ferne. Ich bin ihr
niemals begegnet. Ich liebe sie für das, was sie vor ein
paar Wochen tat.
Vor ein paar
Wochen hatte die israelische Organisation der Komponisten
und Schriftsteller ihr einen Preis für ihr Lebenswerk
verliehen. Obgleich sie erst 44 Jahre alt ist, hat sie ihn
sicherlich verdient. Sie ist eine wunderbare Sängerin.
Noa (wie sie
im Ausland genannt wird,) tat etwas sehr Ungewöhnliches: Sie
verweigerte den Preis.
Ihr Grund ein
anderer: der Sänger, Ariel Silber sollte dieselbe
Auszeichnung erhalten.
Noa ist eine
unverblümte Linke. Silber gehört ausgesprochenermaßen zum
rechten Flügel. Ist dies ein Grund, einen Preis abzulehnen?
Durch das
Land ging ein Aufschrei. Wie kann sie es nur wagen? Wie ist
es mit der Redefreiheit? Wie ist es mit der künstlerischen
Freiheit?
Der rechte
Flügel denunzierte sie lautstark. Diesem schlossen sich
viele rechtschaffene Linke an. Es stimmt – sagen sie –
Silber ist ein Rechter, aber die Demokratie verlangt
„Redefreiheit gilt allen“, sogar – und besonders – jenen,
die anstößige Ansichten vertreten.
Sogar der
alte Voltaire wurde in den Streit verwickelt „ich
missbillige das, was du sagst, aber ich würde bis zum Tod
dein Recht verteidigen, es zu sagen.“
WAS HAT
Silber gesagt, das Noa dahin brachte, sich zu weigern, mit
ihm auf demselben Podium zu stehen?
Zuerst wegen
einer Sache: er drückte seinen tiefen Hass gegen
Homosexuelle aus. „Ein Homo zu sein, ist eine Perversion“,
erklärte er und verlangte, dass sie aus der Gesellschaft
ausgestoßen werden.
Nicht nur
sie. Auch alle säkularen Leute. „Die Säkularen haben nichts
zu bieten, außer, dass sie AIDS-krank sind und sich an
nackten Frauen erfreuen. Pfui!“
Schwule,
Lesben und Säkulare sind nicht die einzigen Verdammten. Die
Linken können sogar schlimmer sein. „ Alle Linken sollten
vertrieben und in die Hölle gejagt werden. Sie sind Amalek“.
Wie jeder Jude weiß, hat Gott den Kindern Israels den
Befehl gegeben, alle Amalekiter zu töten, so dass ihr Name
für immer gelöscht sein solle. König Saul, ein
Nationalheld, wurde vom Propheten Samuel vom Thron gestürzt,
weil er nicht alle amalekitischen Gefangenen, Männer, Frauen
und Kinder, getötet habe.
Aber dies ist
nur ein Teil von Silbers Weltanschauung. Er glaubt auch,
dass Yigal Amir, der Mörder von Yitzhak Rabin, sofort aus
dem Gefängnis entlassen werden solle.
Er lobte
Baruch Goldstein, den Siedler, der 29 betende Muslime in der
Hebroner Abrahams-Moschee (von Juden die „Höhle Machpela“
genannt) mordete.
Er
sympathisiert auch mit den Rächern, den Ku Klux
Klan-Siedlern, die nachts rausgehen, um die wehrlosen
arabischen Dorfbewohner zu terrorisieren. Sie tun recht
daran, weil „die Araber nichts wert sind. Sie können nichts
anderes als töten.
Um dem Ganzen
die Krone aufzusetzen, proklamierte Silber:“ Kahane hatte
Recht.“ Rabbi Meir Kahane wurde vom Obersten Gerichtshof
Israels als Faschist verurteilt, und seine „Kach“-Bewegung
wurde verboten – ein fast einmaliges Urteil, was Juden
betraf. Um die Sache abzurunden: Silber schrieb und
komponierte auch ein Lied zu diesem Thema.
