Sharons Haut und Bushs
Flecken
Fragen und Antworten zum Treffen von Bush
und Sharon, April 2004
Uri Avnery , 17.4.04
Frage:
Ist der „einseitige Trennungsplan“, dem Präsident Bush in dieser Woche so
dramatisch zugestimmt hatte, ein Bluff?
Antwort:
Ja und nein. Wenn Ariel Sharon seine Umsetzung vermeiden kann, dann wird
er dies gewiss tun. Er wird ihn umsetzen, wenn es keine Alternative gibt.
Im schriftlichen Plan heißt es, dass er bis Ende 2005 umgesetzt werden
soll – und bis dahin kann sich die Situation im Lande und im Nahen Osten
insgesamt völlig verändert haben.
Auf jeden Fall haben bis jetzt
noch keine Vorbereitungen begonnen. Es gibt keine Antwort auf Dutzende von
Fragen, die im Zusammenhang mit einem sinnvollen Plan noch vor Beginn der
Ausführung gestellt werden. Z.B. Wohin werden die Siedler hingehen? Wie
viel Entschädigung werden sie erhalten? Wer wird den Gazastreifen nach dem
Rückzug verwalten? Wem werden die Häuser und die öffentlichen Gebäude
übergeben? Wie wird die Armee die Evakuierung ausführen? Wohin werden die
abgezogenen Armeekräfte verlegt?
Frage:
Wenn dies der Fall ist, warum hat Sharon den Plan jetzt auf die Agenda
gesetzt?
Antwort:
Dafür gibt es verschiedene Erklärungen, und alle sind wahr.
Nachdem Sharon mehrere Jahre beschuldigt worden war, „keinen Plan zu
haben“ und alt und müde zu sein, ergriff er eine kühne Initiative. Nicht
nur das Land, die ganze Welt spricht über den „Sharon-Plan“. Die Genfer
Initiative ist im Vergleich dazu zur Seite geschoben worden.
Sharon möchte auch die Zeit nutzen, so lange George Bush noch im Weißen
Haus ist, um amerikanische Unterstützung für mehrere Bestandteile seines
wirklichen, langfristigen Planes zu erhalten.
Natürlich möchte er auch Druck auf den neuen Oberstaatsanwalt ausüben,
damit der ihn nicht ( wegen eines Finanzskandals) anzuklagen wagt; denn
dies würde bedeuten, dass er einen historischen Schritt zu Gunsten Israels
sabotieren würde.
Wie immer sind Sharons Erklärungen und Taten dazu bestimmt, den
Erfordernissen des Augenblicks zu entsprechen. Das war so, als er General
war, und so ist es heute, wo er Politiker ist. Er ist eher ein
„taktischer“ als ein „strategischer“ Führer.
Frage:
Hat sich Sharon wirklich geändert? Kann etwa „ein Mohr seine Haut wandeln“
(Jeremia 13,23) ? Kehrt er seiner Lebensaufgabe nun den Rücken ?
Antwort:
Der Mohr hat seine Haut nicht gewechselt. Eine Analyse des Plans, wie er
von Bush gut geheißen und zu guter Letzt den Ministern auch gezeigt
worden war, enthüllt, dass er genau mit dem Plan übereinstimmt, den er
seit Jahrzehnten vorschlägt. Er hat nur ein Stück davon herausgeschnitten
und bietet diesen als up-to-date Plan an.
Und wie sieht der allumfassende Plan aus?
Der maximale Plan ist, alles Land zwischen Mittelmeer und dem Jordan in
einen jüdischen Staat umzuwandeln – ohne nicht-jüdische Bevölkerung. Da
solch eine ethnische Säuberung im Augenblick nicht ausführbar ist, will er
den minimalen Plan ausführen: die Grenzen des jüdischen Staates so weit
wie möglich hinausschieben, ohne weitere arabische Bevölkerung.
Deshalb will er den Gazastreifen mit seinen 1,2 Millionen
palästinensischen Bewohnern los werden. Er hat sich darauf eingestellt,
die 7000 dort lebenden jüdischen Siedler zu evakuieren, um die Siedlungen
auf der Westbank, in denen 250 000 jüdische Siedler leben, zu
konsolidieren.
Sharon will 55% der Westbank an Israel anschließen – den Teil, in dem 80%
der Siedler leben und in dem die arabische Bevölkerung verhältnismäßig
gering ist. Im Plan heißt es: „Es ist klar, dass es in der
Judäa-Samaria-Region Gebiete gibt, die ein Teil Israels bleiben,
einschließlich ziviler Örtlichkeiten, Sicherheitsbereichen und anderen
Orten, an denen Israel zusätzliches Interesse hat (Artikel 1c)*. Diese
Definition kann praktisch alles einschließen.
