2. 9. 2018
Schach
mit Arafat - Zum Tod des israelischen Journalisten und
Friedensaktivisten Uri Avnery. - Uri Avnery, einer der ersten
Israelis, die sich für einen palästinensischen Staat aussprachen,
ist tot. Robert Fisk, der ihn persönlich kannte, schreibt von seinen
Begegnungen mit diesem streitbaren, unermüdlichen, mutigen
israelischen Linken - ein Nachruf, der keiner sein soll.
Uri Avnery - einer meiner wenigen Helden im Mittleren Osten - Robert
Fisk - Irgendwie passte es, dass mir einer von Israels
entschiedensten Gegnern, der libanesische Drusenführer Walid
Jumblatt, als Erster von Avnerys Tod berichtete. Eine Legende, die
die traurige Nachricht über eine andere Legende überbringt – ein
Sozialist, der um einen Genossen zu trauern beginnt und sein Beileid
>>>
Texte von Uri Avnery >>>
VIDEO - Farewell ceremony from Uri Avnery
25. 8. 2018
Der israelische
Friedensaktivist, der die feindlichen Linien überschritt und
Generationen prägte
Adam
Keller - 22. August 2018
Adam Keller arbeitete 50 Jahre lang Seite an Seite mit Uri
Avnery. Er erinnert sich daran, dass Avnery gehofft hat, ein
israelischer und ein palästinensischer Präsident werden sich einmal
herzlich umarmen.
Uri Avnery (Yossi Gurvitz)
Wie soll ich in wenigen Worten 50 Jahre politischer Partnerschaft
zusammenfassen, die zugleich eine innige Freundschaft mit dem
Menschen war, der den stärksten Einfluss auf mich ausübte?
Alles begann im Sommer 1969. Als Vierzehnjähriger aus Tel Aviv sah
ich in dem Sommer, der zwischen meiner Grundschulzeit und meiner
Zeit in der weiterführenden Schule lag, eine Anzeige in der Zeitung
HaOlam HaZeh („diese Zeit“): Für das Wahlbüro der Partei HaOlam
HaZeh – Koah Chadasch („Neue Kraft“) wurden ehrenamtliche Helfer
gesucht. Ich ging hin. In einem kleinen Büro im Untergeschoss in der
Glickson-Straße traf ich drei Jugendliche an, die Werbebroschüren in
Umschläge steckten. Bis heute trägt mich der Geruch von frisch
Gedrucktem in diese Zeit zurück. Zwei Stunden später hörten wir
draußen ein Geräusch. Der Knesset-Abgeordnete Uri Avnery, der Mann,
dessen Artikel uns ursprünglich in dieses Büro gelockt hatten, kam
herein. Er kam von einer Wahlveranstaltung in Rischon LeZion zurück.
Er wechselte ein paar Worte mit uns Ehrenamtlichen, dankte uns für
unsere Hilfe und ging mit seinen Helfern in einen Versammlungsraum.
Damals bewog mich nicht Uri Avnerys Meinung über das Thema Palästina
dazu, für den Wahlkampf zu arbeiten. Meine eigne Meinung über das
Thema war noch nicht vollkommen ausgereift. Erst zwei Jahre zuvor,
im Juni 1967, hatte ich mit vielen anderen daran teilgenommen, die
Tatsache zu feiern, dass Israel sich in „neue Gebiete“ ausgedehnt
hatte. Damals dachte ich nicht im Traum daran, dass ich schließlich
den größten Teil meines Lebens damit verbringen würde, dafür
einzutreten, dass sich Israel aus diesen Gebieten zurückziehen
solle. Uri Avnerys Partei zog mich hauptsächlich deshalb an, weil
sie eine junge, frische politische Partei war, die die alten,
verfaulten Establishment-Parteien infrage stellte, und weil sie sich
gegen religiösen Zwang wandte und sich für die Trennung von Religion
und Staat einsetzte, öffentlichen Verkehr am Schabbat und die
Zivilehe. (...)
Das Ende: Freitag, der 3. August 2018. Ich bin jetzt 63 Jahre alt.
Als jahrelanger politischer Partner bekomme ich Uri Avnerys
wöchentlichen Artikel jeden Freitag. Im Artikel dieser Woche
schreibt er über das jüdische Nationalitätsgesetz und Israels
nationale Identität: ist sie jüdisch oder israelisch? Er tritt
entschieden dafür ein, sie sei israelisch. Wie schon oft zuvor
schrieb ich ihm eine eMail, in der ich den Inhalt des Artikels
kommentierte und einige grundsätzliche Einwände erhob. Er schlug mir
vor, dass wir das nächste Mal, wenn wir uns träfen, darüber
diskutieren sollten. Ich fragte nach seiner Meinung über den Protest
gegen das Nationalitätsgesetz, das die Drusen-Gemeinschaft für den
folgenden Tag organisiert hatte. Er sagte, er sei überzeugt, die
Demonstration werde sich nicht auf die Ausnahmestellung der Drusen
in der israelischen Gesellschaft oder auf die einzigartigen Rechte
konzentrieren, die ihnen zugestanden werden, weil sie Militärdienst
leisten, sondern bei der Demonstration werde es um das Grundprinzip
der Gleichstellung aller Bürger gehen. >>>
Meine Geschichte mit Uri -
Ingrid
von Heiseler - Der Anfang unserer Geschichte ist eine
Geschichte ohne die Person Uri. Wann er mir zum ersten Mal seinen
Wochenartikel direkt geschickt und dann meine Übersetzung korrigiert
hat, kann ich mich leider nicht mehr erinnern (und auch das
Gedächtnis meines Computers reicht nur bis 2014 zurück). Seit
Februar 2012 bekam ich die Texte von der Website, die auf eine Probe
von mir hin zu meinen Übersetzungen übergewechselt war. Ich
meinerseits wechselte dann im Juli 2013 zur Website lebenshaus-alb.
Michael Schmid hatte gefragt, ob er meine Übersetzungen bringen
dürfe. Ich tauchte also einmal wöchentlich in Geschichte, Leben und
Politik Israels ein. Ich lernte und freute mich an der liebevollen
Ironie der Texte. Wie werden sie und die freundlichen Mails mir
fehlen!
Im November 2016 flog
ich zum ersten Mal nach Tel Aviv. Ich wollte Uri persönlich
kennenlernen. Er lud mich an einem Schabbat in seine Wohnung ein.
„Am Schabbat fahren keine Busse!“ Den Weg von meinem Hotel bis zur
hohen breiten Treppe zur Gordon-Straße rauf führte am Strand lang.