Verdient
diese Person den Schutz der Redefreiheit? Juden in aller
Welt verurteilen die französische Regierung, die den
widerwärtigen Antisemiten, der sich selbst Donnedieu M’bala
M’bala (französischer Komiker) nennt, den Erfinder des
Neo-Nazi „grenelle“-Grußes. Aber dieser Demagoge ist ein
Moderater, verglichen mit Silber.
Sollte Noa
auf demselben Podium mit dieser „Gabe Gottes“ erscheinen?“
Oder, wenn sie vor drei Generationen in der deutschen
Weimarer Republik gelebt hätte, zusammen mit einem albernen
Demagogen Adolf Hitler? Und hätten unsere sensiblen
Demokraten sie wegen ihrer Weigerung verurteilt?
NUN ICH
bewundere sie. Ihre Tat war Selbstlosigkeit. Sie brachte ein
großes Opfer mit dem, was sie tat. Sie wird vom ganzen
rechten Publikum boykottiert werden. Sie wird zu Festspielen
von Organisatoren nicht eingeladen, die das große Zittern
bekommen, wenn sie an den Verlust der Regierungszuschüsse
denken.
Ich erinnere
mich, dass vor nur 45 Jahren nach dem Ausbruch der 1.
Intifada eine sehr große Demonstration für Frieden auf dem
Platz stattfand, der später der Rabin-Platz in Tel Aviv
wurde. Praktisch alle Künstler waren dort. Künstler stritten
untereinander um ihr Recht, dort zu erscheinen.
Diese Zeiten
sind seit langem vergangen. Selbst wohl bekannte linke
Künstler sind jetzt ängstlich, ihre Meinung auszudrücken.
Gott bewahre. Es könnte sie in den finanziellen Ruin führen.
Woher fand
Noah den Mut, aufzustehen und sich zu weigern? Ihre beiden
Eltern sind Jemeniten – seltsam genug auch Silvers Mutter
war Jemenitin. In meiner Jugend war sie eine berühmte
Sängerin. Es war eine Regel: Jemeniten – wie alle
orientalischen Juden - tendierten politisch zum rechten
Flügel. Die Lösung des Rätsels mag sein, dass sie in den US
aufwuchs, wo ihr Vater arbeitete. Da sie dort in den 70er
und 80er-Jahren in jüdischen Schulen aufwuchs, hat sie
gewisse Werte aufgenommen.
Ich mag sie.
ICH LIEBE
Anat Kim.
Anat war
Soldatin. Auf Grund ihrer militärischen Pflichten hatte sie
Zugang zu geheimen Dokumenten. Sie kopierte 2000 Dokumente,
die offensichtlich Kriegsverbrechen betrafen, die von
israelischem Soldaten begangen wurden. Sie gab sie einem
Reporter von Haaretz. Die Zeitung veröffentlichte den
geheimen Bericht über einen solchen Vorfall.
Ermittlungs-beamte der Armee entdeckten die Quelle.
Nach fast
zwei Jahren Hausarrest wurde Anat zu einer langen
Gefängnisstrafe verurteilt. Nach einem Revisionserfahren,
wurde diese auf vier Jahre reduziert. Letzte Woche wurde sie
nach zwei Jahren und zwei Monaten im Gefängnis, auf
Bewährung frei gelassen. Ein paar Tage später enthüllte sie
ihre gegenwärtige Meinung in einem Zeitungsinterview.
Es liest sich
gut. Anat ist sehr intelligent und aufmerksam. Die
Beschreibung ihrer Gefängniserfahrung ist lebendig und
faszinierend. Es scheint, dass die Gefängnisbehörden sie
vergleichsweise gut behandelt haben. Bevor sie das Gefängnis
betrat, hatte sie große Angst, geschlagen oder vergewaltigt
zu werden. Doch die Insassen des Frauengefängnisses, wenn
auch meistens primitive Patrioten, achteten nicht auf ihre
verräterische Vergangenheit und mit wenigen Ausnahmen nahmen
sie sich ihrer an. Frauen, die ihre Kinder oder Liebhaber
umgebracht hatten, baten um ihre Mithilfe beim Schreiben von
Petitionen. Anat scheint eine Person mit viel
Einfühlungsvermögen zu sein.