*(Da der Plan nur auf hebräisch durchgesickert ist, habe ich ihn
übersetzt)
Fast die ganze palästinensische Bevölkerung der Westbank, etwa 2,5
Millionen Bewohner, wird in den restlichen 45 % des Gebietes
zusammengepfercht sein. Dies sind mit dem Gazastreifen etwa 10% des
Landes, das unter britischem Mandat vor 1948 „Palästina“ genannt wurde.
Dieses Gebiet wird eine Art Archipel in einem großen israelischen Meer
sein. Jede „Insel“ wird von den anderen abgeschnitten sein und nur von
israelischen Gebieten umgeben sein. Die Inseln werden künstlich mit neuen
Straßen, Brücken und Tunnels verbunden, um die Illusion eines
„zusammenhängenden, lebensfähigen Staates“ zu schaffen, wie es die
Amerikaner verlangen. Nach dem schriftlichen Plan: „Israel wird die
Transportinfrastruktur in der Judäa-Samaria-Region verbessern, um einen
durchgehenden palästinensischen Transport zu ermöglichen“ (4). In der
Praxis können diese Verbindungen jederzeit innerhalb von Minuten
unterbrochen werden. Gründe lassen sich immer leicht finden.
Sharon ist es gleichgültig, ob diese Ansammlung von Enklaven dann - nach
Bushs Vision - „Palästinensischer Staat“ genannt wird.
Frage:
Welche Verbindung gibt es zwischen diesem und dem „Trennungszaun“?
Antwort:
Der Verlauf des Zauns – der Teil, der schon fertig gebaut wurde, und der
Teil, der in Zukunft gebaut wird – reflektiert dieser Plan genau. Das ist
es, was von Anfang an geplant war . „Israel wird den Sicherheitszaun,
entsprechend den relevanten Regierungsentscheidungen weiterbauen (5c).“
In seinem Brief an Sharon schreibt Bush: „ ....eher eine Sicherheits- als
eine politische Barriere, eher eine vorübergehende als eine permanente.“
Was wohl heißen mag, bis Sharon oder sein Nachfolger anders entscheiden.
Also auf immer.
Frage:
Warum unterstützt die israelische Armee diesen Plan?
Antwort:
Die Evakuierung der Militärkräfte aus dem Gazastreifen und ihre
Umverteilung in die Westbank ermöglicht es ihr, Ressourcen,
Menschenpotential als auch Geld zu sparen. Im Augenblick bewacht eine
ganze Division den Gazastreifen, und viele Bataillone bewachen die
Dutzende von isolierten Siedlungen mitten in der Westbank. Der Plan
erlaubt der Armee, ihre Kräfte rationeller einzusetzen und der Zerstreuung
der Kräfte ein Ende zu setzen, da dies im Gegensatz zur militärischen
Logik ist.
Frage:
Warum ist Sharon damit einverstanden, im Norden der Westbank vier
Siedlungen zu räumen?
Antwort:
Die Amerikaner verlangen eine symbolische Geste, um zu belegen, dass der
Plan sich nicht nur auf den Gazastreifen bezieht.
Tatsächlich hat die Evakuierung der vier kleinen Siedlungen nur
symbolischen Wert. Es ist eine unbedeutende Gegend mit ein paar kleinen
und unwichtigen Siedlungen. Sharons Siedlungs- und Annexionsplan sieht
sowieso die Evakuierung von Dutzenden kleiner Siedlungen in dem Gebiet
vor, das den Palästinensern überlassen werden soll.
Frage:
Was wird im Gazastreifen geschehen, falls Sharon ihn tatsächlich
evakuieren wird?
Antwort:
Die Abtrennung wird eine Täuschung sein. Die direkte Besatzung wird zu
einer indirekten, die viel billiger und wirksamer sein wird.
Nach dem Plan wird der Gazastreifen ein riesiges Gefängnislager werden,
das von allen Seiten abgeschnitten ist. Es wird keinen Hafen haben und
keinen Flughafen und auch von seinem einzigen Nachbarn, Ägypten,
abgeschnitten sein. Man kann den Streifen nur über Israel betreten und
verlassen. Wie jetzt wird Israel in der Lage sein, die Zufuhr von
Lebensmitteln, Rohstoffen, Wasser, Brennstoff, Gas und Strom zu sperren,
auch den Ausgang von Arbeitern und die Ausfuhr von Waren. Israel wird
auch zu jeder Zeit in den Gazastreifen einfallen können, um „Terrorakte zu
verhindern.“
Im
Plan heißt es: „ Israel behält sich die grundsätzlichen Rechte der
Selbstverteidigung vor, einschließlich der Präventivschläge“ (3). Der
Präsident hat nicht nur diesem zugestimmt, sondern in seinem Brief dies
auch auf die Westbank ausgedehnt: „... Kontrolle des Luftraums, der
Territorialgewässer und der Landpassagen der Westbank und des
Gazastreifens wird fortgesetzt.“ Das bedeutet, dass nach der „Bushvision“
auch der „Palästinensische Staat“ ein Gefängnislager sein wird – völlig
von der Welt abgeschnitten. Tatsächlich, eine hoffnungsvolle Vision!