Von dort war es nicht mehr weit bis zu Uris Haus. Später erfuhr ich,
dass er jeden Tag zum Sonnenuntergang zum Strand ging. Ich
klingelte, Uri ließ die Haustür aufgehen und ich fuhr im winzigen
alten Aufzug bis oben zu seiner Wohnung. Er öffnete mir die
Wohnungstür und ich war gleich im großen hellen Wohnzimmer. Von
meinem Sofa aus hatte ich einen freien Blick aufs Meer. Uri schob
sich seinen Sessel heran und wir sprachen etwa eine Stunde lang sehr
intensiv miteinander. Da merkte ich, dass er müde geworden sein
musste. Ich fragte ihn danach und er sagte, nein, nein, er habe nur
noch etwas zu tun. Er brachte mich zum Fahrstuhl und ich hatte
plötzlich das Gefühl, ich könnte ihn zugleich zum ersten und letzten
Mal gesehen haben. Da fragte ich ihn: Darf ich dich in den Arm
nehmen? Ich durfte.
Ganz erfüllt von der
Begegnung ging ich am Strand entlang zurück und ließ den Eindruck
allmählich ausklingen.
Im November 2017 wollte
Uri sich zu seinem täglichen Strandspaziergang mit mir treffen. Ich
fragte ihn, ob ich ihn abholen dürfe. Im Wohnzimmer stand hinter dem
frei im Raum stehenden Sofa ein riesiges frisches Blumenbouquet. Ich
dachte: Das hat ein Bewunderer geschickt. Als ich es ansah, sagte
Uri: Rachel hat Blumen geliebt.
Zum Strand gingen durch
Nebenstraßen, über die wild befahrene HaJarkon-Straße und die lange
breite Treppe runter. Uri sagte: „Ich kann nicht sagen, dass ich
ganz gesund bin – aber ich habe Kraft.“ Er führte mich dann in ein
Strandcafé mit einer langen schmalen Terrasse. Ich sollte mich neben
ihn auf das Sofa setzen, damit wir beide aufs Meer sehen könnten.
Uri sagte, wenn er deutsch spricht, dann bringt ihn das immer in
seine Kindheit zurück. Ihm fielen Lieder von damals ein und wir
sangen ein bisschen. Er singe ja ganz falsch, sagte er, aber das
stimmte überhaupt nicht. Vom Ring des Polykrates kannte er nur eine
Parodie und nicht den Titel, sodass er das Gedicht nicht hatte
finden können. Ich versprach ihm, es ihm gleich vom Hotel aus zu
schicken. Für manche Gelegenheiten hätte ich gerne ein Gedächtnis
wie ein Tonband! Ohne das geht einfach viel zu viel verloren! Eine
schöne junge Schwarze brachte Uri Kaffee und mir Orangensaft und Uri
sagte: Sie ist wahrscheinlich eine von den vielen „Illegalen“ in Tel
Aviv. Wir brachen dann gemeinsam auf. Am nächsten Tag sollte Uri in
Jerusalem an einem Film über ihn mitwirken. Vor dem Café trennten
sich unsere Wege und wir gingen in entgegengesetzten Richtungen
auseinander. Dieses Mal hatte ich nicht das Gefühl, wir würden uns
niemals wiedersehen – stattdessen fasste ich schon da den
Entschluss, im nächsten Spätherbst wieder nach Tel Aviv zu fliegen.
Die Mailverbindung mit
Uri funktionierte manchmal nicht gut. Dann sprang Beate von Gusch
Schalom ein. Sie schrieb englisch und ich konnte ihr deutsch
schreiben. Bei meinem ersten Aufenthalt nahmen sie und Adam sich
gleich zweimal Zeit für mich. Wir hatten so viel zu erzählen, dass
wir noch lange im Dunkeln an einem Holztisch auf Holzbänken auf dem
Mittelstreifen eines der Boulevards saßen. Auch im Jahr darauf
trafen wir uns. In diesem Spätherbst werden wir zusammen weinen.
Uri Avnerys Artikel Febr.2012 bis 4.8.2018 >>>
23. 8. 2018
Adam 23.8.2018 - Heute Nachmittag
haben wir zum letzten Mal Abschied genommen. Im Saal, in dem
Uris Sarg aufgestellt war, waren sehr viele Menschen. Fernsehkameras
und Knessetabgeordnete verschiedener Parteien waren da, eine
hochrangige Delegation von Palästinensern und viele Menschen, die
Uri persönlich gekannt oder seine Artikel und Bücher gelesen oder
von ihm gehört hatten. Sehr bewegende Ansprachen und Trauerreden
wurden gehalten. Dann war es vorüber und der Leichnam wurde zur
Verbrennung fortgebracht. Das hatte Uri bereits vor einiger Zeit
festgelegt und vorbereitet. Seine Asche wird von seinen engsten
Freunden am Strand von Tel Aviv, den er liebte, ins Meer gestreut.
Niemals werden wir ihn wieder auf dem Weg zum Strand treffen oder
seine Stimme hören oder einen neuen Artikel von ihm lesen! Aber wir
werden auch ohne ihn seine Arbeit, so gut wir können, fortsetzten,
wie er es sich von uns gewünscht und erwartet hat, denn es ist ja
auch unsere eigene Sache.
Wir danken den vielen, die uns in dieser traurigen Stunde
unterstützt und ihr Beileid ausgesprochen haben. Bitte verzeiht uns,
dass wir nicht allen persönlich danken konnten – die Flut war viel
zu überwältigend. Adam Keller - Beate Zilversmidt - Im Namen
des Gusch-Schalom-Teams
übersetzt von Ingrid von Heiseler
22. 8. 2018
Analyse - Wie der Hauptverfechter der Zweistaatenlösung Uri
Avnery das Fundament für den politischen Dissens in Israel legte
Uri Avnery mag als Politiker und Besitzer einer Zeitung gescheitert
sein, aber er legte das Fundament für einen kämpferischen
Journalismus in Israel und war für die zerbrechliche und begrenzte
Demokratie des Landes unbedingt notwendig - Anschel Pfeffer -
20. August 2018
Uri Avnery, der in der letzten Nacht in Tel Aviv starb, scheiterte
in seiner Berufslaufbahn in deutlich erkennbarer Weise.
Als Journalist hielt er vier Jahrzehnte lang die Wochenzeitung
Ha’Olam Ha’Ze („Diese Welt“) am Leben – die meiste Zeit mit
lebenserhaltenden Maßnahmen. Es gelang ihm nicht, in den Mainstream
zu gelangen: auf dem Höhepunkt der Zeitung wurden tausend Exemplare
verkauft. 1990 verkaufte er die Zeitung an einen rechtsgerichteten
Geschäftsmann, der die Zeitung nach drei Jahren einstellte.
