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Vox
Taxi – Vox Dei
Uri Avnery, 13.11.10
AM SAMSTAGABEND vor zwei Wochen kehrten
wir mit einem Taxi von der jährlichen Gedenk-Demo für Yitzhak
Rabin nach Hause zurück und, wie üblich, kamen wir mit dem
Taxifahrer in ein Gespräch.
Im allgemeinen verlaufen diese
Gespräche freundlich mit viel Gelächter. Rachel mag sie, weil sie
uns direkt mit Menschen zusammenbringen, denen wir sonst nicht
begegnen. Die Gespräche sind notwendigerweise kurz, die Leute
drücken ihre Ansichten genau aus, ohne ihre Worte besonders zu
wählen. Sie sind recht verschieden, und im Hintergrund hört man die
Radionachrichten, Talkshows oder Musik, die vom Taxifahrer
ausgewählt wurde. Und natürlich hört man vom Sohn, der Soldat ist,
und der Tochter, die studiert.
Aber dieses Mal ging es weniger glatt.
Vielleicht waren wir provokativer als gewöhnlich, immer noch
deprimiert von der Rallye, die keinen politischen Inhalt hatte, ohne
Emotionen und ohne Hoffnung war. Der Fahrer regte sich immer mehr
auf, auch Rachel. Wir hatten das Gefühl, dass dies mit einem Streit
geendet hätte, wenn wir nicht zahlende Kunden gewesen wären.
DIE ANSICHTEN unseres Fahrers können,
wie folgt, zusammengefasst werden:
Es wird nie Frieden zwischen uns und
den Arabern geben, weil die Araber ihn nicht wollen.
Die Araber wollen uns abschlachten. Sie
haben das immer gewollt und werden es immer wollen.
Jedes arabische Kind lernt von früh an,
dass man die Juden umbringen muss.
Der Koran predigt Mord.
Tatsache ist, dass es da, wo es
Muslime gibt, auch Terrorismus gibt. Wo immer Terrorismus ist, dort
sind Muslime.
Wir dürfen den Arabern nicht einen
Quadratmeter Land geben.
Was bekamen wir, nachdem wir den
Gazastreifen zurückgegeben hatten? Die Qassam-Raketen.
Da kann man nichts machen. Wir können
sie nur auf den Kopf hauen und in die Länder zurückschicken, aus
denen sie kamen.
Nach dem Talmud: Töte den zuerst, der
kommt, um dich zu töten.
DIESER FAHRER drückte in einfacher und
ungeschminkter Weise die Überzeugung aus, die heute die große
Mehrheit der jüdischen Israelis im Lande vereinigt.
Es ist nicht etwas, was mit irgend
einem Bevölkerungsteil identifiziert werden könnte. Es ist
Allgemeingut aller Schichten. Der Besitzer eines Marktstandes wird
es ungehobelt sagen, ein Professor wird es in einer gelehrten
Abhandlung mit vielen Fußnoten niederschreiben. Ein ranghoher
Offizier akzeptiert es als selbstverständliche Annahme, ein
Politiker gründet seine Wahlkampagne darauf.
Dies ist heute das wirkliche Hindernis,
dem sich das israelische Friedenslager gegenüber sieht. Es gab
einmal eine Zeit, in der diskutiert wurde, ob es überhaupt ein
palästinensisches Volk gibt. Das liegt weit hinter uns. Danach
mussten wir über „Groß-Israel“ diskutieren und „befreite Gebiete
werden nicht zurückgegeben“. Das haben wir überwunden. Dann gab es
die Diskussion, ob „Gebiete“ an König Hussein oder an einen
palästinensischen Staat, der neben Israel errichtet werden solle,
zurückgegeben werden sollten. Auch darüber sind wir hinweggekommen.
Danach ging es darum, ob wir mit der PLO verhandeln sollen, die noch
als terroristische Organisation definiert wurde - mit dem
Erz-Terroristen Yasser Arafat. Auch das haben wir hinter uns . Alle
Führer der Nation standen später Schlange, um ihm die Hand zu
schütteln. Dann gab es Streit über den Preis – zurück zur Grünen
Linie? Landtausch? Ein Kompromiss mit Jerusalem? Siedlungen
evakuieren? Das liegt hinter uns.