Im
geschriebenen Text des Planes wird auch dargelegt, dass in der neu
geschaffenen Situation keiner Israel die Verantwortung für das
Wohlergehen der Bevölkerung geben kann. Schließlich wird ja die Besatzung
beendet sein. Das bedeutet, Israel ist in der Lage, den Streifen
abzuwürgen, die Verantwortung aber fällt auf andere.
Frage:
wenn dies so „gut für Israel“ sein soll, warum lässt Sharon die
Evakuierung nicht sofort vollziehen?
Antwort:
Kein Politiker mag Unannehmlichkeiten. Die Evakuierung des Streifens wird
gewalttätige Zusammenstöße mit den Siedlern nach sich ziehen, nicht nur
mit den lokalen, sondern auch mit denen aus der Westbank. Darum zieht es
Sharon vor, über den Rückzug zu reden, als ihn ausführen zu lassen.
Frage:
Wenn Sharon denkt, dass die Siedlungen im Gazastreifen eine Bürde sind,
warum hat er sie dann dort an erster Stelle hingesetzt? Warum erklärte er
vor noch nicht langer Zeit, dass Netzarim, eine völlig isolierte Siedlung
mitten im Gazastreifen, so wichtig wie Tel Aviv sei ?
Antwort:
Diese Erklärung dient wie all seine anderen Äußerungen nur dazu, einem
momentanen Bedürfnis zu dienen.
Die Siedlungen im Gazastreifen wurden ohne viel Überlegung dort
aufgebaut, als Folge einer Siedlungsbauautomatik und unter völliger
Nichtbeachtung der Palästinenser. Die verantwortlichen Leute glaubten,
dass der Streifen niemals zurückgegeben würde, und wenn es zum schlimmsten
käme, sie wenigstens die Siedlungen behalten könnten.
Die Errichtung der Siedlungen im Gazastreifen war ein Verbrechen, das viel
Blut und Milliarden von Dollar kostete. Die Arbeiterpartei ist für dieses
Verbrechen genau so verantwortlich wie der Likud. Aber Israelis vergessen
schnell, und keiner wird Sharon oder Peres die Schuld für den Tod der
Soldaten und Siedler geben, die dort für nichts getötet wurden oder noch
getötet werden .
Fragen:
Wenn der Mohr seine Haut nicht gewechselt hat, hat dann der Leopard seine
Flecken geändert? Hat sich die amerikanische Position diese Woche
tatsächlich dramatisch verändert?
Antwort: Der Wechsel liegt vor allem in der eklatanten und eindeutigen
Unterstützung Sharons von Bushs Seite, der alle Vorspiegelungen, ein
ehrenhafter Makler und Vermittler zu sein, aufgegeben hat. Wie Sharon
ignoriert nun auch Bush das palästinensische Volk und seine Führung. Dies
hat unter den Palästinensern und in der ganzen arabischen Welt einen
Wutausbruch verursacht. Aber was den realen Inhalt betrifft, so ist die
Änderung minimal.
Frage:
Ist die Ablehnung des „Rechtes auf Rückkehr“ nicht eine große Änderung?
Antwort:
Nicht wirklich. Präsident Clinton erklärte in seiner letzten offiziellen
Rede ( 8.1.2001): „eine Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge wird
ihnen erlauben, in einen palästinensischen Staat zurückzukehren ...
andere, die entweder in ihrem augenblicklichen Ort oder in einem 3. Land
ein neues Zuhause finden wollen, sollen mit dem Einverständnis jenes
Landes dazu in der Lage sein. Und das schließt Israel ein.“ Das bedeutet,
dass allein Israel entscheidet, ob Flüchtlingen erlaubt wird, sein
Territorium zu betreten – und das ist es, was auch Bush sagte. Im
Gegensatz zur offiziellen Übersetzung seines Briefes ins Hebräische, sagte
Bush, dass die Flüchtlinge eher im palästinensischen Staat als in Israel
angesiedelt werden sollen ( die hebräische Übersetzung lautet: „und nicht
in Israel“ - ein subtiler aber nicht unwesentlicher Unterschied)
Am
Vorabend von Sharons Abfahrt zum Treffen mit Bush, veröffentlichte die
Genfer-Initiativ-Gruppe einen Brief an Sharon, in dem sie die USA
auffordert, „Israels Recht der Entscheidung anzuerkennen, ob
palästinensische Flüchtlinge sein Territorium betreten dürfen.“ Auch dies
bedeutet dasselbe.