Die politischen Parteien, die er gründete oder denen er beitrat,
waren noch kurzlebiger und die linke Bewegung Gusch Schalom
(Friedensblock), die Avnery 1993 gründete, gibt es zwar noch, aber
sie war niemals besonders einflussreich auf dem Gebiet, auf dem sich
die israelischen Friedensorganisationen drängeln.
Aber Avnery spielte eine wichtige Rolle. Nach fast sieben
Jahrzehnten als Schriftsteller, Journalist und Aktivist hinterließ
er in der israelischen Politik Zeichen mit anhaltender Wirkung, und
zwar stärkere als viele viel erfolgreichere Politiker und
Zeitungsherausgeber jemals in ihrem Leben hinterlassen werden.
Als der Mann, der vierzig Jahre lang Ha’Olam Ha’Ze repräsentierte,
war er nicht nur ein Lehrmeister für eine Generation von
Journalisten - die dann in „respektableren“
Nachrichtenorganisationen arbeiteten – im Hinblick darauf, wie sie
beharrlich die Herrschenden konfrontieren sollten, sondern er setzte
auch über Jahrzehnte hinweg Maßstäbe, die eine große Anzahl anderer
israelischer Medien übernahmen.
Uri Avnery 1923 - 2018-08-21
1923
wurde er als Helmut Ostermann in Deutschland geboren.
1933
wandert er mit seinen Eltern ins Mandatsgebiet Palästina ein.
1948
wird er im Unabhängigkeitskrieg schwer verwundet.
1950
kauft er die Wochenzeitung Ha’Olam Ha’Ze und macht sie zu einer
Anti-Establishment-Publikation.
1965
wird er als Führer der radikalen Bewegung Ha’Olam Ha’Ze- Koah,
Chadasch in die Knesset gewählt.
1982
begegnet er als erster Israeli Jasser Arafat.
1993
gründet er die Friedensbewegung Gusch Schalom.
Der heutige israelische Journalismus ist – weitgehend dank Avnerys
Beispiel - kämpferisch und konträr. Auch wenn viele Journalisten
nicht bei Avnerys Zeitung hätten arbeiten wollen, sondern gute
Bezahlung und guten Ruf in stabileren Einrichtungen vorzogen,
wollten sie doch wie Ha’Olam Ha’Ze-Reporter schreiben. In den 1950er
und 1960er Jahren war es die einzige Zeitung, die seriösen
Enthüllungsjournalismus betrieb. Ihr Angriffsziel war nicht nur die
Mapai (Arbeitspartei)-Regierung und ihre Kumpane in der Wirtschaft,
sondern auch der Sicherheitsapparat – was zwei Jahrzehnte lang
undenkbar gewesen war.
Das Motto von Ha’Olam Ha’Ze war: „ohne Furcht und ohne
Begünstigung“. Die Zeitung hielt sich nicht immer an die
herrschenden Regeln. Avnery beschloss, dem Ministerpräsidenten
Jitzchak Rabin 1977 keinen Schaden zuzufügen, und er war dafür,
Einzelheiten der illegalen Bankkonten des Ehepaars Rabin nicht zu
veröffentlichen (die wurden veröffentlicht, nachdem Dan Margalit,
der seine Berufslaufbahn bei Ha’Olam Ha’Ze begonnen hatte, sie in
Haaretz veröffentlicht hatte).
Aber vor allen anderen hatte Avnerys Zeitung eine heilige Kuh
geschlachtet und damit der neuen Generation israelischer
Journalisten seit 1973 ein Beispiel gegeben. Das war in der Zeit
nach dem Jom-Kippur-Krieg, als auch die übrigen Medien unangenehme
Fragen stellten. Die meisten heutigen Journalisten begannen ihre
Berufslaufbahn, als es Ha’Olam Ha’Ze schon nicht mehr gab, aber
immer, wenn sie versuchen, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen,
haben sie Avnery zu verdanken, dass er ihnen den Weg dazu zeigte.
Während seine politische Laufbahn als Knesset-Abgeordnete
diskontinuierlich war und er zu radikal, zu geradeheraus, zu
selbstbezogen war, um einer der verehrten Führer der israelischen
Linken zu werden, tat er doch mehr als jeder andere dazu, dass die
Zwei-Staaten-Lösung zum akzeptierten Rezept zur Beendigung des
Konflikts zwischen Israeli und den Palästinensern wurde. Als in den
letzten Jahren viele, die ihn bewunderten, den Glauben an die
Zwei-Staaten-Lösung verloren und die Einstaat-Idee zu unterstützten,
lehnte er sie ohne Zögern ab. Er sagte, sowohl Israelis als auch
Palästinenser seien zu „nationalistisch“, als dass ein solcher Staat
in absehbarer Zukunft möglich wäre.
Ein ausländischer Journalist fragte mich heute, warum Avnery so viel
Anerkennung dafür bekomme, dass er die Zwei-Staaten-Lösung
vorangetrieben hat, da die doch schließlich die Grundlage der
ursprünglich 1947 von den UN verabschiedeten Teilungs-Resolution
war. Viele bedenken nicht, dass 1949, nachdem Israels
Unabhängigkeitskrieg vorüber und die meisten arabischen Bewohner des
Mandatsgebietes Palästina in alle Winde zerstreut waren, von einem
künftigen palästinensischen Staat nicht mehr die Rede war. Und zwar
weder in der israelischen Gesellschaft noch auch auf arabischer
Seite. Das Westjordanland wurde von Jordanien und Gaza von Ägypten
beherrscht. Keines der beiden Länder machte Anstalten, die
Souveränität der Palästinenser in ihrem Teil zu unterstützen.
Seit den 1950er Jahren, also lange bevor es auf israelischer Seite –
nicht einmal bei den Linken - Mode wurde, von einem Staat Palästina
zu sprechen, unterstützte Avnery eine Zwei-Staaten-Lösung.
In einer Generation, in der die Palästinenser als von der übrigen
arabischen Nation nicht zu unterscheiden wahrgenommen wurden, war
Avnery auf einer tieferen Ebene die einzige Gestalt in der
israelischen Öffentlichkeit, die Israelis dazu aufrief, die
Palästinenser als eine eigene Nation zu sehen, die neben ihnen
lebte. Und zwar tat er das in seinem zweiten Buch über den
Unabhängigkeitskrieg Die Kehrseite der Medaille. Während sein erstes
Buch In den Feldern der Philister (1948) zum gefeierten Bestseller
geworden war, wurde sein zweites Buch von vielen verunglimpft.