All diese Debatten waren mehr oder
weniger rational. Natürlich waren sie mit tiefen Emotionen
verbunden. Aber auch mit Logik.
Aber wie muss man mit Leuten reden,
die vollkommen davon überzeugt sind, dass die Diskussion als solche
irrelevant ist? Dass sie sich von der Realität getrennt hat?
In den Augen der Gesprächspartner ist
es sinnlos, zu fragen, ob es sich lohnt, Frieden zu schließen, ob
Frieden gut oder schlecht für die Juden ist, diese Fragen sind
unnütz, wenn nicht ausgesprochen dumm, da wir nur noch mit uns
selbst eine Debatte führen.
Es wird niemals Frieden geben, weil die
Araber niemals Frieden wünschen. Ende der Diskussion.
WER IST Schuld an dieser Einstellung?
Wenn es da eine Person gibt, die schuldiger ist als jede andere,
dann ist es Ehud Barak.
Wenn es einen Internationalen
Gerichtshof für „Friedensverbrechen“ gäbe, wie den Internationalen
Gerichtshof für Kriegsverbrechen, dann sollten wir ihn dorthin
geschickt haben.
Als Barak die 1999er-Wahlen gegen
Binyamin Netanyahu erdrutschmäßig gewann, hatte er keine Ahnung
vom palästinensischen Problem. Er sprach so, als hätte er nie ein
ernsthaftes Gespräch mit einem Palästinenser geführt. Aber er
versprach, innerhalb von Monaten Frieden zu schließen, und mehr als
hunderttausend jubelnde Leute feierten ihn am Abend der Wahl auf dem
Platz, auf dem Rabin ermordet worden war.
Barak war sich sicher, dass er genau
wisse, was er tun müsse: Arafat zu einem Treffen zitieren und ihm
einen palästinensischen Staat anbieten. Arafat würde ihm dann mit
Tränen in den Augen danken und alles andere aufgeben.
Aber als die Camp-David-Konferenz
einberufen wurde, war er geschockt, als er sah, dass die
Palästinenser – so böse wie sie sind – einige eigene Forderungen
hatten. Die Konferenz endete als Fehlschlag.
Als Barak nach Hause kam, erklärte er
nicht: „Tut mir leid, ich hatte keine Ahnung. Ich werde versuchen,
es besser zu machen.“ Es gibt nicht viele Führer auf der Welt, die
ihre Dummheit zugeben.
Ein normaler Politiker würde gesagt
haben: „Diese Konferenz hat noch keine Ergebnisse gebracht, aber es
gab einige Fortschritte. Es wird noch mehrere Treffen geben, und wir
werden die Differenzen zu überbrücken versuchen“.
Barak aber produzierte ein Mantra, das
jeder Israeli seitdem tausendmal gehört hat: „Ich habe jeden Stein
auf dem Weg zum Frieden umgedreht./ Ich habe den Palästinensern die
großzügigsten Angebote gemacht./ Die Palästinenser haben alles
zurück gewiesen./ Sie wollen uns ins Meer werfen./ WIR HABEN KEINEN
PARTNER FÜR DEN FRIEDEN!“
Wenn Netanyahu so etwas gesagt hätte,
wäre keiner beeindruckt gewesen. Aber Barak hatte sich selbst zum
Führer der Linken und des Friedenslagers ernannt.
Das Ergebnis war katastrophal: die
Linke brach zusammen, das Friedenslager verschwand beinahe. Barak
selbst verlor die Wahlen durch einen Erdrutsch. Und das ist nur
gerechtfertigt: wenn es keine Chance für den Frieden gibt, wer
braucht ihn dann noch? Warum ihn wählen? Schließlich war Ariel
Sharon, sein Gegner bei den Wahlen, viel besser für einen Krieg
geeignet.
Das Ergebnis: der normale Israeli war
schließlich davon überzeugt, dass es keine Chance für den Frieden
gab. Schließlich hat ja Barak selbst gesagt, dass es keinen Partner
für den Frieden gab.
KEINE EINZELNE Person, nicht einmal ein
Genie wie Barak, wäre in der Lage gewesen, solch eine Katastrophe zu
verursachen, wenn die Voraussetzungen nicht schon da gewesen wären.