Frage:
Aber hat Bush jetzt nicht zum ersten Mal die Einverleibung der
Siedlungsblöcke nach Israel gut geheißen?
Antwort:
Nein. Clinton hat auch dies vor ihm getan. In derselben Rede hat er die
„Einverleibung der Siedlungsblöcke in Israel“ gutgeheißen. Bush
seinerseits schrieb in seinem Brief, dass es angesichts neuer Tatsachen,
einschließlich schon existierender, größerer israelischer
Bevölkerungszentren, unrealistisch sei, eine vollständige Rückkehr zu der
Vor-1967-Grenze, der Grünen Linie, zu erwarten.
Alle amerikanischen Pläne, die auf die Nixon-Jahre zurückgehen, sprechen
über „unwesentliche Änderungen“ dieser 1967-Grenze. Der berühmte Beschluss
242 des UN- Sicherheitsrats verlangte auch nicht, dass die frühere Grenze
ohne Änderung wieder hergestellt werden solle. Bushs Formel setzt diese
Linie fort. Er sprach die Ausmaße der anvisierten Grenzveränderungen nicht
an.
Es
ist aber der Mühe wert, daran zu erinnern, dass die ganze Idee mit den
„Siedlungsblöcken“ vor Jahren dem phantasievollen Hirn von Yossi Beilin
entsprungen ist und im Beilin-Abu Mazen-Abkommen enthalten ist. Beilin
hoffte, dass er damit die Opposition der Siedler entwaffnen würde, die die
isolierten Siedlungen opfern würden, um die Siedlungsblocks zu retten, in
denen 80% der Siedler leben. Diese Hoffnung hat sich als falsch erwiesen,
und Beilins Trick diente nur dazu, die Idee der Annexion der Blöcke zu
legitimieren. Die Siedler durchschauten den Trick, weil sie einen
Präzedenzfall fürchteten, der dadurch geschaffen würde, wenn nur eine
einzige Siedlung geräumt würde. Dies wollen sie mit allen Mitteln
verhindern.
Übrigens wurde Sharon im selben Statement, das von der
Genfer-Initiativ-Gruppe vor seinem Abflug veröffentlicht wurde,
aufgefordert, von Bush „ die Annexion der zentralen Siedlungsblöcke wie
Gush Etzion, Maale Adumin und Givat Ze’ev in Israels Herrschaftsgebiet“
zu verlangen.
Da
gibt es natürlich einen Unterschied: Beilin und Clinton schlugen
„Landtausch“ vor, entweder 1:1 oder zu einem weniger gleichen
Verhältnis. Aber es war klar, dass von den Palästinenser verlangt wurde,
dass sie ihr fruchtbarstes Land hergeben und dafür einen Streifen Wüste
erhalten sollten.
Frage:
Wenn es so ist, wo ist dann die dramatische Änderung?
Antwort:
Das Drama liegt weniger in den Noten als in der Melodie. Clinton hat seine
Vorschläge, die klar pro-Israel waren, mit Honig bestrichen. Bush
wiederholte diese Positionen in einem grellen, rauen und arroganten Ton.
Er spricht über die Palästinenser im Stil eines Militärgouverneurs – genau
wie Sharon.
Frage:
Wenn dem so ist, wie werden die Folgen aussehen ?
Antwort:
So weit es die Amerikaner betrifft, wird der muslimisch-arabische Zorn
gegen sie noch stärker werden und die Motivation, den Amerikanern im Irak
und anderswo zu schaden, wachsen.
Warum tat er dies dann?
Henry Kissinger hat einmal gesagt, dass Israel keine Außen- sondern nur
Innenpolitik betreibe.
Das trifft auch für die USA zu. In dieser Angelegenheit handelt Bush nur
mit dem Blick auf seine Wiederwahl. Er benötigt die jüdischen Stimmen
und die der evangelikalen Christen, die den israelischen rechten Flügel
unterstützen. Er benötigt auch die jüdischen Spenden.
Es
wird gesagt, dass Bush derjenige amerikanische Präsident sei, der am
meisten pro-Israel eingestellt sei. Ich denke, dass das Gegenteil stimmt.
Ich bin davon überzeugt, dass er derjenige ist, dessen Einstellung am
meisten anti-israelisch ist, weil der Sharon-Bush-Plan den Weg zum
israelisch-palästinensischen Frieden, der einzigen Hoffnung für ein
normales Leben, blockiert.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Alle deutschen Texte von
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