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Wenn du nein
sagst
Oder :
Giftpilze
Uri Avnery, 21.August 2010
VOR DEM Sieg des Feminismus gab es ein
populäres israelisches Lied, in dem der Junge das Mädchen fragt:
„Was meinst du damit, wenn du nein sagst?“
Diese Frage ist schon beantwortet
worden. Nun bin ich versucht, weiter zu fragen: „Wenn du von
Zionismus redest, was meinst du damit?“
Das ist auch meine Antwort an jene, die
mich fragen, ob ich Zionist sei.
Wenn du Zionist sagt, was meinst du
damit?
IN LETZTER ZEIT tauchen Verbände zur
Verteidigung des Zionismus auf wie Pilze nach dem Regen. Giftpilze.
Alle Arten amerikanisch-jüdischer
Multimillionäre – viele von ihnen Casino-Könige, Bordell-Mogule,
Geldwäscher und Steuerhinterzieher – finanzieren „patriotische“
israelische Gruppen in Israel, um den heiligen Krieg für den
„Zionismus“ zu kämpfen.
Der Angriff findet an allen Fronten
statt. Jüdische Organisationen haben vor, die Universitäten von
Post-Zionisten zu säubern. Sie drohen damit, andere Spender zu
veranlassen, ihre Spenden zurückhalten, sie terrorisieren die
Präsidenten und Rektoren und machen Professoren und Studenten Angst.
Amerikaner mögen an die Ära des Terrors
eines Senators Joseph McCarthy erinnert werden, der das Leben von
Tausenden Intellektueller und Künstler zur Hölle machte, viele von
ihnen ins Exil oder in den Selbstmord trieb. Europäer mögen an die
Tage erinnert werden, als „arische“ Professoren über Kollegen,
denen man Verrat vorwarf, informierten und Studenten in Braunhemden
ihre jüdischen Kollegen aus dem Fenster warfen.
Dies ist nur Teil einer breit
angelegten Offensive. Eine Gruppe hat stolz verkündet, sie lehre
Hunderte professioneller Zionisten , wie man Wikipedia, die
Online-Enzyklopädie, von post-zionistischen Artikeln säubert und
statt dessen zionistische einsetzt.
DER TERMINUS „Post-Zionismus“ spielt
die Hauptrolle in der Propaganda all der Dutzenden – vielleicht
Hunderten – von Verbänden, die von Las Vegas’ Multimillionären und
dergleichen in den USA finanziert werden, um den alten zionistischen
Ruhm wieder herzustellen.
Warum ausgerechnet dieser Terminus ?
Sie meinen die Linken, aber jene, die die „Linken“ angreifen, werden
„Rechte“ genannt. Doch die Mitglieder der extremen Rechte wollen zur
patriotischen Mitte gezählt werden. Es ist auch nicht sehr nett oder
fortschrittlich, gegen „liberale“ oder „progressive“ Professoren zu
sprechen. „Postzionisten“ ist das israelische Pendant zu den „Roten“
von Senator McCarthy oder den „Juden“ seiner Vorgänger in
Deutschland.
ABER WAS ist „Post-Zionismus“? Warum
nicht einfach „Anti-Zionismus“?
Soweit ich mich erinnere, war ich der
erste, der diesen Terminus gebrauchte. Es war 1978 als ich als
Zeuge in einem Fall von Verleumdung befragt wurde, die meine
Freunde und ich gegen eine Veröffentlichung erhoben, in welcher der
eben von uns gegründete „Israelische Rat für
israelisch-palästinensischen Frieden“ angeklagt wurde,
„antizionistisch“ zu sein. Bei dem Versuch, dem Richter meine
Ansicht zu erklären, sagte ich, Zionismus sei eine historische
Bewegung mit vielen Licht- und Schattenseiten gewesen; er habe
seine Rolle mit der Errichtung des Staates Israel erfüllt. Von jetzt
ab habe der israelische Patriotismus seinen Platz eingenommen.
„Post-Zionismus“ bedeute, mit der Gründung des Staates habe eine
neue Ära begonnen. Ein Post-Zionist könne die Errungenschaften des
Zionismus bewundern oder kritisieren. Er sei der Definition nach
kein Anti-Zionist.