Avnery behauptete, David Ben Gurions Regierung habe versucht, die
Veröffentlichung zu verhindern und das mit Papierknappheit
begründet.
Als Avnery einmal zusammenfassen über sein Leben sprach, sagte er
unter anderem: „Ich wurde niemals verhaftet.“ Aber das geschieht nur
wenigen jüdischen Dissidenten in Israel. Avnery sollte auf andere
Weise eingeschüchtert werden, unter anderem durch Attentate von
anonymen Schlägern. In einer Zeit, in der der Einsatz von Schin Bet
für politische Zwecke der Regierung wieder auf der Tagesordnung
steht, ist es wert, daran zu erinnern, dass der Schin Bet unter Ben
Gurion dafür eingesetzt wurde, Avnery und Ha’Olam Ha’Ze zu
überwachen. Zwei Jahre lang in den späten 1950er Jahren stand der
Geheimdienst sogar hinter der Veröffentlichung von Rimon, einer
konkurrierenden Wochenzeitung, mit der man versuchte, Ha’Olam
Ha’Ze´das Wasser abzugraben.
Avnerys Zeitung gehörte niemals zu den israelischen
Mainstream-Medien. Diese standen, auch wenn sie kämpferisch waren,
für seinen Geschmack dem Establishment zu nahe. Er konnte sich auch
in keine politische Partei einfügen. Er war zu radikal für die
bequeme israelische Linke und er konnte nicht als Mitglied des
anti-zionistischen Lagers betrachtet werden - obwohl er Jasser
Arafat besuchte, als das nach israelischem Recht noch illegal
war -, denn er glaubte nie, dass die Errichtung des jüdischen
Staates ein Übel gewesen sei noch verwarf er dessen
Gründungsprinzipien.
Im letzten Interview, das Avnery den israelischen Medien im April
gab, sagte er: „der Staat Israel wird weitere fünfzig Jahre
bestehen, weil man heutzutage Staaten nicht mehr vernichten kann.
Eine andere Frage ist, ob es ein Staat sein wird, in dem es wert ist
zu leben oder auf den man stolz sein kann.“ Aber er blieb
optimistisch (das ist der Titel seiner Autobiografie). Er glaubte,
dass Israelis und Palästinenser schließlich eine bessere Zukunft
werden aufbauen können.
In einer seiner letzten Kolumnen für Haaretz wies er die Vorstellung
zurück, dass die BDS-Bewegung oder irgend ein anderer Druck von
außen dazu beitragen könnten, den Konflikt zwischen Israel und den
Palästinensern zu lösen. „Ich verwerfe das Argument vollkommen, dass
es nichts gebe, was wir selbst zur Rettung des Staates tun könnten,
und dass wir es Ausländern überlassen müssten, diese Aufgabe an
unserer Stelle zu erfüllen. Israel ist unser Staat. Wir sind
verantwortlich für ihn.“
Avnery wurde niemals verhaftet. Er war zu jüdisch, zu aschkenasisch,
er hatte zu viel von einem Kriegshelden und war zu sehr Teil der Tel
Aviver Gesellschaft. Aber er legte das Fundament für politischen
Dissens wenigstens von Menschen seines eigenen privilegierten Teils
der israelischen Gesellschaft. Schließlich war das sein größter
Beitrag zu Israels zerbrechlicher und begrenzten Demokratie.
Quelle übersetzt von Ingrid von Heiseler
21. 8. 2018
Die Stimme des „anderen
Israel“
Mit Uri Avnery verstarb ein
unermüdlicher und radikaler
Kämpfer für die Versöhnung
mit den Palästinensern und
für einen Frieden im Nahen
Osten
Arn Strohmeyer
Wenn man Israel und seine
inhumane, ja verbrecherische
Politik gegenüber den
Palästinensern scharf
kritisiert, dann darf man
nie vergessen, dass es auch
das „andere Israel“ gibt:
Stimmen der Menschlichkeit
und politischen Vernunft.
Dazu gehörte früher vor
allem der große
Universalgelehrte Yeshajahu
Leibowitz, ein früher Warner
vor der
Besatzungspolitik, der immer
wieder darauf hinwies, dass
Israel mit der dauernden
Okkupation der
palästinensischen Gebiete
zum Polizeistaat werden
würde, außerdem prägte er
den brisanten Begriff
„Nazi-Juden“ für die
orthodoxen Siedler im
Westjordanland.
Heute muss man im
Zusammenhang des „anderen
Israel“ vor allem die Namen
Gideon Levy, Amira Hass,
Ilan Pappe, Avi Shlaim,
Shlomo Sand, Moshe
Zuckermann, Shlomo Sand,
Jeff Halper, David Grossman,
Amos Oz, Eva Illouz und
Daniel Barenboim neben
anderen nennen. Sie alle
stehen für einen
menschlichen und
versöhnenden Kurs der
israelischen Politik, aber
sie sind in der
gegenwärtigen Netanjahu-Ära
einsame Rufer in der Wüste
mitten im sie umgebenden
zionistischen Mainstream.
Ja, sie müssen zur Zeit
damit rechnen, als
„Verräter“ an den Pranger
gestellt zu werden.
Der amerikanisch-jüdische
Publizist und Verleger Adam
Shatz hat 2004 in New York
ein Buch mit dem Titel „Prophets
Outcasts. A Century of
Dissident Jewish Writing
about Zionism and Israel“
herausgebracht (deutsch:
„Prophetische Außenseiter.
Ein Jahrhundert des
Schreibens jüdischer
Dissidenten über den
Zionismus und Israel“).
Darin findet man Texte
großer und bedeutender
jüdischer Intellektueller,
unter anderem von Sigmund
Freud, Martin Buber, Albert
Einstein, Hannah Arendt,
Leon Trotzky, Isaac
Deutscher, Noam Chomsky,
Yeshajahu Leibowitz, Yehudi
Menuhin, Judith Butler, Tony
Judt und Brian Klug. In
dieser auserlesenen
Gesellschaft ist natürlich
auch Uri Avnery vertreten –
mit einem Essay aus dem Jahr
1968 mit dem Titel „Pax
semitica“ aus seinem Buch
„Israel ohne Zionismus. Ein
Friedensplan für den Nahen
Osten“.
