Die
Katzen von Ariel
Uri Avnery, 4. November 2015
JEDES MAL,
wenn man denkt, dies ist die Grenze, taucht wieder etwas auf, und
die Grenze verschiebt sich.
Man könnte gedacht haben, dass die Hitler-Mufti-Geschichte die
absolute Grenze des Wahnsinns wäre. Aber nun kommt Uri Ariel und
beweist, dies ist falsch. Ariels Katzen sind noch schlimmer als
Netanjahus Mufti.
Ariel ist ein Kabinett-Minister. Ein Minister für wen? Fast keiner
weiß das genau. Bis jetzt. Jetzt kommt heraus, dass er der Minister
für Landwirtschaft ist.
Als solcher ist er auch Minister für Katzen. Ja, ja – ich mache
keinen Scherz. Selbst in Israel sind Katzen keine
landwirtschaftlichen Tiere. Sie ziehen keinen Pflug und legen keine
Eier. Sie werden nur kastriert.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Israel ist voller Katzen. Die
Leute lieben sie. Aber je mehr sie sich vermehren, um so weniger
haben sie zu fressen. Also hat vor einiger Zeit die Regierung sich
darum bemüht, besitzerlose Katzen zu fangen und sie zu kastrieren,
um die Katzen-Population zu dezimieren und ihnen ein dezentes
Katzenleben zu ermöglichen.
Wer zahlt dafür? Der Minister für Landwirtschaft, natürlich. Wer
sonst?
(Warum? Keiner weiß es. Da muss es einen geheimen Grund geben.)
Kommen wir zu Ariel. Er ist ein Politiker vom extremsten rechten
Flügel. In andern Ländern könnte er ein Faschist genannt werden,
aber in Israel lieben wir das F-Wort nicht.
Er
wurde in einem religiösen Kibbuz geboren – von denen es einige gibt
- schloss sich einer Siedlung an und wurde ein Führer in der
Siedlerbewegung. Als Rehavam Zeevi, mit Spitznamen Gandhi, der
Schutzheilige der äußersten Rechten, ermordet wurde, übernahm Ariel
seinen Sitz in der Knesset. Mit seinen fanatischen Nachfolgern
errichtete Ariel eine extreme Partei, schloss sich einer anderen
super-rechten Partei an, trennte sich von ihr, schloss sich einer
andern rechten Partei an. Gegenwärtig gehört er einer Unterpartei
der „Jüdisches Heim-Partei“ an und ist Minister, s. oben.
Ariel ist eine ernste Person. Ich hab ihn niemals lächeln gesehen.
Tatsächlich habe ich den Verdacht, dass seine Oberlippe gelähmt ist.
Er ist keiner der alltäglichen männlichen und weiblichen Demagogen,
mit denen die gegenwärtige Regierung voll ausgelastet ist. Er ist
wirklich ernst.
Im
letzten Jahr war er der Minister für Hausbau, ein außerordentlich
passender Job, da seine Hauptfunktion ist, die Siedler mit Wohnungen
zu versehen. Aber nach der letzten Wahl wurde er nur
Landwirtschaftsminister, und das schien nicht sehr angemessen zu
sein.
Siedler sitzen auf einer Menge arabischem landwirtschaftlich
ausgenütztem Land, aber sie machen wirklich keine Landwirtschaft.
Ihre Haupt-Aktivität in der Landwirtschaft scheint das Herausreißen
der benachbarten arabischen Olivenbäume zu sein.
Bis jetzt.
JETZT KOMMT GOTT
dazu. Gott schuf alles Lebendige und sagte ihnen: „Mehret euch!“ Es
ist das erste von Gottes unzähligen Geboten. Deshalb ist das
Kastrieren streng verboten.
Als neuer Minister für Landwirtschaft entdeckte Ariel zu seinem
Schrecken, dass sein Ministerium das Geld bekam, um die Katzen zu
kastrieren. Schrecklich. Eine schändliche Sünde in den Augen Gottes!
Also verordnete der Minister, mit dieser gottlosen Praxis sofort
aufzuhören. Aber was sollte man mit den Katzen tun? Ariel dachte
sehr nach und kam auf sein Lieblingswort: Transfer.
Wenn israelische Faschisten dieses Wort benützen, meinen sie
gewöhnlich den Transfer von Arabern. Ariels einander folgende
verschiedene Parteien sprechen alle über „Transfer“ (und benützen
auch im Hebräischen das englische Wort) – Transfer von der Westbank,
Transfer aus dem Gazastreifen, Transfer aus Ost-Jerusalem, Transfer
auch vom eigentlichen Israel. Während er also intensiv über die
Katzen nachdenkt, fand er offensichtlich die Lösung: warum sie nicht
auch transferieren?