Die Richterin akzeptierte meine
Argumente und urteilte zu unsern Gunsten. Sie belohnte uns mit
stattlicher Entschädigung. Jetzt bin ich der einzige lebende
Israeli, der eine schriftliche Bestätigung hat, dass er kein
Anti-Zionist ist - etwa so wie eine Person, die aus der Psychiatrie
entlassen wurde, die eine offizielle Bestätigung hat, dass sie
normal ist.
Seitdem wird der Terminus
„Post-Zionist“ sehr häufig in akademischen Kreisen benützt. Er hat
auch viele Schattierungen in der Bedeutung angenommen, je nach dem,
wer ihn benützt.
Aber im Mund unserer neuen
Mini-McCarthysten ist er zu einer einfachen Diffamierung geworden.
Ein Post-Zionist ist ein Verräter, eine Araberfreund, ein Lakai des
Feindes, ein Agent der unheimlichen, weltweiten Verschwörung, den
jüdischen Staat zu zerstören.
SHLOMO AVINERI, ein geachteter
Professor der Philosophie, veröffentlichte kürzlich einen Artikel,
in dem er leidenschaftlich behauptete, Israel sei ein jüdischer
Staat, und dies müsse so bleiben. Der Artikel hat schon eine
lebhafte Debatte ausgelöst.
Ich habe einige Proteste von Leuten
bekommen, die irrtümlicherweise dachten, ich hätte den Artikel
geschrieben. Das passiert von Zeit zu Zeit. Vor Jahren erwähnte die
anerkannte britische Wochenzeitschrift „The Economist“ meinen
anstelle seines Namens und veröffentlichte eine Woche später „eine
Entschuldigung an beide“.
Der Unterschied ist beträchtlich.
Avineri ist ein angesehener Professor, ein Schüler von Hegel, ein
Experte für zionistische Geschichte, ein früherer Generaldirektor
des israelischen Auswärtigen Amtes und ein überzeugter Zionist. Ich
bin – wie allgemein bekannt - kein Professor, ich habe nicht einmal
die Grundschule vollendet, ich war nie ein Regierungssprecher, und
meine Haltung gegenüber dem Zionismus ist sehr komplex.
In seinem Artikel behauptet Avineri
leidenschaftlich, Israel sei ein jüdischer Staat wie „Polen ein
polnischer Staat und Griechenland ein griechischer Staat ist.“ Er
antwortete einem palästinensischen Bürger Israels, Salman Masalha,
der behauptet hatte, es gebe genau so wenig einen jüdischen Staat
, wie es einen muslimischen Staat oder einen katholischen Staat
gebe.
„Wie kann man nur vergleichen?“ rief
Avineri aus. „Schließlich sind die Juden ein Volk! Israel gehört dem
jüdischen Volk, dessen Religion jüdisch ist.“
Das ist doch logisch! Oder ?
Keineswegs. Der Vergleich stimmt
einfach nicht.
Wenn Polen den Polen gehört und
Griechenland den Griechen, dann gehört Israel den Israelis. Aber die
israelische Regierung erkennt die Existenz einer israelischen
Nation nicht an. (Das Gericht hat noch keine Entscheidung bezüglich
einer Petition von einigen von uns getroffen, uns als Bürger der
israelischen Nation anzuerkennen. )
Wenn Avineri verlangt hätte, dass
Israel den Israelis gehört wie Polen den Polen gehört, dann hätte
ich applaudiert. Aber er behauptet, dass Israel den Juden gehört. Da
müssen einige grundsätzliche Fragen gestellt werden.
Zum Beispiel: Welche Juden?
Diejenigen, die israelische Bürger sind? Doch das meint er nicht. Er
meint das „jüdische Volk“, das in aller Welt zerstreut lebt, ein
Volk, dessen Mitglieder zur amerikanischen, französischen,
argentinischen Nation gehören – und natürlich auch zur polnischen
und griechischen Nation.
Wie wird eine Person Amerikaner? Indem
ihr die amerikanische Staatsbürgerschaft gewährt wird. Wie wird eine
Person ein Franzose? Indem sie eine Bürgerin der französischen
Republik wird. Wie wird eine Person jüdisch?
Und hier liegt der Hase im Pfeffer.