Bei diesem Plan handelte es
sich um ein Konzept, die
Semiten des Nahen Ostens –
also Araber und Juden – in
einer Staatengemeinschaft
zusammenzuführen, um so
Annäherung und letztlich
Frieden zwischen den
Todfeinden zu erreichen.
Unnötig zu sagen, dass
dieser Aufruf folgenlos
verhallte – wie andere
Vorschläge von Avnery auch.
Schon 1958 hatte er mit
politischen Freunden ein
„Hebräisches Manifest“
veröffentlicht, das den
Staat Israel aufforderte,
sich als säkulare Demokratie
zu verstehen und als solche
sollte Israel dann vor allem
die Dekolonisierung (also
den Kampf der
Befreiungsbewegungen) in der
„Dritten Welt“ unterstützen.
Auch dieser Vorschlag blieb
ohne Widerhall, was aber
nicht heißt, dass Uri Avnery
mit seinen Anregungen,
Plänen und Warnungen falsch
lag, ganz im Gegenteil. Wie
im Titel von Katz‘ Buch
hatten seine Einmischungen
immer etwas Prophetisches.
Und diese Prophetien waren
keine Phantastereien, sie
enthielten immer einen sehr
realistischen Kern Wahrheit
und eine ebenso realistische
Zukunftsperspektive. Hätte
die israelische Politik sie
befolgt, steckte sie heute
nicht in einer so
aussichtslosen Sackgasse:
Israel ist ein zionistischer
siedlerkolonialistischer
Apartheidstaat geworden, der
keinen Frieden mit seinen
Nachbarn will (oder anders
gesagt: nur einen Frieden zu
seinen Bedingungen) und
ausschließlich auf
militärische Gewalt setzt.
Wie weit der „Prophet“ Uri
Avnery mit seinem
politischen Denken stets
seiner Zeit voraus war,
belegt auch sein Offener
Brief nach dem Krieg von
1967 an den damaligen
israelischen
Ministerpräsidenten Levy
Eshkol, in dem er vor der
dauernden Besetzung der neu
eroberten Gebiete
Westjordanland und
Gazastreifen warnte und
forderte, dort einen
unabhängigen
Palästinenserstaat zu
schaffen. Eshkol warf dieses
Schreiben gleich in den
Papierkorb und hielt Avnery
keiner Antwort für würdig.
Prophetisch war auch sein
früher Kontakt zum
PLO-Vorsitzenden Jassir
Arafat. Über die
Freundschaft, die sich aus
diesem Kontakt entwickelte,
hat er ein Buch geschrieben,
das den bezeichnenden Titel
trägt: „Mein Freund der
Feind“. Man muss wissen,
dass Avnery Kontakt zu
Arafat aufnahm, als in
Israel solche Begegnungen
mit Vertretern der PLO noch
unter Strafe standen. Ohne
diesen Kontakt wäre es
Anfang der 90er Jahre kaum
zu den Oslo-Verträgen
zwischen Israel und der PLO
gekommen – so kritisch man
dieses Abkommen heute auch
sehen muss.
So war Uri Avnery immer ein
„Outcast“ im besten Sinne.
Aus Deutschland, wo er 1923
in Beckum geboren wurde,
musste seine Familie 1933
nach Palästina fliehen. „Der
Zionismus hat unser Leben
gerettet“, schrieb der
später, um gleich
hinzuzufügen: „Ich habe das
niemals vergessen, als ich
später ein Nicht-Zionist (non-Zionist)
und vielleicht sogar ein
Anti-Zionist wurde.“ Daran
änderte auch die kurze
Episode des 17jährigen als
Mitglied in der
zionistischen
Terrororganisation Irgun
nichts, vermutlich hat
gerade diese Zeit ihm die
Augen geöffnet.
Das politische Leben dieses
„Outcast“ hatte noch viele
Stationen: Soldat im Krieg
von 1948 mit schwerer
Verwundung; Gründer und
Herausgeber des wöchentlich
erscheinenden
Nachrichtenmagazins „Haolam
Hazeh“, das dem deutschen
SPIEGEL ähnelte [Avnery war
mit dessen Herausgeber
Rudolf Augstein In Hannover
in dieselbe Klasse des
Gymnasiums gegangen), das
viele politische Skandale in
Israel aufdeckte; als
charismatischer Journalist,
Autor und Redner zog er 1965
auch als Abgeordneter ins
israelische Parlament (der
Knesset) ein – „zu
jedermanns Überraschung, am
meisten zu meiner eigenen“,
wie er schrieb; 1984
gründete er die „Progressive
arabisch-jüdische Liste für
Frieden“, eine politische
Bewegung, in der Araber und
Juden völlig
gleichberechtigt kooperieren
sollten. Es war wieder eine
prophetische Aktion, wenn
man an das jetzt von der
Knesset verabschiedete
„Nationalstaatsgesetz des
jüdischen Staates“ denkt,
das die Diskriminierung der
in Israel lebenden
Palästinenser (20 Prozent
der Bevölkerung) offiziell
festschreibt und Israel
damit zum Apartheidstaat
macht.
Seine letzten Jahre hat
Avnery der Friedensarbeit in
der von ihm gegründeten
Gruppe „Gush Shalom“ und dem
Schreiben gewidmet. In
seiner wöchentlichen Kolumne
und seinen Büchern, die auch
in Deutschland ein großes
Leserpublikum fanden,
kritisierte er die
verhängnisvolle Politik
seines Staates ohne
Scheuklappen und Tabus und
vermittelte dem deutschen
Publikum ein ganz anderes
Bild von Israel, als es in
den zumeist völlig
unkritischen und in dieser
Hinsicht so gut wie
gleichgeschalteten deutschen
Medien vermittelt wird. Und
vor allem wurde er nicht
müde zu sagen: Natürlich
gibt es nach wie vor überall
und auch in Deutschland den
alten Antisemitismus, aber
der Hauptgrund für
Antisemitismus in der Welt
von heute ist die
barbarische Politik Israels
gegenüber den
Palästinensern: „Israel ist
heute ein Labor für die
Schaffung von Antisemitismus
in der Welt“, schrieb er.
Immer wieder hat er auch
versichert, dass er fest
daran glaube, noch zu seinen
Lebzeiten die Schaffung
eines gerechten Friedens in
Palästina zu erleben – und
das war für ihn die
Zwei-Staaten-Lösung. Das war
ihm aber nicht mehr
vergönnt. Dennoch blieb er
was die Zukunft angeht –
sehr erstaunlich in einem
Staat wie Israel! – ein
unerschütterlicher Optimist.