Der Konflikt zwischen den Israelis und
den Palästinensern begann vor 130 Jahren. Eine fünfte und sechste
Generation ist in ihn hineingeboren worden. Ein Krieg vertieft die
Mythen und Vorurteile, den Hass und das Misstrauen, die
Dämonisierung des Feindes und den blinden Glauben an die eigene
Rechtschaffenheit. Das liegt im Wesen des Krieges. Er schafft auf
beiden Seiten eine geschlossene und fanatische Welt, die kein
Gegenargument durchdringen kann.
Daher, wenn ein Araber seine
Bereitschaft zum Frieden machen erklärt, bestätigt dies nur, dass
alle Araber Lügner sind (und umgekehrt: wenn ein Israeli einen
Kompromiss vorschlägt, bestärkt es nur den palästinensischen
Glauben, dass die Tricks des zionistischen Feindes, der sie zu
vertreiben plant, keine Grenzen kennt).
UND WAS am wichtigsten ist: die
Überzeugung, dass „Wir keinen Partner für den Frieden haben“ ist
äußerst bequem.
Wenn es keine Chance für den Frieden
gibt, müssen wir uns auch nicht den Kopf über ihn zerbrechen,
geschweige denn etwas für ihn tun.
Man braucht keine Worte über diese
Albernheit verschwenden. Tatsächlich ist schon allein das Wort
„Frieden“ altmodisch geworden. Es wird nicht mehr in der höflichen
politischen Gesellschaft erwähnt. Höchstens spricht man über „das
Ende der Besatzung“ oder das „Abkommen eines Endstatus“ – was beides
natürlich ganz unmöglich ist.
Wenn es keine Chance für den Frieden
gibt, kann die ganze Sache vergessen werden. Es ist unangenehm, über
die Palästinenser nachzudenken und darüber, was mit ihnen hinter
der Mauer in den „Gebieten“ geschieht. Lasst uns deshalb all unsere
Aufmerksamkeit ( die auch ihre Grenze hat) auf die wirklich
wichtigen Dinge lenken, wie z.B. den Streit zwischen Barak und
Ashkenazi, Olmerts Geschäftsaffären, die tödlichen Straßenunfälle
und den kritischen Zustand des Sees Genezareth.
Und da wir gerade dabei sind: wenn es
keine Chance für Frieden gibt, warum nicht Siedlungen bauen? Warum
nicht Ost-Jerusalem judaisieren? Warum nicht die Palästinenser
einfach vergessen?
Und wenn es keine Chance für den
Frieden gibt, was sollen diese mitfühlenden Herzen in aller Welt uns
für Lektionen erteilen? Warum belästigt uns Obama? Warum langweilt
uns die UN? Wenn uns die Araber massakrieren wollen, dann müssen
wir uns selbst verteidigen und jeder, der von uns wünscht, dass wir
mit ihnen Frieden machen sollen, ist nichts als ein Antisemit oder
ein selbst-hassender Jude.
DAS HEBRÄISCHE Sprichwort, „die Stimme
der Massen ist wie die Stimme Gottes“ kommt aus dem Lateinischen
„Vox populi, vox Dei“ („Die Stimme des Volkes, ist die Stimme
Gottes“) Es wurde das erste Mal von einem angelsächsischen
Geistlichen vor fast 1200 Jahren in einem Brief an Kaiser Karl den
Großen verwendet – und zwar in negativem Sinne: Man solle nicht auf
jene hören, die das sagen, da die Gefühle der Massen immer an
Wahnsinn grenzen.
Ich bin nicht bereit, solch ein
anti-demokratisches Statement gut zu heißen. Doch wenn wir etwas in
Richtung Frieden verändern wollen, müssen wir zweifellos diesen
riesigen Felsen aus dem Weg räumen. Wir müssen der Öffentlichkeit
eine andere Überzeugung einflößen – die Überzeugung, dass Frieden
möglich ist, ja dass er für die Zukunft Israels nötig ist und dass
dies hauptsächlich von uns abhängt.
Zu solch einer Überzeugung zu bringen,
wird uns nie durch Routinediskussionen gelingen. Anwar Sadat hat uns
gelehrt, dass es möglich ist, aber nur durch dramatische Aktionen,
die die Grundlagen unserer geistigen Welt erschüttern.
Zu Händen von Herrn Obama.
( aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom
Verfasser autorisiert)
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