Sie ist
gegenüber Haaretz und dem Reporter verbittert, der. wie sie
annimmt, aus Angst ihr Vertrauen missbraucht hatte. Man
könnte auch gegenüber dem Friedenslager im Allgemeinen
verbittert sein, das so ängstlich war, dass fast keiner
seine/ihre Stimme erhob, um ihre mutige Tat zu verteidigen.
Was mich
traurig machte, ist ihre Reue. Sie erklärt in einem
Interview, es tue ihr leid, was sie getan hat.
Ich bin
davon überzeugt, dass es ihr wegen des hohen Preises, den
sie zahlte, nicht leid tut. Im Alter von 28 Jahren muss sie
ihr Leben neu beginnen, gebrandmarkt als Verräter ihres
Volkes. Vier kostbare Jahre sind ihr gestohlen worden. Sie
weigert sich, auszuwandern. „Warum sollte ich? Dies ist
meine Heimat!“erklärt sie.
Was sie ihre
Tat bedauern lässt, ist die Überzeugung, dass sie sinnlos
war. Sie denkt, dass ungleich den Enthüllungen ihrer
amerikanischen Kameraden Edward Snowden und Chelsea
Manning, die die Welt veränderten, ihre eigene Tat keine
Früchte brachte. Sie hat nichts verändert.
Ich möchte
ihrer Überzeugung widersprechen. Es stimmt nicht. Mutige
Taten wie diese, von engagierten Leuten begangen, sind nie
sinnlos. Sie sind vorbildlich. Sie ermutigen andere. Sie
sagen etwas über das menschliche Gewissen aus. Sie säen eine
Saat. Genau wie das Meer, das aus vielen Tropfen besteht,
bauen sich historische Veränderungen aus vielen
individuellen Taten wie die ihre auf, so bauen viele,
viele Individuen wie sie auf
„Wenn viele
kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte
tun, verändern sie das Gesicht der Erde.“
ICH LIEBE
Daphne Leef.
Sie ist eine
junge Frau – wie Anat, ist sie 28 Jahre alt – die wütend
über die hohe Miete, die von ihr verlangt wird, ein Zelt
nahm und in einer der Boulevards im Zentrum von Tel Aviv
aufstellte, um darin zu leben. Der Protest wuchs spontan und
erreichte eine wie nie zuvor dagewesene Massendemonstration
von 400 000 Leuten.
Die Bewegung
hatte eine Auswirkung auf die Wahlen im letzten Jahr. Yair
Lapid, eine TV-Persönlichkeit, die nichts tat, um den
Demonstranten zu helfen, aber ihren Slogan aufnahm, gewann
viele Stimmen bei der Wahl. Zwei von Daphnis
Mitdemonstranten wurden in die Knesset gewählt. Doch die
Öffentlichkeit hat Daphni selbst vergessen
Ich sprach
nie mit ihr, wenn man von ein paar Worten während einer
Demonstration absieht. Ich kritisierte sie, dass sie große,
nationale Probleme ignoriert, wie die Besatzung, und sich
auf den Preis von Wohnungen und Käse konzentriert.
In dieser
Woche erschien sie wieder – auf der Anklagebank vor Gericht.
Obwohl alle Demonstrationen streng gewaltfrei gewesen
waren, fand in einer von ihnen etwas Stoßen und Schubsen
statt. Die Polizei misshandelte Daphni; ihr Arm war
verletzt. Aber wie gewöhnlich, gab die Polizei Daphni die
Schuld; sie habe Polizisten angegriffen und die öffentliche
Ordnung gestört.
Der Richter
lehnte den Fall ab.
ICH LIEBE
diese drei Frauen, weil sie uns zeigen, dass wir in Israel
junge Leute haben, die ihrem Gewissen gehorchen. Sie machen
uns stolz darauf, Israelis zu sein.
Solange wir
junge Leute dieser Art haben, bereit, für die Demokratie,
Frieden und Gerechtigkeit aufzustehen, Risiken auf sich zu
nehmen und persönliche Opfer zu bringen, hat Israel eine
Zukunft.
Für mich sind
sie das wirkliche Israel.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)