Nach dem Gesetz des Staates Israel ist ein Jude jemand, der eine
jüdische Mutter hat oder der zur jüdischen Religion konvertiert ist
und keine andere Religion angenommen hat. Also: die Definition ist
rein religiös wie die eines Moslems oder eines Katholiken. Nicht wie
die eines Polen oder Griechen. (In der jüdischen Religion zählt der
Vater in dieser Beziehung nicht. Vielleicht weil man nie ganz sicher
sein kann, wer der Vater ist.)
Nun gibt es in Israel Hunderttausende
von Leuten, die aus der früheren Sowjetunion mit ihren jüdischen
Verwandten nach Israel eingewandert sind, aber nicht nach der
religiösen Definition jüdisch sind. Sie sehen sich selbst in jeder
Hinsicht als Israelis an, sprechen Hebräisch, zahlen Steuern, dienen
in der Armee. Aber sie werden nicht als zum jüdischen Volk
zugehörig anerkannt, dem – nach Avineri - der Staat gehört. Wie die
anderthalb Millionen israelischer Bürger, die palästinensische
Araber sind. Der Staat gehört nicht ihnen, obwohl sie - wenigstens
formell – alle Bürgerrechte haben.
Einfach gesagt: nach Avineri gehört der
Staat Millionen Menschen, die zu anderen Nationen gehören und nicht
den Millionen von Menschen, die hier leben und die die Knesset
wählen.
WER HAT entschieden, dass dies ein
jüdischer Staat ist? Avineri und viele andere behaupten, dass der
Charakter des Staates mit der Resolution der Vollversammlung der
UN-Versammlung am 29. November 1947 entschieden wurde, als das Land
in einen „jüdischen Staat“ und einen „arabischen Staat“ geteilt
wurde.
Das stimmt nicht.
Die UN entschied nicht über einen
Staat, der allen Juden der Welt gehört und genau so wenig über einen
Staat, der allen Arabern der Welt gehört. Die UN-Kommission, die den
Konflikt zwischen den Juden und den Arabern in dem Land, damals
Palästina genannt, untersuchte, entschied (sehr sensibel), dass die
einzig mögliche Lösung die ist, jedem der beiden nationalen
Gemeinschaften einen eigenen Staat zuzuteilen. Mehr nicht.
Zusammengefasst: die Wörter „jüdisch“
und „arabisch“ in der UN-Resolution hatte nichts mit dem Charakter
der beiden Staaten zu tun, sondern definierte nur die beiden
Gemeinschaften im Land, die ihren Staat errichten sollten. Sie haben
keine andere Bedeutung.
ABER EIN Professor, der zu diesen
Schlussfolgerungen kommt, würde als ein Post-Zionist verfolgt
werden, der von der Universität vertrieben werden muss. Nach unsern
kleinen McCarthys ist sogar solch eine Debatte absolut verboten. Es
ist verboten, dies zu denken, Es ist verboten, darüber zu schreiben.
Definitiv ist es verboten, darüber zu sprechen. In jeder Universität
wird es zionistische Aufseher geben, die Berichte über die
Vorlesungen der Professoren empfangen, die ihre Veröffentlichungen
kontrollieren, die darüber berichten, was sie von den Studenten
hören, die über andere Studenten informieren und die ideologische
Reinheit schützen. Genau so wie die „Politruks“ – die politischen
Kommissare – in der Sowjet Union. Genau wie die rote Garde während
der Kulturrevolution in China, als Tausende von Professoren und
andere Intellektuelle in Arbeitslager oder entfernte Dörfer
geschickt wurden.
Aber die Ergebnisse ihrer Mühen könnten
sehr anders sein, als das, was sie erwarten. Statt den Terminus
„Post-Zionismus“ in ein Synonym für Verrat zu verwandeln, können sie
den Terminus „Zionismus“ in ein Synonym für Faschismus verwandeln
und damit all diejenigen in der ganzen Welt erfreuen, die einen
Boykott des „jüdischen Staates“ predigen. Wenn die israelischen
Universitäten von allen non-konformistischen Denkern gesäubert sind,
wird es tatsächlich einfach sein, sie zu boykottieren.
Wenn du Zionismus sagst, meinst du die
humanistische Vision eines Theodor Herzls oder den jüdischen
Faschismus Avigdor Liebermans?
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom
Verfasser autorisiert)
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