Reines Genie. Aber wohin? Der Minister konnte sich natürlich nicht
mit solchen Kleinigkeiten abgeben. Irgendwohin transferieren. In ein
afrikanisches Land. Mozambik, Zimbabwe? Viele afrikanische Länder
würden sie für viel (natürlich von den US geliefertes) Geld nehmen.
Sie sind nicht jüdisch, sie könnten sie kastrieren und zur eigenen
Zufriedenheit töten.
DOCH WIE
Netanjahu und sein Mufti, so weckte Ariel und seine Katzen einen
Sturm aus. Israel ist voller Tierliebhaber und -Kämpfer für Tiere …
Sie erhoben sich wie einer, um gegen diesen neuen Holocaust zu
protestieren.
Ariel musste einen Rückzieher machen. Kein Transfer. Was also mit
den Katzen tun? Das weiß im Augenblick keiner.
(Ehrlich gesagt: ich bin auch ein Tierliebhaber, ich liebe besonders
Katzen. Ich brachte einmal eine kleine Katze nach Hause und nach
kurzer Zeit hatte meine drei-Zimmerwohnung 13 Katzen - abgesehen
von ihren beiden Untermietern, meiner Frau und mir. Jetzt habe ich
keine; aber die Katzen auf meiner Straße bekommen immer etwas von
meinen Mahlzeiten) .
DAS LAND
ist jetzt voller Witze – aber es ist keine witzige Angelegenheit.
Die Regierung der äußersten Rechten ist von einer wahrhaftigen Mani
besessen, die jede Woche neue Höhen erreicht.
Koalitionsmitglieder – Minister und nur einfache MKs wetteifern
miteinander, um Gesetzentwürfe vorzulegen, lächerliche, scheußliche
oder beides. Das ist ein wirklicher Veits-Tanz der
Regierungsgesetzesgeber.
In
dieser Woche erließ die Knesset ein Gesetz, das Richter zwingt,
Steine-Werfer, einschließlich 13jähriger Kinder, eine
Minimum-Gefängnisstrafe - den Umständen entsprechend -von zwei bis
vier Jahren zu geben, In Israel sind Kinder unter 14 noch nicht
kriminell aber ein Lösung wurde dafür gefunden: Die
Regierungsanwälte ziehen ihre Gerichtsfälle so weit hinaus, bis der/
die Angeklagte den 14. Geburtstag erreicht hat.
Die Eltern der so verurteilten Kinder verlieren für diese Zeit jede
soziale Versicherung und sind auch haftbar für ein Strafgeld von 10
000 Schekel (2500 US$)
Ein andrer neuer Gesetzentwurf schreibt vor, dass es Friedens- und
Menschenrechts-Aktivisten nicht erlaubt sei, das Knesset-Gebäude
ohne ein Sonderabzeichen zu betreten. Dies gilt nur für Mitglieder
von Vereinigungen, die von ausländischen Regierungen Geld erhalten.
Viele Israelis werden an Nazibefehle erinnert, Juden mußten immer
einen gelben Davidstern tragen. Einige schlugen sogar vor, dass das
Abzeichen gelb sein solle und in der Form eines sechseckigen Sterns.
Dieselben Verbindungen (einschließlich der bekannten wie B’tselem,
die sogar von der Armee respektiert wird) müssen auch ihre
ausländischen Geldquellen auf jeder Korrespondenz angeben.
Der Trick hinter diesem Vorschlag ist, dass Verbindungen vom rechten
Flügel die finanzielle Hilfe vom Ausland nicht nötig haben, weil sie
in Geld schwimmen, das von ausländischen Juden geliefert wird.
Sheldon Adelson z.B. ist reicher als viele Regierungen, und er ist
nur einer von den Multi-Multi Milliardären, der Netanjahu und die
Likud-Partei offen finanziert.
Die EU und einige individuelle europäische Regierungen unterstützen
einige Friedens- und Menschenrechtsgruppen (Gush Shalom leider
nicht). sehr zum Ärger von Likud-Mitgliedern. Deshalb die neue Idee.
Noch ein neuer Gesetzentwurf wird das Gesetz gegen Aufwiegelung
verändern. Bis jetzt musste man ( d.h. Araber), um irgendjemand
anzuklagen beweisen, dass es eine direkte und unmittelbare Gefahr
gibt, dass seine oder ihre Worte zu terroristischen Aktionen führen.