Der von ihm verfasste Satz
„Der Intellekt mag
pessimistisch sein, der
Wille bleibt optimistisch!“
kann als Motto über seinem
ganzen politischen Leben
stehen.
Ich muss in diesem Nachruf
noch ein persönliches
Erlebnis anfügen. Vor
einigen Jahren schaute ich
eines Samstagsnachmittags
auf dem Bremer Marktplatz
einem Straßenkünstler zu –
einem sehr witzigen Clown,
dessen Späße eine große
Menschenmenge angelockt
hatte, die sich im Kreis um
ihn geschart hatte.
Plötzlich erblickte ich auf
der gegenüberliegenden Seite
Uri Avnery und seine Frau
Rachel (er weilte auf
Einladung von Radio Bremen
zu Vorträgen in der Stadt).
Da stand dieser große
„Prophet Outcast“ und bog
sich vor Lachen über die
Possen und den Schabernack
dieses Straßenclowns.
Ich habe mich dann geärgert,
dass ich ihn nicht
angesprochen und um ein
Interview gebeten habe. Aber
ich habe das später
telefonisch nachgeholt. In
diesem Interview sagte
Avnery die prophetischen und
hoch aktuellen Sätze: „Ich
halte den Iran für eine
friedliche Macht, die
Mullahs wollen mit
Sicherheit keinen Krieg, das
kann nicht in ihrem
Interesse liegen. Wenn
Israel aber den Iran
angreifen sollte [was
Netanjahu immer wieder
angedroht hat], wird der
ganze Nahe Osten in Flammen
stehen, und auch die
Existenz Israels wird in
höchstem Maße gefährdet
sein.“ Diese Aussage ist
fast so etwas wie ein
Testament dieses großen
jüdischen Weltbürgers.
- 20.08.2018
Uri Avnery, der führende
linke Publizist Israels,
starb im Alter von 94 Jahren
nach einem Schlaganfall
Abraham Melzer
Uri war ein
Freund und nachdem Felicia
Langer erst vor kurzem von
uns gegangen ist, sind zwei
Stimmen, die seit mehr als
40 Jahren Israels Gewissen
waren, verstummt. Ich werde
sie nie mehr anrufen und um
Rat fragen können.
Avnery wurde in Deutschland
geboren und kam nach dem
Aufstieg Adolf Hitlers zur
Macht, Im Januar 1933, mit
seinen Eltern nach
Palästina. 1938, als er 15
Jahre alt war, schloss er
sich der revisionistischen
Untergrundorganisation
„Etzel“ an (die man auch
Irgun nannte) und blieb dort
4 Jahre. Er verließ den
Untergrund und meldete sich
1948 bei der neu gegründeten
israelischen Armee. Während
seiner Zeit dort schrieb er
Reportagen und Tagesberichte
für die Zeitung Haaretz,
bevor er schwer verwundet
wurde.
Diese Reportagen erschienen
später als Buch und wurden
Bestseller in Israel. Manche
Leser verstanden aber
Avnerys Absicht nicht und
meinten es handelt sich um
ein Heldenepos. So schrieb
er unmittelbar ein zweites
Buch, in dem er über die
Grausamkeiten des Kriegs
berichtete, auch
Grausamkeiten seitens der
jüdisch-israelischen
Soldaten. Dieses Buch wurde
zum damals größten Skandal
im noch jungen Staat. David
Ben-Gurion hat getobt und
dafür gesorgt, dass keine
zweite Auflage erscheinen
konnte, da der Staat kein
Papier zur Verfügung
gestellt hat.
1950 erwarb Avnery die
Wochenzeitung „Haolam Hase“
(Diese Welt) und sein Motto
hier war fortan: Ohne Furcht
– ohne Überheblichkeit.
Damit beschrieb er den Geist
und die Linie seiner
Zeitung. Avnery wurde ein
linker Publizist, der neben
Klatsch und Tratsch und
manchmal Sex, auch
investigativ gearbeitet hat
und viele Affären und
Skandale offenlegte, die das
Leben in Israel stark
beeinflusst haben.
Er war der erste, der offen
die Aufhebung der
Militärverwaltung über die
palästinensischen
Ortschaften gefordert hat,
und die Trennung von
Religion und Staat.
Letzteres ist ihm aber nicht
gelungen. Wegen Uri Avnery
sind in Israel diverse
Gesetze erlassen worden,
deren Ziel es immer wieder
war, ihn und seine Zeitung
zum Schweigen zu bringen.
Und um mitreden und
entscheiden zu können,
wendete er sich der Politik
zu, gründete eine Partei und
wurde in die Knesset
gewählt, wo er 10 Jahre als
Abgeordneter für Unruhe
sorgte. Er wurde oft
ausgepfiffen und zuweilen
gesperrt. Er wurde auch
mehrmals körperlich
angegriffen und verletzt. Er
hatte zwar viele Anhänger,
aber leider noch mehr
Gegner, die sich nicht
scheuten Gewalt anzuwenden.
Nach dem 6-Tage Krieg war
Avnery einer der ersten, der
die Regierung aufgefordert
hat, sich aus den besetzten
Gebieten zurückzuziehen und
die Entstehung eines
unabhängigen
palästinensischen Staates zu
ermöglichen.
Auf dem Höhepunkt des
Libanonkrieges von 1982
schmuggelte er sich in das
belagerte Beirut ein und
traf Jassir Arafat. Darüber
schrieb er sein bewegendes
Buch: Mein Freund – mein
Feind. Mit der Zeit wurde
seine Verbindung zu Arafat,
den er sehr schätze, sehr
eng, und er war auch einer
der wenigen Israelis, die
beim Begräbnis dabei sein
durften.
Avnery war aktiv in mehreren
Gruppen, die eine
israelisch-palästinensische
Zusammenarbeit propagierten.
Er war ein Mitbegründer von
Gush Shalom und ein
glühender Unterstützer der
Idee eines palästinensischen
Staates, das heißt, der Zwei
Staaten Lösung.
Bis zuletzt führte Avnery
seine Arbeit weiter. Er
stand 1999 an der Spitze
einer Delegation, die Feisal
Husseini eine Petition
überreichte, die das Recht
des palästinensischen Volkes
anerkannte, einen eigenen
Staat auf dem Gebiet der
Westbank, Gaza und Ost
Jerusalems zu gründen.
Darüber wird aber bis heute
gestritten. Avnery war gegen
eine Trennmauer und
beteiligte sich an
zahlreichen Demonstrationen
gegen die Errichtung einer
solchen.
2004 erhielt er den
israelischen Sokolov Preis
für hervorragenden
Journalismus. Er kämpfte bis
zuletzt gegen die
israelische Apartheid
Politik und hörte auch nicht
auf seine wöchentlichen
Kolumnen zu schreiben. Er
sagte einmal im Spaß, aber
es war ernst gemeint, dass
wenn irgendwann seine
Kolumne am Freitag nicht
erscheinen wird, dann kann
man davon ausgehen, dass er
tot sei.
Jetzt werden wir seine
wunderbaren, klugen Texte
nicht mehr lesen. Uri ist
tot. In der Geschichte des
Staates Israel wird Uri
Avnery als jemand gedacht
werden, der die Zukunft
vorausgeahnt und den Weg
dorthin, den andere nicht
sahen, aufgezeigt hat. Am
Ende aber, werden die
Netanjahus und wie sie alle
heißen, all seine Gegner,
diesen Weg gehen müssen – da
Israel keine andere Wahl
hat, wenn es überleben will.
Gusch
Schalom: Avnerys Widersacher
werden schließlich doch in
seine Fußstapfen treten
müssen - Gusch
Schalom beklagt und
betrauert den Tod seines
Gründers Uri Avnery. Bis zu
seinem letzten Augenblick
setzte er den Weg fort, den
er seit Jahrzehnten gegangen
war. Am Samstag vor zwei
Wochen brach er in seiner
Wohnung zusammen, als er
gerade im Begriff war, zum
Rabin-Platz aufzubrechen, um
dort an einer Demonstration
gegen das
„Nationalitätsgesetz“
teilzunehmen. Das war ein
paar Stunden, nachdem er
einen scharfen Artikel gegen
dieses Gesetz veröffentlicht
hatte.
Avnery widmete sich ganz und
gar dem Kampf für einen
Friedensschluss zwischen dem
Staat Israel und dem
palästinensischen Volk in
einem unabhängigen Staat. In
gleicher Weise widmete er
sich einem Friedensschluss
zwischen Israel und der
arabischen und muslimischen
Welt. Er kam nicht bis ans
Ende dieses Weges, er hat
nicht mehr erlebt, dass
Frieden geschlossen wird.
Wir – die Mitglieder von
Gusch Schalom ebenso wie
sehr viele andere Menschen,
auf die er direkt oder
indirekt Einfluss ausübte –
werden seine Mission
fortführen und sein
Gedächtnis in Ehren halten.
Am Tag von Uri Avnerys Tod
nahm die am stärksten rechts
gerichtete Regierung, die
Israel in seiner Geschichte
jemals hatte, Verhandlungen
mit der Hamas auf.
Ironischerweise werden jetzt
dieselben demagogischen
Anschuldigungen, mit denen
Uri Avnery überschüttet
wurde, gegen den
Verteidigungsminister
Avigdor Lieberman erhoben.
In die Geschichte des
Staates Israel wird Uri
Avnery als weit
vorausblickender Visionär
eingehen, der einen Weg
wies, den andere nicht
sahen. Es ist das Schicksal
und die Zukunft des Staates
Israel, mit seinen Nachbarn
in Frieden zu leben und sich
in die geografische und
politische Region zu
integrieren, in der es liegt
und zu der es gehört.
Avnerys stärkste Widersacher
werden schließlich doch in
seine Fußstapfen treten
müssen, denn dem Staat
Israel bleibt nun einmal
nichts anderes übrig.
Contact: Adam Keller,
Gusch-Schalom-Sprecher
+972-(0)54-2340749
Quelle Übersetzt von
Ingrid von Heiseler
Uri Avnery mit seiner Frau
Rachel
Uri Avnery" Ich möchte, dass
Israel ein normaler Staat
wird" -
30.04.2015 - Der israelische
Friedensaktivist Uri Avnery
hat die deutsche
Nahost-Politik scharf
kritisiert. "Deutschland
könnte eine wichtige Rolle
spielen für den Frieden
zwischen Israel und
Palästina, tut es aber
nicht, denn sie sind so
extrem proisraelisch", sagte
Avnery im Deutschlandfunk.
Darunter leide das
palästinensische Volk. - Uri
Avnery im Gespräch mit
Birgit Wentzien >>>
Zum Tod von Uri Avnery -
Unermüdlicher
Friedenskämpfer -
Susanne Knaul - Als erster
jüdischer Israeli traf er
1982 Arafat. Sein Ziel: eine
Zweistaatenlösung. Die
Hoffnung auf Frieden gab er
bis zu seinem Tod nicht auf.
Er war gerade 77 geworden,
als Uri Avnery vom
Rednerpult bei einer
Demonstration in Tel Aviv
kundtat, dass er nicht
vorhabe zu sterben, bevor es
Frieden gäbe. Daran
scheiterte er zwar, trotzdem
hinterließ er tiefe Spuren.
Am 20. August starb Israels
unermüdlichster
Friedensaktivist im Alter
von 94 Jahren in Tel Aviv.
Gesundheitlich war er bis
kurz vor Schluss fit, und
auch äußerlich schien er
seit Jahrzehnten kaum
gealtert zu sein. Mit seinen
vollen hellgrauen Haaren und
dem Bart konnte man ihn
schon von weitem erkennen,
wenn er flotten Schrittes
ums Haus spazierte, am
liebsten mit deutschen
Militärmärschen oder
englischen Volksliedern in
den Kopfhörern.
Avnery liebte es, heilige
Kühe zu schlachten, mit
Konformgedanken zu brechen
und bisweilen auch Gesetze
zu ignorieren. Als erster
jüdischer Israeli traf er
1982 noch während des
Krieges zwischen Israel und
dem Libanon den Chef der
Palästinensischen
Befreiungsorganisation
Jassir Arafat in Beirut.
Arafat unterbrach ihn damals
noch mitten im Satz: „Ein
Staat“, so lautete das Ziel
der PLO damals noch. Avnery
war hingegen Zionist. Ihm
schwebte die
Zweistaatenlösung vor:
Israel und Palästina in
friedlicher Nachbarschaft.
>>>
20. 8. 2018
Uri Avnery hat uns
verlassen
geboren am
10. September
1923
gestorben am 19. August 2018
Zum Tod von Uri Avnery -
Radikal bis zum Schluss - Er ging mit Rudolf Augstein
zur Schule, floh vor den Nazis nach Palästina - und kämpfte
erst gegen, dann für die Araber. Der israelische Aktivist,
Politiker und Journalist Uri Avnery lebte ein extremes
Leben. - Von Dominik Peters - Die Erbfeinde des Nahen Ostens
trafen sich im Sommer vor 25 Jahren in einem mondänen
Landhaus in Norwegen. Dort, in einem Waldgebiet am Rande
Oslos, verhandelten hochrangige israelische und
palästinensische Emissäre tage- und nächtelang über das
scheinbar Unmögliche: Frieden.