Nicht mehr. Seitdem alle Araber sagen und schreiben, dass sie gegen
die Besatzung sind, kann praktisch jeder unter dieses Gesetz fallen.
Dann gibt es noch das „Nation-Gesetz“. Es besagt, dass Israel der
Nationalstaat des jüdischen Volkes“ ist. Dies ist natürlich ziemlich
blöde: ein Volk und eine Nation sind zwei sehr verschiedene
Begriffe.
Nach der bestehenden rechtlichen Formel ist Israel „ein jüdischer
und demokratischer Staat“. Beide Begriffe sind hier gleich. Der
neue Gesetzentwurf sagt in seiner ursprünglichen Version, wenn ein
Widerspruch zwischen dem „jüdischen“ und dem „demokratischen“
Charakter des Staates besteht, dann müsse der „demokratische“ dem
„jüdischen“ nachgeben. In einfachen Worten: Israel hört auf,
demokratisch zu sein.
Es
gab daraufhin einen öffentlichen Aufschrei und diese Worte hat man
fallen lassen. Aber genau so diskriminiert der Gesetzentwurf die 20
% von Israels Bürgern, die Araber sind, und weitere 5 %, die aus
religiösen Gründen nicht als Juden anerkannt werden.
Dann ist da noch Ayelet Shaked, die Justizministerin, die die
Hauptfeindin des Obersten Gerichtes ist. Dieses ehrenhafte Institut
ist die Hauptstütze der Besatzung, aber in individuellen Fällen
blockiert es manchmal die Regierung. Die Ministerin, die sich auf
ihr gutes Ansehen verlässt , sagt und tut die scheußlichsten Dinge.
Sie fand für dieses Ärgernis eine Medizin: ein paralleles Gericht
zu schaffen.
Dieses Gericht, das Gericht der Nationalen Sicherheit, würde für
alle Fälle zuständig sein, bei denen die Regierung nicht erwarten
kann, dass das Oberste Gericht in ihrem Sinn urteilt. Solche
Gerichte bestehen schon in vielen totalitären Ländern.
DER EIFER
der Minister erinnert mich an einen Witz, der in unsrer Armee
umlief.
Es
gibt vier Arten von Offizieren: (1) der intelligente und fleißige,
(2) der intelligente und faule, (3) der dumme und faule,(4) der
dumme und fleißige.
Sie werden im Folgenden nach dieser Ordnung bewertet: Der
Intelligente und fleißige sind die besten: sie tun viel und alles,
was sie tun, ist gut. Dann kommt der Intelligente und faule; sie
tun wenig, aber was sie tun, ist gut. Dann kommt der dumme und
faule: alles, was sie tun, ist schlecht, aber Gott sei Dank, machen
sie wenig. Die 4. Kategorie ist die schlimmste: Sie tun eine Menge,
aber alles, was sie tun, ist katastrophal.
ALL DIES
geschieht in einem Land, das noch immer als die „einzige Demokratie
im Nahen Osten“ bekannt ist. Man kann sich nur fragen, wie lange
dieser Ruf von der zivilisierten Welt anerkannt wird.
Vor kurzem sagte Netanjahu etwas, das die Welt hätte schockieren
können, wenn die Welt zugehört hätte. Aber Netanjahu hat so viel
Dinge gesagt, dass sogar viele Israelis aufgehört haben, ihm
zuzuhören.
Eines der bekanntesten Sätze in der Bibel ist eine Frage, die Avner
an Yoav richtet. Avner war König Sauls Armeechef. Yoav war der
Kommandeur unter David. Nach einem langen Bürgerkrieg, der von David
gewonnen wurde, wandte sich Avner (nachdem ich mich selbst genannt
habe) an Yoav und fragte: „Soll das Schwert (uns) auf immer
verschlingen? Weißt du nicht, dass daraus am Ende nur Jammer kommen
wird? (2. Samuel 2,26.) Yoav hörte nicht auf ihn und am Ende tötete
er Avner.
Im
alten Hebräisch liest sich der Text buchstäblich: „Willst du immer
das Schwert essen?“
In
dieser Woche beantwortete Netanjahu die alte Frage. Er sagte dem
israelischen Volk: „Wir werden immer das Schwert essen!“
In
die heutige Sprache umgesetzt: „Ja, wir werden immer mit dem
Schwert leben. Es wird nie Frieden sein.
Es
ist nicht so, dass Netanjahu den Krieg liebt. Er weiß nur, dass, um
Frieden zu erreichen, wir die besetzten Gebiete zurückgeben müssen.
Weder er noch die Leute um ihn sind bereit, dies zu tun.
Das ist das ganze Problem auf den Punkt gebracht.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert) |