Am 20. August 1993 war es soweit. Beide Konfliktparteien
einigten sich im Grundsatz darüber, wie ein Wandel durch
Annäherung aussehen könnte. Nun, auf den Tag genau ein
Vierteljahrhundert später, ist einer, der viele Jahrzehnte
seines langen Lebens für den Frieden zwischen Israelis und
Palästinensern gekämpft hatte, gestorben: Uri Avnery. Er
starb wenige Wochen vor seinem 95. Geburtstag in der Nacht
zu Montag in Tel Aviv, nachdem er Anfang des Monats einen
Schlaganfall erlitten und seither im Krankenhaus gelegen
hatte. Dass ausgerechnet Avnery zum Kämpfer für den Frieden
werden und den Alternativen Nobelpreis erhalten sollte, war
nicht von Anfang an klar. >>>
Uri Avnery ist tot -
20. 8. 2018 - Reiner & Judith Bernstein - Uri Avnery
ist tot. Er starb am 20. August nach einer Gehirnblutung in
einem Tel Aviver Krankenhaus. 1923 als Helmut Ostermann
geboren und in Hannover zur Schule gegangen, emigrierte
seine Familie 1933 nach Palästina und ließ sich nach einer
kurzen Übergangsphase in Nahalal – 1915 wurde dort Moshe
Dayan geboren – in Tel Aviv nieder. 1938 schloss sich Avnery
der illegalen „Nationalen Militärorganisation“ (Akronym
„Irgun“) an, um das Recht auf einen eigenen Staat
durchzusetzen: „Wir waren Friedenskämpfer, für die Briten
jedoch Terroristen.“ Drei Jahre später verließ er die
Organisation in der Überzeugung, dass die arabische
Bevölkerung dasselbe Recht auf Unabhängigkeit habe wie die
Juden. Nachdem er den UN-Teilungsplan vom November 1947
abgelehnt hatte, weil er auch Tulkarem, Hebron und Nablus
als seine Heimat ansah, verstand er rasch, dass mit dem
israelischen Unabhängigkeitskrieg, in dem er verletzt wurde,
die Vorstellung der jüdisch-arabischen Koexistenz erledigt
sei. Danach hielt Avnery an der Zwei-Staaten-Theorie fest.
>>>
Uri Avnery ist tot -
20.08.2018 - Ein unermüdlicher Kämpfer für Frieden in Nahost
Hans-Joachim Wiese im Gespräch mit Liane von Billerbeck -
Deutschlandfunk Kultur - (...) Typischer Jecke - "Uri
Avneri war, wenn man so will, der typische Jecke, also der
Deutsche der nach Palästina eingewandert ist", sagte
Redakteur Hans-Joachim Wiese, der mehrere Jahre als
Israel-Korrespondent tätig war im Deutschlandfunk Kultur.
Uri Avnery wurde am 10. September 1923 als Helmut Ostermann
im westfälischen Beckum geboren. Mit zehn Jahren wanderte er
mit seiner Familie nach Palästina aus. 1948 kämpfte er im
ersten Nahostkrieg, wo er schwer verwundet wurde.
In Israel habe Avnery als Jecke keinen leichten Stand
gehabt, sagte Wiese. Ihm sei sein Deutschtum gewissermaßen
vorgeworfen worden, wie vielen anderen Einwanderern aus
Deutschland auch. Politisch wandelte sich Avnery vom
kämpferischen Zionisten zum Friedensaktivisten, schilderte
Wiese das Wirken des Vertorbenen, der 1993 die
Menschenrechtsgruppe Gusch Schalom ("Friedensblock")
gründete. Auch als Parlamentsabgeordneter setzte er sich
nach 1965 für die Zwei-Staaten-Lösung ein. Zuletzt hatte
Avnery gegen das kürzlich verabschiedete
Nationalitätengesetz protestiert.
In Israel ernete er auch Hass und Ablehnung - "Er
war nicht nur umstritten, er war sogar verhasst und ist es
auch sicherlich weiterhin nach seinem Tod", sagte Wiese. Das
gelte für die Siedler, rechtsradikale Israelis und Anhänger
einer Vertreibung der Palästinenser. Wiese erinnerte daran,
dass Avnery vor einigen Jahren sogar Opfer eines Attentats
war, bei dem er mit einem Messer attackiert und schwer
verletzt wurde. >>>
1950 - 1990
Herausgeber und Chefredakteur, Haolam Haseh
Nachrichtenmagazin
1965 - 1969
1969 - 1973
1979 - 1981
drei Amtsperioden Knesset-Abgeordneter, insgesamt 10 Jahre
1975
Gründungsmitglied, Israelischer Rat für
Israelisch-Palästinensischen Frieden
1993
Gründungsmitglied, Gush Shalom (Israelischer Friedensblock),
unabhängige Friedensbewegung http://www.gush-shalom.org
Kolumnist, Maariv, Tel Aviv.
Auszeichnungen:
Ehrenbürgerschaft des Dorfes Abu-Ghosh bei Jerusalem, in
Anerkennung seines Anteils an der Verhinderung der
Vertreibung des Dorfes, 12. Dezember 1953.
Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück , 21.
Juni 1995.
Ehrenbürgerschaft der Stadt Kafr Kassem, in Anerkennung
seines Anteils an der Aufdeckung des Massakers, verliehen am
40. Jahrestag, 31. Oktober 1996.
Aachener Friedenspreis (zusammen mit Gush Shalom), 1.
September 1997.
Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte, 22.
Januar 1998.
Niedersachsen-Preis für hervorragende publizistische
Leistungen, 11. Februar 1998.
Palästinensischer Preis für Menschenrechte, verliehen von
LAW, die palästinensische Gesellschaft für Menschenrechte,
Jerusalem 7. Juni 1998.
Alternativer Nobelpreis (Right Livelihood Award 2001), Uri
und Rachel Avnery und Gush Shalom, 4.Oktober 2001,
Verleihung 7. Dezember 2001.
Ehrenmitgliedschaft von Rachel und Uri Avnery in der Erich
Maria Remarque Gesellschaft e.V., Osnabrück, 2. Mai 2002
Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg, Verleihung 4.
Mai 2002.
Lew-Kopelew-Preis, Köln, Verleihung März 2003.
Quelle
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